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Nur wenige würden bestreiten, dass das deutsche Hochschulwesen in der Krise steckt, in einer Krise, deren Ende sich nicht absehen lässt. Von dem vielfältigen Echo auf Karl Jaspers' Die Idee der Universität (1923, 1946 und 1961) und Helmut Schelskys Einsamkeit und Freiheit (1963), ein ebenso kenntnisreiches wie im Grunde optimistisches Buch, auf das freilich Schelskys desillusionierter Abschied von der Hochschulpolitik (1969) folgte, bis hin zu Reinhard Brandts Wozu noch Universitäten? (2011) und den hochschulpolitischen Feuilletons unserer Tage bildet das Unbehagen am Zustand des deutschen Universitätssystems ein immer wiederkehrendes Thema.
Trotz dieses allgemeinen Krisengefühls besteht allerdings keine Übereinstimmung darüber, welches denn eigentlich die Probleme sind, geschweige denn, was Lösungen sein könnten. Professoren und Politiker geben unterschiedliche Erklärungen. Ist die Finanzierung das Problem? Wenn ja, sollte sie vom Bund oder von den Ländern kommen, von den Studenten oder von Sponsoren? Sind die Universitätsverwaltungen das Problem, denen es an unternehmerischem Geist, an überzeugenden Zielvorstellungen und an hinreichendem Sinn für Wettbewerb fehlt? Oder sollten die Universitäten sich selbst überlassen werden, unbehelligt von einer erstickenden staatlichen Bürokratie, die alles reguliert und ebenso prinzipienlos wie ziellos Hochschulreform betreibt?
Die Krise des gegenwärtigen deutschen Hochschulwesens ist in vielerlei Hinsicht eine Identitätskrise. Es besteht kaum Übereinstimmung darin, was Universitäten sein sollten und sein können. Die kollektive Erinnerung an eine vergangene Größe ist weitgehend geschwunden, ohne dass sich ein neues, praxistaugliches Ideal, eine Zukunftsvision, eingestellt hätte. Sofern eine Vorstellung davon, was eine Universität sein sollte, überhaupt noch artikuliert wird, werden die meisten Beobachter auf Diskrepanzen zwischen dieser Vorstellung und der Wirklichkeit, ja auf die Widersprüchlichkeit des normativen Ideals hinweisen, etwa darauf, dass die Universi tät gleichzeitig Eliteuniversität und Massenuniversität sein soll. Das Vertrauen wird außerdem durch die Außenperspektive auf das deutsche Hochschulwesen erschüttert, durch Rankings, die nicht eben schmeichelhaft sind. In einem weltweiten Ranking der Hochschulsysteme, das Universitas21 im Jahr 2012 vorgelegt hat, rangiert Deutschland unter 48 Ländern auf Rang 17, in Europa auf Rang 11 (Williams et al.). Kein Wunder, dass zunehmend nach Alternativen zum bestehenden Zustand gesucht wird.
Welche Reformen muss Deutschland in Angriff nehmen, um sicherzustellen, dass seine Universitäten international wettbewerbsfähiger werden und seine Studenten die Bildung bekommen, die wir seit jeher mit den bedeutenden deutschen Universitäten verbinden? Was soll werden, wenn die Mittel aus der Exzellenzinitiative 2017 aufhören werden zu fließen? Sollte Deutschland seinen Blick auf die USA richten, die in einem weiten Fächerspektrum eine Führungsrolle übernommen haben und Studenten, Promovierte und Professoren von überall her auf der Welt anziehen? Sollte Deutschland nicht besser manchen Kuriositäten des amerikanischen Hochschulwesens, von denen man hört, Widerstand entgegensetzen, etwa sozial unausgewogenen Studiengebühren, einer nach Dollars jagenden Forschung und der gewaltigen Ungleichheit der Universitäten untereinander?
Während Deutschland mit Reformen ringt, werden amerikanische Universitäten immer wieder als mögliche Vorbilder empfohlen. Einige, die das tun, haben noch nie eine amerikanische Universität von innen gesehen. Andere verstehen sich nur bruchstückweise auf die eigentümlichen Schwierigkeiten des komplexen amerikanischen Hochschulwesens, nämlich auf die große Bandbreite der über Amerika verteilten Universitäten und Colleges, und auf die verschiedenen Faktoren, die seine anhaltende Weiterentwicklung praktisch bedingen.
