Schweitzer Fachinformationen
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Als Kelsey den Brief aus ihrem Briefkasten nahm, konnte sie nicht ahnen, daß er von einer Toten stammte. Das cremefarbene Briefpapier, die ordentlich von Hand geschriebene Adresse und der Poststempel des Staates Virginia erschienen ihr so alltäglich, daß die den Brief einfach mitsamt der restlichen Post auf den alten Teetisch unter ihrem Wohnzimmerfenster legte, während sie aus ihren Schuhen schlüpfte
Dann ging sie in die Küche und schenkte sich ein Glas Wein ein. Das wollte sie in aller Ruhe genießen, ehe sie ihre Post öffnete. Nicht daß sie den Drink gebraucht hätte, um sich für das Lesen der Post in dem schmalen Umschlag, die Reklamesendungen, die Rechnungen oder die bunte Postkarte, die ihr eine Freundin von einer Urlaubsreise in die Karibik geschickt hatte, zu wappnen.
Das kleine Päckchen, das den Absender ihres Rechtsanwaltes trug, hatte sie aus dem Gleichgewicht gebracht. Es konnte nur ihre Scheidungsunterlagen enthalten; die offizielle Urkunde, die Kelsey Monroe wieder in Kelsey Byden, eine verheiratete Frau, in eine alleinstehende, geschiedene Frau verwandelte.
Sie wußte, daß es töricht war, so zu denken. Schließlich war sie die letzten zwei Jahre mit Wade nur auf dem Papier verheiratet gewesen, fast ebensolange wie ihre Ehe gedauert hatte.
Doch das Dokument besiegelte das Scheitern ihrer Verbindung mit einer lähmenden Endgültigkeit; viel mehr, als dies die tränenreichen Auseinandersetzungen, die Trennung, die Anwaltsgebühren und die juristischen Formalitäten vermocht hatten
Bis daß der Tod uns scheidet, dachte sie erbittert und nippte an ihrem Wein. Was für ein Unsinn! Wenn dem so wäre, hätte sie im Alter von sechsundzwanzig Jahren dahinscheiden müssen. Statt dessen war sie ausgesprochen lebendig und munter, bei guter Gesundheit und für den Markt der Singles wieder verfügbar.
Allein der Gedanke ließ sie schaudern.
Vermutlich war Wade ausgegangen und feierte zusammen mit seiner hübschen, stets nach der neuesten Mode gekleideten Kollegin Lari aus der Werbeagentur das Ende seiner Ehe. Mit derselben Kollegin, mit der er eine Affäre gehabt hatte; eine Affäre, die, wie er seiner überraschten und vor Wut kochenden Frau erklärte, nichts mit ihr oder ihrer Ehe zu tun hatte.
Seltsamerweise hatte Kelsey die Dinge anders gesehen. Zwar dachte sie weder selbst das Zeitliche zu segnen noch Wade ins Jenseits zu befördern, um eine Trennung zu ermöglichen, doch hatte sie ihr Ehegelübde sehr ernstgenommen. Und Treue stand dabei an erster Stelle.
Nein, nach Kelseys Meinung hatte die lebhafte, zierliche Lari mit dem aerobicgestylten Körper und dem süßen Lächeln sogar ziemlich viel mit ihr zu tun.
Eine zweite Chance hatte es für Wade nicht gegeben. Sein Ausrutscher, wie er es zu formulieren beliebte, sollte sich nicht wiederholen. Kelsey war auf der Stelle aus dem schönen Stadthaus in Georgetown ausgezogen und hatte alles, was sie im Laufe ihrer Ehe zusammen angeschafft hatten, zurückgelassen.
Zwar empfand sie es als demütigend, in das Haus ihres Vaters und ihrer Stiefmutter zurückkehren zu müssen, doch auch ihrem Stolz waren Grenzen gesetzt. Genau wie ihrer Liebe. Und diese Liebe war in dem Moment erloschen, in dem sie Wade und Lari in einer Hotelsuite in Atlanta überrascht hatte.
