Es sieht aus, als ob der Berg drüben die Mondsichel verschlänge. In Wirklichkeit sind sie nur tief im Tal des Terlingua Creek. Der Mond verschwindet hinter der Mesa Aguila und dem Tinaja Blanca Creek.
Sie reiten so leise wie Nachtfalken. Und im Augenblick weiß Angus Haley, dass er auch nichts anderes ist als ein Nachtfalke. Er erinnert sich, während die anderen halten und ohne ein Wort zu reden, in die Nacht hineinlauschen, an die sorglosen Tage in Alpine. Aber die Sorglosigkeit ist dann jäh unterbrochen worden.
Sein linker Arm, kaum geheilt, schmerzt noch immer. Er denkt an das Fieber, an jene Leute, die ihn aufgenommen haben und denen er Dankbarkeit schuldet.
»Nichts«, sagt Scipio vor ihm und spuckt wie immer aus, wenn er etwas besonders bekräftigen will. »Es rührt sich niemand, sie werden schlafen. Wenn wir einen Monat nicht mehr zu Besuch gekommen sind, dann lässt alles nach, auch die Wachsamkeit.«
»Du schwatzt zu viel, Scipio.«
Der Mann ganz vorn sieht sich um. Unter den breitrandigen Hut fällt etwas Mondlicht. Sein dunkles Gesicht mit dem wirren Bart, in dem der Staub klebt, wendet sich Scipio zu.
»Warum? Niemand hört uns!«, fragt Scipio verwundert. »Das geht heute einfach. Und merkt euch: Bloß nicht schießen, wenn es sich vermeiden lässt. Sie werden denken, wir wären Mexikaner.«
»Wenn sie dich sehen, dann denken sie es bestimmt.«
Der Mann macht darauf eine hastige Bewegung zurück, er kennt Scipios Zorn und sieht auch schon die Peitsche hochkommen.
»Ruhig, ihr Narren.«
Sie streiten sich dauernd, denkt Angus bitter, sie machen mehr Lärm, als gut ist. Wenn man sie hört, dann ist die Hölle los. Da vorn ist schon die Hütte, dort werden sich sicher Männer aufhalten!
Einen Moment lang hat er das verflixte Gefühl, beobachtet zu werden, aber es bleibt keine Zeit zum Nachdenken.
»Also weiter«, sagt Jackson seltsam dumpf. »Es sind elf Meilen bis zur Grenze. Und nur, wenn wir leise sind, kommen wir unbemerkt davon! Haley, nervös?«
»Warum sollte ich?«, erwidert Angus Haley ruhig. »Ich würde gerade jetzt keinen Streit anfangen, wie die anderen es tun. Der Lärm .«
»Da habt ihr es«, meint Clay Jackson hart. »Er sagt es und denkt nicht anders als ich. Also, vorwärts und leise sein. Beobachte die Hütte, Scipio.«
Jackson reitet an, er hat nicht einmal sein Gewehr über den Schenkeln. Ein Mann wie Jackson ist sicher, wenn er etwas unternimmt. Sie haben lange genug gewartet und die Augen aufgehalten. Das Vieh dort steht still, es grast am Hang.
Vor Angus ist jetzt Bernardo. Zwei von ihnen sind Mischlinge, der dritte Amerikaner wie Angus und Jackson. Zusammen sind sie sechs Mann, nur der sechste Mann ist reinblütiger Mexikaner, ein hagerer, säbelbeiniger Mann mit dem klangvollen Namen Felipe des San Marcos.
Jetzt kommen sie hintereinander und in weitem Abstand unten in das Tal auf die Weide, die nahe am Terlingua Bach liegt.
Morgen früh, denkt Angus, wird Dryden Augen wie Mühlräder machen, wenn er merkt, dass seine Rinder Flügel bekommen haben. Nun gut, immer langsam.
