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Wer den Versuch unternimmt, sich einen Überblick über C. G. Jungs theoretische Aussagen zur therapeutischen Arbeit mit Träumen zu machen, sieht sich mit derselben Schwierigkeit konfrontiert, die sein Werk auch im Übrigen durchzieht. Eine systematische Abhandlung, die das Thema klar strukturiert wiedergibt, die ein in sich geschlossenes Konzept zum Phänomen des Träumens darstellt oder gar ein Manual mit Rezepten und Handlungsanweisungen sind nicht zu finden. Vielmehr betont er immer wieder die Notwendigkeit im Umgang mit Träumen, sich nicht auf festgefügte Theorien oder Deutungssysteme zu verlassen, sondern die Unsicherheit als eine notwendigerweise zum Gegenstand gehörige Tatsache zu akzeptieren. Im wörtlichen Sinne eindeutige Systeme widersprechen der bildhaften, häufig polaren und paradoxen Symbolsprache des Unbewussten und damit dem Wesen der Träume:
»Man darf bei dieser Arbeit keinen Augenblick außer acht lassen, dass man sich auf trügerischem Boden bewegt, wo Unsicherheit das einzig Sichere ist. Man möchte dem Traumdeuter beinahe zurufen: >Nur nicht verstehen wollen!<, damit er ja nicht zu schnell deute.« (Jung, 1931/1991, S. 153, § 318).
So wählt Jung in seinen Texten zu Traum und Traumdeutung nicht den Weg einer stringenten systematischen Erfassung, sondern den einer circumambulatio, einer Umkreisung der Mitte, in der das Thema von vielen Seiten immer wieder aufs Neue betrachtet wird:
»Der Weg ist nicht geradlinig, sondern anscheinend zyklisch. Genauere Kenntnis hat ihn als Spirale erwiesen: die Traummotive kehren nach gewissen Intervallen immer wieder zu bestimmten Formen zurück, die ihrer Art nach ein Zentrum bezeichnen. (.) Die Träume als Manifestationen unbewusster Vorgänge rotieren oder zirkumambulieren um die Mitte« (Jung, 1952/1994, S. 43ff., § 34).
Eine solche kreisende Dynamik, die Jung als wesentliches Merkmal innerseelischer Entwicklung erkennt, wendet er häufig in der Beschäftigung mit einem bestimmten Thema an und gerade in der Frage der Traumdeutung erscheint sie dem Gegenstand besonders angemessen. So finden sich über sein Werk und über einen langen Zeitraum von 45 Jahren verteilt mehrere zentrale Texte, die sich intensiv mit dem Traum auseinandersetzen. Sie repräsentieren dabei sehr unterschiedliche Phasen in Jungs Schaffen, angefangen mit »Allgemeine Gesichtspunkte zur Psychologie des Traumes« aus dem Jahr 1916, das noch deutlich erkennbar vom Bruch mit Freud und der Abgrenzung gegenüber seiner Traumtheorie geprägt ist, bis hin zum Übersichtsartikel »Symbole und Traumdeutung«, der erst unmittelbar vor seinem Tod im Jahr 1961 abgeschlossen wird. Weitere zentrale Texte stammen aus den 1930er und 40er Jahren. Trotz dieser großen zeitlichen Unterschiede bleiben die Grundaussagen jedoch auffallend konstant und werden lediglich um zusätzliche Aspekte ergänzt oder aber in ihrer Grundaussage betont. Legt man diese Texte übereinander, so lassen sich die Konzepte erkennen, die sich bis heute in der täglichen praktischen Anwendung bewährt und die Lehre und therapeutische Arbeit mit Träumen in der Analytischen Psychologie wesentlich geprägt haben.
Ein zentrales Symbol der umkreisenden Zielsuche ist das Labyrinth. Trotz zahlreicher Richtungswechsel führt der Weg zur Mitte und Umwege gehören notwendigerweise dazu, sie können nicht übersprungen werden. Um sich nicht zu verirren, ist aber ein Roter Faden hilfreich. In den folgenden Kapiteln soll nun ein solcher Roter Faden durch die theoretischen Überlegungen und die praktischen Empfehlungen in der Arbeit mit Träumen aufgezeigt werden, ohne die umkreisende Form und das Offenhalten der Mitte aufzugeben.
So lässt sich aus C. G. Jungs Schriften zum Traum eine bestimmte Systematik herausarbeiten, die er selbst nicht ausdrücklich benennt. Von didaktischen Gesichtspunkten geleitet, hat sich diese jedoch bewährt, wenn es darum geht, die Grundideen und Konzepte des Traumverständnisses zu vermitteln oder in der Aus- und Weiterbildung therapeutischer Kollegen zu lehren. Sie soll daher auch im Folgenden der Orientierung dienen.
