Schweitzer Fachinformationen
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Vor neunzehn Jahren
»Wem hast du davon erzählt?«
Robert Burgmüller wusste sofort, worauf Bernhardt Goller abzielte - und er wusste auch, dass er sich mit einer ehrlichen Antwort in Teufels Küche bringen würde. »Was meinst du damit?«
Goller verzog keine Miene. Wenn überhaupt, spiegelte sich in seinem Gesicht so etwas wie Mitleid wider. »Ich bin nicht zum Spaßen aufgelegt, Robert. Die Angelegenheit ist ernst. Ernster, als du es dir vorstellen kannst. Besser, du sagst uns die Wahrheit. Das wäre für alle am einfachsten. Auch für dich.«
Eindeutig eine Drohung, die nicht zuletzt deshalb wirkte, weil Burgmüller sich auf seinem Stuhl ziemlich isoliert vorkam. Auch die karge Zimmereinrichtung förderte sein Unwohlsein: weißgekalkte, nackte Wände, gefliester Boden, alte Fenster, hohe Decken. In einer Ecke standen ein paar mit Leintüchern abgedeckte Möbel, nach den Konturen zu urteilen zwei Sessel und eine Kommode. Abgesehen davon gab es nur noch Burgmüllers Stuhl und den Tisch daneben. Keine Bilder, keine Dekoration, nichts, was diesen Raum wohnlich machte.
Burgmüller seufzte innerlich auf. Er war der Einzige, der saß. Die drei anderen standen - Goller vor ihm, seine zwei Begleiter hinter ihm. Diese beiden machten Burgmüller besonders nervös, nicht nur, weil sie groß und kräftig waren und er nicht wusste, was sie hinter seinem Rücken taten, sondern vor allem, weil ihre Augen eine Kälte verströmten, die einem durch und durch ging. Das war das Erste, was ihm aufgefallen war, als Goller ihn hereingeführt hatte.
»Ich habe keine Ahnung, worauf du hinaus willst«, log Burgmüller, diesmal selbstbewusster. Ängstliches Verhalten wirkte oft verdächtig. Das wollte er unter allen Umständen vermeiden.
Bernhardt Goller fuhr sich mit zwei Fingern über das glattrasierte Kinn, wie ein Schachspieler, der sich seine nächsten Züge überlegt. Er war groß und sportlich, seine blonde Mähne harmonierte perfekt mit dem braungebrannten Teint, den er zweimal wöchentlich im Sonnenstudio auffrischte, wenn seine Firma ihm keine Zeit fürs Windsurfen oder Reiten ließ.
»Das Problem ist, dass ich dir nicht glaube«, sagte er. Das Bedauern in seiner Stimme klang vorgetäuscht. »Ich denke, du weißt ganz genau, was ich meine.«
Burgmüllers Zunge begann, am Gaumen zu kleben.
Auch das noch! Ein trockener Mund kommt einem Geständnis gleich!
Er versuchte, den Schluckreiz zu unterdrücken, weil er nicht wollte, dass man ihm das schlechte Gewissen ansehen konnte. Aber es gelang ihm nicht. Um abzulenken, legte er den Arm auf den Tisch neben sich, wobei er hoffte, dass die Geste halbwegs locker rüberkam.
Jetzt bloß nicht die Fassung verlieren.
Sein Blick wanderte durchs Fenster, was ihm etwas Zeit zum Nachdenken verschaffte. Draußen war der Himmel grau und wolkenverhangen. An den Bäumen auf der Wiese hing kaum noch Laub. Die Anlage war riesig, beinahe wie ein Park. Unter anderen Umständen und mit einer heißen Tasse Tee in der Hand wäre es das Bild eines perfekten Oktobertags gewesen.
Burgmüller beschloss, sich nicht länger in die Ecke treiben zu lassen. »Ich weiß nicht, was du mir anhängen willst, Bernhardt«, sagte er. »Aber ich lasse mich von dir nicht länger grundlos beschuldigen. Wenn du mir etwas vorzuwerfen hast, dann raus damit. Wenn nicht, schlage ich vor, dass wir wieder zu den anderen gehen.«
Goller sah ihn ein paar Sekunden lang aus seinen eisblauen, unberechenbaren Augen an. Schließlich presste er die Lippen zusammen und nickte.
Eine Sekunde lang dachte Burgmüller tatsächlich, dass es ihm gelungen sei, Goller zu überzeugen. Doch dann spürte er die schraubstockartigen Hände der beiden anderen auf seinen Schultern, die ihn gegen seinen Willen weiter auf den Sitz pressten. Er wollte protestieren, sich losreißen, sich wehren, aber dazu kam es nicht mehr. Eine Schlinge legte sich von hinten um seinen Hals, schon bekam er keine Luft mehr. Bei dem Versuch zu schreien, brachte er kaum mehr als ein Krächzen über die Lippen. Seine Finger wollten sich unter die Schlinge krallen, um sie zu lockern - vergeblich. Burgmüller spürte, wie ihm bereits die Kräfte schwanden.
Goller, der reglos vor ihm stand, als würde ihn die ganze Sache nichts angehen, beugte sich jetzt zu ihm. Er griff nach Burgmüllers Unterarm und zwängte ihn gewaltsam zurück auf den Tisch.
»Mach schon!«, zischte Goller.
Diesmal wusste Robert Burgmüller nicht sofort, was er meinte. Viel zu langsam begriff er, dass die Aufforderung gar nicht ihm galt, sondern einem der Männer hinter ihm. Eine zweite Faust ballte sich um Burgmüllers Unterarm. In seinem Augenwinkel blitzte ein Hammer auf, der auf seine Hand niederfuhr.
