Schweitzer Fachinformationen
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Wer einmal in der Arena de México gesessen hat, hat erfahren, dass es mit dem Zuhören manchmal nicht so einfach ist. Es ist dort dazu auch einfach zu laut. Selbst an einem Dienstagabend ist die Arena in der mexikanischen Hauptstadt mit knapp 10000 Menschen gut besetzt, ganze Familien kommen dort hin, Menschen aus der Stadt, Geschäftsleute, Freunde und natürlich Touristinnen wie wir. Ähnlich wie bei anderen Sportereignissen geht man dort immer in Gruppen oder zu zweit hin, niemals alleine. Die Akustik ist hallig, sämtliche Geräusche hochgetuned. Es ist der Sound der Präsentation von Stars, des spektakulären Auftritts, in dem das einzelne Wort zur Klanggeste verkommt. Die einzelnen Kämpferinnen und Kämpfer, bereits durch riesige Banner angekündigt, schreiten die glitzernde Treppe herunter, steigen in den Ring und zeigen mit ausladenden Gesten, welche Rolle sie einnehmen wollen. Auftrumpfend, mit übersteigertem Selbstbewusstsein springen sie auch gerne auf die elastische Absperrung in Richtung Publikum und reißen die Arme hoch. Dieser Vorgang wiederholt sich sehr oft, denn es treten in den zwei bis drei Stunden der Kämpfe ungefähr sechs Teams auf, meist mit sechs Kämpfenden, die alle maskiert sind, ihre Rollen haben, wie sich dies in ihren teilweise mythischen Namen wie Bárbario Cavernario, Zeuxis, Mistico, Volador Jr., Blue Puma ausdrückt. Sie sind Stars oder Neuzugänge, und mit ihnen treten noch kleinwüchsige Maskottchen auf, die zwischen Tier und Comicfigur changieren und auch mal zuschlagen dürfen. Nein, es muss nicht verstanden werden, was gesprochen wird, es zählt das Wort nicht viel in diesem Kampf zwischen Gut und Böse, als den man die einzelnen Kämpfe immer wieder lesen kann. Dies antagonistische Prinzip wird sich durch den ganzen Abend ziehen, allerdings nicht als statisches Prinzip, sondern dynamisch. Im Ring steht bereits der Schiedsrichter, dessen Aufgabe es ist, die Kämpfer anzukündigen, während Showgirls den Weg weisen und Schilder hochhalten. Er wird ziemlich schnell zu der Figur werden, die mich am meisten fasziniert und beschäftigt. Wie spielt er sein Entsetzen? Wie schafft er es, seine Rolle souverän zu behaupten, auch wenn sie in Wirklichkeit überhaupt kein Gewicht hat und eigentlich eher lächerlich gemacht wird. Denn im Grunde bestehen die Kämpfe aus lauter Regelübertretungen, mehr noch, es geht um die Regelübertretung, auf die sowohl Publikum als auch Schiedsrichter mit gespieltem Entsetzen reagieren. Daumen runter! Pfiffe, Rufe, Schreien. Der Schiedsrichter, oder bei den Frauenkämpfen die Schiedsrichterin, kniet sich nicht selten dann direkt neben das Prügelgeschehen und ruft hinein, aber es ist klar, dass er oder sie sich nicht durchsetzen wird. Niemals greift er oder sie wirklich ein. Zumindest nicht an meinem Abend, der trotz abgekartetem Spiel oder gerade aufgrund seiner Gespieltheit erstaunlich spannend blieb. Wrestling ist auch ein äußerst theatrales Ereignis, alle wissen, dass die Kämpfenden sich nicht wirklich derartig schlagen (in die Geschlechtsteile treten, auf den Brustkorb springen, ins Gesicht schlagen etc., wie man annehmen könnte), und auch wenn Formen des authentischen Sichverprügelns wie im Ultrawrestling bereits existieren, ist diese Theatralität Reiz und Erleichterung für Zuschauende zugleich. Das Schauspiel besteht zu einem nicht unwesentlichen Teil in dem sich auflösenden Regelwerk und in der Aufkündigung von Fairness (man schlägt noch zu, wenn jemand bereits am Boden liegt), und die tragische Figur in ihm ist tatsächlich der Mensch, der zuständig ist für die Regeln, eine Richterfigur auf verlorenem Posten. Denn sein Kampf ist stets schon verloren, er ist von einer übergeordneten Macht - griechische Götter? - bereits verdammt zu dieser Sisyphusarbeit, und seine Anwesenheit erinnert nur daran, dass es einmal eine Zeit gab, in der Regeln Regeln waren, aber dieser Zustand ist längst vorbei, jetzt leben wir in einer Epoche des verdammten Krieges. Man kann sich natürlich fragen, warum diese Kämpfe nicht nur in Mexiko so eine derartige Beliebtheit haben, man könnte sie ja auch als nur entsetzlich beschreiben. Aber vielleicht kondensiert sich in ihnen eine kollektive Erfahrung der Auflösung oder Bedrohung eines Spiels, das wir als Demokratie beschreiben und in dem »Legitimation durch Verfahren«[1] angesagt ist. Recht verliert hier gegen das Prinzip der puren Willkür, der Machtgeste, man könnte es auch übersetzen in: Rechtsstaatlichkeit gegen Autokratie.
