Schweitzer Fachinformationen
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Prolog
Freitag, der 17. Oktober 1969. Seit dem Mittag hatte die Hitze ständig zugenommen. Dann waren Wolken träge vom Wasser her aufgezogen. Am frühen Abend legte sich der Wind. Bleiern hing der Himmel über Palermo.
In der Küche der kleinen Wächterwohnung über dem Oratorium San Lorenzo standen Maria und Martha Gelfi in ärmellosen Kitteln. Der Fernseher plärrte. Lauter noch als die Quizshow unterhielten sich die beiden Frauen zwischen Küchentisch und Kochstelle. Maria füllte Hand für Hand den gut gekneteten Teig in den Nudelwolf, die langen Spaghettischnüre drückten sich heraus und wurden von ihr über eine Stange zum Trocknen gehängt. Am Herd gab Martha Olivenöl in die hohe Pfanne. Zwiebeln, Knoblauch und Fenchelsamen lagen bereit. Sie nahm eine Wurst, ließ sie andächtig durch die linke Handfläche gleiten und presste dann mit geübtem Griff das Schweinemett aus der Haut in den Topf. Bald verbreitete sich der Duft nach Gebratenem und Gewürzen. Von draußen drang die Schwüle des Oktoberabends herein und mischte sich mit der Hitze des Herdes. Die Schwestern kümmerte es nicht, sie bereiteten das Lieblingsessen für den Papa vor: Pasta al sugo di salsicce. Dabei kosteten sie genüsslich von der Liebschaft zwischen dem Vetter und Lisa, der Tochter eines Fischers. Werden die beiden heiraten? Oder haben sie sogar schon vorher miteinander …? »Ganz bestimmt. Der Vetter will nur seinen Spaß.«
»Wie diese Lisa sich auch kleidet …! Nur enge Pullover. Will wohl wie die Loren aussehen.« Gleichzeitig stießen beide Frauen spitzes Hohngeschrei aus. »Niemals würde der Mastroianni sich …« »Recht hast du. Unser Marcello gibt sich für so eine nicht her.« »Diese Lisa sieht aus wie eine Schlampe. Hast du gesehen, wie sie mit dem Arsch wackelt?« Maria drehte sich vor dem Nudelwolf mit ausschwingendem Gesäß einmal im Kreis. »Hast du das gesehen? Und noch schlimmer …«
»Wie eine Henne, die auf den Hahn wartet. Ja, genau so eine ist die Lisa.« Martha probierte von der Soße, ließ die Schwester versuchen. Schwarzer Pfeffer fehlte und natürlich auch Salz.
Das offene Fenster knallte zu, fuhr auf. Draußen heulte jäher Sturm. Maria beugte sich hinaus, drehte den Kopf und schaute zwischen den eng stehenden Häusergiebeln nach oben zum Himmel. Da setzte Regen ein, pladderte, eine Böe trieb ihr das Nass ins Gesicht, sie musste sich gegen den Flügel stemmen, um ihn zu schließen. »Ein Sauwetter. Und ausgerechnet zum Wochenende, wenn der Papa zum Essen kommt.«
Einmal im Monat kam der greise Mann aus der Vorstadt von Palermo wieder ins Hafenviertel. Nach alter Gewohnheit wollte er erst zur Messe ins Oratorium, danach hinauf zu den Töchtern. Immer noch bezog er als Kustode das kleine Entgelt vom Orden. Ob er sein Amt übertragen und auch die Wohnung weitergeben durfte? Der Alte hatte niemanden um Erlaubnis gefragt, auch keinen von der Bruderschaft informiert, und da es bisher keine Nachfragen gab, war es so geblieben. Seit Papa Gelfi zu gebrechlich war, versahen die beiden Töchter an seiner statt den Dienst für die kleine Ordenskapelle San Lorenzo, direkt neben der größeren, der Klosterkirche des Franziskanerordens.
