1. KAPITEL
Mit einer vollen Einkaufstüte auf dem Arm betrat Amanda das Haus. Sie strahlte vor Glück. Im Freien sangen die Vögel in der Frühlingssonne. Ihr goldener Ehering leuchtete. Nach drei Monaten Ehe war es ihr noch ein Bedürfnis, Cameron mit einem ganz besonderen intimen Abendessen zu überraschen. Die aufreibende Arbeit im Krankenhaus machte es ihr oft unmöglich zu kochen, was ihr als Jungverheirateter doch so viel Freude bereitete. Da an diesem Nachmittag zwei Termine ausgefallen waren, wollte Amanda ein erlesenes und zeitraubendes Essen vorbereiten, das man nicht so schnell vergaß und das gut zu Kerzenschein und teurem Wein passte.
Fröhlich summend betrat sie die Küche, was für sie als zurückhaltende Frau eine ungewöhnliche Zurschaustellung ihrer Gefühle bedeutete. Mit einem zufriedenen Lächeln zog sie eine Flasche von Camerons Lieblings-Bordeaux aus der Tüte und erinnerte sich daran, wie sie die erste Flasche gemeinsam geleert hatten. Cameron war so aufmerksam und romantisch gewesen.
Ein Blick auf die Uhr zeigte Amanda, dass sie noch vier Stunden bis zur Rückkehr ihres Mannes hatte, genug Zeit für die Vorbereitung eines köstlichen Mahles und das Entzünden der Kerzen auf dem festlich gedeckten Tisch.
Zuerst aber wollte sie nach oben gehen und ihre Arbeitskleidung ausziehen. Im Schlafzimmer wartete ein traumhaftes Seidenkleid in sanftem Blau auf sie. An diesem Abend würde sie keine Psychiaterin sein, sondern eine Frau, eine sehr verliebte Frau.
Das Haus war perfekt in Schuss und geschmackvoll eingerichtet. Das entsprach Amandas Natur. Als sie zu der Treppe ging, fiel ihr Blick auf eine Kristallvase, und einen Moment lang wünschte sie sich, frische Blumen besorgt zu haben. Vielleicht sollte sie den Blumenhändler anrufen und sich etwas Extravagantes schicken lassen. Ihre Hand glitt leicht über das schimmernde Geländer, während sie die Treppe hinaufstieg. Ihre sonst so ernsten und entschlossen dreinblickenden Augen nahmen einen träumerischen Ausdruck an. Sachte drückte sie die Schlafzimmertür auf.
Ihr Lächeln gefror und wich blankem Entsetzen! Alle Farbe wich aus ihren Wangen. Nur ein einziges Wort entrang sich gepresst ihrem Mund.
»Cameron!«
Das Paar im Bett löste die leidenschaftliche Umarmung. Der Mann, sehr attraktiv, mit zerzausten Haaren, starrte ungläubig. Die Frau, katzenhaft, erotisch, lächelte sehr, sehr träge. Man konnte sie fast schnurren hören.
»Vikki!« Amanda betrachtete ihre Schwester mit schmerzerfülltem Gesicht.
»Du bist aber früh nach Hause gekommen.« Die Andeutung eines Lachens, nur ein Hauch, schwang in der Stimme ihrer Schwester mit.
Cameron zog sich ein Stück von seiner Schwägerin zurück. »Amanda, ich …«
Während Amanda das Paar im Bett nicht aus den Augen ließ, zog sie aus ihrer Jackentasche einen kleinen, tödlichen Revolver. Die Ehebrecher rührten sich nicht, blieben schweigend vor Entsetzen.
Amanda zielte eiskalt und feuerte … Mit einem satten PLOPP! ergoss sich ein bunter Konfettiregen über das Bett.
»Alana!«
Dr. Amanda Lane Jamison, besser bekannt unter ihrem richtigen Namen Alana Kirkwood, wandte sich an ihren verstörten Regisseur, während das Paar im Bett und das Fernsehteam in Gelächter ausbrachen.
»Tut mir leid, Neal, aber ich konnte nicht anders. Amanda ist immer das Opfer«, erklärte Alana dramatisch mit blitzenden Augen. »Stell dir doch vor, wie die Einschaltquoten hochschnellen, wenn sie nur ein einziges Mal jemanden ermordet.«
»Sieh mal, Alana …«
»Oder wenigstens jemanden schwer verletzt«, fuhr Alana rasch fort. »Und wer«, rief sie und deutete mit einer großen Geste auf das Bett, »verdient es mehr als ihr haltloser Gatte und ihre ruchlose Schwester?«
Alana verbeugte sich vor den johlenden und applaudierenden Mitgliedern der Crew und legte zögernd ihre Waffe in die ausgestreckte Hand des Regisseurs.
Er stieß einen gequälten tiefen Seufzer aus. »Du bist absolut irrsinnig, und das warst du schon immer, seit ich dich kenne.«
»Vielen herzlichen Dank, Neal.«
»Wir machen sofort weiter«, warnte er und versuchte, dabei nicht zu grinsen. »Mal sehen, ob wir diese Szene nicht vor dem Mittagessen abdrehen können.«
Fügsam ging Alana in die Kulisse des Erdgeschosses. Geduldig ließ sie ihr Haar und ihr Make-up in Ordnung bringen. Aus Alana wurde wieder Amanda. Amanda war stets perfekt, übergenau, ruhig, total kontrolliert – alles, was auf Alana selbst nicht zutraf. Alana spielte diese Rolle nun schon seit mehr als fünf Jahren in der beliebten, tagsüber gesendeten Seifenoper »Unser Leben, unsere Liebe«.
