Schweitzer Fachinformationen
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Der große Roman über die Stummfilm-Ära der Weimarer Republik
Wiesbaden, 2000: Was hat es mit den alten Filmrollen auf sich, die Buchhändlerin Ariane unter dem Bett ihrer Großmutter findet? Eigentlich hatte Ariane dort nach Hinweisen auf ihre viel zu jung verstorbene Mutter Vera gesucht. Und nun findet sie stattdessen diese mysteriösen Filme. Anscheinend gibt es auch im Leben der Großmutter Dinge, von denen Ariane nichts weiß. Gemeinsam mit dem Filmvorführer Julian versucht sie, dem Geheimnis ihrer Großmutter auf die Spur zu kommen. Dabei stößt sie auf die Geschichte der jungen Drehbuchautorin Eva, die im Berlin der 1920er Jahre lebte und arbeitete. Was hat Eva mit Arianes Familie und den fast 80 Jahre alten Filmrollen zu tun? Und was ist damals wirklich mit Arianes Mutter Vera passiert?
Eine Geschichte über die Anfänge des Kinos, eine schicksalhafte Liebe und ein Geheimnis, das bis in die Gegenwart reicht
Wiesbaden, Anfang Juni 2000
Tief im Herzen hatte ich immer geglaubt, Oma würde ewig leben. Wie sehr ich mich geirrt hatte, wurde mir erst an diesem Nachmittag klar.
Am Telefon hatte sie mir erzählt, dass sie nur mich und Silke zu ihrer Feier am Samstag einladen wollte. Zuerst hatte ich mir krampfhaft Ausreden überlegt. Wir drei zusammen an einem Tisch, das ging selten gut. Aber so war Oma eben. Wir sollten uns brav gemeinsam hinsetzen, Kuchen essen und unbeschwert miteinander plaudern wie eine normale Familie. Und irgendwann würde die unsichtbare Mauer, die zwischen mir und meiner Halbschwester stand, wie durch ein Wunder bröckeln, und wir würden uns selig in den Armen liegen.
So oder so ähnlich stellte Oma es sich vermutlich vor, und das schon, seit ich denken konnte. Ganz egal, wie oft ich ihr zu erklären versuchte, dass sie sich etwas vormachte, sie hielt beharrlich an der Hoffnung fest, dass Silke und ich eines Tages doch noch miteinander warm werden würden.
Ich brachte es trotzdem nicht übers Herz, Oma abzusagen. Immerhin war es ihr Geburtstag. Ihr zuliebe würde ich mich zusammenreißen, obwohl es mir schwerfiel.
»Ein Buch!«, rief sie strahlend, als sie mir die Tür öffnete. Die Form des Päckchens in meinen Händen war eindeutig, aber wer mich kannte, wusste sowieso, dass ich eigentlich immer nur Bücher verschenkte. Wenn Oma und ich eines gemeinsam hatten, dann unsere Leidenschaft fürs Lesen.
Ohne Umschweife bat sie mich hinein. Oma war nur knapp eins sechzig groß und hatte ein kleines Gesicht mit freundlichen braunen Augen, denen nichts entging. Ich hatte sie schon immer nur als agile, starke Frau gekannt, und selbst mit dreiundneunzig Jahren hatte sie kaum etwas von ihrer Energie eingebüßt.
Ich bot ihr an, in der Küche zu helfen, aber sie winkte nur ab und schickte mich stattdessen ins Esszimmer, um den Tisch zu decken. Sobald ich den Raum betrat, spürte ich förmlich, wie die Temperatur darin sank.
Meine Schwester Silke stand vor dem offenen Geschirrschrank und suchte nach irgendetwas. Wie immer, wenn sie in der Nähe war, fühlte ich mich klein und unbedeutend, und das nicht nur, weil sie siebzehn Jahre älter war als ich oder weil sie mich fast um einen ganzen Kopf überragte, sondern vor allem, weil sie so etwas wie Omas offizielle Thronfolgerin war. Jeder kannte Feinkost Klein in der Wilhelmstraße, Wiesbadens vornehmer Prachtmeile, und viele Kunden hatten die alte Geschäftsführerin noch bestens in Erinnerung: Margarete Klein, meine Oma. Nach Opas Tod hatte sie das Familiengeschäft jahrelang allein weitergeführt, bis sie es schließlich an Silke übergeben hatte. Inzwischen leitete Silke längst nicht mehr nur das Geschäft in der Wilhelmstraße. Unter ihrer Führung hatte sich das Unternehmen zu einer richtigen Kette entwickelt, und inzwischen gab es Filialen in zahlreichen Städten.
