Schweitzer Fachinformationen
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Über Zufall und Chaos in der Kunst
Dies ist gedacht als Festschrift und Hommage an einen großen Künstler, vielleicht sogar einen der unentbehrlichsten, zu dessen Ehren leider viel zu wenig gesprochen wird. Sein Name ist: Zufall. Ich verstehe hier darunter, dass uns etwas "zufällt", vielleicht auch dass jemand "zu Fall" kommt, wenigstens eine ungeplante, unvorhersehbare Konstellation und Entwicklung.
Unser gebildetes Publikum hat ja meistens einen stark vom Geniekult geprägten Autoritätsglauben, auf den die nachfolgenden Gedanken etwas befremdlich wirken müssen, vor allem, wenn noch ein 'rein geistliches', sprich esoterisches Element hinzukommt, welches aus Gründen der universellen Sinnhaftigkeit die Existenz jeden Zufalls überhaupt ablehnt. In einem abstrakt-gnostischem Sinne stimmt das sogar, da jedes noch so marginale Ereignis letztlich kausal von einem anderen sich herleitet. Nur: erstens fehlt uns das Wissen über die beeinflussenden Faktoren, zweitens ist deren Anzahl und Gewichtung oft unübersehbar, und drittens haben wir weder Zeit noch Energie, dem nachgehen zu können. Wollten wir beweisen, warum eine Roulettkugel gerade auf dieser Zahl und nicht auf der nächsten hängenbleibt, was theoretisch grau sogar möglich wäre, Muskelkraftmessung des Croupiers usw., stände der Erkenntnisgewinn in keiner Relation zu dem ihm vorausgehenden Arbeitsaufwand. Kurz, wir nennen Zufall, was zwar paradigmatisch auf einem kausalen Abhängigkeitsverhältnis beruht, dessen Begründung aber entweder so schwierig oder so unwichtig sich darstellt, dass wir als endliche Wesen pragmatisch darauf verzichten müssen.
Wenn ein Philosoph sagt: "Kein Sieger glaubt an den Zufall", meint er damit die sich den Forderungen unserer Selbstliebe unterordnenden rationalen Strategien. Gelingt mir eine Malerei, so habe ich auch noch das geringste Farbspritzerchen zum Dableiben überredet, verderbe ich aber die Arbeit, so war zufällig die Farbemulsion faulig geworden, das Papier zu sehr saugend und überhaupt die Lichtverhältnisse ungünstig ...
Wir unterliegen der Notwendigkeit von Zwecken und denken deshalb in Ursachen, aus denen heraus wir den Zufall konstruieren. Auf dem Laufsteg eines solchen Gedankens ertönt immer der Beifall von der falschen Seite, denn er trägt den Satz: Es gäbe keinen Zufall, wenn wir nicht zielorientiert codiert wären. Die gnostische Seite liest aber: Wir wollen keinen Zufall, weil wir alles, notfalls magisch, zu bestimmen gelernt haben! Was sich also geheimnisvoll blinzelnd als dessen Überwindung gebärdet, ist genaugenommen nur die Verlängerung des zivilisatorischen Übermutes. Auch die letzten staubigen Winkel der 1. Welt sollen noch ausgeleuchtet werden, wo Neonlicht und Altarkerze nicht mehr hinreichen, bleibt immer noch das Glühwürmchen.
Die populäre Gegnerschaft zum Zufall können wir mithin getrost außer acht lassen, dieser magisch gestimmte Determinismus ist das Gegenteil von dem, was er zu sein vorgibt. Der erkenntnistheoretischen Aussage, wonach es keinen Zufall gäbe, wenn wir nicht in Zwecken denken würden oder wenn wir vollständiges Wissen besäßen, begegnen wir mit dem bewussten Setzen eines Axioms, diese Vorläufigkeit ist unsere Sphinx und launenhafte Hauptdarstellerin. Wir bezeichnen demnach mit Zufall, was zwar einen Sinn hat, aber nicht den unseren, was Zwecken dient, die in einem anderen, unerkennbaren oder nicht ganz erkannten Zusammenhang stehen. Noch anders: wenn nichts als Zufall wäre, wäre Zufall nicht; denn ein derartiges Modell setzt immer das Vorhandensein des von uns Bestimmten, unseren Zielen Gehorchenden als nicht zufällig voraus. Da der gesamte wissenschaftliche Apparat unserer Zweck/Ursache-Konstruktionen letztlich nicht das faktische Geschehen vollständig repräsentiert, sondern nur einen simplifizierten aber praktikablen Auszug daraus entnimmt, d.h. prinzipiell Unübersehbares in Bekanntes verwandelt und damit z. B. Naturgesetze entwickelt, wäre auf einer höheren erkenntnistheoretischen Ebene wiederum alles Zufall und Chaos, nur heben sich diese Abgrenzungen dann selbst auf. Kehren wir deshalb aus der Höhenluft vorerst in die Niederungen und Sumpfgebiete der konkreten Arbeit mit dem Material zurück.
