1. KAPITEL
Fünf Meilen nördlich von Friendly saß Max T. Johnson auf einem abgewetzten Sessel in Annies Café. Er hatte ein Malzbier vor sich stehen und hörte mit halbem Ohr auf die abgehackten Töne, die aus Annies Transistorradio quäkten. »Frauen leben, um zu leiden«, klagte der hoffnungsvolle Schlagernachwuchs. Max, der von Frauen nicht allzu viel verstand, hatte nichts dagegen einzuwenden.
Er war auf dem Heimweg nach Friendly, nachdem er auf einer Ranch eine Beschwerde überprüft hatte. Schafdiebstahl, dachte er, während er sein Malzbier trank. Hätte aufregend sein können, wenn was dran gewesen wäre. Rancher Potts hingegen war zu alt. Er konnte sich nicht mehr darauf besinnen, wie viele Schafe er ursprünglich besessen hatte. Der Sheriff hat gewusst, dass es blinder Alarm ist, dachte er verdrießlich. In dem schlauchartigen kleinen Lokal mit dem Dunst gebratener Frikadellen und Zwiebeln in der Luft brütete er finster über die Ungerechtigkeiten der Welt.
In Friendly, New Mexico, gab es nichts Aufregenderes, als samstagnachts den alten Silas nach Hause zu bringen, wenn er in betrunkenem Zustand randalierte. Max T. Johnson war zu spät auf die Welt gekommen. Hätte er vor hundert Jahren gelebt, hätte er die Chance gehabt, wilde Desperados einzufangen, in einem großen Polizeiaufgebot mitzureiten oder Revolverhelden den Garaus zu machen – alles Dinge, zu denen ein damaliger Hilfssheriff verpflichtet war. Ich aber sitze in diesem trübseligen Nest, dachte er, bin vierundzwanzig Jahre alt und meine größte Festnahme waren die Kramer-Zwillinge, nachdem sie die örtliche Badeanstalt kurz und klein gehauen hatten.
Max kratzte sich an der Oberlippe, wo er ohne viel Erfolg versuchte, sich einen respektablen Schnurrbart wachsen zu lassen. Der beste Teil des Lebens liegt hinter mir, dachte er resigniert. Ich werde niemals mehr als ein kleiner Hilfssheriff sein, der in einer gottverlassenen Gegend nach eingebildeten Schafen jagt.
Wenn doch nur ein einziges Mal jemand die Bank ausrauben würde! Von dieser Minute träumte er, sah sich selbst inmitten einer rasenden Verfolgungsjagd und wilden Schießerei. Tja, das war was, Jungs. Und anschließend sein Foto in der Zeitung abgelichtet, möglichst mit einer auffälligen Fleischwunde an der Schulter. Eine tolle Vorstellung. Er müsste den Arm einige Tage in der Schlinge tragen, und die Leute würden ihn ehrfürchtig anstaunen. Stattdessen saß er in diesem elenden Schuppen, und weit und breit passierte nichts. Wenn der Sheriff ihm wenigstens gestatten würde, einen Revolver zu tragen …
»Also, Max T., was ist? Willst du hier den ganzen Tag herumträumen oder dein Bier bezahlen?«
Max riss sich in die Wirklichkeit zurück und kam hastig auf die Beine. Vor ihm stand Annie, die Hände auf die ausladenden Hüften gestemmt, den üppigen Busen herausfordernd vorgeschoben. Sie hatte kleine schwarze Augen, blühende Haut und eine erstaunliche Fülle erdbeerroter Haare. Max hingegen war kein großer Frauenheld.
»Muss zurück«, murmelte er und angelte nach seiner Brieftasche. »Sheriff braucht meinen Report.«
Annie stieß einen kurzen Schnaufer aus und hielt die Hand mit der feuchten Handfläche auf. Nachdem sie den zerknüllten Geldschein an sich gerissen hatte, steuerte Max hinaus, ohne nach dem Wechselgeld gefragt zu haben.
Die Sonne war ein gleißendes Strahlenmeer. Max verengte die Augen gegen das grelle Licht. Die Hitze hatte den Straßenbelag wellenförmig aufgeweicht und ließ ihn fast flüssig schimmern. Es war glühend heiß und staubig. Zu beiden Seiten des Straßenbandes erstreckte sich die öde Landschaft, in der es nichts als Felsen und Sand und ein paar unnachgiebige Grasflecken gab. Keine Wolke, die das harte Blau des Himmels unterbrach oder das strömend weiße Licht der Sonne filterte.
Max zog die Hutkrempe über die Augenbrauen, als er auf seinen Dienstwagen zuging. Ich wünschte, ich hätte den Nerv gehabt, Annie um das Wechselgeld zu bitten, dachte er missmutig. Sein Hemd war feucht und klebrig, bevor er den Griff der Wagentür zu fassen bekam.
In diesem Augenblick sah er, wie sich die Sonne auf der Windschutzscheibe und dem Chrom eines nahenden Autos spiegelte. Es war noch etwa eine Meile entfernt. Während er seine Taschen nach den Autoschlüsseln abklopfte, beobachtete er mit abwesender Miene das näher kommende Fahrzeug. Gleich darauf riss er vor Bewunderung die Augen auf.
Menschenskind, war das ein Auto! Eins von diesen irrsinnig teuren ausländischen Luxusausführungen. Alles rot und glitzernd. Ohne Aufenthalt zischte die Nobellimousine wie der Blitz an ihm vorbei. Max starrte ihr verzückt hinterher. Donnerwetter! dachte er. So was sieht man sonst höchstens im Fernsehen. Eine Wucht von Auto. Muss spielend seine zweihundertfünfzig schaffen. Hat wahrscheinlich eins von diesen Luxus-Armaturenbrettern drin.