Eine nette Überraschung, dachte Kelsey höhnisch. Nun, alle drei Beteiligten waren unangenehm berührt gewesen, als sie mit einer Reisetasche und der lächerlich romantischen Vorstellung, das Wochenende mit Wade zu verbringen und ihm so seine Geschäftsreise zu versüßen, in die Suite hereingeschneit war.
Vielleicht war sie ja wirklich streng, unnachgiebig und hartherzig - alles Eigenschaften, derer Wade sie beschuldigt hatte, als sie sich weigerte, die Scheidungsklage zurückzuziehen. Aber dennoch war sie im Recht gewesen, wie Kelsey sich selbst bestärkte.
Sie leerte ihr Glas und ging in das makellos aufgeräumte Wohnzimmer zurück. Nicht ein einziger Stuhl, nicht eine einzige Kerze in dem sonnendurchfluteten Raum stammte aus dem Haus in Georgetown. Eine klare, saubere Trennung. Das hatte sie gewollt, und das hatte sie auch bekommen. Die kühlen Farben hatte sie gewählt, und die Kunstdrucke, von denen sie nun umgeben war, gehörten ausschließlich ihr allein.
Um Zeit zu gewinnen, schaltete sie die Stereoanlage ein und legte eine CD auf. Beethovens Pathétique erfüllte den Raum. Ihr Vater hatte ihre Liebe zur klassischen Musik geweckt; eine ihrer zahlreichen gemeinsamen Interessen. Gemeinsam war ihnen beiden vor allem ein unstillbarer Wissensdurst, und Kelsey wußte, daß sie auf dem besten Wege gewesen war, zur ewigen Studentin zu werden, bis sie ihre erste feste Stelle bei Monroe Associates angetreten hatte.
Sogar während dieser Zeit konnte sie der Versuchung nicht widerstehen, eine Vielzahl von Kursen, angefangen bei Anthropologie bis hin zur Zoologie, zu belegen. Wade hatte sie ausgelacht, offenbar fasziniert und belustigt zugleich über ihre ruhelose Sprunghaftigkeit, die sie von Kurs zu Kurs, von Job zu Job trieb.
Nach der Hochzeit hatte sie bei Monroe gekündigt. Ihr Treuhandvermögen und Wades Einkommen machten einen festen Job überflüssig. Lieber widmete sie sich voll und ganz dem Umbau und der Renovierung ihres neu erworbenen Hauses. Sie hatte Farbe abgekratzt, Fußböden poliert, in staubigen Antiquitätenläden herumgestöbert, um das passende Möbelstück für eine bestimmte Stelle zu finden - und jede Stunde genossen. Den kleinen Hof in einen typischen englischen Garten zu verwandeln bereitete ihr das reinste Vergnügen. Binnen eines Jahres hatte sie das Haus in ein Schmuckstück verwandelt; Zeugnis ihres Geschmacks, ihrer Anstrengungen und ihrer Geduld.
Nun war es nichts weiter als ein Vermögenswert, der zwischen ihr und Wade aufgeteilt werden mußte.
Kelsey ging zurück an die Universität, jenen akademischen Hafen, wo es ihr möglich war, den Alltag für einige Stunden zu vergessen. Nun arbeitete sie dank ihrer kunstgeschichtlichen Kenntnisse halbtags in der National Gallery.
Dabei hatte sie es nicht nötig, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Der Treuhandfonds ihres Großvaters väterlicherseits ermöglichte ihr ein sorgenfreies Leben, so daß es ihr freistand, ihren ständig wechselnden Interessen nachzugehen.
