Schweitzer Fachinformationen
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ERSTES KAPITEL
Der Quell aller Dinge, das Leuchten, erscheint in so mannigfacher Gestalt wie die Sterne am Himmel. Ein guter Gedanke reicht aus, um es erstrahlen zu lassen. Doch ein einziger Fehler kann die wilden Wälder im Herzen verbrennen und alle Sterne an allen Himmeln verdunkeln. Und während jener Fehler noch wütet und man auf zerstörte Liebe oder verlorene Zuversicht blickt, mag man glauben, alles wäre vergebens und man wäre am Ende.
Doch das ist falsch. Es geht immer weiter. Was du auch tust, wo du auch in die Irre gingst - das Leuchten verlässt dich nie. Alles Gute, was im Inneren erstirbt, kann zu neuem Leben erstehen, wenn nur dein Wille stark genug ist. Das Herz kann nicht aufgeben, denn es kann nicht lügen. Man blickt unversehens auf, stürzt ins Lächeln eines wundervollen Menschen, und die Suche beginnt aufs Neue. Sie ist nie wie zuvor. Sie ist immer anders. Doch die jungen Wälder, die in einem versehrten Herzen heranwachsen, sind manchmal kräftiger und üppiger als vor dem Feuer. Wenn du dort verweilst, in diesem inneren Leuchten, an diesem neuen Ort des Lichts, wenn du alles verzeihst und niemals aufgibst, wirst du dich früher oder später wiederfinden, wo aus Liebe und Schönheit die Welt entstand: am Anfang. Am Anfang. Am Anfang.
»Hey, Lin! Starker Anfang für den Tag!«, hörte ich Vikrams Stimme von irgendwoher aus dem dunklen, stickigen Raum. »Wie hast du mich gefunden? Seit wann bist du wieder da?«
»Gerade angekommen«, antwortete ich und blieb in der breiten Flügeltür zur Veranda stehen. »Einer der Jungs sagte, du bist hier. Komm kurz raus.«
»Nee, nee, komm du rein, Mann!«, lachte Vikram. »Du musst diese Jungs hier kennenlernen!«
Ich zögerte. Meine Augen, geblendet vom Himmel, sahen in dem dunklen Raum nur klobige Schatten und zwei Schwerter aus Sonnenlicht, die durch geschlossene Jalousien drangen und träge wirbelnde Wolken aus Rauch durchbohrten. Die Luft roch nach würzigem Haschisch und dem verbrannten Vanillearoma von braunem Heroin.
Wenn ich an diesen Tag zurückdenke, an den rauchigen Geruch der Drogen, an die Schatten, das scharf glimmende Licht in der Dunkelheit dieses Zimmers, frage ich mich, ob mich Vorahnung dort auf der Schwelle hielt. Und ich frage mich, wie mein Leben wohl verlaufen wäre, hätte ich mich damals abgewandt und das Weite gesucht.
Entscheidungen, die wir treffen, sind Äste am Baum der Möglichkeiten. Nach diesem Tag wurden Vikram und die Fremden in jenem Raum drei Monsune lang neue Äste in einem Wald, den wir eine Zeitlang gemeinsam durchstreiften - in einer Stadtwildnis aus Liebe, Tod und Auferstehung.
Nach dem Zögern, diesem Augenblick, der mir damals nicht bedeutsam erschien, trat Vikram aus der Dunkelheit, packte mich am Arm und zog mich in den düsteren Raum. Und ich erinnere mich noch genau an mein Frösteln, als seine schweißnasse Hand meine Haut berührte.
An der linken Wand des großen, rechteckigen Zimmers stand ein gewaltiges Bett, etwa drei Meter lang, auf dem ein Mann lag, der wie tot wirkte. Der Mann trug einen silbrigen Pyjama, die Hände waren auf der Brust gefaltet.
Soweit ich erkennen konnte, bewegte sich die Brust des Mannes nicht. Neben der reglosen Gestalt saß links und rechts jeweils ein Mann auf der Bettkante und füllte ein Chillum.
An der Wand über dem toten oder tief schlafenden Mann hing ein ausladendes Gemälde von Zarathustra, dem Propheten der Parsen.
Als meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten, erkannte ich zwei wuchtige antike Kommoden an der Wand gegenüber, flankiert von drei breiten Sesseln. In jedem der Sessel saß ein Mann.
Am Boden lag ein großer, wertvoller Perserteppich, an den Wänden hingen Fotografien von Menschen in der traditionellen Kleidung der Parsen. Rechts von mir, dem Bett gegenüber, stand eine Hi-Fi-Anlage auf einer Kommode mit Marmorplatte. An der Decke rotierten zwei Ventilatoren so langsam, dass die Rauchschwaden im Zimmer gänzlich unberührt davon blieben.
Vikram führte mich am Bett vorbei zu dem ersten der drei Sessel. Der Mann, der darin saß, war wie ich Ausländer, aber erheblich größer als ich; sein Oberkörper und seine Beine waren extrem lang, und er hing so lässig in dem Sessel, als entspanne er sich in einem heißen Bad. Ich schätzte den Mann auf etwa fünfunddreißig.
»Das ist Concannon«, sagte Vikram und schob mich vorwärts. »Er ist in der IRA.«
Die Hand, die meine ergriff, war warm, trocken und sehr kräftig.
»Scheiß auf die IRA!«, sagte Concannon. »Ich bin ein Ulster-Mann, von der UDF. Aber dass ein heidnisches Arschloch wie Vikram das kapiert, kann man wohl nicht erwarten, wie?«
Mir gefiel das kraftvolle Funkeln in seinen Augen. Die kraftvollen Worte in seinem Mund gefielen mir nicht im Mindesten. Ich zog meine Hand zurück und nickte knapp.
