Schweitzer Fachinformationen
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An einem langweiligen Abend in einer vergessenen Stadt klackerten bei düsterem Wetter spitze Absätze und Kampfstiefel auf dem feuchten Pflaster, das sich nun in einen Laufsteg verwandelte. Das widerspenstige Haar hochtoupiert, dazu die »fifty shades of black« des Goth-Looks und wallende Mäntel, die das exotischerotische Outfit darunter verbargen. So geschützt vor der feuchten, nächtlichen Kälte und bierseligen Schlägertypen klackerte das Goth-Paar durch die postindustrielle Kulisse. Gestärkt durch das rituelle Vorglühen in der Studentenbude und ihre mächtige Kleiderrüstung, klirrten sie vor Schmuck und freudiger Erwartung.
Bei ihrer unterirdischen Zuflucht angekommen, stiegen sie die Treppe hinunter und tauchten ein in die dunkle Dezibelwelt. Ein paar gestylte Freaks saßen hinter einem Tisch und kassierten von ihnen die 50 Pence Eintritt, bevor sie das verrauchte, pulsierende Labyrinth betraten. Der Name des Clubs war mit billiger roter und schwarzer Farbe an eine Wand gesprüht, die von Nikotin und eindringender Feuchtigkeit verfärbt war. An der Decke hingen Neonröhren wie im Arbeitsamt, die aus den Boxen dröhnende Death-Disco erfüllte einen Raum voller wandelnder Kunstwerke, Sex-Beat-Kadaver und Goth-Pioniere.
Es war in den späten Siebzigern, frühen Achtzigern, in dem, was man damals als »alternative club«1 bezeichnete, und in allen britischen Städten strömte eine Schar von Goth-Krähen in diese Zwischenwelten, um am Wochenende ein Abenteuer zu erleben. Es stank nach Snakebite,2 abgestandenem Zigarettenqualm und Schimmel. Das bleichgesichtige Thekenpersonal sah aus, als ob es lieber woanders wäre. Die Gäste nippten an ihrem Wodka oder Pernod und trugen Schwarz (Schwarz für Goth!), der Geruch von Poppers hing in der Luft und ließ das Herz rasen.3 Es gab auch Speed, was dafür sorgte, dass man doppelt so viel trank und noch mehr tanzte. Die Gespräche drehten sich um Musik, Klamotten, Post-Punk-Politik, Okkultes oder Sex. Die Atmosphäre war düster, dunkel, gefährlich und lustig.
Die Jungs waren auf den Mädchentoiletten und machten sich die Haare, während die Mädchen auf die Jungsklos gingen, um die Warteschlange zu umgehen. Die Luft war dick von dem beißenden Geruch von versengtem Haar, das an der Wurzel verbrannt war, klebrig mit der giftigen Unterstützung von Elnett, Aqua Net und Insette-Haarspray (natürlich mit Extra-Halt) oder, noch einfacher, nur durch Seife, die über Schichten von schwarzem Haarfärbemittel einmassiert und mit hektischem, follikelspaltendem Kämmen in die Höhe gezogen wurde.
Sobald sie wirklich bereit waren, stürmten sie auf die Tanzfläche und wurden zu einem monochromen Knäuel aus schwarzen Klamotten und bleichem Fleisch. Das Ritual vor dem Clubbesuch hatte die Goth-Gladiatoren bereits gut vorbereitet, denn in der kleinen Wohnung drängte sich eine laute Menschengruppe, die sich zu einer aufgedrehten Dansette aus Post-Punk und alternativer Musik, die aus den billigen Boxen dröhnte, über Styling und Mode unterhielt. Das war das wöchentliche Aufwärmen, bei dem man Wodka schlürfte, sich die Haare aufstellte und Tops, Make-up und gehässige Laufstegkommentare austauschte, während man die Finger und Handtücher mit Haarfarbe und Hoffnung befleckte. Die Vorbereitungen waren wild und lärmend. Haare samt Festiger wurden mit Kreppeisen gebrannt, die dann abgekühlt und in den schwarzen Handtaschen verstaut wurden. Die Seiten der Schädel wurden mit Bic-Rasierern oder Schermaschinen rasiert, so machten sich die Post-Punk-Mohikaner bereit für ihren Stammestanz.
Wie Shakespeare einst bemerkte, steckt die Seele eines Menschen in seiner Kleidung, und diese offenbart die Persönlichkeit. Moden und Umgangsformen sind hier Beiwerk - das wussten natürlich auch die Proto-Goths. Instinktiv. Der Dresscode der Trad Goths4 wurde mit spektakulärem Feingefühl definiert als »dress to kill/dressed to thrill«.
Im Club angekommen, flatterte die schwarze Vogelschar in ihren Trenchcoats, langen Macs, Paisley-Hemden, Lederjacken und den Schichten dunkler Kleidung. An den Füßen spitz zulaufende Stiefeletten, die allgegenwärtigen Doc Martens, Springerstiefel, Pixie- und Pike-Boots mit Schnallen, und manche liefen sogar in Holzschuhen durch den vernebelten Raum. Im Trockeneisnebel und bei einer gewissen Gender-Unschärfe sah man die verschiedensten selbst geschneiderten oder individualisierten Kleidungstücke, oft in Schichten übereinander getragen. Ganz wichtig die Accessoires: mehrreihige Ketten, filigranes Silber, klobige Ringe, schwere Nietengürtel und -armbänder und manchmal sogar kunstvoller indischer Schmuck.
