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Unsere Frage, deren Etappen wir herauszuarbeiten versuchten, ist mit gehörigem Abstande von mehreren deutschen Historikern betrachtet worden. Mühling denkt hier mit Recht an eine Überzeugungshandlung. Seine Ansicht »Das Rätsel dieses Gesinnungswechsels, dem der Zusammenbruch einer Weltanschauung vorausgegangen sein muss, kann nur er selbst lösen« dürfte aber zu weit gehen. Mussolinis Haltung blieb noch bis 1919 sozialistisch. Im Oktober 1914 warf er lediglich das pazifistische Ideale über Bord und das fiel in jener Zeit nicht schwer. Die einzige Schwierigkeit bestand für ihn in der sozialistischen Motivierung der Interventionsnotwendigkeit, zu der er sich allerdings erst durchringen musste. - Dem andern Gedanken Mühlings stehen folgende interessanten Analysierungsversuche unserer Frage gegenüber: Güterbock sieht die Entwicklung vom radikalen Sozialisten zum extremen Chauvinisten durch Mussolinis eigenartige Persönlichkeit bedingt: »Ich besitze kein Anpassungsvermögen aus Liebedienerei; ich lebe zu sehr wider die Regel, um solche Vorurteile zu hegen.« Daher auch sein Mut zur eigenen Meinung und zur völligen Änderung seines Verhaltens bei einem Wechsel der Überzeugung, und dann stets ein ganzes, radikales Vorgehen. Seine Gegner haben ihn deswegen nicht umsonst einen Individualisten gescholten, einen aristokratischen Intellektuellen, einen Übermenschen mit Nietzschemoral, der in einer außergewöhnlichen Zeit einen außergewöhnlichen Weg gehe. - Diese Charakterisierung aus dem Jahre 1923 hat unterdessen oft ihre Bestätigung gefunden: Er will und kann niemals gegen die innere Stimme handeln. So sind auch die Krisentage im Herbst 1914 zu verstehen.
Güterbock glaubt, dass mit dem Sozialismus Mussolinis, der letzten Endes aus seinem menschlichen Mitgefühl für die unteren Bevölkerungsklassen entsprungen sei, leicht nationale Gedankengänge hätten in Verbindung treten können. Dem Konflikt Italiener gegen Sozialist habe er anfangs durch die Neutralitätspolitik ausweichen wollen, sich aber, als nur noch eine Intervention zugunsten der Entente in Betracht kam, vom Internationalismus allmählich gelöst und dem interventionistischen Standpunkt genähert. Als alter Sozialist habe er zunächst noch ein aktives Vorgehen abgelehnt, bis ihn äußere Begebenheiten und sein Temperament zu immer stärkerer Stellungnahme, Aufgabe der passiven Haltung und Bruch mit der Partei getrieben hätten. »Er zog die letzte Konsequenz daraus, dass in ihm das nationale Empfinden stärker als das internationale Klassenbewusstsein war. In dieser Entwicklung offenbart sich eine innere zwangsmäßige Notwendigkeit, die tief in seiner Natur wie in dem Gang der Weltereignisse begründet lag.«
Mannhardt stellt fest, er sei »bis Mitte September vorbehaltlos für die Neutralität gewesen, dann aber bis Ende Oktober wie auf einer schiefen Ebene in das Lager der Interventionisten abgerutscht«. »Nach wochenlangem Ringen kam er zu dem Ergebnis: Er wollte den Krieg, und er wollte ihn als Sozialist! In diesem Sinne wollte er seinen Einfluss in seinem Blatte und in der Partei geltend machen. Er begann damit und - erlitt sehr bald Schiffbruch, eine neue wichtige Schulung für ihn. Selbst eine Persönlichkeit wie er drang in einer Zeit der belebten Masse, die aber zugleich noch sich in Ehrfurcht vor der Idee der Majorität beugte, ohne eine feste, treue Anhängerschaft nicht durch.«
Beckerath, dem wir eine der ausführlichsten Analysen unseres Problems verdanken, sieht den eigentlichen Anstoß zur Intervention des Landes in der Haltung der oberitalienischen Großindustrie, die zunächst die Streitenden mit Kriegsbedarf versorgte, allmählich aber in das interventionistische Lager hinübergewechselt sei. Dem Bürgertum schlossen sich sodann syndikalistische Arbeitergruppen mit irredentistischen Zielen an, unter ihren Führern Corridoni und de Ambris. Zur wirklichen Erfassung der proletarischen, zugleich aber kriegsfreundlichen Massen sei es aber nötig gewesen, dass »Mussolini dem Beispiel König Chlodwigs bei der Taufe in Reims folgte und wenigstens teilweise die alten Götzen abschwor«. Mit Recht setzt von Beckerath seine Schwenkung in die Reihe jener Ereignisse, die das Eingreifen Italiens vorbereiteten. Den Wechsel vom syndikalistischen Sozialismus zum intransigenten Nationalismus findet er merkwürdig, aber für Italien gar nicht ungewöhnlich, da der italienische Nationalismus seit der Jahrhundertwende ständigen Zuwachs aus dem Lager der Syndikalisten empfing, die als Republikaner und Anhänger Mazzinis Patrioten und Sozialisten zugleich waren. . »Mussolinis Umschwung trug den Anschein unüberlegter Plötzlichkeit, aber sie war gleichwohl genau erwogen. Solange die Möglichkeit eines Eingreifens an der Seite der Mittelmächte bestand, verfocht er, ebenso wie die Partei, für den italienischen Sozialismus die These absoluter Neutralität. Als durch die Neutralitätserklärung der Regierung die Gefahr gebannt schien, vertauschte Mussolini, im Gegensatz zur Partei, diese These mit der raffinierten Formel >relative< Neutralität, einer Neutralität, welche es dem Sozialismus erlauben sollte, unter Umständen, etwa bei einem Kriege gegen Österreich, im Dienste des Vaterlandes zur Waffe zu greifen«.
