Rocky Barrett, der ehemalige Scout, hielt hoch oben über der Stadt. Er schob die alte Trappermütze aus der Stirn und schaute auf das Gewimmel in der Hauptstraße der Stadt hinab. Eigentlich war Glenrock nur eine regellose Anhäufung von Blockhütten, Lagerhäusern und Zelten. Zum Teil lagen die Gebäude innerhalb des alten Palisadenzaunes zum Schutz gegen umherstreifende Indianer. Die Rothäute verhielten sich aber schon lange ruhig.
Rocky Barrett war schon immer der Meinung gewesen, dass man das Problem der Indianer leichter lösen könnte als das der verbrecherischen Weißen, die das Land unsicher machten. Aber die Armee und besonders Colonel W. D. Day hatten darin ihre besonderen Ansichten. Ganz zu schweigen von dem Indianerfresser Captain James Rose.
Rocky gab seinem Wallach Grey Star den Kopf frei, doch sein Handpferd, die Stute Emily, rührte sich nicht vom Fleck.
Rocke brummte: »Hör zu, du komische Pferdedame, hier oben wächst kein Whisky für mich und kein Mais für dich. Dein Futterbeutel ist so leer wie meine Flasche. Holly gee!«
Emily war ebenso hässlich wie treu. Ihre Beine waren nicht mit Geld zu bezahlen - und ihre eiserne Lunge auch nicht.
Der Wallach Grey Star war erheblich jünger als Emily. Grey Star war zwar schneller als Emily, doch bei Weitem nicht so ausdauernd. Er war auch nicht so klug wie die Stute, dafür aber wilder als mancher Leithengst einer Mustangherde.
Glenrock wimmelte von Menschen aller Schattierungen. Hier war die vorläufige Endstation der Postkutsche.
Rocky hielt vor dem großen Tanzzelt mitten in der Stadt und schaute über das Gewimmel. Er blickte durch die zurückgeschlagene Zeltleinwand auf die Tanzenden.
Rocky Barrett brachte die Pferde hinter das Zelt. Er überflog die Reihe der vielen Gesichter. Als er zu den Spieltischen schaute, blitzte es in seinen rauchgrauen Augen kurz auf.
Er hatte Elmer Meek seit zwei Jahren nicht gesehen, aber der schlanke, geschmeidige Mann sah völlig unverändert aus. Er war wie immer vornehm elegant gekleidet.
Er spielt immer noch, dachte Rocky. Elmer Meek war einer der seltenen Spieler, die ehrlich spielten. Trotzdem geriet er häufig in Situationen, die ins Auge gehen konnten. Betrunkene Spieler wurden meistens wild, wenn sie ihr Geld verloren hatten. Dann wieder tauchten Kartenhaie auf, die mit schäbigen Tricks arbeiteten - und die sofort zum Derringer griffen, wenn sie ertappt wurden.
So war es gewesen, als Rocky zum ersten Male mit Elmer Meek zusammengetroffen war. Ein gewerbsmäßiger Falschspieler, von Elmer zur Rede gestellt, zog blitzschnell seine Kanone. Elmer Meek wäre heute ein toter Mann, wenn Rocky Barrett nicht sein Messer in die Schusshand des Kartenhais geworfen hätte. Seitdem waren sie Freunde.
Es gelang Rocky, einen Whisky zu erwischen. Dann drängte er sich zu dem Spieltisch durch und stellte sich in die Reihe der Kiebitze. Elmer Meek hielt den Topf. Er hatte anscheinend harte Gegenspieler gefunden. Er war völlig konzentriert und eisern ruhig, so wie Rocky ihn kannte. Plötzlich schaute er auf und sah Rocky. Selbst jetzt veränderte sich seine Miene nicht. Er lächelte nicht einmal, und nur Rocky sah das kaum merkliche Nicken, mit dem er begrüßt wurde.
