1 Von der Flut eingeschlossen
Züngelnde Blitze zuckten über den nachtschwarzen Tropenhimmel, und ein betäubender Donnerschlag ließ die Erde erbeben. Der Regen prasselte unablässig herab, aber in der einen Sekunde der Helligkeit hatte Bomba, der Dschungelboy, einen schnellen Blick in seine Umgebung geworfen.
Vor dem jäh hereinbrechenden Unwetter hatte er Schutz gesucht in der Mulde unter den Wurzeln eines umgestürzten Baumes. Das Gewitter war mit der Schnelligkeit und ungezähmten Wildheit der tropischen Unwetter über den Dschungel hergefallen und hatte Bomba bei seinem Jagdausflug überrascht. Da das Wild sich bei diesem Sturm zweifellos in seinen Schlupflöchern und Höhlen verborgen hielt, zähmte auch Bomba seine Ungeduld, so gut es gehen wollte, und kroch tiefer in sein Versteck hinein.
Noch tobte das Gewitter mit unverminderter Heftigkeit. Immer wieder zuckten die Blitze herab und erhellten augenblickslang die Silhouetten von Bäumen und Unterholz. Mit dem Geräusch eines Wasserfalles fiel der Regen in den Dschungel. Es wirkte so, als wollte er die Erde ertränken in einer neuen Sintflut, als wollte er das ganze üppige, sprießende und quellende Leben des Dschungels versinken lassen in einem Meer von Regen.
Allmählich wurde Bomba ungeduldig. Er konnte sich bei diesem Wetter nicht nach dem Stande der Sonne orientieren, aber sein Zeitsinn sagte ihm, dass es schon Nachmittag war. Auf keinen Fall wollte er mit leeren Händen in seine Hütte zurückkehren. Die Vorräte schrumpften schon bedenklich zusammen, und ein Großtier oder ein Jaboty wäre ihm jetzt eine willkommene Beute gewesen.
Aber nicht nur die Ungeduld machte ihm zu schaffen, sondern ein wachsendes Gefühl von Unbehagen breitete sich in seinem Innern aus. Wohl waren Kopf und Schulter vor den herabstürzenden Wassermassen einigermaßen gut geschützt, aber Bomba musste feststellen, dass die Mulde, in der er Schutz gesucht hatte, sich mehr und mehr mit Wasser füllte. Zahllose Rinnsale flossen hier zusammen und bildeten allmählich einen ekelhaften Tümpel.
In normalen Zeiten war der in der Nähe vorbeiströmende Fluss Aloya ein harmloses Gewässer. Doch wenn Wolkenbrüche ihn füllten, wurde er zu einem tobenden, gurgelnden Strom, der weit über seine Ufer trat und alles mitriss, was sich ihm entgegenstellte.
Vorsichtig versuchte Bomba seine Deckung zu verlassen, aber der Sturmwind presste ihm den Atem ab, und er hätte ihn umgerissen, wenn er auch nur einen Schritt weit gegangen wäre. Unwillkürlich zuckte der Dschungelboy zusammen, als ein Netz von gelbroten Blitzen die Landschaft in ein grelles, magisch-fahles Licht hüllte. Ein Krachen und Bersten folgte, das Bombas Trommelfell zu zersprengen drohte. Ein alter Baum war der Länge nach mittendurch gespalten worden, und die beiden Hälften stürzten mit Donnergetöse zu Boden.
Bomba verharrte noch eine Weile lang in seinem Unterschlupf. Die Gewalt des Sturmes ließ ein wenig nach, und der Junge wollte jetzt aufbrechen. Er schulterte seinen Bogen und watete aus dem Wasserloch heraus, in dem er zum Schluss bis über die Knie gestanden hatte.
Im gleichen Augenblick erstarrte seine Gestalt zu einer Haltung der Kampfbereitschaft und stählerner Spannung. Leicht vorgebeugt stand Bomba da und schaute dem Puma entgegen, der mit grimmigem Fauchen gerade auf ihn zukam. Offensichtlich war die riesige Raubkatze sehr schlechter Laune. Wahrscheinlich hatte sie bei dem Unwetter kein jagdbares Wild gefunden und war jetzt auf dem Rückweg zu ihrer Höhle.
In der nächsten Sekunde hatte Bomba einen Pfeil auf der Bogensehne. Die Bewegung war geräuschlos und so schnell, dass nur ein scharfes Raubtierauge sie erspähen konnte. Sofort ging der Puma zum Angriff über. Er duckte sich, und das Spiel der Muskeln an seinen oberen Läufen verriet seine Absicht zum Sprung.
Doch der Puma kam nicht mehr zum Springen. Als er sich vom Boden abschnellen wollte und Bomba die Bogensehne spannte, sauste ein langgestreckter, dunkler Körper von der Seite her auf die sprungbereite Raubkatze zu.
Als ob Naturelemente zusammenträfen, so ohrenbetäubend war das Gebrüll der kämpfenden Bestien in der nächsten Sekunde. Und es waren auch zwei Kräfte der ungezähmten Dschungelnatur, die sich im Kampfe am Boden wälzten. Eine andere Raubkatze war über den angreifenden Puma hergefallen, und die beiden Tiere hatten sich ineinander verbissen. Wütende Prankenschläge wühlten den Boden auf und rissen schmerzhafte Wunden in den Leib des Gegners. Unbeschreiblich war der Anblick dieser kämpfenden Urwaldgeschöpfe.
Jener Puma, der die Situation durch sein Eingreifen für Bomba so überraschend zum Guten gewendet hatte, war womöglich noch etwas größer als sein Gegner. Außerdem war der Vorteil der Überraschung auf seiner Seite gewesen. Im ersten Ansprung hatte er seinen Gegner niedergerissen.
