Schweitzer Fachinformationen
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Die raue See peitschte gegen ihr kleines Boot. Nicht mehr lange, und sie würde kentern, da war Cecile sich sicher. Der Motor stotterte unentwegt, doch noch hielt er den Naturgewalten tapfer stand. Der Kompass hatte sie weit hinaus aufs Meer zwischen Schottland und Skandinavien geführt. Andere Schiffe oder wenigstens Möwen hatte sie seit geraumer Zeit nicht mehr gesehen.
Cecile war hier draußen vollkommen allein.
Eine Welle schlug gegen die Seite der kleinen Nussschale, und Wasser schwappte herein.
»Verdammt«, fluchte Cecile. Ihre Schuhe waren durchnässt, und der Wind zerrte an ihren Klamotten. Sie holte sich hier draußen noch den Tod. Oder zumindest einen fiesen Schnupfen. Mit zitternden Händen suchte sie nach dem Kompass in ihrer Brusttasche. Sie holte ihn raus und umklammerte ihn.
Die nächste Welle schlug gegen das Boot, und Cecile verlor für einen kurzen Moment das Gleichgewicht. Mit der einen Hand hielt sie den Kompass, mit der anderen das Steuer des Heckmotors. Das Gefährt war für die Fischerei in Küstennähe gebaut, nicht aber dafür, sich so weit hinaus auf die stürmische Nordsee zu wagen. Sie hätte sich ein verdammtes Containerschiff organisieren sollen. Okay, das wäre vielleicht nicht unbedingt unauffällig gewesen, und bezahlbar erst recht nicht, aber wenigstens hätte sie ziemlich sicher keine Angst vorm Ertrinken haben müssen.
Cecile steuerte das Boot weiter durch die Wellen. Sie starrte auf den Kompass, der unverändert hinaus auf das Meer zeigte. Irgendwo da draußen sollte also das Portal nach Avalon sein. In Schottland, in einem Wald oder in den Katakomben einer Burgruine wäre auch zu einfach gewesen.
Cecile fror. Verdammt, es würde ihr auch nichts nützen, wenn sie als Eisblock in Avalon ankam.
Plötzlich erstarb das röhrende Geräusch des Motors, und die plötzliche Ruhe hatte etwas Unheimliches. Mist. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Hier draußen würde ihr niemand zu Hilfe kommen. War es das wirklich wert gewesen?
Egal. Es war zu spät, sich solche Fragen zu stellen. Sie war schon zu weit gekommen, um es sich jetzt anders zu überlegen. Hauptsache, Ruhe bewahren. Erst was gegen die Kälte tun, dann das Boot wieder zum Laufen bekommen. Cecile kramte in ihrer Tasche nach der Thermoskanne. Die Wärme war wohltuend wie eine heiße Dusche nach einer langen Wanderung in den verregneten Highlands. Fahrig drehte sie mit ihren steifen Fingern den Deckel ab, der als Becher diente, und goss Kaffee hinein. Gierig trank sie einen Schluck, nur um sich sofort die Zunge zu verbrennen.
»Scheiße«, fluchte Cecile. Sie hatte nicht erwartet, dass die Thermosflasche den widrigen Bedingungen so lange trotzen würde.
Das Boot schaukelte im Wellengang, während sie darauf wartete, dass der Kaffee abkühlte. Ihr Blick suchte den Horizont ab, doch außer dem endlosen Meer sah sie nichts.
Aber wenn sie ehrlich war, wusste sie auch nicht so recht, wonach sie Ausschau halten musste. Sie hatte keine Aufzeichnungen darüber gefunden, wie dieses Portal aussah. Vorausgesetzt, man konnte es überhaupt sehen und fuhr nicht einfach plötzlich durch oder - und vor dem Gedanken gruselte sie sich - es war am Meeresgrund. Cecile hatte zwar in der Schule ein paar Schwimmabzeichen gemacht und auch nach Ringen tauchen müssen. Das waren aber immer nur wenige Meter in einem gut beheizten Schwimmbecken gewesen.
Sie schlürfte vorsichtig an ihrem Becher. Nun war der Kaffee weit genug abgekühlt, um ihn problemlos trinken zu können, und Cecile genoss es, in dieser beängstigenden Lage wenigstens ein warmes, wohltuendes Getränk zu haben. Die Kälte wich aus ihrem Körper, und das Zittern ließ nach. Cecile entspannte sich so gut, wie es in einer kleinen Nussschale mitten auf der Nordsee ging. Wenn sie sich nicht zu dumm anstellte, würde sie es schon überleben, da war sie sicher. Sie hatte ganz andere Dinge vollbracht und musste an den Einbruch in das Kloster der Inquisition denken. Salazar Montanari hatte Rache geschworen und das auch schnell in die Tat umgesetzt. Cecile und John waren untergetaucht, hatten unter falschen Namen gelebt und waren bei Freunden untergekommen. Aber Salazar ließ nicht locker. Er schien ihr die Sache mit seinem Bein wirklich übelzunehmen. Immer mehr Freunde und Bekannte bekamen Besuch von der Inquisition. Es wurden Fragen gestellt, wurde nachgebohrt. Einmal entkamen sie ihren Verfolgern nur knapp an der Waverly Station. Ihr Zug fuhr gerade ab, als Männer in schwarzen Mänteln und mit spiegelnden Sonnenbrillen auf das Gleis rannten. Sie hämmerten mit ihren Fäusten gegen die Scheiben, zerrten an den Türen, aber der Zugführer nahm keine Rücksicht. Der Fahrplan wurde eingehalten. Man konnte über die Bahn sagen, was man wollte, aber in diesem Moment war sie ihr einfach nur unendlich dankbar gewesen.