Wie so oft war ich mir nicht sicher, ob Silke mich bloß nicht bemerkt hatte oder ob sie mich absichtlich ignorierte. Aber ich war es nicht anders von ihr gewohnt. Wir sahen uns nur selten, und selbst wenn, redeten wir kaum miteinander. Wahrscheinlich waren wir einfach zu unterschiedlich. Das Einzige, was wir gemeinsam hatten, waren die blonden Haare und die graublauen Augen, die wir beide von unserer Mutter geerbt hatten.
Es war still im Zimmer. Nur aus der Küche drang Omas Stimme. Fröhlich summte sie irgendeinen alten Schlager vor sich hin, während sie Kaffee kochte.
»Hallo, Silke«, sagte ich endlich.
Sie warf einen Blick in meine Richtung und tat überrascht. »Ach. Hallo, Ariane.«
Noch immer galt ich in den Augen meiner Halbschwester als Eindringling. Das hatte sie mir zwar nie so direkt gesagt, aber ich spürte, dass es ihr bei jeder unserer Begegnungen auf der Zunge lag. Sie war die Erstgeborene, ich das Ärgernis. Die Nachzüglerin, die ihr erst die Mutter gestohlen und sich anschließend auch noch bei ihrer geliebten Oma eingenistet hatte.
»Kann ich dir irgendwie helfen?«
Sie öffnete eine weitere Schranktür. »Bring doch schon mal den Kuchen und die Sahne nach draußen.«
Ich öffnete die Terrassentür, trug die Sachen hinaus und stellte sie auf den Tisch. Zu dieser Jahreszeit fand ich den Garten am schönsten. Der große weiße Fliederstrauch stand in voller Blüte, und wenn man über die dichte Hainbuchenhecke blickte, sah man den Neroberg, Wiesbadens Hausberg, und die goldenen Zwiebeltürme der russisch-orthodoxen Kirche.
»Oma?«, rief Silke drinnen. »Ich kann das Milchkännchen nirgends finden.«
Ich kehrte ins Esszimmer zurück. Vor siebzig Jahren hatte Oma das kostbare Porzellanservice zur Hochzeit geschenkt bekommen, und sie bildete sich viel darauf ein, dass ihr in all den Jahren kein einziges Teil kaputt oder verloren gegangen war.
Oma kam herein, stellte die volle Kaffeekanne auf dem Esstisch ab und suchte nun selbst im Schrank. Ich fragte mich, ob sie darin irgendetwas erkennen konnte. Ihre Augen waren nicht mehr die besten, aber als ich ihr helfen wollte, winkte sie nur wieder ab.
Seufzend schloss sie den Schrank und ging zur Kommode am anderen Ende des Zimmers. »Das Fräulein muss sie falsch eingeräumt haben.«
In letzter Zeit geschah es häufiger, dass die Haushaltshilfe Dinge falsch einräumte, obwohl sie seit fast zwanzig Jahren für Oma arbeitete und eigentlich ganz genau wusste, wo alles hingehörte. Vielleicht war es gar nicht die Schuld des inzwischen fünfzigjährigen »Fräuleins«? Aber davon wollte Oma bestimmt nichts hören. Genauso wenig, wie sie hören wollte, dass man heutzutage nicht mehr »Fräulein« sagte.
Sie wühlte in der Kommode. Ein kleines Stück Papier fiel heraus und landete vor ihren Füßen. Silke bückte sich, um den Zettel aufzuheben, und richtete sich wieder auf. Schweigend betrachtete sie ihn, und ich sah, dass sie schlucken musste.
Oma nahm ihr den Zettel aus der Hand und starrte ebenfalls darauf. Ich fragte mich schon, was sie da bloß gefunden hatten, als Oma plötzlich ein Seufzen ausstieß.
