Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Buffons Heldenstatue, in Auftrag gegeben von König Ludwig XVI.
Die Presse hatte Mühe, die Zahl der Schaulustigen zu schätzen, als am Morgen des 18. April 1788 etwa 20000 Menschen die Straßen von Paris säumten, sich vordrängelten und die Hälse reckten, um einen Blick auf den Trauerzug eines der berühmtesten Männer der Welt zu erhaschen. Was sie zu sehen bekamen, war in seinen Dimensionen einer Parade vergleichbar, ein würdiges, weihevolles Spektakel, ein »Glanz, wie er Mächtigen, Reichen und Würdenträgern nur selten zuteilwird«, wie Paris Mercury vermeldete. »So bedeutend war der Einfluss dieses großen Namens.«[3]
Zuerst kamen ein Ausrufer und sechs Amtsdiener, die den Weg für einen Konvoi aus 19 livrierten Dienern frei machten.[4] Dann erschien eine Abteilung der im Gleichschritt marschierenden Pariser Garde, gefolgt von einem Kontingent Schulkinder, 60 Geistlichen und 36 Chorknaben, die, begleitet von vier Basshörnern, Klagelieder sangen. Dahinter schritten sechs Wachsoldaten mit Fackeln. Endlich kam die Kutsche mit dem Sarg in Sicht, gezogen von 14 Pferden, die in passende schwarze Seide mit silbernen Stickereien gewandet waren. Das Ende des Zuges bildete ein langes, düsteres Gefolge prominenter Trauernder: Aristokraten, Akademiker und Künstler zogen Schulter an Schulter hinter dem Sarg her. Einer von ihnen - Dr. Felix Vicq-d'Azyr, der Leibarzt von Königin Marie-Antoinette - war tief bewegt vom Anblick der einfachen Leute, die aus der Menschenmenge heraustraten und sich dem Trauerzug anschlossen. »Sie erinnern sich, meine Herren«, schrieb er später rückblickend,
dieses unüberschaubaren Gefolges von Leuten aller Stände und aus allen Gesellschaftsschichten, die sich dem Trauerzug anschlossen, inmitten einer riesigen, tief bestürzten Menge. Ab und an durchbrachen gemurmelte Worte der Bewunderung und des Bedauerns die Stille der Menschenansammlung. Das Gotteshaus, zu dem wir zogen, vermochte die enorme Anhängerschaft eines großen Mannes nicht gänzlich aufzunehmen.[5]
Zu Lebzeiten hatte Georges-Louis Leclerc de Buffon lediglich die bescheidene Stelle eines königlichen Hofgärtners im Jardin du Roi - dem Königlichen Botanischen Garten - bekleidet. Am von der Arbeiterschaft geprägten südlichen Stadtrand von Paris gelegen, war der Garten trotz seines Namens keineswegs eine royale Enklave. Buffon hatte als Sohn eines provinziellen Steuereintreibers im ländlichen Burgund keinen sehr verheißungsvollen Start. Während seines kurzen Studiums an der Universität machte er keinen Abschluss, sondern erwarb sich allenfalls den Ruf, sich lieber zu duellieren, als zu studieren. Doch dann stieg er auf zum Anführer jener intellektuellen Revolution, die als Aufklärung bekannt werden sollte, und wurde zu einer einflussreichen und weltweit anerkannten Persönlichkeit. Jenseits des Ärmelkanals in London betrauerte das Gentleman's Magazine Buffon als das letzte der »vier strahlenden Lichter« Frankreichs, das nun »gänzlich erloschen« sei, und reihte ihn ein in einen Pantheon neben Montesquieu, Rousseau und Voltaire.[6] Der Historiker Sainte-Beuve ging noch weiter, als er konstatierte: »Buffon starb als letzter der vier großen Männer des 18. Jahrhunderts, und in gewissem Sinne markiert der Tag seines Ablebens einen Schlusspunkt jenes Jahrhunderts.«[7]
Noch einen Schritt weiter ging der Philosoph Nicholas de Condorcet in der offiziellen Trauerrede. »Die Geschichte der Wissenschaft kennt nur zwei Männer, die im Lichte ihres Werkes offenbar an Monsieur Buffon heranreichen - Aristoteles und Plinius.«[8]
Beide waren unermüdliche Arbeiter wie er - faszinierend angesichts der immensen Fülle ihres Wissens und der Pläne, die sie entworfen und durchgeführt haben, beide hoch angesehen zu Lebzeiten und nach ihrem Tod von ihren Landsleuten verehrt -, und beide haben sie miterlebt, wie ihr Ruhm die Revolutionen der Meinungen und der Imperien überdauerte, wie er die Nationen überlebte, die sie hervorbrachten, und selbst die Sprachen, deren sie sich bedienten, und ihr klassisches Vorbild scheint Monsieur Buffon einen nicht minder anhaltenden Ruhm in Aussicht zu stellen.
