PROLOG
»Zieh das Tempo im Vorspiel an, Terence, Junge, du verschleppst es.« Frank O'Hara stand auf der Markierung, rechts auf der Bühne, bereit, die Eröffnungsnummer durchzugehen. Das dreiabendliche Engagement in Terre Haute stellte weder den Höhepunkt seiner Karriere dar, noch war es der Gipfel seiner Träume. Aber er würde dem Publikum eine Vorstellung geben, die ihr Eintrittsgeld wert war. Jeder unbedeutende Auftritt war die Generalprobe zum großen Durchbruch.
Er zählte das Tempo ein, dann tanzte er in die Nummer mit der Begeisterung eines Mannes, der halb so alt wie er war. Nach dem Kalender lag Franks Alter bei vierzig, aber seine Füße würden immer sechzehn sein.
Die kleine Nummer hatte er sich ausgedacht in der naiven Hoffnung, sie würde zum Markenzeichen der O'Haras. Am Klavier versuchte sein ältestes Kind und einziger Sohn, etwas Leben in eine Melodie zu bringen, die er schon unzählige Male gespielt hatte - und träumte von der großen weiten Welt.
Auf Stichwort wirbelte seine Mutter auf die Bühne und tanzte mit seinem Vater. Selbst nach endlosen Nummern, endlosen Theatern fühlte Terence immer noch den Stich der Zuneigung für sie. Genauso wie er nach endlosen Nummern, endlosen Theatern den mittlerweile vertrauten Stich der Frustration spürte.
Würde es immer so sein, zweitklassige Lieder auf zweitklassigen Klavieren zu hämmern, um die großen Träume seines Vaters zu erfüllen, die nicht einmal in der Hölle Hoffnung auf Erfüllung hatten?
Wie sie es den größten Teil ihres Lebens gemacht hatte, glich Molly ihre Schritte denen von Frank an. Sie hätte die Nummer mit verbundenen Augen tanzen können. Ihre Gedanken waren dabei ganz bei ihrem Sohn.
Der Junge ist nicht glücklich, dachte sie. Und aus dem Kind war ein Mann geworden, der danach strebte, seinen eigenen Weg zu gehen. Es war diese Tatsache, das wusste sie, die Frank so viel Angst einjagte, dass er sich weigerte, sie überhaupt zur Kenntnis zu nehmen.
Die Auseinandersetzungen waren häufiger geworden, hitziger. Bald, dachte sie, zu bald, wird etwas explodieren, und vielleicht bin ich nicht in der Lage, alle Stücke zu kitten.
Kick, Spitze, Ballen, neigen. Ihre drei Töchter steppten auf die Bühne. Da ihr Herz Franks nahe war, fühlte Molly, wie es vor Stolz anschwoll. Sein Stolz und seine Hoffnung gründeten sich darauf, dass er immer noch der jugendliche Träumer war, in den sie sich vor so langer Zeit verliebt hatte.
Während Molly und Frank von der Bühne tanzten, ging die Nummer glatt in den Eröffnungssong über. Die O'Hara-Drillinge - Caroline, Alana und Madeline - stürzten sich in die dreistimmige Melodie, als wären sie zum Singen geboren.
Praktisch waren sie es auch, dachte Molly. Aber wie Terence waren sie keine Kinder mehr. Caroline, die alle Carrie nannten, benutzte schon Köpfchen und Tricks, um die Männer im Publikum zu faszinieren. Alana, beständig und ruhig, kam gerade in die Jahre. Und es würde nicht mehr lange dauern, bis sie Madeline, Maddy, verloren. Als Mutter empfand Molly sowohl Stolz als auch Bedauern beim Gedanken, dass ihre Jüngste einfach zu viel Talent hatte, um noch lange Teil einer umherziehenden Truppe zu sein.
Doch jetzt war es Terence, der ihr Sorgen machte. Er saß am verkratzten Klavier in dem schäbigen kleinen Club, die Gedanken Tausende von Meilen entfernt. Sie hatte die Broschüren gesehen, die er sammelte. Fotos und Geschichten von Orten wie Sansibar, Neuguinea, Mazatlán in Mexiko. Auf den langen Zug- oder Busfahrten von einer Stadt zur anderen erzählte Terence von den Moscheen und Höhlen und Bergen, die er sehen wollte.
Und dann fegte Frank diese Träume wie Staub zur Seite, klammerte sich verzweifelt an seine eigenen - und an seinen Sohn.