Erschrocken stellte ich fest, dass sie ganz blass geworden war. »Oma? Geht es dir nicht gut?«
Mit zitternden Händen griff sie nach einer Stuhllehne, um sich abzustützen. »Es ist nichts. Ich muss mich nur kurz -«
Sie schaffte es nicht mehr, den Satz zu beenden. Mit einem Mal gaben ihre Knie nach.
Ich sprang nach vorn und fing sie auf.
»Oma?«, fragte ich und tätschelte ihre Wange, doch sie reagierte nicht.
Silke und ich tauschten einen entsetzten Blick. Zusammen schafften wir es, Oma ins Wohnzimmer zu tragen und sie vorsichtig auf das Sofa zu legen.
»Bleib bei ihr«, meinte Silke und eilte in den Flur. »Ich rufe den Notarzt!«
Der Nachmittag, der so harmlos begonnen hatte, hatte im Bruchteil einer Sekunde eine schreckliche Wendung genommen, und nun schnürte mir die Angst um Oma die Kehle zu. Noch nie zuvor war sie zusammengebrochen. Noch nie zuvor hatte ich das Gefühl gehabt, dass es wirklich ernst um sie stand.
Ich besaß kein Auto, hatte nicht mal einen Führerschein, darum war ich heilfroh, dass Silke mich mitnahm. Gemeinsam fuhren wir dem Krankenwagen hinterher. Fluchend lenkte sie ihren sportlichen Zweisitzer-BMW durch den zähen Stadtverkehr, wechselte ungeduldig die Spur, wann immer sich eine Lücke auftat. Jedes Mal, wenn sie aufs Gaspedal trat, wurde mein Körper in den geschmeidigen Ledersitz gedrückt. Was für eine Angeberkarre, dachte ich, aber Silke mochte eben alles, was schick und teuer war.
Im Krankenhaus angekommen, setzten wir uns in den Wartebereich. Immer wieder fragte ich mich, ob ich das alles nur träumte. Ich fühlte mich wie gelähmt und war zu nichts anderem fähig, als die weiße Wand anzustarren.
Silke hielt es keine Minute auf ihrem Stuhl aus. Ungeduldig sprang sie auf und ging auf und ab, bis sie auch das nicht mehr aushielt. Schließlich entschuldigte sie sich bei mir und verschwand.
Nach einer Weile hörte ich ihre Stimme durch das gekippte Fenster und warf einen Blick nach draußen. Sie stand zwischen ein paar Blumenkübeln, in einer Hand eine Zigarette, in der anderen ihr Handy, und telefonierte wild gestikulierend. Erzählte sie gerade ihrem Freund, was passiert war? Ich war mir nicht sicher, ob sie momentan überhaupt einen hatte. Silke lebte für ihren Beruf. Noch etwas, worin wir uns ähnlich waren.
Irgendwann kehrte sie zurück, und kurz darauf kam endlich eine junge Ärztin auf uns zu.
»Ihre Großmutter ist wieder bei Bewusstsein«, erklärte sie uns und rückte sich die Brille zurecht. »Sie erhält gerade eine Infusion -«
»Was ist denn passiert?«, fiel Silke ihr ins Wort. »Warum ist sie zusammengebrochen?«
»Vermutlich hat sie zu wenig getrunken. So etwas kann sich belastend auf den Kreislauf auswirken, erst recht bei so einem Wetter. Ob mehr hinter ihrem Schwächeanfall steckt, können wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen.«
»Dann ist es also doch etwas Ernsteres?«, fragte ich erschrocken.
»Zuerst sind ausgiebige Untersuchungen notwendig«, antwortete die Ärztin. »Sie müssen das Alter Ihrer Großmutter bedenken.«
Ich glaubte, herauszuhören, was sie eigentlich damit meinte: Wer weiß, ob sie sich überhaupt wieder erholen wird .
Wir erkundigten uns nach Omas Zimmernummer und fuhren mit dem Aufzug zwei Stockwerke nach oben. Vor der Zimmertür angekommen, klopften wir leise an und traten ein.
Klobige, kompliziert aussehende Geräte standen um das Bett herum und blinkten und piepsten...
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