Wie alles begann
Dave Miller
Die Erfolgsgeschichte der Die drei ???-Hörspiele ist untrennbar mit dem Namen Heikedine Körting, dem Label EUROPA sowie den drei Sprechern Oliver Rohrbeck, Jens Wawrczeck und Andreas Fröhlich verbunden. Doch den Grundstein dafür legte David L. Miller, der am 4. Juli 1925 in Pennsylvania als US-Bürger zur Welt kam. Dass Dave Miller gerade am Unabhängigkeitstag geboren wurde, konnte kein Zufall sein - zumindest aus Sicht des Chronisten der Miller-Story: »Dave war ein Mann, der aus dem Bauch heraus lebte. Voller Power, voller Dynamik, voller Lebenshunger. Ein Mann, der sich nicht einengen ließ, dem Freiheit alles bedeutete.«1
Miller wird folgendes Zitat zugeordnet: »Kreativität ist nicht, eine Idee zu haben. Kreativität ist: diese Idee umzusetzen.«2 Seinen Pioniergeist kann man vielleicht am besten mit dieser Anekdote veranschaulichen: Mit gerade einmal 20 Jahren nahm er eine Hochzeitszeremonie mithilfe eines riesigen Apparats direkt in der Kirche auf Wachs auf. Er raste zurück nach Hause, wo der junge Mann in seine Garage selbst Schellackplatten herstellen konnte. Und noch am gleichen Abend konnte man sich Orgelspiel und Ja-Wort nochmals anhören. Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war das.
Miller machte sein Hobby zum Beruf. 1957 gründete er nach mehreren erfolglosen Versuchen erneut eine Schallplattenfirma. Mit Somerset warf er Tanzmusik, Evergreens und Klassik zu niedrigen Preisen auf den Markt. Miller liebte massentaugliche Unterhaltungsmusik, was sich auch im Repertoire niederschlug. Aber auch Rock'n'Roll lernte bei Somerset laufen, nämlich auf Millers Label Holiday Records: Bill Haley war eine Zeit lang bei Miller unter Vertrag. Den Welthit Rock Around the Clock veröffentlichte Haley wenig später aber bei der Konkurrenz. Die Wege hatten sich getrennt - leider nicht im Guten. Später sahen sich Miller und Haley wegen eines Streits um Tantiemen vor Gericht wieder. Miller unterlag. Rückschläge wie diese gab es in der Karriere von Dave Miller immer mal wieder. Aber mittel- bis langfristig zeigte seine persönliche Konjunkturkurve immer nur in eine Richtung: nach oben, steil nach oben.
Für das Thema dieses Buches ist Millers Deutschlandreise Ende der 50er Jahre von besonderer Bedeutung. In Millers Augen war die junge Bundesrepublik ein »Billigland mit aufstrebender Wirtschaft«.3 Das kann man durchaus so stehen lassen - gerade im Vergleich zu den USA. Das nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführte »Bretton-Woods-System«, ein Wechselkurssystem mit dem Dollar als Leitwährung, begünstigte die deutsche Wirtschaft enorm. In den 50er Jahren bekam man für einen US-Dollar 4,20 D-Mark. Das brachte Miller auf eine Idee. Er wollte seine Platten in Deutschland produzieren lassen, um sie dann in den USA zu verkaufen. Auf diese Weise konnte er dank der unterbewerteten D-Mark viel Geld sparen. Sein Weg führte ihn zum US-Konsulat in der Hansestadt Hamburg. Dort lernte Miller Dr. Andreas Beurmann kennen. Was Beurmann dort genau wollte, konnte nicht mehr rekonstruiert werden. Jedenfalls war es eine glückliche Begegnung.
Andreas Beurmann
Andreas E. - das E steht für Erich - Beurmann wurde am 12. Februar 1928 in Zoppot in der Nähe von Danzig geboren. Die Familie gehörte dem Bildungsbürgertum an. Der Vater war Jurist, die Mutter Konzertsängerin. Schon als Kind war er mit klassischer Musik vertraut. Er spielte Violine, später auch Klavier und trat bereits als Schüler beim Rundfunk in Danzig auf.
Der Krieg bedeutete gerade für die Deutschen in den Ostgebieten eine tiefe Zäsur. Die allermeisten flohen oder wurden vertrieben. Und so machte Beurmann sein Abitur in Göttingen. In der Universitätsstadt schloss er später auch sein Physikstudium und das der Musikwissenschaften ab. Er promovierte schließlich zu den Klaviersonaten von Carl Philipp Emanuel Bach. Seit 1951 arbeitete Andreas Beurmann als Entwicklungsingenieur und Tonmeister beim Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) in Hamburg. Der NWDR teilte sich erst ein paar Jahre später in die bis heute bestehenden Sender NDR und WDR auf.
Von Anbeginn stimmte die Chemie zwischen Andreas Beurmann und Dave Miller. Schnell kam man ins Geschäft. Das aus den USA bewährte Geschäftsmodell wurde auf Deutschland übertragen. Beurmann sollte für Tonaufnahmen ein Orchester zusammenstellen. Aber Miller wollte nicht irgendein Orchester. Er wollte das größte Orchester der Welt. Analog zu der in seiner Heimat immer dann verwendeten Redewendung, wenn es um die perfekte oder ultimative Anzahl gehen sollte - 101 things to do / to know / to learn / to hear - sollte sein Orchester mit 101 Strings besetzt sein. In Deutschland war das möglich. Gute Musiker waren hier nämlich deutlich günstiger zu bekommen als in den USA.