Keine Rede war davon, dem bedeutenden Mann ein Denkmal zu errichten, denn es gab bereits eines: eine hoch aufragende Statue, elf Jahre zuvor heimlich in Auftrag gegeben von einem dankbaren König Ludwig XVI. und enthüllt als Herzstück des Jardin du Roi, zur großen Verlegenheit des Dargestellten. Die Marmorskulptur trägt eine pathetische Inschrift (»Alle Natur verneigt sich vor seinem Genie«) und zeigt einen fast nackten Buffon - immerhin lieferte sie nach allem, was man weiß, ein bemerkenswert akkurates Abbild des Mannes, der zum Zeitpunkt der Enthüllung 71 Jahre alt war, aber um Jahrzehnte jünger wirkte. Der Bildhauer musste ihn kaum idealisieren, war Buffon doch schon seit langer Zeit Beobachtern wie eine Art zum Leben erwachte Heldenstatue vorgekommen. »Von stattlicher Körpergröße und nobler Erscheinung; ein eindrucksvolles Gesicht, von gleichermaßen gefälliger und majestätischer Physiognomie«, so die Beschreibung in Condorcets Grabrede.
»Nie sprach Monsieur Buffon zu mir von den Wundern der Erde«, gab ein langjähriger Freund zu, »ohne in mir den Gedanken zu wecken, er selbst müsse eines dieser Wunder sein.«[9]
Ein weiteres, noch eindrucksvolleres Denkmal fand sich nicht im Jardin du Roi, sondern in Bücherregalen überall auf der Welt. Die Histoire naturelle, générale et particulière, Buffons Meisterwerk, umfasste 35 Bände - davon allein drei zur allgemeinen Einführung, dann zwölf über Säugetiere, neun über Vögel, fünf über Mineralien und sechs Ergänzungsbände zu verschiedenen Themen. In gewissem Sinne war es ein Fehlschlag: Sein ursprünglicher Plan war gewesen, »das komplette Spektrum der Natur und das gesamte Reich der Schöpfung« zu erfassen, doch trotz 43 Jahren eifrigster Hingabe hatte er es nicht geschafft, angemessen auf Pflanzen, Amphibien, Fische, Weichtiere und Insekten einzugehen.[10]
Nichtsdestotrotz war die Histoire eine überwältigende Leistung. Wenngleich unvollständig, stellte sie die meisten Enzyklopädien weit in den Schatten, was noch eindrucksvoller wirkt, bedenkt man Buffons erstaunliches Vorgehen beim Abfassen des Werkes. Bekanntlich las er Freunden seine Entwürfe laut vor, bat sie darum, das Gehörte frei wiederzugeben, und schrieb dann alles um, was ihm verworren oder unverstanden dünkte - dieses Prozedere wiederholte er für einzelne Kapitel bis zu 17 Mal. »Gutes Schreiben heißt gutes Denken, gute Wahrnehmung und gute Ausführung, und zwar alles auf einmal«, lautete sein Diktum.[11] Diese sorgfältigen Bemühungen um Klarheit, in Verbindung mit seiner Wahl der Sprache - er verfasste sein Werk in zeitgenössischem Französisch, nicht etwa in akademischem Latein -, waren ein Schlüssel zum andauernden Erfolg des Werkes gewesen.
Die Histoire naturelle einen Bestseller zu nennen, wäre eine glatte Untertreibung. Gepriesen als Meilenstein der Naturwissenschaften und zugleich als literarisches Werk war sie ein verlegerisches Phänomen, das Buffon zum populärsten Sachbuchautor in der französischen Geschichte machte.[12] Die Veröffentlichung jedes neuen Bandes sorgte für rege Verkaufszahlen und neue öffentliche Debatten und es sah ganz danach aus, als würde das immer so weitergehen. Zu denen, die in dem Trauerzug mitmarschierten, gehörte auch Buffons handverlesener Nachfolger, ein junger französischer Adliger, der die Methoden seines Mentors und dessen unverwechselbaren Stil sorgfältig eingeübt hatte. Er hatte bereits Band 36 der Histoire herausgebracht, über Schlangen und eierlegende Vierfüßer, und arbeitete an Band 37 über Wale. Der große Mann war dahingeschieden. Das große Werk sollte weitergehen.
Das jedenfalls war der Plan.
***
Der Tod von Professor Carl Linnaeus, ein Jahrzehnt vor dem Ableben Buffons, war nicht zum Anlass großer öffentlicher Trauer geworden. Der seit Langem pensionierte Wissenschaftler wurde an einem Winterabend in einem schlichten Sarg zur letzten Ruhe gebettet, gezimmert aus einer der Eiben auf seinem Grundstück, sein nicht gewaschener und unrasierter Leichnam war lediglich in ein Leichentuch gehüllt. Als Fackelträger schritten seine Hausbewohner und Diener hinter der Kutsche mit dem Sarg her. Die meisten Teilnehmer waren von der nahe gelegenen Universität in Uppsala herübergekommen, an der Linnaeus 22 Jahre lang Medizin und Botanik gelehrt hatte.
Viele von ihnen, Studenten und Lehrkräfte gleichermaßen, kannten ihn eher vom Hörensagen als aus eigener Erfahrung. Die fortschreitende Hirnerkrankung des Professors hatte ihn schon vor 15 Jahren gezwungen, seinen Lehrauftrag aufzugeben, vor fünf Jahren hatte er den Bezug zur Realität verloren, die letzten zwei Jahre hatte er weder gehen noch sprechen können. Die Zeremonie war respektvoll, aber doch geprägt von dem Bewusstsein, dass der Geist lange vor dem Körper seinen Dienst versagt hatte. Linnaeus hatte seine letzten Jahre in einem Labyrinth der Verwirrung zugebracht, sein bedeutendstes Werk durchblätternd, ohne zu begreifen, dass er selbst es verfasst hatte.
Es waren weder Denkmäler aufgestellt noch diesbezügliche Vorschläge...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.