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Als ich die Einladung nach Südkorea bekam, wußte ich von diesem Lande nicht mehr und nicht weniger als die meisten anderen Europäer: Korea ist eine kleine Halbinsel westlich von Japan, östlich von China, südlich vom südlichsten Teil der Sowjetunion; ein unbedeutendes Anhängsel am asiatischen Kontinent, aber ein begehrter Bissen für die großen Nachbarn, vor dem Aufgefressenwerden vorläufig beschützt durch die USA, für welche, nach dem Rückzug aus Vietnam, Südkorea der letzte militärische Stützpunkt im Fernen Osten ist. Aus der Zeitgeschichte weiß man, daß Korea am 38. Breitengrad liegt. Nahe diesem Breitengrad liegen rings um die Erdkugel aufgereiht andere bedeutende Weltorte wie Peking, Jerusalem, Athen, Rom, Madrid, New York, San Francisco; aber keiner dieser Orte hat den 38. Grad berühmt gemacht. Das tat einzig eine höchst leidvolle, folgenschwere Phase der jüngsten koreanischen Geschichte: dieser Breitengrad wurde nach dem zweiten Weltkrieg die (als vorläufig gedachte) Grenze zwischen Nord- und Südkorea, das heißt zwischen der Einflußsphäre der Sowjets und der Rotchinesen (die damals gemeinsame Fernost-Politik machten) einerseits und dem restlichen, dem nicht-kommunistischen, dem demokratischen freien Teil andrerseits. Nach dem Koreakrieg, 1953, wurde die Grenze ein wenig verschoben; und da verläuft sie nun, von Ost nach West, und trennt Nord- und Südkorea schärfer als Ost- und Westdeutschland getrennt sind durch den Nord-Süd-Schnitt. Wie Deutschland, so unterstehen die beiden Korea, obgleich völkerrechtlich freie, selbständige Staaten, zwei Großmächten: der Norden der UdSSR, der Süden den USA. Es gibt allerdings einen Unterschied: Deutschlands freier Teil ist faktisch eine Demokratie, Koreas nicht-kommunistischer Teil ist es nur dem Namen nach; tatsächlich ist es eine totalitäre Rechtsdiktatur unter dem Präsidenten Park Chung-Hee. Wir haben ihn auf Pressefotos gesehen: er schüttelt 1961 John F. Kennedy die Hand, 1964 dem deutschen Präsidenten Lübke, 1966 Nixon und dem Vietnamesen Van Thieu, 1968 dem äthiopischen Kaiser Haile Selassie, 1972 den Wiener Sängerknaben und dem österreichischen Präsidenten Jonas, und wir konnten 1974 durch Zufall vor dem Fernsehapparat Zeuge sein, wie seine Frau erschossen wurde, während er zur Erinnerungsfeier der Befreiung Koreas von Japan eine Rede hielt, die er sogleich fortsetzte, nachdem man die tote Frau weggetragen hatte.
1975 hat uns Korea eine Weile beschäftigt, als die UNO lange darüber beriet, welches der beiden Korea Mitglied werden dürfe, es gab viel internationalen Ärger, obgleich dieselbe UNO in ihrer 3. Versammlung 1948 die Südkoreanische Regierung klipp und klar als einzig rechtmäßige erklärt hatte. Wir wissen, daß Park Chung-Hee sich eines großen CIA-Netzes bedient, um sein Volk unter ständiger Kontrolle zu halten, im Inland und auch im Ausland. Wir erfuhren das, als 1967 der Komponist Isang Yun aus Berlin, wo er an der Hochschule für Musik lehrte, entführt wurde auf eine bemerkenswerte Art; er selbst erzählte mir, daß eines Tages zwei Koreaner ihn besuchten, ihn unter einem Vorwand in die südkoreanische Botschaft nach Bonn brachten, ihn dort mit Drogen bewußtlos machten und ihn nach Korea entführten. Er kam im Gefängnis von Seoul zu sich. Kurze Zeit später holte man auch seine Frau. Die Anklage lautete, wie üblich, auf Paktieren mit dem Kommunismus; Isang Yun hatte mit südkoreanischen Studenten sympathisiert, die in Berlin für ein freies demokratisches, keineswegs für ein kommunistisches Südkorea demonstrierten. Isang Yun's Frau blieb acht Monate im Gefängnis, er selbst zwei Jahre. Erst die zahlreichen gemeinsamen Proteste der Intellektuellen vieler Länder bewogen Park dazu, ihn freizulassen. Nun lebt Isang Yun wieder in Berlin, frei, berühmt und inzwischen deutscher Staatsbürger geworden.
Es ist nicht der einzige Fall eines KCIA-Skandals in Europa. Ist es verwunderlich, wenn Südkorea einen so schlechten Ruf genießt, daß eine deutsche Zeitschrift 1975 schreiben konnte, es sei »ein einziges Gefängnis«?
Erfreuliches über Südkorea kommt uns nicht zu Ohren. So halten wir es für ein finsteres, reaktionäres, von einem besonders unsympathischen Tyrannen unterdrücktes Land, das zu besuchen nicht tunlich ist. Was auch sollte uns dorthin locken? Es sei landschaftlich schön, sagt man, und man ersieht es aus den Prospekten der Reisebüros. Aber das ist kein Grund, so weit zu reisen: rund zwanzig Flugstunden dauert die kürzeste Route mit der KAL, der Korean Air-Lines, von Paris über Anchorage in Alaska und über den Nordpol nach Seoul.