Für die Aufgabe holte Beurmann zwei Kollegen vom NWDR ins Boot: Dr. Wilhelm Wille und Dr. Hans-Peter Reineke. Das Trio war mit der Musikszene der Hansestadt bestens vernetzt. Die Aufnahmen fanden in der Regel ab 23 Uhr statt. Das war nicht anders möglich, weil die Musiker von der Hamburger Staatsoper, den Hamburger Symphonikern oder dem NWDR rekrutiert wurden. Und die konnte man erst gemeinsam vors Mikrofon bringen, wenn alle Feierabend hatten.
Die Aufnahmebedingungen waren nahezu perfekt, erinnerte sich Beurmann Jahre später: »Wir hatten die Hamburger Musikhalle mit ihrer hervorragenden Akustik als Studio entdeckt. Dort gab es zwei Proszeniumslogen. Eine hatte der NWDR gemietet, die andere ich. In diesen Logen standen unsere Aufnahmegeräte, fast zwanzig Jahre.«4 Schon früh - deutlich früher als in anderen Studios - konnte in der Musikhalle sogar stereo aufgenommen werden.
Miller fand in Beurmann nicht nur einen hervorragenden Musiker, sondern auch einen begeisterten Techniktüftler. Das war er schon als Kind: »In meinem Elternhaus in Zoppot hatte ich beispielsweise am Gartenzaun zur Straße [hin] eine Vogelscheuche aufgestellt. Darin war ein versteckter Lautsprecher, von dem ein Kabel bis zu einem Mikrofon in meinem Kinderzimmer führte. Aus meinem Zimmer konnte ich die Straße beobachten, und wenn jemand am Haus vorbeiging, erschreckte ich die Leute, indem ich die Vogelscheuche sprechen ließ. Nette Mädchen wurden natürlich nicht verschreckt.«5
Für die in Deutschland produzierte Musik hatte Miller ausschließlich die USA als Absatzmarkt im Blick. Während einer Europareise, die der Plattenboss zusammen mit Beurmann unternahm, verschickte er Postkarten an DJs und andere Radioleute in seiner Heimat. Auf allen Karten wurde ohne Angabe eines Absenders lediglich von den 101 Strings gegrüßt. Spätestens nachdem die ersten Platten unter dem gleichen Motto auf den Markt kamen, wussten alle, was es mit den mysteriösen Grüßen auf sich hatte. Beurmann: »Eine ganz neue Promotion-Idee - und eine, die typisch war für Dave: Das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden.«6 Sicherlich nicht nur, aber auch dank des innovativen Marketings wurden weit über hundert Millionen 101 Strings-Platten in den USA verkauft.
Miller International Schallplatten GmbH
Das Miller-Repertoire wurde immer europäischer und vor allem auch deutscher. Die Idee, auch den deutschen Markt zu bedienen, lag auf der Hand. Im Jahr 1961 gründete Dave Miller zusammen mit Andreas Beurmann und Wilhelm Wille die Miller International Schallplatten GmbH, für die beide mit jeweils 250.000 D-Mark bürgten. Viel Geld. »Das haben wir unter anderem von der Commerzbank in Hamburg geliehen bekommen. Der Chef der Bank war sehr offen, weil seine Tochter Musikerin war, die wir auch schon engagiert hatten. Den Kredit haben wir recht schnell zurückzahlen können«, so Beurmann.7 Wille gestand später: »Meine Frau wusste zwei Jahre lang nicht, dass unser Haus verpfändet war.«8
Der Einfachheit halber wurde für die deutsche Unternehmensgründung der gleiche Name verwendet wie in den USA: Miller International. Auch das hauseigene Label hieß dies- und jenseits des Atlantiks gleich: Somerset. Miller hatte als Namensgeber den Hut auf. Wille war als Produzent für die Sparte Musik und Beurmann für alle Wortproduktionen zuständig.
Der erste Unternehmenssitz befand sich in der Randstraße in Hamburg-Stellingen. Das Gebäude hatte etwas von einer Baracke. Als Büro diente ein alter Bauwagen. Anfangs waren bei Miller gerade einmal 20 Mitarbeiter beschäftigt. Es gab sechs Plattenpressen, von denen aber nur zwei funktionierten. Der Großteil der Ware wurde in den USA hergestellt. Zunächst warf Miller International einfach zig ursprünglich für die USA produzierte 101-Strings-Langspielplatten auf den deutschen Markt. Im ersten Jahr betrug der Firmenumsatz aber noch mickrige 250.000 D-Mark.
1963 stieß ein Mann zum Miller-Trio, der das Unternehmen lange Zeit prägen sollte: Harald Kirsten. Mit der Musikbranche hatte er eigentlich gar nichts am Hut. Als waschechter Hamburger machte er nach dem Krieg eine Lehre zum Reedereikaufmann. Der Schifffahrt blieb er lange treu, unter anderem als Juniorchef in der Reederei seines Vaters. Als aber die Branche mehr und mehr in eine Krise schlitterte, wurde er arbeitslos.
In der Tageszeitung Die Welt entdeckte er eine interessante Anzeige. Es wurde ein Mann »mit kaufmännischer Erfahrung und Initiative« für einen »leitenden Posten« bei einem international aufgestellten Unternehmen...