Dieser Rote Faden folgt zunächst drei Themenfeldern, die zentral sind für den therapeutischen Zugang zu Träumen in der Analytischen Psychologie. So behandelt der erste Teil die beiden Ausgangshypothesen, von denen Jung jegliche Traumarbeit abhängig macht:
1. Ein Traum enthält einen Sinn.
2. Dieser Sinn besteht in einer kompensatorischen Information des Unbewussten an das Bewusstsein.
Das zweite Themenfeld stellt Jungs grundlegende Abkehr von der Freudschen Traumtheorie dar, ebenso wie seine eigene Weiterentwicklung in eine völlig andere Richtung auf der Basis des Finalitätsprinzips und eines gänzlich unterschiedlichen Zugangs zum Symbolverständnis. Der dritte Teil beinhaltet technische Hinweise und die therapeutische Haltung im Umgang mit Träumen als einen der zentralen Schlüssel therapeutischen Arbeitens. Aus didaktischen Gründen soll auf die unterschiedlichen Zugangswege zu Trauminhalten, die Jung als »Handwerkszeug« bezeichnete, im II. Teil des Buchs gesondert und ausführlich eingegangen werden. Dort lässt sich entlang der verschiedenen Konzepte der Analytischen Psychologie zeigen, wie diese auf Traumbeispiele angewendet werden können.
Es sind zwei grundlegende Voraussetzungen, die C. G. Jung an das Verständnis von Träumen koppelt und die die wesentliche Rechtfertigung darstellen, sich überhaupt mit Träumen im Sinne einer therapeutischen Arbeit zu beschäftigen, nämlich die Sinnhaftigkeit der Träume und ihre kompensatorische Funktion. Vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit dem Symbolverständnis der Freudschen Schule erscheint ihm eine zu enge theoretische Begrenzung geradezu hinderlich. Folgendes Zitat gibt seine Auffassung treffend wieder:
»Ich sehe darum gerade bei der Traumanalyse soviel wie möglich ab von Theorie, nicht ganz allerdings, denn etwas Theorie brauchen wir immer, um die Dinge klarer erfassen zu können. So ist es eine theoretische Erwartung, daß ein Traum überhaupt einen Sinn habe. Das lässt sich nämlich keineswegs in allen Fällen strikte beweisen, denn es gibt Träume, die man schlechterdings nicht versteht, weder Arzt noch Patient. Ich muß jedoch eine solche Hypothese machen, um den Mut zu haben, überhaupt mit Träumen umgehen zu können. Eine weitere Theorie ist, daß der Traum der bewußten Erkenntnis etwas Wesentliches hinzufüge, und daß mithin ein Traum, der dies nicht tut, ungenügend gedeutet sei. Auch diese Hypothese muß ich machen, um mir zu erklären, warum ich überhaupt Träume analysiere.« (Jung, 1931/1991, S. 153, § 318)
Auf dem Hintergrund der seit der Antike anhaltenden Diskussion über die Frage von Sinnhaftigkeit oder Unsinn der Träume positioniert sich Jung eindeutig in der Tradition Platons, der Romantik und der Psychoanalyse Sigmund Freuds. In der Annahme einer kompensatorischen Funktion der Träume - »daß der Traum der bewußten Erkenntnis etwas Wesentliches hinzufüge« - aber schließt er eine eigene zentrale Hypothese an. Sinngehalt und kompensatorische Funktion sind dabei Setzungen, reine Arbeitshypothesen, wie er selbst bekennt. Die Annahme eines Sinngehalts muss jeder therapeutischen Beschäftigung mit Träumen zugrunde liegen, da sie andernfalls als wertlos für die psychische Entwicklung anzusehen wären. Die Erfahrung von Sinn gehört dabei zum existentiellen Seinshorizont des Menschen. Sinnerleben und das Auffinden von Sinnstrukturen, die mithilfe der aus dem unbewussten Pol stammenden Impulse der Träume gelingen können, erscheinen daher als Stabilisator, Motor und Ziel des therapeutischen Prozesses wie auch individueller und kollektiver Dynamiken:
»Der Mensch kann die unglaublichsten Nöte durchstehen, wenn er von ihrem Sinn überzeugt ist, und er fühlt sich vernichtet, wenn er zusätzlich zu seinem Mißgeschick auch noch zugeben muß, daß was er tut, sinnlos ist.« (Jung, 1961/1995, S. 268, § 566)
Selbst die neurobiologische Forschung hat in jüngster Zeit wieder eine Abkehr vom Paradigma der Träume als neuronalem Gewitter ohne Bedeutung eingeleitet ( Kap. I.3.2).
Der Aspekt einer...
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