Schweitzer Fachinformationen
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Die Themen in diesem Kapitel sind
Aufgabenspektrum pädagogischer Fachkräfte
belastete Kinder und Familien
Gesundheitsförderung in Kitas
Chancen von Präventionsprogrammen
Exkurs: herausforderndes Verhalten
Das Aufgabenspektrum von pädagogischen Fachkräften in Kindertageseinrichtungen hat sich in den letzten zehn Jahren deutlich ausgeweitet. Kitas sind zu Bildungsinstitutionen geworden. Es gilt das Primat eines individuumbezogenen Eingehens auf die frühe Bildungsfähigkeit der Kinder. Die ko-konstruktive Begleitung und Unterstützung kindlicher (Selbst-)Bildungsprozesse fordert eine vertiefte, auf genauer Beobachtung bzw. Diagnostik basierende Begegnung mit jedem einzelnen Kind (z. B. Schelle & Friederich 2023). Zusätzlich werden die pädagogischen Fachkräfte mit einer Reihe weiterer Anforderungen konfrontiert, auf die sie professionell zu reagieren haben:
Die Ergebnisse der KiGGS-Studie zeigen, dass es einem Großteil der Kinder und Jugendlichen in Deutschland gesundheitlich gut geht (Poethko-Müller et al. 2018). Der Anteil der Kinder mit psychischen Auffälligkeiten war seit 2006 leicht rückläufig, insbesondere bei Jungen im Alter zwischen drei und acht Jahren (16,9 % im Jahr 2017) (Göbel et al. 2018). Die vorliegenden Zahlen während und nach der Coronapandemie machen jedoch eine Veränderung der Situation sichtbar: Studien zeigen eine deutliche Zunahme von psychischen Auffälligkeiten (COPSY-Studie; RavensSieberer et al. 2022), die erst nach der Pandemie wieder leicht abnimmt.
Eine Erhöhung der Anzahl der Kinder, die von psychischen Belastungen betroffen sind, lässt sich auch im Alter von drei bis sechs Jahren nachweisen (Holler et al. 2023; Maldei-Gohring et al. 2022). Diese Ergebnisse sind ernst zu nehmen, da psychische Auffälligkeiten im Kindes- und Jugendalter stabil bleiben und sich zu circa 11 Prozent chronifizieren, wenn nicht frühzeitig gezielte pädagogische und ggf. therapeutische Maßnahmen eingeleitet werden (Göbel et al. 2018). Dies gilt insbesondere für Kinder mit niedrigem sozioökonomischem Status. Sie sind mehr als doppelt so häufig betroffen (Klipker et al. 2018) und haben das 5,7-fache Risiko für einen mittelmäßigen bis schlechten Gesundheitszustand (Kuntz et al. 2018). Besonders deutlich zeigt sich dies bei den psychischen Auffälligkeiten (26 % vs. 9,7 %) (ebd.). Der sozioökonomische Status beeinflusst Teilhabemöglichkeiten und die Inanspruchnahme von gesundheitsförderlichen Angeboten. Die KiGGS-Studie verdeutlicht darüber hinaus die verschiedenen gesundheitlichen Belastungen. So sind zum Beispiel 14 Prozent der Kinder in Kitas entwicklungsverzögert und 8 Prozent weisen Sprachstörungen auf. 15 Prozent (KiGGS, Schienkewitz et al. 2018) haben nachgewiesenermaßen Übergewicht.
Diese Auffälligkeiten und Probleme verändern sich nicht, wenn nicht frühzeitig professionelle Interventionen erfolgen. So ist etwa aggressives/gewalttätiges Verhalten als durchgängiges Merkmal der Weltbegegnung ab dem fünften Lebensjahr stabil (Krahè 2001; Essau & Conradt 2004). Das bedeutet, dass pädagogische Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen die Aufgabe haben, sowohl durch den Einsatz gezielter präventiver Maßnahmen die Entstehung von Auffälligkeiten zu verhindern als auch bestehenden Problemen durch spezifische Interventionen entgegenzuwirken.
Oftmals werden Eltern für die zunehmenden Probleme von Kindern verantwortlich gemacht. Jedoch sind viele Mütter und Väter durch veränderte Lebenslagen, einen Wertepluralismus und gestiegene Arbeitsanforderungen so sehr belastet und in ihren Erziehungskompetenzen verunsichert oder überfordert, dass sie selbst auf Hilfe angewiesen und die pädagogischen Fachkräfte wichtige Ansprechpersonen für sie sind (Bock-Famulla 2021; Nentwig-Gesemann & Hurmaci 2020).
Eltern mit einer Vielzahl sozialer und psychischer Probleme haben einen besonders hohen Unterstützungsbedarf. Zugleich sind diese Familien mit herkömmlichen Programmen schlecht zu erreichen (Betz et al. 2017). Besonderer Unterstützungsbedarf besteht in Stadtteilen, in denen viele arme Familien oder solche mit Kumulationen von Problemen leben, weil hier das Risiko von sozialer Exklusion und geringen Bildungschancen am höchsten ist. Hier haben die pädagogischen Fachkräfte verstärkt die Funktion, Erziehungspartnerschaften zu gestalten und gemeinsam mit den Eltern gezielt und geplant die Entwicklung der Kinder zu fördern.