Scipio starrt auf die Hütte, die etwa achthundert Schritt über ihnen liegt. In dieser Hütte sind meist ein oder zwei Cowboys, heute zwei, das haben sie vorhin an den Spuren gesehen. Schließlich ist Jackson nicht der Narr, der heranreitet und vorher gar nichts unternimmt, um sich zu sichern.
Jetzt sind sie am Zaun, und Bernardo greift in die Satteltasche.
»Halte den Draht, Mann!«
Es ist Felipe, der den Draht zwischen den eingewundenen Stacheln anfasst, während Bernardo sich herabbeugt. Jetzt ist die Zange am Draht, Bernardo drückt die Schenkel der Zange zusammen. Es klickt einmal.
Der erste Draht ist los, Felipe reitet leise zur Seite und legt ihn vorsichtig hin, damit er nicht zurückschnellt und an die anderen beiden Drähte schlägt.
»Beeilung«, zischt Jackson scharf. »Das ist doch keine Panzertür.«
Es dauert vielleicht zwei, drei Minuten, dann haben sie den Zaun zerschnitten. Felipe aber bleibt an den drei Enden Draht hocken und wickelt einige andere kurze Enden, die er aus seiner Satteltasche nimmt, um den Draht.
Später wird er den Draht wieder anbinden. Und wer dann nicht ganz genau hinsieht, der findet den Draht um die Weide in Ordnung. Das hilft oft und macht den Vorsprung länger, der zwischen ihnen und etwaigen Verfolgern liegen kann.
Jackson reitet mit Scipio schon durch den Zaun. Sie haben alle Stricke mit, und Haley hört Jackson sagen:
»Die Gescheckte da am Wasser . nimm die beiden anderen, Scipio.«
»In Ordnung.«
Es ist, denkt Haley, als wenn sie bestelltes Vieh abholen. Dabei braucht man sie nur zu erwischen, dann .
An das, was dann passieren kann, daran denkt er nicht gern. Man sieht sich selbst ungern an einem Strick hängen, auch wenn es nur in Gedanken ist.
Die anderen verteilen sich jetzt. Es ist die Aufgabe von Angus, aufzupassen. Er sieht nichts, sooft er auch auf die Büsche am Bachsaum blickt und die Hütte beobachtet.
Nichts rührt sich.
Vier Mann sind jetzt dicht am Wasser. Und jeder holt sich, ohne dass die Tiere mehr brüllen als sonst, zwei Rinder. Dann kommt Jackson, zwei Stricke in der Hand. An jedem Strick hat er ein Rind.
»Halte sie«, sagt er knapp zu Angus. »Felipe bekommst auch noch zwei. Das sind auf jeden vierzig Dollar, der Lohn eines Monats, wenn du arbeiten würdest. Und du verdienst es hier in zwei Stunden.«
»Vier, denke ich«, erwidert Angus ruhig. »Der Rückweg .«
»Du rechnest zu viel«, brummt Jackson und dreht um, weil er noch zwei Rinder holen muss. »Du musst nie rechnen.«
Dann ist er fort, und Angus fragt sich, ob es richtig gewesen ist, mit ihnen zu reiten. Er hat schon oft auf seinen früheren Arbeitsstellen hier und da ein Maverick eingefangen, das keinen Brand getragen hat. Schließlich haben sie das alle getan. Niemand hat sich etwas dabei gedacht. Hier nun sieht die Sache anders aus, es sind Rinder, wenn auch die Arbeit fast die gleiche ist.
Vielleicht ist es eine Portion Leichtsinn, die ihn diesen Ritt mitmachen lässt. Vielleicht ist es, aber auch das Bewusstsein, kein Geld mehr zu haben und erst nach seiner Genesung zurückkehren zu können. Dazu braucht er Geld, denn Lanson ist nicht der Mann, der leicht zu finden sein wird. Es ist schließlich Lanson gewesen, der in Alpine den Streit angefangen und dann die Lampe zerschossen hat. Obwohl Angus Haley nun seit zwei Jahren mit Lanson zusammen gewesen ist - er hat ihn nicht erkannt, viel weniger richtig gekannt, aber er hat sich das einige Zeit eingebildet. Genau bis zu dem Tag, an dem sie beide nach Alpine gekommen sind. In seinem angetrunkenen Zustand hat Syd Lanson sich hingesetzt, gespielt und verloren.