Was sich in diesen Erörterungen allerdings sehr deutlich zeigt, ist der unzweideutig gute Ruf der besten amerikanischen Universitäten. In dem von Universitas21 für 2012 vorgelegten Ranking stehen die USA auf Rang 1, sechzehn Ränge vor Deutschland (Williams et al.). Die Mehrheit der Nobelpreisgewinner besteht Jahr für Jahr aus Wissenschaftlern, die an amerikanischen Universitäten ausgebildet wurden oder dort tätig sind, obschon viele von ihnen nicht aus den USA stammen. Von den 117 zwischen 2000 und 2010 für Forschung vergebenen Nobelpreisen gingen 78 an Wissenschaftler, die in den USA tätig sind (darunter 57 gebürtige US-Bürger), zehn an Wissenschaftler im Vereinigten Königreich und sieben an Wissenschaftler in Japan. Kein anderes Land hat es auf mehr als fünf gebracht. Dem Academic Ranking of World Universities 2013 zufolge, das von einer Forschergruppe in Schanghai stammt und sich auf die Naturwissenschaften konzentriert, sind 17 von 19 Universitäten an der Spitze amerikanische (Cambridge und Oxford sind die beiden anderen). Die darin am höchsten rangierende Universität, die TU München, liegt auf Rang 50. Keine einzige deutsche Universität gehört zur Gruppe der fünfzig Besten in den QS World University Rankings 2012/2013, und nur eine einzige deutsche Universität rangiert dort in den Times Higher Education World University Rankings 2012-2013: Die Ludwig-Maximilians-Universität in München landet auf Rang 48.1 1902, als das deutsche Universitätswesen in seiner Blüte stand, gab es an allen amerikanischen Universitäten zusammen gerade einmal 293 Promotionen (Thurgood et al. 6); heute verfügen die USA über fast ebenso viele promotionsberechtigte Forschungsuniversitäten.
Die Vereinigten Staaten haben es zu einer Stellung gebracht, welche derjenigen entspricht, derer sich die deutschen Universitäten im 19. und frühen 20. Jahrhundert erfreuten. Durch die Studiengebühren, die Drittmittel und ihr Stiftungskapital gehören die amerikanischen Universitäten außerdem zu den finanziell bestausgestatteten auf der Welt. Die USA geben fast doppelt so viel Geld pro Student aus wie Deutschland (Education at a Glance 2012 Tabelle B1.1a), davon stammt ein beträchtlicher Teil aus privaten Quel len.2 Die finanzielle Ausstattung hat Einfluss auf die Studienbedingungen. In dem zuletzt von U.S. News and World Report vorgelegten Ranking der 50 besten amerikanischen Universitäten liegt das Verhältnis Studenten zu Professoren außer in vier Fällen unter 18:1, im Durchschnitt ist es 11:1, an einer Universität sogar 3:1 (70-71). Bezogen nicht nur auf Professoren, Dozenten und Assistenten, sondern auch auf Lehrkräfte für besondere Aufgaben, liegt das entsprechende Zahlenverhältnis für die deutschen Hochschulen bei 42:1 (Statistisches Jahrbuch 2012, 90; 94). In den Sprach- und Kulturwissenschaften liegt es in Deutschland bei 76:1 (Statistisches Jahrbuch 2012, 90; 94), speziell in der Germanistik sogar bei 133:1 (Statistisches Jahrbuch 2011, 149; 155).
Die US-amerikanischen Universitäten sind für die USA ein enormer Wirtschaftsfaktor. Jonathan Cole, dessen umfangreiche Untersuchung des amerikanischen Hochschulwesens sich auf die Forschungsproduktivität konzentriert, berichtete 2009, dass Professoren, Studenten und Ehemalige der Stanford University im Jahr 2008 mehr als 2.300 Unternehmen gegründet haben, von denen sechs, alle in Stanfords Nachbarschaft, nämlich im Silicon Valley, insgesamt 261,2 Milliarden Dollar verdient haben. Cole erwähnt auch, dass die 4.000 Unternehmen, die mit dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) zusammenhängen, 1,1 Millionen Menschen beschäftigen und jährlich Waren im Wert von 232 Milliarden Dollar exportieren. Würde man diese Unternehmen, die von ihren Verbindungen zum MIT leben, mit einem Staat vergleichen, dann befände sich dieser weltweit unter den führenden 25 (196-98).
Die USA ziehen die meisten ausländischen Studenten an. Laut Education at a Glance 2013 gehen 16,5 % aller Studenten, die im Ausland studieren, in die USA (Tabelle C4.4). Das Handelsministerium schätzt, dass durch diese Ausländer jährlich mehr als 15 Milliarden Dollar an Studiengebühren und Geldern für ihre Lebenshaltungs-kosten ins Land fließen (Approaches 9). Nicht weniger wichtig ist freilich, was die amerikanischen Universitäten für die amerikanische Außenpolitik und die internationale Verständigung tun, indem sie Menschen ausbilden, die weltweit Führungsaufgaben übernehmen.
Da viele Deutsche die USA als ein mögliches Vorbild ansehen, wird man sich hierzulande darüber klarwerden müssen, welches die bewegenden Kräfte im amerikanischen Hochschulsystem sind, worin seine Stärken und worin seine vermeidbaren Schwächen liegen und welche fortdauernden Herausforderungen es zu...
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