Schweitzer Fachinformationen
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Vorwort
Der Buddha und die Berufswelt
In den 17 Jahren von 1981 bis 1998 hatte ich die Ehre, gemeinsam mit Ofer und Aya Azrielant, den Inhabern der Andin International Diamond Corporation, und mit der Kernbelegschaft des Unternehmens eine der weltweit größten Diamanten- und Juwelenhandelsfirmen aufzubauen. Für unsere geschäftlichen Aktivitäten standen uns anfangs lediglich 50 000 Dollar Startkapital aus einem Kredit zur Verfügung, und es gab, mich selbst eingerechnet, drei bis vier Mitarbeiter. Als ich 1998 aus dem Unternehmen ausschied, um mich ganztägig dem Ausbildungsinstitut zu widmen, das ich in New York gegründet hatte, betrugen die Jahresumsätze mehr als 100 Millionen US-Dollar, und weltweit waren in den Niederlassungen der Andin International Diamond Corporation mehr als 500 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beschäftigt.
Während meiner Zeit im Diamantengeschäft habe ich eine Art Doppelleben geführt. Sieben Jahre vor meinem Einstieg in diese Branche hatte ich mein Studium an der Universität von Princeton mit Auszeichnung abgeschlossen. Zuvor waren mir im Weißen Haus die Forschungs- und Wissenschaftsmedaille des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika überreicht und in Princeton der McConnell-Forschungspreis der Woodrow Wilson School für Internationale Angelegenheiten verliehen worden.
Ein Stipendium der Woodrow Wilson School ermöglichte es mir, nach Asien zu reisen und am Exilwohnsitz Seiner Heiligkeit des Dalai Lama im indischen Dharamsala bei tibetischen Lamas zu studieren. So begann meine Ausbildung in dem von alters her überlieferten Weisheitswissen Tibets. Diese gipfelte 1995 darin, dass mir als erstem Amerikaner der Titel eines Geshe, eines Meisters der buddhistischen Lehre, zugesprochen wurde. Voraussetzung dafür waren 20 Jahre rigoroser Studien und Prüfungen. In den Jahren nach Abschluss meines Studiums in Princeton hatte ich in buddhistischen Klöstern gelebt - in den USA, aber auch in Asien - und 1983 die buddhistischen Mönchsgelübde abgelegt.
Nachdem durch den Schulungsweg eines buddhistischen Mönchs eine solide Grundlage geschaffen war, ermutigte mich mein wichtigster Lehrer Khen Rinpoche - sein Name bedeutet »Kostbarer Abt« -, in die Geschäftswelt einzusteigen. Ein Kloster sei zwar der ideale Ort, um mit dem bemerkenswerten Gedankengut buddhistischer Weisheit vertraut zu werden, so sagte er mir, doch die Betriebsamkeit eines amerikanischen Büros biete das perfekte »Versuchslabor«, um diese Ideale einer Realitätsprüfung unter Alltagsbedingungen zu unterziehen.
Eine Weile sträubte ich mich gegen diesen Vorschlag. Denn die Aussicht, die Beschaulichkeit unseres kleinen Klosters hinter mir zu lassen, erfüllte mich nicht gerade mit Begeisterung. Außerdem war ich durch meine eigenen Vorstellungen von einem amerikanischen Geschäftsmann - als einem habgierigen, rücksichtslosen und gleichgültigen Wesen - verunsichert. Nachdem ich jedoch eines Tages einem besonders inspirierenden Vortrag beigewohnt hatte, den mein Lehrer vor einigen Studenten hielt, erklärte ich ihm, dass ich seine Anweisungen in die Tat umsetzen und mir eine Arbeit in der Wirtschaft suchen werde.
Einige Jahre zuvor hatte ich während meiner täglichen Meditationssitzungen im Kloster eine Art Vision, und von da an wusste ich, in welchem Berufszweig ich arbeiten wollte: Zweifellos würde meine Tätigkeit mit Diamanten zu tun haben, obgleich ich eigentlich über diese Edelsteine wirklich nicht viel wusste und Juwelen mich im Grunde nie sonderlich fasziniert hatten. Ebenso wenig war je ein Mitglied meiner Familie in dieser Branche tätig gewesen. Ich ging also, arglos wie Voltaires Candide, von einem Diamantengeschäft zum nächsten und fragte, ob sich jemand bereit fände, mich als Praktikanten einzustellen.
Auf diesem Weg in das Diamantengeschäft einzusteigen ist ungefähr so, als würde man mittels eines Bewerbungsschreibens versuchen, einen Job bei der Mafia zu bekommen. Denn der Rohdiamantenhandel ist eine in sich geschlossene und überaus geheimnisvolle Gesellschaft, zu der normalerweise kein Mensch außerhalb des eigenen Familienkreises Zugang erhält. Den Handel mit größeren Diamanten - ein Carat oder mehr - hatten damals die Belgier unter Kontrolle. Die Israelis hingegen schliffen die meisten kleineren Steine, und die hassidischen Juden aus New Yorks Diamantenviertel auf der Siebenundvierzigsten Straße wickelten zum überwiegenden Teil den inneramerikanischen Großhandel ab.
Führen Sie sich zum besseren Verständnis bitte Folgendes vor Augen: Der gesamte Warenbestand selbst der größten Diamantenhäuser findet in ein paar kleinen Behältern Platz, die ganz ähnlich aussehen wie ein gewöhnlicher Schuhkarton. Und ein Diamantendiebstahl im Gegenwert von mehreren Millionen Dollar zum Beispiel lässt sich bis heute mit keinerlei technischen Vorkehrungen aufspüren: Man müsste sich lediglich ein oder zwei Hand voll Diamanten in die Tasche stecken und zur Tür hinausspazieren - etwas Ähnliches wie einen Metalldetektor, der die Steine erkennen beziehungsweise orten könnte, gibt es nicht. Vor diesem Hintergrund stellen die meisten Firmen lediglich Söhne, Neffen oder Cousins ein; niemals aber einen sonderbaren jungen Mann irischer Abstammung, der sich unbedingt mit Diamanten befassen möchte.