Die Schriftrolle hatte eine Bauanleitung für den Kompass enthalten: Nixenhaar, avalonisches Gold und Drachenhaar.
Das Gold hatte kein Problem dargestellt. Im Merlin-Center wurde es sogar noch als Währung genutzt. Ein paar Münzen ließen sich leicht organisieren.
Das Nixenhaar gestaltete sich schon schwieriger. Sie hatte Geschichten gehört, dass es im Mittelmeer noch Nixen gab. In versunkenen Städten hatten sie sich eingenistet, so hieß es. Aber Cecile hatte mittlerweile gewusst, dass sie mit Elliot schwanger war, und sie wollte nicht auf den Grund eines Meeres tauchen, um dort mit Kreaturen zu verhandeln, die nicht unbedingt für ihre Freundlichkeit bekannt waren. Theodore war schlussendlich derjenige gewesen, der über ein paar Mittelsmänner und Kontakte ein Haar organisierte. Er sagte, es hätte ihn ein Vermögen gekostet, aber das wäre es wert.
Bloß das Drachenfeuer schien eine unmögliche Aufgabe zu sein. Die letzte Sichtung eines Drachen war Jahrzehnte her. Es gab sie noch, daran bestand kein Zweifel. Aber sie versteckten sich gut vor den menschlichen Augen. Hoch oben in den Bergen, wo nur die todesmutigsten Kletterer hinkamen, hatten sie ihre Höhlen und Unterschlupfe. Sie waren eine Spezies, die der Ausrottung nur knapp entkommen war, und hielten sich von allem, was auf zwei Beinen lief und einen Speer in der Hand halten konnte, fern. Cecile hatte Nächte in Bibliotheken verbracht, alte Folianten gewälzt und Geschichten über vermisste Bergwanderer gelesen. Sie hatte die Hoffnung, ein Muster zu erkennen, doch vergeblich. Bergwanderer verschwanden manchmal, fielen in Schluchten oder wurden von Lawinen erwischt. Sicherlich dienten manche auch einem Drachen als Snack, aber das war nicht zu beweisen. Wie so oft fand sie die Antwort an ganz anderer Stelle.
Sie war im Merlin-Center um einen Dolch zu erwerben. Wenn einem die Inquisition auf den Fersen war, sollte man besser auf einen Kampf vorbereitet sein. Als sie in der Waffenabteilung mit einem breiten Zwerg mit feuerrotem Haar sprach, sagte er: »Einen besseren Dolch werden Sie nur bei Ygrims bekommen.«
Ein Nebensatz, nicht mehr, und Cecile schenkte ihm zunächst keine Beachtung.
Doch als sie zu Hause war, nagte es an ihr wie ein nicht enden wollender Kopfschmerz. Was war Ygrim?
Das ließ sich schnell herausfinden. Ygrim war ein Schmied in Norwegen, der den Familienbetrieb seiner Vorfahren weiterführte. Sie waren seit Jahrhunderten im Geschäft, und genauso lange war auch ihre Esse nicht erloschen. Tag und Nacht hatte sie gebrannt, und, so stand es in einem von Motten schon halb zerfressenen Buch, durch Drachenfeuer entzündet. Eines der Monster hatte vor langer Zeit das Dorf überfallen, in dem die Ygrims lebten, und alles in Brand gesteckt. Die Vorfahren des Schmieds hatten das Beste daraus gemacht und die Flammen erhalten, um ihre Schmiede damit anzufeuern.
Cecile und John hatten sofort eine Überfahrt mit der Fähre von Newcastle nach Bergen gebucht, von wo aus es mit dem Zug in den unwirtlichen, verschneiten und dunklen Teil Norwegens ging. Tief in einem Wald fanden sie eine kleine Hütte. Aus dem Schornstein kam dunkler Ruß, und das Dach war überwuchert mit Moos. Ygrim entpuppte sich als Pfeife rauchender Riese. Auf seinem Körper wuchsen Pilze, und er überragte die beiden um mehrere Köpfe. An seinem Blasebalg waren rund um die Uhr zwei Zwerge zugange, und ein dritter stand bereit, um neues Brennholz nachzulegen. Die Flamme durfte keinesfalls erlöschen, das war das Wichtigste.
Ygrim hörte sich Ceciles und Johns Geschichte vom wundersamen Kompass, der den Weg nach Avalon zeigen sollte, an. Ein magisches Artefakt war für ihn nichts Neues. Manchmal schmiedete er Werkzeuge, manchmal mächtige Gegenstände in der Esse aus Drachenfeuer. Die Geschichte war aber, wie viele Legenden, nicht ganz richtig: Der Drache lebte noch, war angestellt bei Ygrim, und Cecile sah dabei zu, wie er die Esse anfeuerte. Es war ein kleiner Drache, nicht größer als ein Bus, lang und dünn wie eine Schlange. Er trug keine Ketten und konnte sich frei bewegen.
Wenig später hielten sie den Kompass in der Hand, der nicht viel größer als eine Münze war. Cecile fiel sofort auf, dass er nicht, wie ein normaler Kompass, nach Norden zeigte, sondern hinaus aufs Meer, und bei ihrer Überfahrt zurück nach Schottland drehte sich die Nadel irgendwann. Sie waren ganz nah am Portal, das wusste sie, doch hochschwanger, wie sie damals war, kam eine nähere Erkundung nicht in Frage.
Nun war sie wieder hier, folgte dem Kompass noch einmal hinauf aufs Meer. Nur dieses Mal ohne ihren Mann. John mit ihrem kleinen Sohn Elliot zurückzulassen, hatte ihr das Herz gebrochen. Doch sie konnte ihr persönliches Glück nicht über das einer ganzen...
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