»Nicht schlecht, Schätzchen.« Frank sprang zurück auf die Bühne und nahm seine Töchter in den Arm. »Terence, deine Gedanken sind nicht im Geringsten bei der Musik. Du musst Leben hineinpumpen.«
»In dieser Nummer ist seit Des Moines überhaupt kein Leben mehr.«
Vor einigen Monaten hätte Frank aufgelacht und seinem Sohn das Haar zerzaust. Doch jetzt spürte er den Stachel der Kritik, von Mann zu Mann. Eigensinnig reckte er das Kinn. »An dem Stück war noch nie etwas auszusetzen. Es ist dein Spiel, das zu wünschen übrig lässt. Zweimal hast du das Tempo verloren. Ich habe es satt, dich eingeschnappt vor den Tasten hocken zu sehen.«
In der Rolle der Friedensstifterin trat Alana zwischen ihren Vater und Bruder. Die wachsende Spannung machte sich seit Wochen als Reizbarkeit bemerkbar. »Wir sind alle etwas müde.«
»Ich kann für mich selbst sprechen, Alana. Und niemand hockt eingeschnappt vor den Tasten.«
»Ha!« Frank stieß Mollys zurückhaltende Hand weg. Himmel, der Junge ist groß, dachte Frank. Groß und aufrecht und fast ein Fremder. Aber Frank O'Hara hatte immer noch das Sagen, und es war Zeit, dass sein Sohn sich daran erinnerte. »Du bist in mieser Laune, seit ich dir gesagt habe, dass ein O'Hara nicht einfach nach Hongkong abhaut oder der Himmel weiß wohin, wie ein Zigeuner. Dein Platz ist hier, bei deiner Familie. Deine Verantwortung gehört der Truppe.«
»Das ist nicht meine verdammte Verantwortung.«
Frank zog die Augen zusammen. »Achte auf deinen Ton, Junge, du bist nicht so groß, dass ich dir nicht den Kopf waschen kann.«
»Es wird Zeit, dass jemand dir gegenüber diesen Ton anschlägt.« Jetzt brach aus Terence hervor, was er zu lange zurückgehalten hatte. »Jahr für Jahr spielen wir zweitklassige Songs in zweitklassigen Clubs.«
»Terence.« Maddy sprach ruhig und fügte einen bittenden Blick hinzu. »Nicht.«
»Nicht was? Ihm nicht die Wahrheit sagen? Er hört sowieso nicht zu, aber ich habe es wenigstens ausgesprochen. Ihr drei und Ma habt sie lange genug vor ihm verschleiert.«
»Anfälle von schlechter Laune sind so langweilig«, meinte Carrie blasiert, obwohl ihre Nerven straff angespannt waren. »Verdrücken wir uns doch einfach jeder in seine Ecke.«
»Nein.« Vor Wut zitternd, trat Frank von seinen Töchtern weg. »Dann mach weiter, sag, was du zu sagen hast.«
»Ich habe es satt, mit dem Bus ins Nirgendwo zu fahren und sich vorzumachen, der nächste Halt sei die goldene Leiter. Du schleppst uns von Stadt zu Stadt, Jahr für Jahr.«
»Euch schleppen?« Franks Gesicht lief rot an. »Ist es wirklich das, was ich tue?«
»Nein.« Molly trat vor, den Blick fest auf ihren Sohn gerichtet. »Nein, wir fahren alle freiwillig, weil es das ist, was wir wollen. Wenn es einer von uns nicht will, hat er ein Recht, es zu sagen, aber nicht, grausam zu sein.«
»Er hört nicht zu!«, schrie Terence. »Es ist ihm egal, was ich will oder nicht. Ich habe es dir gesagt, ich habe es dir gesagt.« Er fiel förmlich über seinen Vater her. »Jedes Mal, wenn ich versuche, mit dir zu reden, höre ich nur, wie wir die Familie zusammenhalten müssen, wie der große Durchbruch direkt hinter der Ecke liegt, obwohl da nichts anderes liegt als wieder ein lausiger Abendauftritt in einem dreckigen Club.«
Es war der Wahrheit zu nahe, dem zu nahe, was ihm ein Gefühl des Versagens geben würde. Wo er doch seiner Familie nur das Beste und Glänzendste geben wollte. Erregung war die einzige Waffe, die Frank hatte. Und er benutzte sie.
»Du bist undankbar und selbstsüchtig und dumm. Ich habe mein ganzes Leben gearbeitet, um dir den Weg zu pflastern. Um dir Türen zu öffnen, damit du hindurchtreten kannst. Nun ist das nicht gut genug.«
Terence spürte, wie die Tränen der Frustration in seinen Augen brannten, aber er wich nicht zurück. »Nein, es ist nicht gut genug, weil ich nicht durch deine Türen treten will. Ich will etwas anderes, ich will mehr, aber du bist so in deinen eigenen hoffnungslosen Träumen gefangen, dass du nicht merkst, wie ich sie hasse. Und je mehr du mich bedrängst, deinen Träumen zu folgen statt meinen eigenen, desto näher komme ich dazu, dich zu hassen.«
Terence hatte das nicht sagen wollen, und er erschrak selbst über seine bitteren Worte. Sein Vater erblasste, wurde alt, schien zu verfallen. Wenn Terence die Worte hätte zurücknehmen können, er hätte es versucht. Aber es war zu spät.
»Dann folge deinen Träumen«, sagte Frank mit einer vor Gefühlen rauen Stimme. »Geh, wohin sie dich führen. Aber komm nicht zurück, Terence O'Hara. Komm nicht zu mir zurück, wenn sie dich kaltlassen. Für dich wird kein gemästetes Kalb geschlachtet.«
Er marschierte links von der Bühne ab.
»Er hat es nicht so gemeint«, sagte Alana hastig und nahm Terences Arm. »Du weißt, er hat es nicht so gemeint.«
»Beide haben es bestimmt nicht so gemeint.« Hilflos blickte Maddy zu ihrer Mutter.
»Sie müssen sich nur abkühlen.« Trotz ihres Hangs zum Dramatischen war Carrie erschüttert. »Komm schon, Terence, wir machen einen Spaziergang.«
»Nein.« Mit einem kleinen Seufzer schüttelte Molly den Kopf. »Ihr Mädchen geht jetzt, lasst mich mit Terence reden.« Sie wartete, bis sie allein waren, dann setzte sie sich auf die Klavierbank. Sie fühlte sich alt und müde. »Ich weiß, du bist unglücklich«, begann sie ruhig. »Und du verschließt vieles in dir. Ich hätte deswegen etwas tun müssen.«
»Es ist nicht deine Schuld.«
»Meine so sehr wie seine, Terence. Das, was du gesagt hast, hat ihn tief getroffen. Und die Narbe wird so schnell nicht verheilen. Ich weiß, einiges wurde in der Erregung gesagt, aber anderes war wahr.« Sie blickte auf und musterte ihren erstgeborenen und...