In der künstlerischen Gestaltung gibt es Vorgehensweisen, die mehr oder weniger das Unvorhersehbare zu eliminieren trachten und andere, die es zulassen oder sogar provozieren. Diesen letzteren wollen wir uns hier zuwenden, und zwar ausgehend von den tradierten künstlerischen Mitteln des Tafelbildes. Alles weiter unten zu Sagende gilt aber selbstredend auch von anderen Gestaltungsmedien, wie etwa der Fotografie oder einer digitalisierten, 'virtuellen' Bildfindung. Zum Beispiel kann ein einziges nicht beabsichtigtes, unscharfes oder sonstwie misslungenes Foto ganze Lebenswerke verändern und bestimmen, die falsche Bedienungstaste oder eine verschmutzte Linse kann ähnlich folgenreiche Resultate nach sich ziehen wie ein zu Tode gequälter Rotmarderpinsel.
Wie kann man etwas provozieren, was ja gerade darin besteht, sich ohne Einflussfaktoren zu ereignen? Ich kann dieser Eminenz nur prophylaktisch einen roten Teppich ausrollen, wann sie aber geruht, diesen zu beschreiten, entzieht sich meiner Kenntnis. Der rote Teppich besteht einmal in sie begünstigenden handwerklichen Techniken, aber mehr noch in der Bereitschaft, etwas überhaupt zu sehen und dann ertragen zu können, von dem wir als okzidental-instrumentell denkende Menschen zunächst nicht viel halten, weil es unserer Omnipotenzvorstellung schadet.
Die Voraussetzungen sind also einerseits eine gewisse Offenheit und andererseits auch das Vertrauen in unsere Kräfte. Denn wir sind es ja, die dieses Element Unbestimmtheit benutzen, und unserer Macht obliegt es, davor nicht zurückzuschrecken. Manches können wir in dieser Hinsicht lernen vom Spiel der Kinder, sich konzentrieren bis zur Verengung, tastend auswählen und dann ein tapsiges Ergreifen, nur ist diese Eminenz Zufall ein sehr scheues Wild: wir sind gezwungen, uns gegen den Wind zu nähern! Mit anderen Worten, ausgerollte Teppiche werden oft nicht benutzt, der hohe Gast schleicht sich zur Gärtnerpforte herein, will sagen: Unfall, Notsituation, Materialmangel und Faulheit bekommen eine evozierende Rolle zugewiesen. Lassen wir sie diese Rolle spielen, der Applaus ist unsicher genug! Aber so wie wir uns manchmal schon irrational wohler fühlen, nur weil wir ein anderes Hemd angezogen haben, so kann der maestro Zufall auch bereits durch Winzigkeiten günstig gestimmt werden.
Das action-painting ist geplant, der Atelierbrand aber nicht. Bei Zufall und Desaster steht die Grenze nach oben offen, eine Zerstörung kann immer gigantischer werden und leider oft auch immer gigantisch schöner, bis hin zum vom Hurrikan erfassten Farbeimer mitsamt Haus. Die ungeheure Gewalt der desaströsen und zerstörerischen Realität ist eine Sache, die durchgearbeitete Gestaltung eines abstrahierten Ausschnittes eine andere. Das kann man nicht aus dem gleichen Blickwinkel betrachten, und wenn, dann wäre die Kunst immer unterlegen, auch falls solcher Erkenntnis durch Gigantomanie auszuweichen versucht würde.
Wir sprechen hier von der materiellen Eigengesetzlichkeit eines künstlerischen Vorganges, verwandt damit ist die in den 1920er Jahren und noch einmal bei den Surrealisten wichtig genommene Rolle des 'automatischen' Zeichnens, des Vexierbildes und der Sinnestäuschung. (Wenn ich 'blind' male, bin ich ja nicht blind, sondern ich tausche nur eine Informationsebene gegen eine etwas unschärfere aus.) Man stellte sich eine direkte Liaison zwischen Hand und Materie vor, ein etwa eifersüchtiger Kopf bliebe zu Hause fein säuberlich eingesperrt. Der gewaltige Komplex des Unterbewussten steht nun allerdings nicht grundsätzlich jeder Rationalität entgegen, und er kann auch nicht so einfach über die Hand und den Zeichenstift herausgeschüttelt werden, wie man sich das damals vorstellte, als man erstmals von der Existenz dieses neuen Kontinents erfuhr. Wenn jemand in einem Rohrschach-Test mehrdeutige Formen mit dem identifiziert, was sein Problem ausmacht, so liegt darin nichts Spökenkiekerisches, der umgekehrte Schluss aber trügt: was ich 'bewusstlos' zeichne, bildet mein Unterbewusstsein wiederum nur sehr diffus ab. Trotzdem ist die 'Kleksographie' für unser Thema von Bedeutung, da sie zum ersten Mal ausdrücklich ein über Rationalität und bewusste Gestaltung hinausgehendes Gebiet betreten hat. Die beiden Bewusstseinsteige durchkneten und modulieren sich jedoch wechselseitig, auch die bewussteste Kunst weist noch atavistische Züge unserer vorrationalen Vergangenheit auf, und umgekehrt haben wir auch künstlerische Zeugnisse unterbewusster Zustände gesehen, die mehr wie schlechtes 'Oberbewusstsein' anmuten, man denke z.B. an die grell krassen LSD-Rauschergebnisse.
Stellen wir aber vorerst die Kellergewölbe und Dunkelkammern unseres Selbst zurück und bleiben bei den Eigengesetzlichkeiten der Materie, die uns eine gleichermaßen geheimnisvolle Welt der Schönheit offenbaren können, welche ebenfalls von der bewussten Gestaltung...
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