Dann explodierte der Schmerz in ihm. Ausgehend von seiner zertrümmerten Hand schoss er ihm durch sämtliche Glieder, bis hinein in die Fußspitzen. Seine Ohren klingelten, vor seinem Gesicht tanzten gleißende Lichtpunkte. Instinktiv wollte er das verletzte Körperteil schützen - es an sich heranziehen, oder es mit der anderen Hand vor dem nächsten Schlag abschirmen -, doch Goller und seine beiden Helfer ließen ihm dafür keinen Spielraum. Einen Moment lang glaubte Burgmüller, das Bewusstsein zu verlieren, entweder wegen des Schmerzes oder wegen des Luftmangels. Viel fehlte dazu jedenfalls nicht.
Sie wollten ihn fertigmachen und hatten jede Möglichkeit dazu.
Als er sich schon beinahe innerlich aufgegeben hatte, lockerte sich wie durch ein Wunder die Schlinge um seinen Hals. Keuchend schnappte er nach Luft, so gierig, dass er sich verschluckte und husten musste. Seine Lungen brannten, in seinen Ohren rauschte das Blut. Nie zuvor war er sich der Vergänglichkeit seines Lebens klarer bewusst gewesen. Nie zuvor hatte er solche Angst verspürt.
Sein Blick fiel auf seine ramponierte Hand. Die Haut war an den Knöcheln aufgeplatzt, aus der offenen Wunde quoll Blut. Noch schlimmer als das Blut war allerdings die Tatsache, dass er zwei seiner Finger nicht mehr bewegen konnte - die Gelenke waren durch den Schlag gebrochen. Er brachte mit ihnen nur noch ein unkontrolliertes Zittern zustande.
Tränen stiegen ihm in die Augen. Er hasste sich dafür, denn auch das war eine Art Schuldeingeständnis. Zumindest würden sie es so interpretieren, und allein darauf kam es an.
»Falls du uns jetzt etwas sagen willst, dann raus mit der Sprache«, raunte Goller. »Wir können aber auch noch eine Weile so weitermachen. Ich schätze, acht Finger sind noch in Ordnung. Wie viele willst du noch opfern, bevor du endlich auspackst?«
Robert Burgmüller versuchte fieberhaft, seine Gedanken zu ordnen, was wegen der Schmerzen, vor allem aber aufgrund seiner Angst, gar nicht so einfach war. Er hatte geglaubt, dass Goller wenn auch nicht sein Freund, so doch wenigstens ein vertrauenswürdiger Geschäftspartner war. Dass er und die anderen ihm vielleicht ein paar unangenehme Fragen stellen oder ihm sogar drohen würden. Aber mit diesem Maß an körperlicher Gewalt hatte Burgmüller nicht gerechnet.
Er hatte sich einen Schritt zu weit in die Höhle der Löwen vorgewagt. Jetzt gab es kein Zurück mehr.
Die Tränen wollten nicht enden. Sie flossen einfach so aus ihm heraus. »Am Anfang fand ich die Vorstellung, bei euch mitzumachen, verführerisch.« Es war nur ein dünnes Wispern. Zu mehr war er im Moment nicht in der Lage. »Aber ich habe erkannt, dass das nichts für mich ist. Ich bin nicht wie ihr. Ich kann das nicht länger. Deshalb habe ich beschlossen auszusteigen, Bernhardt.«
Goller fixierte ihn mit einem undefinierbaren Blick. »Das hättest du dir früher überlegen müssen«, sagte er. »Du hängst schon viel zu tief mit uns drin. Tut mir leid, aber zum Aussteigen ist es zu spät.«
Burgmüller nickte schwach. Hätte er damals gewusst, worauf er sich einlassen würde, wäre er nie hierhergekommen. Ohne es zu ahnen, hatte er einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Jetzt musste er dafür büßen.
»Warst du bei der Polizei?«
Burgmüller zuckte zusammen. »Nein! Ich habe mit niemandem darüber geredet. Das musst du mir glauben!«
»Was ist mit Viktoria?«
Es fühlte sich an, als würde jemand seine Eingeweide zusammenpressen. Woher wusste Goller davon, dass er mit seiner Frau gesprochen hatte?
»Vinzent hat mir gesagt, dass Viktoria bei ihm angerufen hat, weil sie sich Sorgen um dich macht. Hast du mit ihr darüber geredet, Robert?«
Burgmüller schüttelte den Kopf - nicht, weil er leugnen wollte, sondern aus Hilflosigkeit. Was sollte er sagen? Goller wusste ja ohnehin schon alles.
»Viktoria kennt keine Details«, wisperte er. »Ihr fiel nur auf, dass ich mich in letzter Zeit verändert habe. Sie wollte wissen warum, und ich brauchte jemanden, der mir zuhört. Aber sie wird ganz bestimmt mit niemand anderem darüber reden.«
»Mit Vinzent hat sie es getan.«
Wieder nickte Goller. Prompt kam der nächste Schlag mit dem Hammer, diesmal von schräg hinten, mitten ins Gesicht. Im ersten Moment wusste Robert Burgmüller gar nicht, was geschehen war. Er hörte nur ein unheimliches, knackendes Geräusch, während gleichzeitig sein Sichtfeld erschüttert wurde und ihm für ein paar Sekunden die Sinne zu schwinden drohten. Als seine Gedanken wieder aufklarten, spürte er einen dumpfen, nicht genau lokalisierbaren Schmerz. Etwas stimmte nicht mit seinem Mund. Seine Zunge ertastete ein paar ausgeschlagene Zähne.
Robert Burgmüller wusste jetzt endgültig, dass er heute sterben würde. Er hoffte nur noch, dass sie es nicht unnötig in die Länge ziehen würden.
»Mach mit mir, was du willst«, raunte er, erstaunt darüber, wie...
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