Jetzt war sie also eine unabhängige Frau. Jung, dachte Kelsey, und, mit einem Blick auf den Stapel Post, alleinstehend, mit vielfältigen Kenntnissen, aber ohne fundierte Ausbildung. Wofür sie ihrer Meinung nach die besten Voraussetzungen mitbrachte, nämlich für eine gute Ehe, hatte sich als völliger Fehlschlag erwiesen.
Kelsey atmete vernehmlich aus, ging langsam zu dem Tischchen und tippte mit den Fingerspitzen auf das amtlich aussehende Päckchen. Sie hatte lange, schlanke Finger; Finger, die Klavier spielen und zeichnen konnten. Finger, die gelernt hatten, eine Schreibmaschine zu bedienen, köstliche Mahlzeiten zuzubereiten und einen Computer zu programmieren, und an einem dieser Finger hatte einst ein Ehering gefunkelt.
Kelsey überging den dicken Umschlag und ignorierte die kleine Stimme in ihrem Kopf, die ihr das Wort Feigling zuzischelte. Statt dessen griff sie nach einem Brief, dessen Umschlag eine ihrer eigenen verblüffend ähnliche Handschrift trug, kühn geschwungen und gut leserlich. Ohne übergroße Neugier riß sie ihn auf.
Liebe Kelsey, du bist bestimmt überrascht, von mir zu hören.
Als sie weiterlas, verwandelte sich ihr flüchtiges Interesse in Schrecken, der Schrecken in Ungläubigkeit und die Ungläubigkeit in eine Empfindung, die Angst am nächsten kam.
Sie hielt die Einladung von einer Toten in der Hand. Und diese Tote war ihre Mutter.
Solange Kelsey zurückdenken konnte, hatte sie sich in Krisenzeiten stets an ihren Vater gewandt. Die Liebe und das Vertrauen, das die ihm entgegenbrachte, waren das einzig Beständige an ihrer sonst so unbeständigen Natur. Er war immer für sie da, weniger als ein rettender Hafen im Sturm, sondern eher als jemand, bei dem sie Halt fand, bis der Sturm abebbte.
Ihre frühesten Kindheitserinnerungen galten ihm, seinem angenehmen, ernsten Gesicht, seinen sanften Händen, seiner ruhigen, geduldigen Stimme. Er hatte Schleifen in ihr langes, glattes Haar geflochten oder die hellblonden Strähnen ausgekämmt, während Musik von Bach oder Mozart aus der Stereoanlage klang. Er war es gewesen, der Pflaster auf ihre aufgeschürften Knie klebte, der ihr Lesen und Fahrradfahren beibrachte, der ihre Tränen trocknete.
Kelsey betete ihren Vater an und war ungeheuer stolz auf ihn, als er zum Dekan der Englischen Fakultät der Georgetown University ernannt wurde.
Als er wieder heiratete, verspürte sie keinerlei Eifersucht. Damals war sie achtzehn und froh, daß er jemanden gefunden hatte, den er liebte und mit dem er sein Leben teilen wollte. So räumte sie Candace einen Platz in ihrem Heim und ihrem Herzen ein, heimlich stolz auf ihre Reife und ihr Verständnis. Wer hätte schon so ohne weiteres eine Stiefmutter und einen Stiefbruder im Teenageralter akzeptiert?
Wahrscheinlich hatte sie tief in ihrem Inneren immer gewußt, daß nichts und niemand das Band zwischen ihr und ihrem Vater zerreißen konnte.
Nichts und niemand, dachte sie nun, außer ihrer Mutter, die sie für tot gehalten hatte.
Sie kämpfte sich durch den dichten Berufsverkehr zu dem palastähnlichen Landsitz in Potomac, Maryland. In ihr stritt der Schock über den Betrug ihres Vaters mit einer kalten, nagenden Wut. Sie war ohne Mantel aus ihrem Apartment gestürzt und hatte nicht einmal die Heizung in ihrem Spitfire aufgedreht, doch sie spürte die Kälte des Februarabends kaum. Die innere Erregung hatte ihr Farbe ins Gesicht...
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