Doch der neue Angreifer war älter als sein Artgenosse, und dadurch war die Kampfkraft der beiden ziemlich gleich. Gefährlich und hellschimmernd leuchteten die Raubtiergebisse auf. Immer ging der Biss in die Richtung der gegnerischen Kehle. Wem es gelang, dort seine scharfen Zähne in das weiche Fell zu schlagen, der würde als Sieger am Leben bleiben in diesem unbarmherzigen Kampf auf Leben und Tod. Keiner der beiden war bereit, nachzugeben oder das Feld zu räumen.
In dieser Lage wäre es für Bomba ein leichtes gewesen, die beiden Würger zu erlegen. In ihrer leidenschaftlichen Kampfbesessenheit hatten sie ihren menschlichen Beobachter vollkommen vergessen. Doch Bomba sagte sich, dass die Raubtiere die Arbeit des Tötens selbst besorgen mochten. Auf diese Weise schonte er seinen kostbaren Vorrat an Pfeilen.
Gerade wollte er den Schauplatz des wilden Gemetzels vorsichtig verlassen, als ihm etwas in der Fellzeichnung des großen Pumas vertraut erschien. Es war etwas lichter im Dschungel geworden, und Bomba konnte jetzt die Kämpfenden besser sehen. Er stutzte und verlor im nächsten Moment seine Haltung als unbeteiligter Zuschauer.
"Polu!" rief er unwillkürlich laut. "Guter alter Polu!"
In leidenschaftlicher Anteilnahme sprang Bomba um die kämpfenden Raubkatzen herum, ohne auf seine eigene Sicherheit zu achten.
"Bist du mir zu Hilfe gekommen, Polu?" rief er, obwohl er sich sagen musste, dass der Puma jetzt nicht auf seine Worte achten konnte. "Wolltest du mich retten, braver Kerl? Pack ihn, Polu! Ich stehe dir bei! Warte einen Augenblick!"
Der Dschungelboy riss seine Machete aus der Hülle, umkreiste die kämpfenden Katzen mit sprungbereiter Spannung und wartete auf eine Chance, seinem Freund aus dem Tierreich beizuspringen.
Noch schien das unmöglich. So schnell wirbelten die Körper der kämpfenden Riesenkatzen herum, dass jeder Sekundenbruchteil die Situation vollkommen änderte. So kam es auch, dass der Kampf zu Ende ging, ehe Bomba eingreifen konnte. Endlich hatte Polu seinen Gegner mit einem furchtbaren Biss an der Kehle. Vergeblich schlug der andere seine Krallen in die Schulter seines Feindes - vergeblich rissen die Hinterpranken den Boden auf. Polus Fänge hielten in eisernem Zupacken fest. Tiefer und tiefer bohrten sich die spitzen Reißzähne in die Kehle des Unterlegenen. Die Bewegungen wurden schwächer und schwächer - und schließlich sank der Kopf des Besiegten schlaff zur Seite.
Jetzt löste sich der Griff des Raubtiergebisses, und durch den Leib des verendenden Tieres ging ein Zittern. Noch einmal bewegten sich die Pranken in vergeblicher Anstrengung, und dann streckte sich der Körper: der feindliche Puma war tot.
Matt und abgekämpft erhob sich der Sieger und begann seine Wunden zu belecken. Zuerst achtete er nicht auf den Jungen. Doch dann, als Bomba auf ihn zueilte und ihm über das Fell streichelte, schmiegte er den Kopf an die Hüfte des Jungen und begann zu schnurren. Der Unterschied zwischen der wilden, kämpfenden Bestie und dem sanften Tier, das sich offensichtlich über die Anwesenheit seines jungen Menschenfreundes freute, war so erstaunlich, dass jeder Beobachter diese Szene für eine Vorspiegelung seiner Phantasie gehalten hätte.
Die Freundschaft des ungleichen Paares war schon einige Jahre alt. Damals hatte Bomba den hilflosen Puma gerettet, als dieser von einem umgestürzten Baum wie in einer Falle eingeklemmt gewesen war. Bomba hatte das Tier befreit, den gebrochenen Hinterlauf geschient und den Puma gepflegt, bis er wieder gesund war. Polu, so hatte Bomba seinen Freund aus dem Tierreich genannt, hatte diese Behandlung nie vergessen und dem Jungen durch Anhänglichkeit, Treue und Hilfsbereitschaft gedankt. Mehr als einmal hatte Polu dem Dschungelboy später in gefährlichen Situationen beigestanden, ja ihm das Leben gerettet.
Als die erste Begrüßung vorüber war, untersuchte Bomba die Wunden des Tieres. Er rieb sie mit einem Heilöl ein, das er immer bei sich trug, und hin und wieder leckte Polu dankbar die Hand Bombast
"Tapferer Polu", lobte Bomba das Tier mit sanfter Stimme. "Keiner ist im Urwald so mutig wie du. Immer besiegst du deine Gegner. Du bist wirklich der stärkste von allen im Dschungel."
Als hätte er die Worte verstanden, schnurrte der Puma zufrieden.
"Ich würde gern länger mit dir zusammenbleiben", fuhr Bomba fort, "aber das Wasser steigt. Ich muss mich beeilen, von hier fortzukommen."
Zum Abschied tätschelte der Junge noch einmal liebkosend den Kopf des Pumas und wandte sich zum Gehen. Einen Augenblick zögerte das Raubtier. Es schien, als wollte es dem Jungen folgen. Doch Bomba machte eine gebieterische Geste, und gehorsam wandte sich Polu ab und verschwand im Dickicht.
Nun eilte Bomba weiter. Der Regen fiel wieder stärker, und der Sturm hatte die Gewalt eines Hurrikans angenommen. Mit...