»Wenn der redet, hört man am besten weg«, sagte Vikram. »Faselt einen Haufen wirren Dreck. Aber ich hab noch nie einen Ausländer kennengelernt, der so feiern kann wie der, das sag ich dir.«
Vikram führte mich zu dem zweiten Sessel. Der junge Mann, der darin saß, zog an einem Haschisch-Chillum, das der Mann im dritten Sessel gerade anzündete. Eine Flamme loderte jäh aus dem Pfeifenkopf.
»Bom shankar!«, schrie Vikram und griff nach der Pfeife. »Lin, das ist Naveen Adair. Er ist Privatdetektiv. Ganz im Ernst. Naveen, das ist Lin, der Typ, von dem ich dir erzählt habe. Der Doktor aus dem Slum.«
Der junge Mann stand auf und gab mir die Hand. »So ein richtiger Detektiv bin ich aber noch nicht«, sagte er mit schiefem Grinsen.
»Kein Problem.« Ich erwiderte das Grinsen. »Ich bin auch kein richtiger Doktor. So viel dazu.«
Der dritte Mann, der das Chillum angezündet hatte, nahm einen Zug und bot es mir an. Ich lächelte ablehnend, und es wurde an einen der Männer auf dem Bett weitergereicht.
»Ich bin Vinson«, sagte der dritte Mann, dessen Händedruck mich an einen munteren, tapsigen Welpen erinnerte. »Stuart Vinson. Hab schon jede Menge von dir gehört, Mann.«
»Jeder Arsch hat doch schon von Lin gehört«, warf Concannon ein und nahm eine Pfeife in Empfang. »Vikram quatscht so viel von dir, als sei er dein scheiß Groupie. Lin hier, Lin da und Lin dieser oder jener Scheiß. Hast du ihm auch schon den Schwanz gelutscht, Vikram? Taugt der was, oder ist das alles nur Geschwätz?«
»Herrje, muss das denn sein, Concannon!«, sagte Stuart Vinson.
»Was?«, erwiderte Concannon mit Unschuldsblick. »Was denn? Ich stell dem Mann doch bloß eine Frage. Indien ist immer noch ein freies Land, oder etwa nicht? Zumindest da, wo Englisch gesprochen wird.«
»Scher dich nicht um den«, sagte Vinson mit entschuldigendem Achselzucken. »Der kann nicht anders. Hat Arschloch-Tourette-Syndrom oder so was.«
Stuart Vinson, ein kräftiger, breitschultriger Typ, war Amerikaner. Mit seinen klaren Gesichtszügen und den zerzausten dichten blonden Haaren wirkte er wie ein abenteuerlustiger Seefahrer, ein Weltumsegler vielleicht. In Wirklichkeit war er Drogendealer, und sein Geschäft lief gut. Ich hatte einiges über ihn gehört, so wie er über mich.
»Das hier ist Jamal«, sagte Vikram. Er achtete nicht mehr auf Stuart Vinson und Concannon, sondern stellte mir den Mann auf der linken Bettseite vor. »Er importiert es, reibt es, rollt es und raucht es. Er ist eine One-Man-Show.«
»One-Man-Show«, wiederholte Jamal, ein dürrer Typ mit Chamäleonaugen, der mit etlichen religiösen Amuletten behängt war. Ich fing an zu zählen, hypnotisiert von so viel Heiligkeit, und kam auf fünf große Glaubensrichtungen, bevor meine Augen zu seinem Lächeln wanderten.
»One-Man-Show«, sagte ich.
»One-Man-Show«, wiederholte er.
Ich hätte es noch mal gesagt, aber Vikram redete weiter.
»Das da drüben ist Billy Bhasu«, sagte Vikram und deutete auf einen kleinen, zierlichen Mann mit sahneweißer Haut, der auf der rechten Seite des Betts saß. Billy Bhasu legte die Hände zum Gruß zusammen und fuhr dann fort, eines der Chillums zu reinigen.
»Billy Bhasu ist ein Bringer«, erklärte Vikram. »Der bringt dir alles, was du brauchst, ob's ein Mädchen ist oder ein Eis. Probier's aus. Es stimmt wirklich. Sag ihm, er soll dir ein Eis bringen, dann macht er das auf der Stelle. Sag's ihm!«
»Ich will aber kein .«
»Billy, hol Lin ein Eis!«
»Kommt sofort«, sagte Billy und legte das Chillum beiseite.
»Nein, Billy.« Ich hob die Hand. »Ich will kein Eis.«
»Aber du bist doch sonst immer ganz verrückt nach Eis«, wandte Vikram ein.
»Aber nicht so verrückt, dass ich es mir von jemandem bringen lasse. Entspann dich, Mann.«
»Wenn er schon was bringt«, meldete sich Concannon aus den Schatten zu Wort, »dann wär ich für Eis und Mädchen. Zwei Mädchen. Und er soll sich verflucht noch mal ranhalten.«
»Hast du gehört?«, drängte Vikram.
Er trat zu Billy und zerrte an ihm. In diesem Moment begann die Gestalt auf dem Bett mit tiefer volltönender Stimme zu sprechen, und Vikram erstarrte, als hielte ihm jemand eine Pistole an die Schläfe.
»Vikram«, sprach der leblos wirkende Mann. »Du versaust mir mein High, Mann.«
»Oh, Scheiße! Scheiße, Scheiße! Tut mir total leid, Dennis!«,...
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