Blitzartig wurde Max wachsam. Die Geschwindigkeit! Der Kerl fuhr ganz sicher hundertfünfzig – mindestens …
Ins Polizeiauto springen und den Motor starten war eins. Dann stellte Max die Sirene an und preschte mit dampfenden Reifen und spuckendem Kies über die Piste. Er war im siebenten Himmel.
Phil war Meilen und Meilen ohne Pause durchgefahren. Im Verlauf der ersten Etappe seines Abstechers hatte er über Autotelefon eine komplizierte Unterhaltung mit seinem Produzenten in Los Angeles geführt. Er war abgespannt und verstimmt. Die staubgraue Landschaft und die endlos sich dehnende Straße verstimmten ihn noch mehr.
Bis jetzt war der Trip eine Vergeudung gewesen. Er hatte fünf verschiedene Städte im Südwesten New Mexicos überprüft. Keine hatte seinen Vorstellungen entsprochen. Sollte sich das Blatt nicht wenden, würden sie letztlich doch Dekorationen aufbauen müssen. Es war nicht sein Stil. Wenn Phillip Kincaid bei einem Film Regie führte, legte er größten Wert auf Lebensechtheit.
Im Augenblick war er auf der Suche nach einer öden, staubigen Kleinstadt, die so aussah, als läge sie in einem gottverlassenen Niemandsland. Er wollte herabblätternde Farbe, vernachlässigte Häuser, schmutzige Wege sehen. Er suchte einen Ort, dem jeder zu entfliehen suchte und nie zurückzukehren wünschte.
Drei lange heiße Tage hatte Phil Kincaid beim Ausschauhalten verbracht, aber nichts hatte ihn zufriedengestellt. Gewiss, er hatte ein paar graue Provinzstädte ausfindig gemacht, ein wenig welk, ein wenig ungeeignet zum Daueraufenthalt, aber sie besaßen nicht diese gewisse Atmosphäre, die er brauchte. Als Filmregisseur – überdies sehr erfolgreicher Regisseur amerikanischer Filme – vertraute Phillip Kincaid seinem sechsten Sinn, bevor er sich mit Details befasste. Er brauchte eine Stadt, die ihm einen Schlag in die Magengrube versetzte. Und die Zeit wurde knapp.
Er vernahm das Heulen der Polizeisirene mit gemäßigtem Interesse. Beim Blick in den Rückspiegel sah Phil ein schmutziges, verbeultes Fahrzeug, das einmal weiß gewesen war. Es hielt begeistert auf ihn Kurs. Phil fluchte, erwog kurz, aufs Gaspedal zu treten, um der staubigen Plage zu entgehen. Dann trat er resignierend auf die Bremse. Der Hitzestoß, der ihm beim Herabkurbeln des Seitenfensters entgegenschlug, war kaum geeignet, seine Stimmung zu verbessern. Lausige Gegend, dachte er und stellte den Motor ab. Ekelhaftes Staubloch. Was er brauchte, war ein Bad im eigenen, lagunenartigen Swimmingpool und einen eiskalten Drink.
Unterdes kletterte Max freudig erregt aus seinem Auto. Den Strafzettelblock in der Hand. Herrschaft, ist das eine Maschine! dachte er wieder. Wohl das luxuriöseste Stück, das er außerhalb der Mattscheibe zu sehen bekam.
Der Fahrer enttäuschte ihn auf den ersten Blick. Er sah nicht wie ein Ausländer aus, nicht einmal stinkreich. Sein Auge übersah die goldene Schweizer Uhr am linken Handgelenk, blieb auf dem T-Shirt und den Jeans haften. Muss einer von diesen Exzentrikern sein, stellte er fest. Vielleicht hat er den Wagen auch gestohlen. Bei diesem Gedanken stieg sein Blutdruck. Er sah sich das Gesicht des Mannes näher an.
Es war hager und leicht aristokratisch. Ein gut geformter Kopf, eine gerade Nase. Der Mann lächelte nicht, wirkte eher leicht gelangweilt. Er war glatt rasiert, hatte markante Wangenfalten. Die Haare schienen von anspruchslosem Braun. Sie waren ein wenig lang und lockten sich über den Ohren. In dem sonnengebräunten Gesicht fielen die Augen besonders auf. Sie waren von fesselnd klarem Wasserblau. Nein, der Mann am Steuer hatte nicht das Aussehen eines gehetzten Autodiebs.
»Ja?«
Die frostige Einzelsilbe brachte Max auf seinen beruflichen Daseinszweck zurück. »In Eile?«, fragte er und nahm das an, was der Sheriff die strenge Polizistenhaltung genannt haben würde.
»Ja.«
Bei dieser Antwort trat Max von einem Fuß auf den anderen. »Zulassung und Führerschein«, sagte er munter und lehnte sich dichter ans Fenster, als Phil in das Handschuhfach griff. »Duftes Armaturenbrett! Alles dran und noch ein paar Extras. Ja und ein Telefon, ’n richtiges Telefon im Auto. Diese französischen Modelle sind schon Spitze.«
Phil warf ihm einen nachsichtigen Blick zu. »Deutsche«, korrigierte er und händigte Max seinen Kraftfahrzeugschein aus.
»Deutsche?«, runzelte Max zweifelnd die Stirn. »Sind Sie sicher?«
»Ja.« Phil entnahm seiner Brieftasche den Führerschein und reichte auch diesen durch das offene Seitenfenster. Die Hitze strömte erbarmungslos herein.
Max nahm die Papiere entgegen. »Dies ist Ihr Wagen?«, fragte er argwöhnisch.
»Wie Sie dem Namen auf dem Kraftfahrzeugschein entnehmen können«, erwiderte Phil kühl, was...