Es hat mich insofern kaum erstaunt, dass im amerikanischen Wahlkampf die demokratische Kandidatin von Popstars wie Taylor Swift oder Talkshowhosts wie Oprah Winfrey unterstützt wird, der republikanische Kandidat hingegen von Wrestlern, so etwa dem legendären »Undertaker«, in dessen Podcast Donald Trump auch tatsächlich aufgetreten ist.[2] Letzteres entspricht einfach seinem Prinzip der Polarisierung, der Inszenierung von Gut und Böse, mit dauernd changierenden Positionen, dem Spektakel der Überlegenheit und Unterlegenheit, dem Entertaining als politischem Prinzip. Das Wort bzw. die Sprache ist ihm unterworfen, niemals dient es dem Gespräch, der Aushandlung oder Kommunikation. Insofern muss man auch nicht so genau verstehen, was gesagt wird. Es entgeht einem nichts. Während im Gericht jedes Wort auf die Waagschale gelegt wird, ist hier Inszenierung, Lautstärke, Überraschung bzw. überraschende Volte alles. Oder Camouflage. Wir haben das in den letzten Monaten erlebt. Wertesysteme können einfach behauptet werden, ein hasserfüllter Auftritt zum »Fest der Liebe« umerklärt. Die Worte müssen nicht mehr so genau treffen und dienen alleine der Überspitzung und Emotionalisierung, es geht um die Nennung von Gegnern und Feinden, nicht um die praktischen politischen Fragen. So erklärte Kamala Harris auf ihrer Abschlusskundgebung treffend, dass ihr Gegner mit einer Feindesliste in das Weiße Haus einziehen würde, sie allerdings mit einer To-Do-Liste. Ich beginne diesen Text im Moment der Wahl, nicht ahnend, was sich in zwei Monaten vollziehen wird. Im damaligen Moment der Hoffnung, dass nicht der Lärm gewinnt.
Es heißt, man kann etwas nicht hören, weil es zu leise ist, aber genau das Gegenteil lässt sich auch behaupten. Ist etwas zu laut, verlieren sich die Semantiken. Worte werden ununterscheidbar, wer schreit, hat auch aus diesem Grund bereits unrecht, hieß es früher, heute bin ich mir da nicht mehr so sicher. Man könnte die Menschheitsgeschichte als eine Geschichte des Lärms beschreiben, wie es auch schon geschehen ist.[3] Der populistische Lärm klingt anders als eine heftige demokratische Geräuschkulisse. Die Bezeichnung Lärm ist, das muss ich zugeben, immer abwertend gemeint. Und eine Aufwertung dieser Vokabel ist selbst in diesen Tagen nicht zu erwarten, wenn sich auch seine Realität Macht verschafft hat. »Hier ist es so laut, wunderbar«, würde kaum jemand sagen. Und dennoch wird er gesucht. Es wird Lärm und vor allem Rauschen produziert, um uns abzulenken. Auch, um das einzelne Wort abzuwerten. Sprache gilt nichts mehr, sie ist nichts als Budenzauber, könnte man meinen. Was ich heute sage, gilt morgen nicht mehr. Es wird Lärm erzeugt, um in seinem Hintergrundrauschen einiges zu versenken. Sein Gegenprinzip liegt in der Rechtsprechung. Hier wird das Wort auf die Waagschale gelegt, aber es kann natürlich auch hier missbraucht werden, unter dem Schein der genauen Wortbetrachtung.
Derzeit bin ich in meiner Heimat Österreich mit einer radikalen Entwicklung konfrontiert, die sich in Wellenbewegungen über die letzten 25 Jahre bereits vollzieht. Sie als rechtsradikale Wende zu bezeichnen wäre insofern verkehrt. Ein Regierungsauftrag wird zwar der zahlenstärksten Partei, der FPÖ, nicht erteilt - niemand will mit ihnen zusammenarbeiten -, aber es mutet schon irrwitzig an, dass dies die Partei mit den meisten Wählerstimmen betrifft, was nicht heißt, dass sie eine Mehrheit vertritt. Es entsteht auch hier ein verstecktes antagonistisches Prinzip. Die demokratischen Parteien fungieren darin als eine Seite, die rechtsextreme Partei als die andere, politisch betrachtet ein falscher Antagonismus. Auf Sportarten übersetzt hieße das, es gibt nicht mehr die verschiedenen Vereine, die gegeneinander antreten, sondern aus allen Vereinen treten die gemeinsam an, die sich noch an die Regeln halten, gegen die, die darauf pfeifen. Kommt so noch ein Spiel zustande?
Klar ist, jemanden als rechtsextrem zu bezeichnen, ist leergelaufen. »Man nennt uns Nazis«, sagen die Nazis, und man glaubt, die Sache hat sich erledigt. Aber sie hat sich nicht erledigt. Die Nennung reicht nicht mehr. Das Wort genügt nicht mehr. Es ist auch hier das Auftrumpfende, Polarisierende, Entertainende, das erfolgreich ist. Wenn wir nach Deutschland blicken, fragen wir uns, was wird sich in diesem Jahr ereignen. Im Prinzip stellt sich diese Frage in allen mitteleuropäischen Ländern: Wie können demokratische Parteien noch Politik machen, wenn sie zu einer Front gegen den rechtsextremen Feind der Demokratie zusammengeschlossen werden? Werden sie nicht dazu verdammt, sich gegenseitig zu nivellieren? Wird daraus nicht wirklich eine technokratische Verwaltung der Politik, die gegen ein rechtsautoritäres Agieren steht, ein Zustand, aus dem sich eine unheilvolle Wellenbewegung ergibt, die der Soziologe Pierre Bourdieu schon in den 90er Jahren beschrieben hat, und auch, wenn derzeit es so aussieht, dass aus der letzten Welle der Sieger Autokratie heißt, ist der wirkliche Sieger immer trotz allem...
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