In diesen fünf Jahren hatte Amanda das College mit Auszeichnung geschafft, ihr Diplom als Psychiaterin gemacht und war eine anerkannte Therapeutin geworden. Ihre Ehe mit Cameron Jamison schien jüngst im Himmel geschlossen worden zu sein. Er war jedoch ein weichlicher Opportunist, der sie ihres Geldes wegen und ihrer gesellschaftlichen Stellung wegen geheiratet hatte, während es ihn nach ihrer Schwester gelüstete – und nach der Hälfte der weiblichen Bevölkerung der fiktiven Stadt Trader’s Bend.
Nun wurde Amanda also mit der Wahrheit konfrontiert. Seit sechs Wochen steuerte die Handlung auf diese Enthüllung zu, und von den Zuschauern kamen körbeweise Briefe. Sowohl die Zuschauer als auch Alana waren der Meinung, dass Amanda endlich die Augen über diese Laus von einem Ehemann geöffnet werden mussten.
Alana mochte Amanda und respektierte ihre Ehrlichkeit und ihre tadellose Haltung. Sobald die Kameras liefen, verwandelte sich Alana in Amanda. Obwohl sie persönlich einen Tag in einem Vergnügungspark einem Ballettabend entschieden vorzog, verstand sie alle Nuancen der Frau, die sie darstellte.
Wenn diese Szene über den Bildschirm ging, bekamen die Zuschauer eine schlanke Frau zu sehen mit blondem Haar, das glatt zurückgekämmt und zu einem schlichten Knoten zusammengefasst war. Das Gesicht, durchscheinend wie Porzellan, atemberaubend, war von einer eisigen Schönheit, die unterschwellige Signale verhaltener Sexualität aussandte. Sie hatte Klasse, Stil.
Blaue Augen und hoch angesetzte Wangenknochen unterstrichen die rassige Eleganz. Der perfekt geformte Mund war wie geschaffen für ein ernstes Lächeln. Fein geschwungene Augenbrauen, einen Hauch dunkler als das zarte Blond ihres Haars, hoben die langen Wimpern hervor. Eine makellose Schönheit, stets beherrscht, das war Amanda!
Alana wartete auf ihr Stichwort und dachte flüchtig darüber nach, ob sie am Morgen den Kaffeekessel ausgeschaltet hatte.
Sie spielten die Szene noch einmal durch und mussten sie wiederholen, weil Vikkis trägerloser Badeanzug zum Vorschein kam, als sie sich im Bett bewegte. Dann wurden noch die Großaufnahmen mit den Reaktionen der Beteiligten gemacht. Die Kamera erfasste bildfüllend Amandas bleiches, geschocktes Gesicht und hielt diese Einstellung einige dramatische Sekunden lang.
»Mittagspause!«
Sofort löste sich das Bild auf. Die Liebenden stiegen auf verschiedenen Seiten aus dem Bett. J. T. Brown, Alanas Fernsehehemann, kam in Badehose zu ihr, hielt sie an den Schultern fest und gab ihr einen herzhaften Kuss. »Sieh mal, Süße«, sagte er, noch immer im Tonfall seiner Rolle, »ich werde dir das alles später erklären. Vertraue mir! Jetzt muss ich meinen Agenten anrufen.«
»Memme!«, schrie Alana ihm mit einem sehr un-Amanda-artigen Lachen nach, ehe sie sich bei Stella Powell, ihrer Serienschwester, unterhakte. »Zieh dir etwas über den Badeanzug, Stella. Ich kann das Kantinenessen heute nicht sehen.«
Stella warf ihre wuscheligen kastanienbraunen Haare zurück. »Zahlst du?«
»Du quetschst deine Schwester immer ganz schön aus«, murmelte Alana. »Okay, ich bleche, aber beeil dich. Ich verhungere.«
Auf dem Weg zu ihrer Garderobe durchquerte Alana noch zwei weitere Sets, nämlich den fünften Stock des Doctors Hospital und das Wohnzimmer der Lanes, der führenden Familie von Trader’s Bend. Sie hätte gern ihr Kostüm ausgezogen und ihr Haar gelöst, aber dann hätte sie sich nach dem Mittagessen wieder mit Garderobe und Maske herumschlagen müssen. Also griff sie nur nach ihrer viel zu großen und abgewetzten Handtasche, die wenig zu Amandas eleganter Arbeitskleidung passte. Dabei dachte sie schon an eine dicke Scheibe Baklava, vollgesogen mit Honig.
»Vorwärts, Stella!« Alana steckte ihren Kopf in die angrenzende Garderobe, in der Stella gerade den Reißverschluss ihrer Jeans schloss. »Mein Magen ist schon über die Zeit.«
»Das ist er immer«, erwiderte ihre Kollegin und schlüpfte in ein weit geschnittenes Sweatshirt. »Wohin?«
»In den griechischen Delikatessenladen an der Ecke.« Mit ihrem typischen langen, schwingenden Gang lief Alana übereifrig den Korridor entlang, während Stella versuchte, mit ihr Schritt zu halten. Es war nicht so, dass Alana von einem Ort zum nächsten hetzte, aber sie eilte stets den Dingen entgegen, die auf sie warteten.
»Meine Diät …«, begann Stella.
»Nimm einen Salat«, wehrte Alana gnadenlos ab. Sie wandte den Kopf und betrachtete Stella flüchtig vom Scheitel bis zur Sohle. »Weißt du, wenn du nicht immer vor der Kamera diese knapp sitzenden Sachen tragen würdest, müsstest du dich nicht zu Tode hungern.«
Stella lachte, als sie die Tür zur Straße erreichten. »Eifersüchtig?«
»Ja. Ich bin immer elegant und so was von proper. Und du hast den Spaß.« Alana trat ins Freie und atmete einen tiefen Zug von New York ein. Sie liebte...