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Das Dröhnen wurde lauter, steigerte sich bis zur Unerträglichkeit. War das nur in seinem Kopf? Oder ein Geräusch von außen?
Die Grenze zwischen Bewusstlosigkeit und Realität verschwamm. Um Avram herum war es stockdunkel, obwohl er beinahe sicher war, die Augen offen zu haben. Je wacher er wurde, desto stärker überkam ihn der Brechreiz. Er versuchte, die aufkommende Übelkeit zu ignorieren, schaffte es aber nicht, weil der Ballknebel im Mund seine Zunge gegen den Gaumen drückte und ihn permanent zum Schlucken zwang.
Wenn ich mich übergeben muss, werde ich womöglich ersticken.
Die sonderbare Position, in der er sich befand, weckte die Erinnerung an die Entführung: an den Mercedes-Transporter, mit dem man ihn aus dem Gefängnis verschleppt hatte. Avram war immer noch quer an der Wand zum Fahrerhaus festgezurrt wie ein Holzbrett oder ein Stück Frachtgut. Er konnte sich nicht rühren, bekam kaum noch Luft. Sein Körpergewicht drückte auf den unteren Arm - der war schon völlig taub.
Irgendwann wurde der Wagen langsamer, die Fahrt holpriger. Der bittere Geschmack von Magensäure stieg in Avram auf.
Lange stehe ich das nicht mehr durch.
Bei einem besonders großen Schlagloch knallte er mit der Stirn gegen etwas Hartes, das sich direkt vor seinem Gesicht befand. Einen Moment lang tanzten in der Dunkelheit Sterne vor seinen Augen, dann wurde ihm klar, dass er sich an der Blechverkleidung gestoßen hatte. Er war in diesem Versteck eingepfercht wie in einer verdammten Sardinenbüchse.
Endlich kam der Transporter zum Stehen. Avram hörte gedämpfte Stimmen, dann das Geräusch der Seitentür, die aufgeschoben wurde.
Jemand stieg in den Laderaum. Kurz darauf surrte der Akkuschrauber auf, und die Blechverkleidung wurde entfernt.
Endlich!
Im Dämmerlicht der Nacht erkannte Avram zwei Gestalten. Sie trugen jetzt nicht mehr Weiß, sondern Schwarz. Die Masken hatten sie abgezogen, was Avram als schlechtes Zeichen wertete. Offenbar gingen sie nicht davon aus, dass er jemals eine Chance haben würde, sie zu identifizieren.
Aber noch bin ich nicht tot.
Der Kleinere hatte ein Allerweltsgesicht, aber die Visage des anderen hätte einprägsamer nicht sein können: schwarzes, lockiges Haar, ausgemergelte Wangen, blutunterlaufene Augen wie bei einem Drogensüchtigen und eine auffällige Habichtsnase. Ein Italiener vielleicht, oder ein Grieche.
Wer sind diese Kerle?
Warum haben sie mich aus dem Gefängnis geholt?
Was haben sie mit mir vor?
Träge geisterten die Fragen durch seinen benebelten Verstand. Mit Griechenland hatte er schlechte Erfahrungen, seit er dort auf einer Privatinsel einen Ring von reichen Perversen ausgehoben hatte. Ob von damals jemand übrig war, der jetzt auf Rache sann? Avram hätte geschworen, alle Widersacher erfolgreich eliminiert zu haben, aber bei solchen Aktionen gab es immer gewisse Restrisiken.
Die Zurrgurte wurden gelöst, und Avram plumpste auf den Ladeboden wie ein nasser Sack. Der Aufprall raubte ihm beinahe den Atem. Als er aufstehen wollte, gelang ihm das nicht - seine Beine waren durch die mangelnde Blutzirkulation wie gelähmt.
Das Habichtsgesicht packte Avram am Kragen, legte ihm Handschellen an und zerrte ihn aus dem Transporter, nur, um ihn in den Kofferraum eines bereitstehenden Pkw zu stoßen. Dann ging die Fahrt auch schon weiter.
Als der Kofferraum sich wieder öffnete, schlug Avram kühle Nachtluft entgegen. Durch die dunkelgraue Wolkenschicht am Himmel ahnte man den Vollmond mehr, als dass man ihn sehen konnte. Sterne suchte man in dieser Nacht vergeblich.
In weiter Ferne schrillte der Pfiff einer Lokomotive, irgendwo heulte ein Uhu.
Wieder wurde Avram aus dem Wagen gezogen, unsanft landete er auf den Knien.
»Bleib da unten, verstanden?«, zischte das Habichtsgesicht. »Und nimm die Hände hinter den Schädel, sonst puste ich ihn dir weg! Jetzt keine Bewegung mehr, bis ich es dir sage!«
Avram faltete wie befohlen die Hände hinter dem Nacken und blieb reglos auf den Knien, während der andere eine Stahlkette durch seine Handschellen zog und sie mit der am Heck des Autos angebrachten Abschleppöse verband. Als er damit fertig war, ging er vor Avram in die Hocke und tätschelte ihm mit einem höhnischen Grinsen die Wange.
»Du bist jemandem einen verdammt großen Batzen Geld wert, alter Mann: fünfzig Millionen Euro. Und wer immer so viel Kohle für dich bezahlt - es war ihm wichtig, dass dir keins deiner wertvollen Härchen gekrümmt wird. Keine Ahnung, warum. Vielleicht liebt er dich einfach, du verdammte Schwuchtel. Ist mir auch scheißegal. Aber eins verrate ich dir: Sollten du oder dein Wichser-Freund irgendwelche krummen Touren versuchen, wirst du das als Erster bereuen. Siehst du das Auto?«
Avram drehte den Kopf nach hinten. Das Fahrzeug, an das man ihn angekettet hatte, war ein 5er BMW.