Erst zu dieser Zeit hat Angus gemerkt, dass Lanson nie verlieren kann. Er hat Mühe gehabt, Lanson mit sanfter Gewalt nach draußen zu befördern. Aber kaum haben sie h der Bodega im Bett gelegen, und er war eben erst eingeschlafen, als er aufgeschreckt ist, um festzustellen, dass Lanson verschwunden war.
»Träumst du?«
Er sieht hoch und zuckt leicht zusammen. In seinen Gedanken ist er schon bei der Schießerei gewesen.
Scipio hält vor ihm, gibt ihm zwei weitere Leinen und schüttelt heftig den Kopf.
»Du kannst jetzt ruhig träumen, Mann«, sagt er heiser. »Es kann dich den Hals kosten, wenn du nicht aufpasst. He, Felipe, die Rinder.«
Felipe ist mit dem Drahtflicken fertig und kommt hastig heran. Er nimmt die Rinder mit, bindet sie an sein Pferd und wartet.
Jetzt sind auch die anderen so weit Und wenn sich auch nichts zeigt . es ist Angus in diesem Augenblick so, als wenn sie jemand die ganze Zeit beobachtet. Das Gefühl hat er auch damals in Apine gehabt.
Damals ist Lanson kurz vor ihm in den Spielsaloon gegangen und hat von der Tür aus die Lampen zerschossen. Irgendwie hat Lanson wohl seine Wut abreagieren müssen, aber wenn, dann hat sie seinem Partner Haley nichts als eine Kugel und eine Menge Ärger eingebracht. Wahrscheinlich, denkt Angus, als er die Hütte wieder im Blickfeld hat, wissen meine Leute nun, dass ich in Alpine keine fünfzehn Meilen von zu Haus entfernt gewesen und nicht zu ihnen gekommen bin. Nun ja, ich werde nie mehr nach Hause gehen, nie mehr .
Er muss unwillkürlich schlucken. Immerhin leben seine Eltern noch. Und wenn ihn auch sein Vater einen nichtswürdigen Herumtreiber und Revolverhelden genannt hat - seine Mutter wird oft an ihn gedacht haben und manche bittere Träne . Es ist wohl mit allen Müttern so auf dieser Welt.
Jackson kommt und schnalzt mit der Zunge, ein Zeichen, dass sie fertig sind. Auch Angus wendet jetzt. Er hat rechts und links ein Rind. Das ist immerhin ein gewisser Schutz gegen eine Kugel.
»Was ist mit dir los, Angus?«, fragt Jackson heiser. »Du siehst aus, als wenn du über etwas angestrengt nachdenkst. Gibt es einen Grund .«
»Nein«, erwidert Angus, der gerade durch die Zaungasse reitet. »Was für einen Grund sollte es geben?«
Es ist gut, dass er Jackson nun mehr als fünfzehn Jahre kennt. Einmal ist Clay Jackson ein kleiner, schmutziger Bengel in den Straßen von Marfa gewesen, einer Stadt, in der auch die Haleys oft zu Besuch gewesen sind. Sie haben sogar einige Zeit dieselbe Schule besucht. Und Jackson hat schon damals, er ist noch keine dreizehn gewesen, gestohlen wie ein Rabe. Wenn sie sich noch nicht gekannt hätten - Angus bezweifelt, dass irgendwer sonst in Mexiko ihn aufgenommen haben würde. Einen fiebernden, nicht mehr reit- und gehfähigen Mann, den plündert man aus, bringt ihn unter Umständen um und leert ihm die Taschen.
Unwillkürlich fasst Angus nach seiner Armkugel. Die Kugel...