Schweitzer Fachinformationen
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Manchmal muss man nur den Stein ins Rollen bringen, der man selbst ist, dachte Enzo. Der Tag, an dem er und Angèle das Fertility Center besuchten, war ein feuchter, kalter Montag. Der Himmel war wie weiße Wäsche, die mit der Zeit einen Grauschleier angenommen hatte.
Im Wartezimmer roch es stark nach Bienenwachs. Glastür und polierter Parkettboden, an der Wand Bilder von sich küssenden Spermien, daneben das Foto eines lächelnden Paares, vielleicht Maja und Willi als Menschen.
Enzo und Angèle hatten sich auf den unbequemen Aluminiumstühlen niedergelassen, die sicher ein Vermögen gekostet hatten. In einer Ecke befand sich ein Bereich für Kinder, der seit ewigen Zeiten unbenutzt zu sein schien: Zwei gelbe Miniplastikstühle waren unter einen Minitisch geschoben, auf dem aufgereihte Holzklötze und Filzstifte sauber sortiert in ihrer Plastikhülle lagen. Der Arbeitsplatz eines virtuellen Musterkindes. Angèle saß mit verschränkten Armen da, angespannt. Dabei spürte sie heute weniger Druck. Heute musste nicht ihr Körper funktionieren. Heute musste nicht sie schwanger werden.
Sie trug ein fließendes, auberginefarbenes Kleid und um den Hals ein Seidentuch, ahmte für diesen Anlass die zurückhaltende Eleganz ihrer Mutter nach. Sie hatte kurz mit dem roten Kleid geliebäugelt, das ihre Oberarme zur Geltung brachte. Sie war fast muskulöser als Enzo. Aber Rot war vielleicht zu aggressiv. Ihr Ziel? Dr. Polany beeindrucken und aussehen wie die perfekte zukünftige Mutter. Dezentes Make-up, schlichte Perlenohrringe. Als einzige Extravaganz ihre Louboutins.
Auch Enzo hatte sich in Schale geworfen, weißes Hemd, Budapester, das Jackett hatte leichte auberginefarbene Streifen: So würden sie als Team auftreten, als Power-Paar. Sie waren bereit für das nächste Casting.
»Ich rate Ihnen, bis zum 1. April zu warten.« Dr. Polany faltete die Hände auf seinem Schreibtisch neben dem Foto einer Frau mit zwei kleinen blonden Kindern. Angèle und Enzo tauschten einen irritierten Blick aus.
»Aktuell übernimmt der Staat bis zu 50 Prozent der Kosten«, sagte der Arzt mit zufriedenem Schmunzeln in den Augen, »und nur für einen Versuch. Ab 1. April sind es 80 Prozent, bis zu drei Versuche, Monsieur Ricki.«
War das der Plan, um die schwindende Geburtenrate aus ihrem Tief zu holen? Enzo drückte Angèles Hand. Dass er nicht »Ricki«, sondern Ricci hieß, »Ri-tschi« mit gerolltem R, war jetzt unwichtig. »Wir haben lange genug gewartet«, sagte er.
»Wie Sie wollen.« Der Arzt öffnete einen Ordner. »Wenn Paare zu mir kommen, haben sie sich lange gefragt: >Warum wir?< Sie sollten wissen, dass 20 Prozent aller Paare mit Unfruchtbarkeitsproblemen zu kämpfen haben. Eines von fünf Paaren! Ich möchte Ihnen eines sagen, Monsieur Ricki, Madame Ricki: Ihr Kinderwunsch ist ganz natürlich. Es ist nicht Ihre Schuld, wenn Sie ihn sich bisher nicht erfüllen konnten. Was halten Sie von Vitamin C, Monsieur Ricki?«
»Ich denke, ein frisch gepresster Orangensaft kann nie schaden.«
»Falsch. Und Vitamin E? Auch falsch! Vitamin D vielleicht?«
»Auch falsch, nehme ich an?«
»Nein! Aber nur im Winter. Das Einzige, was Sie wirklich brauchen, sind Folsäure und Jod. Und vergessen Sie nicht, Monsieur Ricki: Mit Sport tun Sie mehr für Ihre Fruchtbarkeit als mit Vitaminen! Vitaminpräparate sind gut . vor allem für den Apotheker!«
Der Arzt lehnte sich zufrieden in seinem Drehstuhl zurück. »Nun. Jeder Mensch ist anders, jedes Paar ist anders und jeder Kinderwunsch ist anders, nicht wahr? Also, wenn es Ihnen recht ist, gehen wir die üblichen Fragen durch. Wir lassen uns Zeit, nicht wahr? Wir haben es nicht eilig, oder? Danach zeige ich Ihnen die Räumlichkeiten.«
Er blätterte in seinem Ordner. Aber die Abheftösen schlossen nicht mehr richtig und jedes Blatt blieb beim Umblättern hängen. Erneuter Blickwechsel zwischen Enzo und Angèle. Der Arzt griff nach einem goldenen Kugelschreiber und hieb ihn sich wie ein Messer ins Brustbein, um die Spitze herauszustoßen. »Monsieur Ricki, wie steht's mit Ihrem Kaffeekonsum?«
»Ich gehöre zur Latte-macchiato-Fraktion. Wird unser Kinderwunsch daran scheitern?«
»Pardon?«
Angèle übte leichten Druck auf Enzos Hand aus, um ihm zu signalisieren, dass er den Humor beiseitelassen sollte.