»Zweihundertfünfundvierzig PS«, sagte der Habicht. »Beschleunigt in sechseinhalb Sekunden von Null auf Hundert. Wenn mein Freund auf dem Fahrersitz aufs Gas tritt, wird er dir die Armgelenke auskugeln und dich damit zwei Kilometer weit bis ans Ende des Feldwegs schleifen. Falls du dann immer noch am Leben sein solltest, wird er dir den Bauch aufschlitzen und dich am Straßenrand verbluten lassen, kapiert?«
Avram hatte keine Ahnung, was hier gerade ablief. Offenbar eine Art Übergabe. Aber wer war das Vogelgesicht? Und wer wollte fünfzig Millionen Euro für ihn bezahlen?
Eine absurd hohe Summe.
Entweder musste das jemand sein, dem er wahnsinnig viel bedeutete - davon gab es höchstens eine Handvoll Menschen auf der Welt, aber niemand mit einem so dicken Bankkonto. Oder es steckte jemand dahinter, der ihn abgrundtief hasste. Leider gab es davon eine ganze Menge, auch mit dem nötigen Kapital.
Ihm wurde klar, dass er schnell handeln musste, wenn er die Nacht überleben wollte. Das Habichtsgesicht und seine Leute wollten ihn nicht töten. Im Gegenteil: Solange sie auf ihre Belohnung hofften, befand Avram sich in relativer Sicherheit. Nach der Übergabe würden seine Überlebenschancen drastisch sinken.
Wer fünfzig Millionen Euro bezahlt, will etwas dafür geboten bekommen. Das wird ganz bestimmt kein leichter Tod.
Seine Beine begannen zu kribbeln, seine Arme ebenfalls, weil das Blut wieder zirkulierte - ein unangenehmes Gefühl, aber wenigstens war er noch am Leben.
Unauffällig ließ er den Blick schweifen. In der Dunkelheit konnte er nicht viel erkennen, nur, dass sie sich auf einem Feldweg befanden. Rechts von ihm verlor sich ein abgemähtes Weizenfeld in der Nacht, links ragten übermannshohe Maispflanzen in den Himmel.
Ein möglicher Fluchtweg.
Ohne sich etwas anmerken zu lassen, spannte er seine Beinmuskulatur an, um den Blutfluss weiter zu fördern. Dasselbe tat er mit den hinter dem Kopf verschränkten Armen. Wenn es darauf ankam, musste sein Körper funktionieren.
Das Habichtsgesicht war sichtlich nervös. Immer wieder hielt er sich ein Nachtsichtgerät an die Augen, um den Feldweg vor sich zu beobachten. Von hinten schien er keine Gefahr zu vermuten, wahrscheinlich, weil dort seine Leute lauerten - im Gefängnis waren es mindestens vier Männer gewesen, die Avram entführt hatten, im Moment sah er nur zwei. Bestimmt hatten die anderen irgendwo Position bezogen.
Das Habichtsgesicht ließ das Nachtsichtgerät sinken und steckte sich eine Zigarette an.
Was für ein Idiot!
Vermutlich war ihm nicht klar, dass man die Glut einer glimmenden Zigarette bei klarer Nacht über einen Kilometer weit sehen konnte. Ein geübter Schütze wäre durchaus in der Lage, ihm einen gezielten Kopfschuss zu verpassen.
Ein häufiger Fehler.
Auch das viele unaufgeforderte Gequatsche war ein Fehler. Avram wusste dadurch, dass er besser jetzt als später die Flucht ergreifen musste.
Genau das hatte er vor. Zum Glück war die Kette, mit der man ihn an den BMW gekettet hatte, locker genug, um sich bewegen zu können.
Als der Mann das nächste Mal durchs Nachtsichtgerät blickte, sprang Avram auf und trat ihm mit voller Wucht in die Kniekehle, so dass er einknickte und das Gleichgewicht verlor. Mit einem heiseren Aufschrei ließ er das Nachtsichtgerät fallen und wollte seine Pistole ziehen, doch schon riss Avram ihm mit einem gezielten Griff die Waffe aus dem Hosenbund und drückte ab. Ein Schuss gellte durch die Dunkelheit. Noch bevor der Mann auf dem Boden aufschlug, war er tot.
Jemand schrie: »Wir werden angegriffen!«
Dann heulte auch schon der Motor auf.
Avram zielte und schoss, schien den Fahrer aber zu verfehlen, denn der BMW machte einen Satz nach vorne. Rasend schnell spannte sich die Kette an seinen Handschellen.
Instinktiv rannte Avram dem Wagen hinterher, um die Kräfte abzumildern, die beinahe im selben Moment an seinen Gelenken rissen. Mit einem kräftigen Ruck wurde er von den Beinen geschleudert und über den holprigen Feldweg geschleift.
Der Schmerz in den Armen war so intensiv, dass Avram einen Augenblick befürchtete, er habe sich die Schultern ausgekugelt. Durch den Ballknebel im Mund bekam er kaum Luft.
Irgendwie schaffte er es jedoch, die Pistole in der Hand zu behalten. Als er sich dessen bewusst wurde, feuerte er in Richtung des Fahrers, bis sich das Tempo verringerte. Außerdem kam der Wagen seitlich vom Weg ab - in einer weiten Kurve steuerte er mitten ins Feld. Die gegen die Motorhaube donnernden Maiskolben verursachten einen irrwitzigen...
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