Gerade hier sei nochmals auf die durchaus sozialistischen Motive Mussolinis hingewiesen. Eberlein schrieb, Höflinge hätten später versucht, den Vorwurf des Gesinnungswechsels mit der Behauptung zu entkräften, die Neutralität sei vom ersten Tage an nur Maske gewesen, er hätte mit ihr die Sozialisten für seinen Plan eines nationalen Staates gewinnen wollen. Eberlein lehnt das mit Recht ab und sieht das Ziel Mussolinis richtiger in der Zerstörung der Monarchie und Errichtung einer sozialistischen Republik.
Über den Beginn der vierten Oktoberwoche half Mussolini sich ebenfalls mit Interviews hinweg, obgleich die Parteileitung ihm volle Freiheit weiterer Mitarbeit am Avanti! gelassen hatte60. Seine im Corriere della Sera veröffentlichte Erklärung gegenüber einem Schriftleiter: »Wenn es der Krieg nicht machen muss, dann wird die Folge zweifellos eine revolutionäre Bewegung sein!« enthielt schon das später siegreiche Losungswort »Krieg oder Revolution!« Am 27. Oktober erschien zu der Nr. 11 der Zeitschrift Giornale della Guerra (Florenz) ein Sonderheft (Preis 10 Centesimi) in Großquartformat mit dem schwarz und rot gedruckten Titel: »Der Krieg für die Freiheit und für das Ende des Krieges«. Brief an die Sozialisten Italiens von Benito Mussolini. Zugleich mit seinen letzten Erklärungen nach dem Rücktritt als Leiter des Avanti! - Das Programm dieser Zeitschrift, mit der Intervention »ein Werk hoher Menschlichkeit zu erfüllen«, nämlich der »furchtbaren von den Mittelmächten provozierten Schlächterei mit der Waffe ein Ende zu machen«, deckt sich völlig mit der späteren Formel Mussolinis, der Italiener sollte den Krieg aus Pazifismus wünschen: eben, um ihn schneller zu beenden. - »Alle Italiener von Sinn und Herz«, heißt es in der Zeitschrift einführend, »waren und sind mit uns; hier schien es, dass nur der P.S.I. die historischen Ursachen des Augenblicks verkennen wollte, aber Professor Benito Mussolini . hat mit einem lobenswerten Akt des Mutes deutlich gesagt, dass die italienischen Sozialisten den Weg zu einem Kriege mit Österreich nicht verbauen könnten, einem Kriege, der vom ganzen italienischen Volke gefühlt wird«. - Dann wurden der folgenschwere Avanti! - Artikel, die oben beschriebenen Umstände beim Rücktritt und der Artikel im »Secolo« vom 21. Oktober wiedergegeben.
Nun setzten die ersten Angriffe des Avanti! gegen Mussolini ein, zumal da die letzten P. S. I.-Sitzungen bewiesen hatten, dass er in der Partei noch nicht zu unterschätzende Sympathien besaß. Diese hoffte man noch zu vernichten, um ihn so völlig zu isolieren, da er bei den Interventisten trotz seiner Wandlung noch verhasst war. Er war eben mit den Worten Malatestas61 ein »General ohne Soldaten«. Seiner alten Zeitung gegenüber hielt er sich noch zurück, äußerte aber in Kreisen des Lombardischen Journalistenverbandes die Absicht, ein eigenes Blatt zu gründen, um den Ideen dienen zu können, um derentwillen er den Avanti! lieber verlassen habe. Die verfrühte Mitteilung über den Plan eines sozialistischen Konkurrenzblattes ließ er zwar am 25. und 26. Oktober noch im »Resto del Carlino« und im Avanti! widerrufen aber Nanni gegenüber schilderte er bald darauf mündlich das Gesicht der zukünftigen Zeitung: »Ein großes Nachrichten- und Kampfblatt, mit einem umfassenden Nachrichtendienst mit einer brutal realistischen, abwechslungsreichen, vor Leben zitternden Chronik«. Nanni bestätigt auch die zunächst rein sozialistischen Ziele des...
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