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Home, sweet home, an diesen Spruch musste Toni denken, als sie die Wohnungstür hinter sich schloss und ihren Koffer mit einem Fußtritt in eine Ecke des Flurs beförderte. Mit neuem Elan ließ sie sich auf ihr Fünfzigerjahre-Sofa fallen. Nachdem sie mit einem energischen Ruck den dazu passenden Nierentisch von einem Stapel alter Klamotten befreit hatte, streckte sie ihre nackten Füße auf der Glasplatte aus. Ihr Blick fiel auf ihre Zehennägel und den abblätternden Nagellack. Da musste etwas getan werden, so viel Zeit würde ja wohl noch drin sein .
Während Toni auf dem Fußboden sitzend gleichzeitig dabei war, eine Express-Gesichtsmaske einwirken zu lassen, sich die Fußnägel schwarz zu lackieren, Napoleon seinen Stofflöwen zuzuwerfen und an einem Bagel zu kauen, klingelte in der Küche das Telefon. Sie zögerte kurz und setzte sich rhythmisch robbend in Richtung Küche in Bewegung. Tatsächlich schaffte sie es, ohne Nagellack und Crememaske zu zerstören, auf dem Hosenboden in der Küche anzukommen. Das Telefon lag praktischerweise noch unter einem Stapel Zeitschriften auf dem Boden. Dort hatte Toni vor ihrem desaströsen Kurzurlaub ein Dauergespräch mit ihrer Freundin Pia geführt. Wieder einmal dachte sie erfreut, dass Ordnung allgemein überbewertet wurde. Sie klemmte sich den Hörer des Telefons geschickt zwischen Ohr und Schulter und meldete sich mit »Toni Hoff«.
»Antonia Gräfin von Hoff, heißt das. Wie oft soll ich dir das noch sagen? Du hast solch einen prachtvollen Namen von uns bekommen, mein Schatz. Bitte verleugne ihn nicht.« Am anderen Ende war ihre Mutter Mildred, die sich stets darüber ärgerte, wenn Toni am Telefon eine bürgerliche Kurzform ihres Namens benutzte. Toni hatte es schon vor Jahren sattgehabt, sich dumme Sprüche zu ihrem Adelstitel anhören zu müssen, und war darum dazu übergegangen, sich Toni Hoff zu nennen. Das wurde auch allgemein akzeptiert, außer von der eigenen Familie, die darin eine Schändung der Traditionen sah. Toni liebte eigentlich ihr altmodisches oranges Wählscheibentelefon aus den Siebzigerjahren. Wie ihr in diesem Moment wieder einmal klar wurde, war sein größter Nachteil, dass sie vorher nie wusste, wer am anderen Ende war. Toni hatte Pia erwartet und biss sich verärgert auf die Unterlippe.
Mildred wartete keine Erwiderung ihrer Tochter ab, sondern kam direkt auf das Thema ihres Anrufs zu sprechen.
»Warum ich anrufe: Wie konntest du unseren gemeinsamen Urlaub ausfallen lassen, Antonia? Das war really nicht nett von dir. Wir hatten so eine schöne Zeit dort, und ich habe mich so darauf gefreut, mit euch allen als Family zusammen zu sein.«
Toni hatte sich längst daran gewöhnt, dass ihre Mutter trotz vieler Jahrzehnte in Deutschland hin und wieder englische Vokabeln in ihre hochgestochene Redeweise einbaute. Mildred war eine geborene Lady McAllister. Sie stammte aus einer schottischen Adelsfamilie, die ihren Reichtum vor langer Zeit ganz bodenständig mit der Destillation von Whisky erlangt hatten. Tonis Eltern hatten sich nach einem Reitunfall ihrer Mutter kennengelernt, bei dem sie sich einen komplizierten Bruch zugezogen hatte, der eine Behandlung in Deutschland erforderlich gemacht hatte. Tonis Vater Karl war damals als Rechtsanwalt für Erbrecht tätig, und er war mit dem Prominentenarzt befreundet, der die Behandlung von Mildred übernommen hatte. Als Karl seinen Freund zum gemeinsamen Mittagessen hatte abholen wollen, war ihm Mildred mit ihrem Gipsbein auf dem Krankenhausflur unfreiwillig in die Arme gestolpert. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen, und die beiden waren sich schnell nähergekommen. Sicher hatte dabei auch die Tatsache eine Rolle gespielt, dass Tonis Vater als Graf von Hoff eine standesgemäße Wahl für die junge Mildred McAllister war. Toni seufzte bei dem Gedanken an die lang vergangene Romantik zwischen ihren Eltern, um sich dann wieder auf das Gespräch mit ihrer Mutter zu konzentrieren.
»Aber dann ist doch alles gut, Mom. Es freut mich, dass ihr eine schöne Zeit hattet. Bestimmt habt ihr gar nicht bemerkt, dass ich nicht dabei war. Ich hatte dir doch vorher Bescheid gesagt. Ich wäre ja wirklich gerne mitgekommen, aber ich hatte einfach zu viel Arbeit in der Agentur.«
Trotz dieser kleinen Notlüge gelang es Toni nicht, ihre Mutter zu besänftigen. Mildred sprach weiter und hatte dabei Mühe, ihre Verärgerung nicht zu zeigen. Es gehörte zu einem der ungeschriebenen Gesetze in Adelskreisen, dass das Ausleben großer Emotionen nicht standesgemäß war.