Elmer Meek legte nach dem nächsten Einsatz unvermittelt die Karten auf den Tisch und sagte höflich: »Sie haben gewonnen, Croft.«
Der Gewinner, ein riesenhafter Mann mit groben Gesichtszügen, grinste breit und strich alles Geld ein, das auf dem Tisch lag.
»Well«, lachte er. »Dann auf ein Neues. Sie geben, Meek!«
Elmer erhob sich: »Sorry, Gents - ich muss eine Pause einlegen. Geben Sie mir später Revanche, Croft?«
»Immer! Heda, Leute - ist hier noch jemand, der seine Federn lassen möchte? Immer ran!«
Elmer Meek schob sich durch die Menge dem Hinterausgang zu. Rocky wartete einen Augenblick, bis auch er sich aus der Menge löste. Er fand Elmer Meek draußen neben seinen Pferden.
»Hallo, alter Junge!«, lächelte der Spieler. »Freue mich, dich gesund zu sehen.«
»Hallo, Elmer. Sag mal - stimmte da drinnen was nicht?«
»Wie kannst du fragen! Ich denke, du bist wegen Sid Steele hier?«
Rocky sog scharf die Luft ein. Er packte Elmer Meek an beiden Schultern und flüsterte: »Was hast du gesagt? Sid Steele? Ist dieser Satan hier in der Stadt?«
»Du weißt das nicht? Nun, ihn selbst habe ich noch nicht gesehen. Aber sein Name ist gefallen, vor wenigen Stunden.«
»Los, erzähle«, murmelte Rocky Barrett.
»Nicht hier, Rocky. Ich weiß ein ruhiges Lokal am Rande der Stadt. Man kann dort gut essen.«
*
Sid Steele!
Der Name hatte sich in Rocky Barretts Seele gefressen. Sid Steele, der Name eines Teufels in Menschengestalt. Der Geruch von Blut und Mord ging von diesem Namen aus. Sid Steele und seine Bande des Schreckens hatten mehr Verbrechen auf sich geladen, als sie je sühnen konnten.
Rocky Barrett aber hatte eine ganz persönliche Rechnung mit Sid Steele zu begleichen. Es lag schon lange zurück. Rocky war siebzehn oder achtzehn Jahre alt gewesen. Seine Schwester Sylvia und er bewirtschafteten allein die väterliche Ranch. Sylvias strahlende Schönheit lockte die Männer an wie der Honig die Bienen.
Da war Sid Steele in Sylvias Leben getreten. Er hatte sich als Viehverkäufer ausgegeben und mächtig mit seiner Brieftasche geprotzt. Der Neid musste Sid Steele lassen, dass er eine blendende Erscheinung war. Ein Mann wie ein Baum, mit den Manieren eines Gentleman - und dem Charakter eines Raubtieres. Aber wer kann schon einem Menschen ins Herz schauen! Sylvia konnte es nicht, Rocky konnte es nicht.
Und dann war ein Sheriff mit einem ganzen Aufgebot gekommen, um Sid Steele wegen Bandenverbrechens, Bankraubes und Mordes dorthin zu bringen, von wo es kein Wiederkommen gab.
Rocky Barrett sah damals zum ersten Mal in seinem Leben einen perfekten Revolvermann bei der Arbeit. Sid Steele hatte das heiße Blei nur so aus dem Colt gespien. Als er sich den Weg freigeschossen hatte, war er, mit Sylvia auf dem Arm, zu seinem Gaul gesprungen und davongejagt. Niemand wagte zu schießen, denn er benutzte Sylvia als Schutzschild.
Rocky hatte sofort die Verfolgung aufnehmen wollen, doch die Männer des Gesetzes dachten darüber anders. Man nahm ihn wegen Beihilfe zu einem Kapitalverbrechen in Haft. Man nannte seine Schwester Sylvia eine Räuberbraut. Er wurde in den Zeitungen als Bandit geschildert, der seinen ehrbaren toten Eltern nichts als Schande bereitet hätte. Er benutzte die erste Gelegenheit zur Flucht . und seit jener Stunde war er nie wieder in der Heimat, in Arizona, gewesen.
