Schweitzer Fachinformationen
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Sie hatte schon gedacht, sie würden nie gehen. Kunden - vor allem neue - neigten dazu, keine Ruhe zu geben, den Abschied hinauszuzögern und in einer Endlosschleife immer wieder dieselben Anweisungen, Kontakte und Hinweise zu wiederholen, bis sie irgendwann endlich zur Tür hinaus waren. Sie konnte sie gut verstehen. Wenn sie gingen, ließen sie schließlich ihr Heim, ihren Besitz und in diesem speziellen Fall sogar ihr Haustier in den Händen einer fremden Person zurück.
Lila Emerson tat ihr Bestes, damit sie entspannt und in der Überzeugung abreisen konnten, alles in die kompetenten Hände ihres Homesitters übergeben zu haben.
Während Jason und Macey Kilderbrand sich in den kommenden drei Wochen mitsamt Familie und Freunden in Südfrankreich aufhalten würden, wohnte Lila in deren wunderschöner Wohnung in Chelsea, goss die Blumen, passte auf, dass der Kater nicht verhungerte oder verdurstete, spielte mit ihm, nahm die Post der Familie entgegen und schickte ihnen alles Wichtige nach. Sie würde Maceys hübschen Terrassengarten pflegen, das Telefon beantworten, den Kater verwöhnen und allein durch ihre Anwesenheit abschreckend auf potenzielle Einbrecher wirken.
Es würde ihr gefallen, in dem noblen Stadthaus in New York zu leben, genau wie es ihr in jener reizenden Wohnung in Rom gefallen hatte - wo sie für ein zusätzliches Honorar sogar die Küche gestrichen hatte -, und in dem weitläufigen Haus in Brooklyn mit dem verspielten Golden Retriever, dem süßen alten Boston-Terrier und einem Aquarium voller bunter Tropenfische.
In den sechs Jahren als professioneller Homesitter hatte sie New York gut kennengelernt. In den vergangenen vier Jahren hatte sie ihren Wirkungskreis sogar erweitern können, sodass sie mittlerweile auch ein bisschen von der Welt sah. Ein wirklich guter Job, sofern man Aufträge hat, dachte sie - und sie hatte Aufträge.
»Na los, Thomas!« Sie strich dem Kater vom Kopf über den langen, geschmeidigen Körper bis zur Schwanzspitze. »Dann wollen wir mal auspacken.«
Sie liebte es, sich einzurichten, und da die geräumige Wohnung über ein zweites Schlafzimmer verfügte, packte sie den ersten ihrer beiden Koffer vollständig aus, legte ihre Kleidung teils in die Spiegelkommode, teils hängte sie sie in den aufgeräumten begehbaren Kleiderschrank. Man hatte sie gewarnt: Thomas würde wahrscheinlich bei ihr im Bett schlafen wollen, aber damit hatte sie keine Schwierigkeiten. Und wie nett, dass die Kunden - vermutlich Macey - einen hübschen Strauß Freesien für sie auf den Nachttisch gestellt hatten! Lila mochte solche persönlichen Gesten - ganz gleich, ob sie ihr galten oder sie selbst sie anderen entgegenbrachte.
Sie hatte bereits beschlossen, später das große Badezimmer mit der geräumigen Dampfdusche und dem tiefen Whirlpool aufzusuchen. »Man darf mit solchen Annehmlichkeiten weder verschwenderisch noch missbräuchlich umgehen«, erklärte sie dem Kater, während sie ihre Toilettenartikel verstaute.
Da sich in ihren beiden Koffern fast ihr gesamter Besitz befand, überlegte sie sich sorgfältig, wo sie ihre Habseligkeiten am besten platzierte. Nachdem sie kurz nachgedacht hatte, richtete sie ihr Büro im Esszimmer ein, wobei sie ihren Laptop so hinstellte, dass sie New York im Blick hatte, wenn sie den Kopf hob. In einer kleineren Wohnung hätte es ihr nichts ausgemacht, dort zu arbeiten, wo sie auch schlief, aber nachdem hier reichlich Platz war, machte sie eben auch Gebrauch davon.
Sämtliche Küchengeräte, die Fernbedienungen, die Alarmanlage waren ihr erklärt worden - die Wohnung verfügte über eine technische Ausstattung, die dem Nerd in ihr regelrecht in die Karten spielte.
In der Küche fand sie eine Flasche Wein vor, eine hübsche Schale mit frischem Obst und eine gut sortierte Käseplatte. Auf Maceys Briefpapier mit Monogramm stand handschriftlich:
Viel Spaß bei uns zu Hause!
Jason, Macey und Thomas
Wie nett!, dachte Lila. Hier würde sie bestimmt viel Spaß haben.
Sie entkorkte die Flasche, schenkte sich ein Glas Wein ein, nahm einen Schluck und nickte anerkennend. Dann griff sie zu ihrem Fernglas und trat mit dem Weinglas in der anderen Hand auf die Terrasse, um die Aussicht zu bewundern.
Ihre Kunden wussten genau, wie sie den ihnen zur Verfügung stehenden Raum am besten nutzten, dachte sie: ein paar Stühle mit weichen Kissen, eine Steinbank, ein Glastisch - und Kübel voller Blühpflanzen, hübsche rote Kirschtomatenrispen, duftende Kräuter, die Lila ernten und verwenden durfte.
Sie setzte sich, zog Thomas auf ihren Schoß, nahm einen weiteren Schluck Wein und strich der Katze über das seidige Fell.