Es gab fingerlose Handschuhe, Armeehosen, Netzstrumpfhosen und Netzoberteile, die oft kunstvoll zerrissen waren. Es gab Samt, Satin, Leder, reichlich Spitze und einen Hauch von PVC und Latex, in Überschneidung mit dem Punk- und BDSM-Stil. Dazu kamen gebleichte und gefärbte Haare, gelegentlich Tätowierungen, eine mit Make-up aufgehellte weiße Haut und kunstvoll geschminkte dunkle Münder, die mit lila oder schwarzem Lippenstift bemalt waren. Dazu grelles Rouge, um die Wangenknochen hervorzuheben, und um die Augen dicken Eyeliner wie bei Siouxsie und Cleopatra. Überall konnte man das Klimpern von Kruzifixen, Perlen- und Knochenketten hören. Es gab viele Variationen - Subgenres innerhalb von Genres, Unterstile innerhalb von Stilen. Es gab Punks, Goths und sogar ein paar Vertreter der Regenmantel-Fraktion, immer noch auf der Suche nach ihrem eigenen Look, und einige schüchterne Männer in Secondhand-Anzügen, dazu oft hochstehende Haare im Stil von Eraserhead. Einige trugen schwarze Skinny-Jeans, wenn diese denn in einem der raren alternativen Modeläden aufzutreiben waren.
In einer Zeit, in der Juwelierläden sich oft noch weigerten, Männern Ohrlöcher zu stechen, wurden die Ohrläppchen mit einem in kochendem Wasser »sterilisierten« Zirkel selbst durchbohrt, ein Stück Kork diente als Unterlage. Dies war typisch für den DIY-or-die-Ethos. Denn spezielle Goth-Läden wie die nordenglische Modekette X-Clothes existierten damals noch nicht und Ausflüge zu den exotischen Flohmärkten Londons waren selten.
Die Kleidung war wichtig, und der Look war so extrem wie die Musik. Er war geprägt von Androgynität und der Angst vor Arbeitslosigkeit sowie einer ausgeprägten Vorliebe für das Dunkle. Es wurde eine neue Ästhetik geprägt, die die Sinnlichkeit des Dancefloors mit der Faszination für Sex und Tod verband - den beiden Fixpunkten der Goth-Welt. Üppig, voluminös und in leuchtendem Schwarz präsentierten sich die Vampire. Ob aufgetakelt oder verkleidet, es gab ein Durcheinander von Stilen, vom Chicken Dance der Straßenkrieger bis zu den kühlen Eisköniginnen mit ihren antiken, geheimnisvollen Garderoben und exzentrischen Frisuren . Ob aufgestylt oder abgerissen, ob unisex, polysex oder middlesex - in der Sex-and-Death-Show war alles erlaubt. Mal war es geschlechtslos, mal wurde das Geschlechtliche auf die Spitze getrieben, und immer waren die Grenzen so verwischt wie die Wimperntusche. All diese schwarzen Prachtstücke waren nun frei, endlich frei von den riesigen Mänteln, die die Garderobe verstopften. Mäntel, die Schutz vor dem Dauerregen und der Kälte im letzten Bus nach Hause boten. Sie waren auch eine Rüstung und ein Schutz vor den Catcalls, Schlägen und Beschimpfungen von ungläubigen Passanten oder den Tetley Bittermen, die auf diesen Fahrten in die Stadt und wieder heraus die Fäuste ballten.
Nach der Punk-Amphetamin-Psychose stand Sex wieder auf der Tagesordnung. Der schnelle Sex der Punks war jetzt viel erotischer. Nach dem Vorbild der Fetisch-Klamotten der Punk-Szene brachte die Goth-Bewegung den Sex aus dem heimischen Zimmer in die Clubs. Die Goths stellten dort ihren Fetischismus zur Schau und feierten ihn zu Hause im Boudoir vor dem surrenden Heizlüfter. Die Sexualität des Gothic war per Definition und auch in der Praxis fließend. Die Grenzen waren oft so unscharf wie die Geschlechter und visuelle Fetische eine Grundzutat. Gummikleidung war normal, manche Kostüme waren handgefertigt, andere stammten aus Londoner Hinterhofgeschäften oder von diskreten Versandhändlern. Goth bot Alternativen zur traditionellen Moral. Teile der Szene zelebrierten nicht-traditionelle Sex- und Geschlechterrollen, sowohl im Aussehen als auch in der Praxis, wobei die SM-Ästhetik ein weiterer Aspekt war.
Goth, die Szene, die »oft nicht wagt, ihren Namen auszusprechen«, wurde nicht nur durch die Musik, sondern auch durch ihren Stil definiert, und es gab viele disparate Elemente in dieser flüchtigen Mischung: Das »Wham Bam Thank You, Ma'am« des Prime-Time-Glam, B-Movies, Kitsch und Camp Art, Trash-Ästhetik, die Psychedelia der Sechziger, die romantischen Dichter des frühen 19. Jahrhunderts, die dekadenten Bilderstürmer des Fin de Siecle, kunstvolle Anleihen bei Dada, bildender Kunst und Haute Couture, eine Faszination für Neo-Viktorianismus und Beerdigungen, das dekadente Berlin der Weimarer Republik und die zeitgenössische urbane Hölle von New York - und natürlich eine große Portion Punk-Ästhetik und die dandyhafte Androgynität, die von Bowie,...
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