»Jesses, die Sintflut.« Martha blickte besorgt zum Fenster. Das Wasser prasselte nur so gegen die Scheiben. »Keine Katze würd ich jetzt vor die Tür jagen.«
Maria brachte die Flasche mit Marsala. »So ein kleiner Schluck? Was meinst du, Schwesterchen? So ein kleiner Schluck tut gut beim schlechten Wetter.«
Längst waren die Lichter hinter den Fenstern erloschen. Das Mitternachtschlagen von den Kirchtürmen war im Rauschen ertrunken. Und der Regen hörte nicht auf. Auf der kleinen Piazza San Francesco vor den Kirchen wuchsen Pfützenseen. Ströme flossen die engen Gassen hinunter.
Von der breiten Via Vittorio Emanuele bog eine Ape langsam im scharfen Winkel zur Via Parlamento ab. Gleich überflutete Wasser das kleine Vorderrad. Knatternd zwängte sich der dreirädrige Lieferwagen durch die Häuserschluchten, nahm an der Abzweigung zur Via Immacolatella neuen Atem, der Motor stotterte, heulte auf, und das Gefährt holperte weiter. Am Rande der Piazza stoppte die Ape vor den beiden Oratorien. Die Scheinwerfer verloschen. Nur das Licht der drei Laternen spiegelte sich schwach in den Pfützen, gab etwas Helligkeit.
Zwei Gestalten verließen den Wagen, lehnten die Seitenschläge nur an. Sie huschten über die Gasse zur Hofpforte von San Lorenzo. Der Größere schob einen Stahl zwischen die schmal-hohen Eichenflügel. »Los jetzt.« Zu zweit stemmten sie das Klingenblatt nach oben, innen wurde der Eisenriegel aus der Halterung gehebelt, schlug polternd gegen das Holz. Die Männer hielten inne, blickten an den Häuserfronten hoch. Nichts regte sich. Der Jüngere lief zur Ape, griff unter die Plane der Ladefläche und kehrte mit einer Leiter zurück. Nacheinander betraten sie den Innenhof, schlossen hinter sich die Pforte. Vor dem Brunnen nahmen sie rechts die wenigen Stufen zum Eingang des Andachtsraumes. Hier war die Tür nicht verriegelt.
Marino Mannoia zog eine Stablampe aus der Jacke. »Nur keinen Lärm jetzt«, er leuchtete seinem Helfer ins Gesicht. »Verstanden, Tonio?«
»Weiß schon Bescheid. Sorg dich nicht. Ist ja nicht das erste Mal …«
»Maul halten.« Der helle Strahl glitt über den Marmorboden, stieg die hölzerne Absperrung zum Altar hinauf, glitzerte kurz im unteren Rahmen des Bildes und erfasste den Kopf des im Stroh liegenden Christuskindes. Die Männer folgten dem Licht. Ohne Verabredung beugten beide vor dem Altar das Knie und bekreuzigten sich, murmelten »Amen« und küssten sich die Fingerkuppen. Unvermittelt geschäftig, griff Marino nach dem Kreuz und stellte es auf dem Stuhl neben der Sakristeitür ab. Tonio wartete ungeduldig, bis auch die beiden Leuchter und das Tuch in Sicherheit gebracht waren. Das Schaben der Leiter schnitt in die Stille. »Langsam«, zischte sein Partner. »Langsamer.« Er legte die Lampe beiseite. Gemeinsam hievten sie die Leiter auf den geheiligten Tisch, ließen sie vorsichtig nach hinten kippen, bis die Holmenden oberhalb des hohen Ölbildes an der Stirnwand lehnten.
»Denk dran, so dicht wie möglich am Rahmen.«
Tonio sprang auf den Altar, erklomm die Sprossen. Der Lichtkegel begleitete die langen Schnitte des Rasiermessers, träge bog sich die Leinwand nach vorn. Tonio reckte den Arm tief und tiefer, bis ganz hinunter aber vermochte er die Klinge nicht zu führen.