»Ich wette, sie sitzen oft hier draußen, trinken was oder frühstücken. Sie haben einen glücklichen Eindruck gemacht. Und die Wohnung vermittelt einem ein gutes Gefühl. Das merkt man.« Sie kitzelte Thomas unterm Kinn, und seine leuchtend grünen Augen bekamen einen verträumten Ausdruck. »In den ersten paar Tagen wird sie noch häufiger anrufen oder E-Mails schicken, deshalb machen wir am besten ein paar Fotos von dir, Baby, und schicken sie ihr, damit sie sieht, dass es dir gut geht.«
Sie stellte das Weinglas ab, hob das Fernglas an die Augen und ließ ihren Blick über die umliegenden Gebäude schweifen. Der Wohnkomplex nahm einen ganzen Block ein und gewährte ihr Einblicke in andere Leben.
Andere Leben faszinierten sie.
Eine große Frau etwa in Lilas Alter lief mit dem Handy am Ohr in einem kleinen Schwarzen auf und ab, das sich wie eine zweite Haut um ihren modeldünnen Körper schmiegte. Glücklich wirkt sie nicht, dachte Lila. Vielleicht eine abgesagte Verabredung. Er muss länger arbeiten, sagt er, fügte Lila in Gedanken hinzu und ließ die Szene in Gedanken Revue passieren. Und sie ist seine Ausflüchte allmählich leid.
Ein paar Stockwerke darüber saßen zwei Paare in einem Wohnzimmer - Kunst an den Wänden, schicke, moderne Möbel - und lachten über irgendwas. So wie es aussah, hatten sie ein paar Martinis vor sich stehen. Offensichtlich mochten sie die Sommerhitze nicht annähernd so gern wie Lila oder Thomas, sonst hätten sie auf der kleinen Terrasse gesessen. Alte Freunde, dachte sie, die sich oft trafen und hin und wieder sogar gemeinsam Urlaub machten.
Ein weiteres Fenster eröffnete ihr den Blick auf einen kleinen Jungen, der sich mit einem weißen Hundewelpen auf dem Boden wälzte. Die Freude der beiden lag förmlich in der Luft, und Lila musste lachen. »Er hat sich schon ewig einen kleinen Hund gewünscht - wobei in seinem Alter die Ewigkeit wahrscheinlich eher nur ein paar Monate betrug -, und heute haben seine Eltern ihn endlich überrascht. Er wird sich sein ganzes Leben lang an diesen Tag erinnern, und eines Tages wird er seinen kleinen Sohn oder seine Tochter auf die gleiche Weise überraschen.« Zufrieden, die Besichtigung mit dieser Erkenntnis abschließen zu können, setzte Lila das Fernglas wieder ab. »Okay, Thomas, jetzt gehen wir rein und arbeiten ein paar Stunden. Ich weiß, ich weiß«, fuhr sie fort, setzte ihn zu Boden und nahm das halb volle Glas Wein in die Hand, »die meisten Leute haben ihre Arbeit für heute getan. Sie gehen abendessen, treffen sich mit Freunden - oder sie zicken rum, weil sie nun doch nicht ausgehen, wie die Killerblondine in dem schwarzen Kleid. Aber es ist nun mal so .« Sie wartete, bis der Kater vor ihr in die Wohnung gehuscht war. »Ich kann meine Arbeitszeit frei einteilen. Das ist ja das Schöne.«
Aus dem Korb mit Katzenspielzeug im Küchenschrank wählte sie einen Ball - einen bewegungsgesteuerten - und ließ ihn über den Fußboden kullern. Sofort sprang Thomas darauf zu, kämpfte damit, schlug mit der Pfote danach und rannte ihm nach.
»Wenn ich eine Katze wäre«, spekulierte sie, »wäre ich auch verrückt danach.«
Während Thomas vor sich hin spielte, griff sie nach der Fernbedienung und schaltete das Radio ein. Sie notierte sich, welcher Sender lief, damit sie ihn wieder einstellen konnte, bevor die Kilderbrands zurückkamen. Dann schaltete sie von Jazz auf Pop um.
Das Homesitting bescherte ihr ein Dach über dem Kopf, und es war interessant, ja, manchmal sogar abenteuerlich. Ihren Lebensunterhalt jedoch verdiente sie mit Schreiben. In den ersten beiden Jahren in New York hatte sie sich als freiberufliche Autorin - und mit Kellnern - über Wasser gehalten. Nachdem sie aber mit dem Homesitting angefangen hatte - wobei sie es zunächst lediglich für ihre Freunde und für Freunde von Freunden gemacht hatte -, hatte sie endlich genug Zeit und Gelegenheit gefunden, um an ihrem Roman zu arbeiten.
Ganz zufällig war sie irgendwann im Haus einer Lektorin gelandet, die sofort Interesse an ihrem Manuskript gezeigt hatte. Der erste Roman, Mondaufgang, hatte sich sogar ganz anständig verkauft. Er war zwar kein Riesenbestseller gewesen, ging aber immer noch verhältnismäßig konstant über den Ladentisch und hatte ihr eine nette kleine Fangemeinde in der Zielgruppe der Vierzehn- bis Achtzehnjährigen beschert, für die sie schrieb. Der zweite Roman würde im Oktober in die Buchhandlungen kommen, und sie drückte sich selbst die Daumen, dass auch er sich gut verkaufen würde.
Im Moment allerdings musste sie sich auf Band drei der Serie konzentrieren.
Sie zwirbelte ihr langes braunes Haar am Hinterkopf zusammen und befestigte es mit einer großen Schildpattspange. Während Thomas fröhlich dem Ball hinterherjagte, setzte sie sich mit ihrem halb gefüllten Glas Wein und einem...
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