»Arbeit in der Agentur, wenn ich das schon höre. Antonia my dear, wie kann denn eine Arbeit wichtiger sein als das Zusammensein mit deiner Familie? Eines will ich dir jetzt einmal sagen, meine Tochter .«
Toni wusste, dass nun eines der vielzitierten Sprichworte ihrer Mutter folgen würde. Dazu kam es immer, wenn ihre Mutter verärgert war und sie in diesem speziellen Tonfall mit »meine Tochter« anredete. Und tatsächlich, Mildred holte tief Luft, als würde sie vor einer sportlichen Höchstleistung stehen. Dann entließ sie ihre Botschaft mit nachdrücklicher Stimme in den Hörer: »Antonia, mein Kind, ich habe dir immer wieder gesagt, dass wir von Hoffs durch die jahrhundertelange Familiengeschichte eine Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft haben. Aus unseren Privilegien resultieren auch Pflichten, you know?« Sie machte eine Atempause und redete bedächtig weiter. »Wir sind nun einmal anders als andere Familien, und es war und ist für uns wichtig, die Traditionen zu pflegen. Wie schon dein Großvater gesagt hat: Essen und Schlafen machen noch keinen zum Grafen. Denk einmal darüber nach, noch ist es nicht zu spät. Auch dein Vater würde sich freuen, wenn du dich ein klein wenig mehr auf deine Abstammung besinnen würdest. Werbetexterin, das ist doch wirklich kein Beruf für eine von uns.«
Toni merkte, wie sie langsam dabei war, die Beherrschung zu verlieren. Speziell der letzte Satz war wieder eine kaum verdeckte Spitze ihrer Mutter gewesen, die sich nicht damit abfinden konnte, dass Toni trotz ihrer guten Abiturnoten nicht BWL oder wenigstens Jura studiert hatte. Diese Gespräche hatte sie zu oft geführt, und dass ihre Mutter nun noch ihren Vater mit hineinzog, regte sie mehr auf, als sie zugeben wollte. Auch die arrogante Borniertheit, die aus der Aussage ihrer Mutter sprach, war fast zu viel für Toni. Sie ermahnte sich zur Ruhe und antwortete mit bemüht freundlicher Stimme: »Aber das ist doch genau der springende Punkt, Mama. Ich will gar keine Privilegien haben. Akzeptier doch einfach, dass ich hier in Hamburg mein eigenes, ganz normales Leben leben möchte. So wie jeder andere auch. Mir macht die Arbeit in der Werbebranche nun mal Spaß. Außerdem hast du doch für die Traditionspflege immer noch Freya und Benedict an deiner Seite. Die machen doch immer alles richtig.«
Die Erwähnung ihrer jüngeren Schwester und ihres Fast-Schwagers war ein taktischer Fehler gewesen, das merkte Toni nun. Ihre Mutter nahm den Themenwechsel sofort auf und widmete die nächsten fünfzehn Minuten einem euphorischen Lobesgesang auf Freya und ihren fantastischen Verlobten. Das Gespräch endete schließlich mit Tonis halbherzigem Versprechen, am nächsten Wochenende zu ihren Eltern aufs Land zu kommen.
Sie wusste schon länger, dass dann die jährliche Schleppjagd auf Gut Travenhorst stattfinden würde. Toni war als überzeugte Tierschützerin heilfroh, dass von ihrer Familie keine Jagden auf echte Tiere mehr veranstaltet wurden. Bei der Schleppjagd lief alles vollkommen unblutig ab, und es wurde mit Pferden und Hunden nur eine künstlich gelegte Duftspur verfolgt. Natürlich konnte Toni seit ihrer frühen Kindheit reiten. In adeligen Kreisen gehörte das auch heute noch zum guten Ton. Außerdem waren die Pferdezucht und das Jagdreiten die großen und zugleich auch einzigen Leidenschaften ihrer Mutter Mildred. Trotzdem hatte Toni nicht die geringste Lust auf das Event, denn die Aussicht auf ein Wiedersehen mit der adeligen Verwandtschaft war alles andere als verlockend. Alle würden da sein, und dabei beinhaltete das Wort alle auch Tonis jüngere Schwester Freya samt ihrem Verlobten Benedict. Wenn Toni nur an die beiden dachte, bekam sie automatisch schlechte Laune. Es war wirklich kaum zu glauben, dass zwei Schwestern, die optisch so große Ähnlichkeit miteinander hatten, derartig unterschiedliche Menschen sein konnten. Toni schob den Gedanken an ihre Schwester beiseite und ging weiter die Gästeliste der jährlichen Schleppjagd durch. Mit Sicherheit waren auch Onkel Hubsi und Tante Maggi eingeladen. Diese beiden waren besonders unangenehme Vertreter des Geschlechts derer von Hoff und schon für sich genommen ein Grund, dort nicht hinzufahren. Sie hießen mit vollem Namen Graf Hubert Josef Gustav und Gräfin Margaretha Elisabetha Regina von Hoff. Ihre Spitznamen waren kein Ausdruck einer besonders lässigen Gesinnung. Beide legten in der Öffentlichkeit allergrößten Wert darauf, immer korrekt mit ihren vollen Titeln angesprochen zu werden. Weil man aber für die stattliche Nachkommenschaft der Familie von Hoff schon seit Jahrhunderten die immer gleichen traditionellen Vornamen auswählte, die dann natürlich mehrfach innerhalb der Verwandtschaft vorkamen, brauchte man intern andere Mittel zur Unterscheidung. Daher die Spitznamen Hubsi und Maggi, die beide schon als Kinder von der Familie verpasst bekommen hatten. Wenn sie die anderen zur Auswahl stehenden Alternativen bedachte, konnte Toni mit ihrem Vornamen sehr zufrieden sein. Ein Blick auf die Uhr ließ Toni zusammenzucken. Bestimmt wartete Philipp schon längst oben auf sie.
***
»Ich dachte schon, du wärst eingeschlafen«, maulte ihr Philipp entgegen, als Toni die...
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