»Morgens trinke ich meistens einen Latte macchiato. Und mittags ab und zu einen Espresso.«
Dr. Polany notierte die Antwort. »Alkohol? Tabak? Tabak ist ein Desaster für die Fruchtbarkeit.«
»Nichts.«
»Gar nichts?«
»Ab und zu ein Feierabendbier und ein Glas Wein. Mehr nicht.«
»Drogen?«
Enzo schüttelte den Kopf. Dr. Polany notierte. Enzo fragte sich, ob der Arzt ihm glaubte.
»Ich muss Ihr langweiligster Patient sein«, scherzte er und hoffte, damit seine Glaubwürdigkeit zu steigern. Doch der Arzt zeigte keinerlei Reaktion. Unter dem Schreibtisch schlug Angèle ein Bein über und ließ einen Louboutin an ihren Zehen baumeln.
»Gut. Monsieur und Madame Ricki, haben Sie über Adoption nachgedacht?«
»Wir wollen es anders versuchen«, sagte Enzo. »Da wir auf natürlichem Weg ein Kind bekommen können .«
Der Arzt lächelte Angèle an und schob seinen Stift zur Seite. »Darf ich fragen, wie Ihre Beziehung läuft?«
»Sehr gut«, sagte Angèle mit Nachdruck und zupfte einen Fussel von Enzos Sakko. Polany kreuzte etwas auf seinem Formular an.
»Ist der Kinderwunsch bei einem von Ihnen ausgeprägter als beim anderen?«
»Nein«, versicherte Angèle.
»Beabsichtigen Sie, Ihr Kind . sagen wir, über seine Herkunft aufzuklären?«
»Ja«, sagte Angèle.
Unter dem Tisch wippte ein Schuh leicht hin und her. Der Arzt lächelte zufrieden. Draußen wurde ein Motor im Leerlauf gestartet, zzzz, zzzz, eine Säge, die sich vergeblich an einem robusten Baum versucht.
»Was passiert, wenn es mit der Befruchtung nicht klappt?« Ein kurzes Kratzen, das Auto fuhr los. »Können Sie sich ein Leben vorstellen, in dem Sie keine Kinder haben?«
Enzo und Angèle sahen sich an. Was wollte der Arzt hören? Enzo wagte den Sprung: »Dr. Polany, ich liebe Angèle, und ich möchte mein Leben mit ihr verbringen. Mit oder ohne Kinder. Ich kann Ihnen nur sagen, wenn wir ein Kind haben, werden wir unser Kind lieben.«
»Ja, ein Herz hat jede Frau und jeder Mann. Leider können wir keine hundertprozentige Schwangerschaft garantieren. Bei der Geburt hat eine Frau circa eine Million Eizellen. 50 Prozent davon gehen schon bei der ersten Regelblutung kaputt. Und mit 41 hat sie nur noch zehntausend, also ein Prozent der ursprünglichen Menge! Dazu kommt, dass 50 bis 70 Prozent der Eier nichts taugen, sowieso, das reduziert alles dramatisch.«
Enzo verkrampfte sich. Ihm war unwohl dabei, den Arzt hier die ganze Zeit von der »Frau« sprechen zu hören. Angèle ließ ihren Pumps sanft zu Boden gleiten und setzte ihren Fuß auf Enzos Schuh. Während sie den Arzt unbeweglich ansah, fuhr sie mit der Fußspitze das Bein ihres Mannes hoch. Sie spürte, wie seine Anspannung nachließ.
»Madame Ricki, haben Sie Ihre Hormonwerte dabei?«
Der Arzt studierte kurz die Unterlagen, die sie ihm gereicht hatte, und murmelte, ohne aufzublicken: »Wir müssen eine Gebärmutterspiegelung machen. So. Monsieur Ricki, möchten Sie die Operation gleich hier durchführen?«
Enzo zog die Augenbrauen hoch und schaute sich um.
»Hier?«
Der Arzt grinste: »Wir haben spezielle Räume.«
»Was wäre die Alternative?«
»Bei Ihnen zu Hause.«
»Bei uns zu Hause?«
»Das können Sie selbst entscheiden. Ich zeige Ihnen den Raum.«
Er klappte die Mappe zu und stand auf. Angèle schlüpfte rasch in ihren Schuh. Im Flur hielt Enzo eine Hand hinter sich, damit sie sie fassen...
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