Als er nach drei langen Jahren vor Sid Steele stand und Rechenschaft forderte, lachte der Bandit ihm ins Gesicht. Zuerst behauptete er, keine Ahnung zu haben, wo Sylvia sei! Dann, als Rocky ihm eine Kugel in den Hut jagte, wurde er wild und schrie: »Kratz sie aus der Erde! Ich habe sie eigenhändig begraben - vor Jahr und Tag schon.«
Das hatte Rocky zur Raserei gebracht. Er war mit Fäusten in den Gegner hineingesprungen, ohne an den Colt in seiner Hand zu denken. Diesen Fehler würde er heute nicht mehr begehen. Inzwischen hatte er eine harte Schule durchgemacht.
Damals hatte Sid Steele von irgendwoher einen versteckten Revolver gezaubert und Rocky niedergeschossen.
Rocky Barrett konnte es kaum abwarten, bis er neben Elmer Meek in der stillen Bar am Ende der Stadt saß. Er bestellte Steaks und Drinks - und Elmer Meek begann mit seinem Bericht.
»Es ist wenig genug, was ich dir sagen kann. Als ich dich sah, war ich der festen Meinung, du wärest wegen Sid Steele hier und wüsstest mehr als ich.«
»Nichts weiß ich. Bin gerade erst angekommen.«
Rocky schaute sich unauffällig im Raum um. Außer ihnen saßen nur ein paar Männer in der entfernten Ecke des Raumes, und die machten einen harmlosen Eindruck.
»Weiter!«, drängte Rocky. »Wir brauchen seinen Namen ja nicht zu nennen.«
»Er hieß Stanuk«, sagte Elmer, »und der andere, der aussah wie ein Wagenführer eines Trecks, wurde Rodolfo genannt. Sid Steeles Name fiel nur einmal, aber ich konnte aus dem Gespräch der beiden entnehmen, dass er in der Nähe sein muss und irgendetwas plant. Sie drückten sich sehr vorsichtig aus.«
»Was sagten sie denn?«
»Hm - dieser Rodolfo war ziemlich ängstlich. Er könnte gar nichts sagen, meinte er, und ohne seinen Boss täte er auch nichts. Über die Frau hätte er nichts erfahren können. Die Leute bei der Post wären verschwiegen wie Fische.«
»Und der andere, dieser Stanuk?«
»Er bohrte noch ein paarmal. Er behauptete, Rodolfo hätte es nicht geschickt genug angefangen. Für harte Dollars öffne selbst ein Fisch das Maul. Ich bin nicht klug daraus geworden.«
»Gut. Für mich ist nur interessant, dass ich eine Spur von diesem Verbrecher habe. Wenn er in der Nähe sein sollte, finde ich ihn auch. Und diesmal entgeht er mir nicht wieder! Cheerio!«
Sie tranken - doch mitten im Schluck setzte Rocky Barrett das Glas ab. Fast wäre er aufgesprungen, denn draußen vor der Stadt erklang das schmetternde Signal eines Trompeters.
Auch Elmer Meek setzte das Glas ab und schüttelte staunend den Kopf: »Soldaten? Hier? Warum hast du mir nicht gesagt, dass du mit einem Kommando hier bist?«
Rocky schnitt eine Grimasse. »Mich überrascht es mehr als dich. Was zum Teufel tun die Jungs aus Fort Scarps hier?«
»Wie soll ich das wissen, wenn du es nicht weißt.«
»Hm. Ich muss dir etwas sagen, Elmer. Ich bin nicht mehr bei den Lanzenreitern. Man hat mich hinausbefördert. Wegen falscher Anschuldigung, Körperverletzung eines Vorgesetzten,...