Soweit ich mich erinnere, war ich in zirka fünfzehn verschiedenen Läden, um zu fragen, ob man mich vielleicht für einen unqualifizierten Niedriglohn-Job anheuern wolle - und wurde überall prompt hinausgeworfen. Ein alter Uhrmacher aus einer nahe gelegenen Stadt gab mir schließlich den Rat, beim Gemmologischen Institut1 der USA (GIA) in New York ein paar Kurse über Diamantengraduierung2 zu besuchen. Denn mit einem Diplom in der Tasche würde ich die gewünschte Arbeitsstelle wohl eher bekommen, oder vielleicht würde ich unter den Kursteilnehmern auch jemanden kennen lernen, der mir weiterhelfen könnte.
Am Institut lernte ich Herrn Ofer Azrielant kennen. Genau wie ich nahm er an einem Kurs über die Graduierung - oder Klassifizierung - von qualitativ sehr hochwertigen Diamanten teil, so genannten »Investitions«- oder »Zertifikats«-Steinen. Um einen außerordentlich wertvollen Zertifikatsdiamanten von einer Fälschung oder einem entsprechend präparierten Diamanten zu unterscheiden, muss man beispielsweise winzig kleine Löcher oder andere Mängel von der Größe einer Nadelspitze erkennen können - während sich gleichzeitig Dutzende Staubpartikelchen auf der Oberfläche des Diamanten beziehungsweise auf dem Objektiv des Mikroskops ablagern und durch ihr verwirrendes Treiben leicht zu Fehleinschätzungen führen können. Beide wollten wir uns dort also die Kenntnisse aneignen, die man unbedingt haben muss, um in dieser Branche nicht sein letztes Hemd zu verlieren.
Ofers Rückfragen an den Kursleiter, seine Art, jedes Konzept dieses Mannes zu überprüfen und zu hinterfragen, haben mich sofort beeindruckt. Ich nahm mir vor, ihn zu bitten, mir bei meiner Stellensuche behilflich zu sein, und ihn auch zu fragen, ob vielleicht er einen Job für mich habe. Und so schlossen wir Bekanntschaft. Ein paar Wochen später - am Tag, an dem ich die Abschlussprüfungen über Diamantengraduierung in den New Yorker GIA-Laboratorien abgelegt hatte - machte ich mir Gedanken, unter welchem Vorwand ich ihn wohl in seinem Büro aufsuchen und nach einem Job fragen könnte.
In seiner Heimat Israel hatte er bereits eine kleine Firma gegründet. Und zu meinem großen Glück stand er gerade jetzt im Begriff, eine Niederlassung in den USA zu eröffnen.
Mit den passenden Worten verschaffe ich mir also Zugang zu seinem Büro und bitte ihn, mir die Grundlagen des Diamantengeschäfts beizubringen: »Ich bin bereit, alle anstehenden Arbeiten für Sie zu übernehmen. Machen Sie doch bitte einen Versuch mit mir. Ich werde das Büro aufräumen und saubermachen oder Fenster putzen. Was Sie mir auftragen, erledige ich für Sie.«
Seine Antwort: »Leider habe ich kein Geld, um Sie einzustellen. Aber wissen Sie was, ich werde mit dem Inhaber dieses Büros sprechen - sein Name ist Alex Rosenthal. Und wir werden mal sehen, ob er und ich Sie vielleicht gemeinsam bezahlen können. Dann könnten Sie Botengänge und sonstige Besorgungen für uns beide übernehmen.«
Ich fange also als Botenjunge an: sieben Dollar die Stunde, ein Princeton-Absolvent, der sich im feuchtheißen New Yorker Sommer genauso wie bei Winterschneestürmen und bei Eiseskälte zu Fuß seinen Weg ins Diamantenviertel bahnt und nicht näher gekennzeichnete Leinensäcke bei sich trägt - gefüllt mit Gold, das zu Ringen gegossen werden soll, und mit Diamanten, die darin eingefasst werden sollen.
Mit mir zusammen sitzen Ofer, seine Frau Aya und ein stiller, aber wirklich vorzüglicher jemenitischer Goldschmied namens Alex Gal rings um unseren einzigen - gemieteten - Schreibtisch, graduieren Diamanten, sortieren sie, skizzieren neue Entwürfe für Diamantringe und telefonieren herum, um Kunden zu akquirieren.
Gehaltsschecks gab es damals wenige, und wenn es sie gab, dann oft verspätet, während Ofer seine Londoner Freunde telefonisch zu überreden versuchte, ihm noch ein bisschen mehr Geld zu leihen. Ich hatte trotzdem bald genügend Geld zusammen, um mir meinen ersten dunklen Straßenanzug zu kaufen. Den habe ich dann monatelang getragen, Tag für Tag.
Häufig haben wir bis nach Mitternacht gearbeitet, und anschließend hatte ich noch eine lange Heimfahrt vor mir, bis ich schließlich wieder in dem Zimmerchen angelangt war, das ich in einem kleinen Kloster der Gemeinschaft asiatischer Buddhisten in Howell, New Jersey, bewohnte. Ein paar Stunden später würde ich schon wieder auf den Beinen sein und kurz darauf im...
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