Die Ursachen für die Probleme, Entwicklungs- und Verhaltensstörungen der Kinder sind komplex und lassen sich nicht eindimensional abbilden. Eine Vielzahl nationaler und internationaler Studien gibt allerdings klare Hinweise auf Zusammenhänge zwischen sozioökonomischem Status bzw. sozialer Benachteiligung und verringerten Entwicklungschancen: Schon zu Beginn des Schuleintritts bestehen zum Teil deutliche Unterschiede in der Sprachfähigkeit, den sozialen Kompetenzen, der Fähigkeit zur Emotionsregulation, der Leistungsmotivation und den kognitiven Fähigkeiten zwischen Kindern aus unterschiedlichen sozialen Zusammenhängen (z. B. Kuntz et al. 2018; Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018).
Besonders Kinder aus Familien mit einem niedrigen sozioökonomischen Status oder mit Kumulationen von Problemlagen haben deutlich geringere Bildungschancen. Ein zentrales Ergebnis der in Kapitel 1.2 angesprochenen Mannheimer Risikokinderstudie ist: »Kinder, die in schwierigen, belasteten Familienverhältnissen aufwachsen, schneiden langfristig sowohl im Bereich kognitiver Leistungsfähigkeit als auch im Bereich sozio-emotionaler Entwicklung deutlich schlechter ab als psychosozial unbelastete Kinder« (Fooken 2005, S. 48). Da Kindertageseinrichtungen Kinder (und Eltern) frühzeitig erreichen, können sie durch den gezielten und systematischen Einsatz von Programmen und Maßnahmen die Chancengerechtigkeit erhöhen und kompensatorisch wirken; die Wirksamkeit entsprechender Interventions- und Förderprogramme im Vorschulbereich ist nachgewiesen (Fröhlich-Gildhoff 2013).
Aus ethischen wie fachlichen Gründen ist es geboten, Kinder mit Entwicklungsrückständen, Behinderungen, chronischen Erkrankungen oder anderen Einschränkungen in Regelinstitutionen zu betreuen, zu bilden und zu erziehen. Die Inklusionspädagogik hat gerade im letzten Jahrzehnt hervorragende Modelle für die Teilhabe von Kindern mit Handicaps entwickelt, die - bei entsprechenden Rahmenbedingungen - eine gute Entwicklung ermöglichen (z. B. Booth, Ainscow & Kingston 2006; Weltzien & Albers 2014).
Die kulturelle Vielfalt setzt sich zunehmend in gesellschaftlichen Alltagsstrukturen durch. Hier haben Kindertageseinrichtungen eine äußert wichtige Funktion, die Vielfalt zu gestalten und Integrationen zu fördern (z. B. Kölsch-Bunzen, Morys & Knoblauch 2015; Büker & Hüpping 2024). Dies beinhaltet nicht nur die Arbeit mit den Kindern, sondern auch die Zusammenarbeit mit den Bezugspersonen der Kinder. Die pädagogischen Fachkräfte müssen hier zum Teil neue Wege gehen, um Zugang zu Eltern aus anderen Kulturen zu erhalten. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit der eigenen Kultur und verschiedenen Erziehungsstilen (Betz et al. 2017).
Abb. 2: Anforderungen an pädagogische Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen (eigene Darstellung)
Kindertageseinrichtungen sind zentrale Sozialisationsinstanzen sowie Lern- und Lebensorte für Kinder und ihre Eltern. Das Aufgabenspektrum der pädagogischen Fachkräfte umfasst somit neben der direkten Arbeit mit dem Kind die kontinuierliche und geplante Zusammenarbeit mit den Bezugspersonen sowie die Notwendigkeit der koordinierten und kontinuierlichen institutionellen Vernetzung.
Abb. 3: Aufgabenspektrum der pädagogischen Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen (eigene Darstellung)
Während die Zusammenarbeit mit Eltern zunehmend in der Fachdiskussion reflektiert wird, ist der Aspekt der sozialräumlichen und institutionellen Vernetzung als Aufgabenfeld von pädagogischen Fachkräften bisher kaum systematisch betrachtet worden; einige Untersuchungen zeigen hier deutlichen Entwicklungsbedarf auf (z. B. Fröhlich-Gildhoff, Kraus-Gruner & Rönnau 2006). Durch eine gezielte Vernetzung mit Vereinen, Kirchen und anderen Institutionen, aber auch mit Erziehungsberatungsstellen, pädagogischer Frühförderung und Jugendämtern, könnten die Kindertageseinrichtungen zu zentralen Knotenpunkten im Netzwerk von Einrichtungen im Sozialraum werden und Kindern wie Familien schnelle und niedrigschwellige Überleitungen in andere (Unterstützungs-)Systeme ermöglichen.
Kitas sind die...
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