»Genug«, befahl Marino flüsternd. »Den Rest von unten.«
Kaum hatten sie die Leiter weggenommen, neigte sich das Gemälde tief über den Altar, blieb wippend hängen. Tonio huschte zur Stirnwand, schnitt die Leinwand vollends aus der Einfassung. Gleich wurde sie von Marino auf dem Marmorboden zusammengerollt und mit einem Strick verschnürt.
Geduckt verließen die Diebe den Andachtsraum. Von den überfüllten Dachrinnen schwappte Wasser, klatschte in den Innenhof, dazu pladderte der Regen. Nichts war zu hören vom Aufschwingen und Schließen der Hofpforte. Tonio lief mit der Leiter voraus zur Ape, hob die Plane, und Marino Mannoia musste rucken und drücken, bis das erbeutete Kunstwerk verstaut war. »Ich fahre.«
Der Motor tuckerte, heulte auf, setzte mit dem Gang wieder tiefer ein, und das dreirädrige Gefährt furchte durch die Regenseen vorbei am Oratorio dei Francescani. »Zünd mir eine an«, befahl der Fahrer. Tonio steckte ihm eine brennende Zigarette in den Mundwinkel. »War doch ganz einfach.«
»Erst wenn wir da sind, ist es vorbei.« Nach einem tiefen Zug blies Mannoia den Rauch aus dem anderen Mundwinkel wieder aus.
Die Ape zwängte sich in die Via Resuttana, heulte unter den von Haus zu Haus gemauerten Stützbögen her. Auf der Piazza della Magione nahmen die Lichter wieder zu. Straßenlaternen. Leuchtreklamen. Beim Abzweig in die Via Archirafi stoppte die Ape kurz, ließ den Bus passieren und fuhr ihm dann gemächlich in Richtung Botanischer Garten hinterher.
Neben einem düster schmutzigen Wohnhaus parkten die Diebe den Wagen in einem Holzschuppen. Wenig später brachten sie ihre in eine Decke gehüllte Beute mit dem Fahrstuhl hinauf zum vierten Stock. Marino spuckte Tabakreste auf den Boden. »Jetzt, Junge, jetzt haben wir es geschafft.« Oben angelangt, verließ er die Kabine als Erster. Rückwärts zog Tonio die unförmige zwei Meter hohe Rolle in den Flur. Zu langsam. Die Schiebetüren fuhren zu. Wolldecke und Bild verklemmten sich im Spalt. Der Junge zerrte, ruckte, schließlich befreite er das Gemälde und opferte dabei etwas von der Leinwand.
In Mannoias Wohnung wartete ein Gast, Sotto, teigfarben das Gesicht, die Augen leicht vorgequollen. Rasch erhob er sich vom aufgeschlagenen Feldbett, schloss den Gürtel seiner Hose. »Was ist? Sagt schon.«
»Gut ist es.« Francesco verzog den breiten Mund zu einem Grinsen. »War ein Kinderspiel.«
Sotto griff eilig nach dem Jackett, als dürfte er nur vollständig bekleidet einen Blick auf die Beute werfen. »Nun lasst es mich sehen.«
Ein Wink und Tonio streifte die Decke ab. Beim Anblick der Leinwandsäule erschauderte der Gast. »Ihr habt das Bild gerollt? Aufgerollt wie einen Teppich?«
»War sonst nicht zu transportieren.« Marino verschärfte den Ton. »Oder hast du geglaubt, wir schleppen es gleich mit Rahmen durch die Stadt? Jedes Plakat kaufst du gerollt mit einem Gummiband.«
Der Vergleich wog schwer wie eine Gotteslästerung. »Das, das ist beileibe kein Plakat«, flüsterte Sotto. »Das … das ist ein Caravaggio. Die ›Natività‹.«
Inzwischen hatte Tonio die Schnüre gelöst, langsam breitete er das Gemälde über dem Feldbett aus.
»Seht doch, das Kind …«, der Gast...
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