Besitzt Südkorea eigentlich eine eigene Kultur? Gleicht sie nicht der chinesischen oder japanischen, so wie die koreanischen Gesichter den chinesischen und japanischen gleichen? Hat es große Dichter, Maler, Philosophen, Religionsstifter, Wissenschaftler von Weltruf? Ein gutes, ein artistisch perfektes Ballett hat es, das, auf Welttournee geschickt, erfolgreich ist. Daß wir nichts wissen von der koreanischen hohen Kultur, ist auch unsere Schuld: wir haben uns nie dafür interessiert. Wie ist das Volk? Uninteressant; sonst wüßte man etwas darüber. So meinen wir. Um Ostasien kennenzulernen, reist man nach China oder Japan.
Nach Südkorea gehen freiwillig nur christliche Missionare, gezwungenermaßen Politiker und, von materiellen Interessen getrieben, Geschäftsleute, die in diesem rückständigen Bauernland Industrien aufbauen, wobei die USA besonders viel Geld investieren, um sich dort einen neuen Absatzmarkt zu schaffen.
Was gibt es eigentlich in Südkorea? Bodenschätze? Die finden sich in Nordkorea, mitsamt einigen von den Japanern aufgebauten älteren Industrien. Südkorea hat, so scheint es, nur Unwichtiges zu bieten: Seide, Lack- und Perlmutt-Arbeiten, Halbedelsteine, Töpferwaren und die geheimnisvolle Ginseng-Wurzel, die man im Westen als Extrakt und Tee und Pillen kauft, welche Gesundheit, Kraft und langes Leben verleiht.
Was uns Südkorea im Gedächtnis festhält, ist die Möglichkeit, daß dort eines Tages die Spannung zwischen Nord und Süd derart stark wird, daß ein Bruderkrieg ausbrechen und einen Dritten Weltkrieg auslösen könnte.
Alles in allem: was für ein unsympathisches Land! Alle meine Bekannten warnten mich vor der Reise. Als ein bekannt antifaschistischer Autor in eine Rechtsdiktatur eingeladen zu werden, kann nicht harmlos sein. Man wird dir, sagten Freunde, nur das zeigen, was du sehen darfst und worüber du schreiben sollst; man benützt dich als Aushängeschild für vorgebliche Toleranz und Freiheit; man kauft dich und wehe, wenn du etwas sagst oder tust, was der Regierung nicht paßt; du wirst vom KCIA überwacht werden nicht nur in Südkorea selbst, sondern auch nach der Rückkehr .
Warum eigentlich hatte niemand mich gewarnt, als ich, ebenfalls eingeladen, in die Sowjetunion reiste oder nach Franco-Spanien oder in den Vorderen Orient oder in die Militärdiktatur Indonesien oder in den faschistoiden Süden der USA? Mit welchem Maß wird da gemessen?
Einige Monate vor der Reise besuchten mich teils nach-, teils miteinander vier Südkoreaner, die schon einige Jahre in Deutschland lebten. Sie wichen allen meinen politischen Fragen höflich aus; sie trauten mir nicht, weil sie keinem Menschen trauen. Nur einer gab sich offen; er sagte, ich dürfe in Südkorea alles sagen, alles kritisieren, alles fragen; mir würde nichts geschehen; Südkorea entspreche nicht seinem schlechten Ruf; freilich sei vieles übel dort, und natürlich stehe ein Teil des Volkes gegen die Regierung, aber in welchem Land sei das Volk einig und in welchem gebe es keine Mißstände? Dieser Mann war vom KCIA; er begegnete mir in Korea wieder; er war bei denen, die mich am Flughafen offiziell empfingen; er tauchte immer wieder auf, bis ich andernorts meinen Verdacht aussprach. Von da an sah ich ihn nicht mehr.
Wenngleich ich das abratende Gerede meiner Bekannten in den Wind schlug, hegte ich doch selber einige Bedenken vor der Reise. Wieso eigentlich war gerade ich eingeladen? Ein Jahr vor mir, als erster Gast der Zeitschrift »Munhak-Sasang« (Literatur und Denken), war Constantin Virgil Gheorgiu eingeladen, Exil-Rumäne und Ex-Kommunist; das war eine verständliche, eine begründete Einladung. Aber ich? Natürlich gab es eine Erklärung, die gelten konnte: im Laufe der letzten fünfzehn Jahre sind zehn meiner Bücher ins Koreanische übersetzt worden, als Raubdruck, und eines dieser Bücher, das erst-übertragene, der Roman »Mitte des Lebens«, ist seither Bestseller und Schullektüre, wie ich zuerst von südkoreanischen Krankenschwestern erfuhr, die in Deutschland arbeiten.
Gerade das aber war mir nicht geheuer, denn die Heldin des Romans, Nina, eine Studentin, agiert im Widerstand gegen die Hitler-Diktatur. Das ist doch absurd, ein derart antifaschistisches Buch so zu fördern in einer Diktatur und dann auch noch die in Vergangenheit und Gegenwart nachdrücklich antifaschistische Autorin einzuladen. Natürlich war ich nicht von der Regierung direkt eingeladen. Aber in einer totalen Herrschaftsform geschieht nichts ohne Wissen und Erlaubnis der Regierung. Wußte sie nicht, wer da eingeladen wurde? (Sie wußte es.) Oder bestanden etwa innerhalb der Regierung zwischen Kultusministerium und Partei Rivalitäten und Kontroversen, so wie es sie in Hitlerdeutschland gab zwischen Partei, SS,...
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