Schweitzer Fachinformationen
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Über Papiere gebeugt saß Erik Nordstrøm in seinem Arbeitszimmer. Bewerbungsunterlagen zu lesen, zählte beileibe nicht zu seiner bevorzugten Lektüre. Wenn er aktuell keinen Auftrag hatte, beschäftigte er sich mit einem der zahlreichen Kriminalfälle, über die er in den letzten Jahren Informationen zusammengetragen hatte. War es der Polizei nicht gelungen, einen Fall zu lösen, wurde er früher oder später zu den Akten gelegt, wurde zum sogenannten Cold Case. Erik interessierte sich für unaufgeklärte Tötungsdelikte und Vermisstenfälle. Als Polizeipsychologe hatte er hin und wieder damit zu tun gehabt. Er besaß nicht nur intuitive, sondern ausgeprägte analytische Fähigkeiten. Obwohl er mittlerweile seinen Dienst quittiert und eine Agentur eröffnet hatte, versuchte er, Licht in das Dunkel dramatischer Ereignisse zu bringen. Aus schmerzhafter Erfahrung wusste er, wie wichtig es für Hinterbliebene war, Antworten zu erhalten, um mit der Vergangenheit abschließen zu können.
Unwillkürlich glitt sein Blick zu dem gerahmten Foto auf seinem Schreibtisch, als die gute Seele seiner Agentur nach kurzem Anklopfen eintrat. Mit der Klinke in der Hand blieb Renate Müller nach zwei Schritten stehen.
"Hast du ein paar Minuten?"
Obwohl er dankbar für die Ablenkung war, schüttelte er den Kopf und deutete auf die Unterlagen, die sich vor ihm stapelten.
"Zwischen meinen Terminen muss ich heute endlich die Bewerbungen durchsehen."
Neben seiner Mitarbeiterin tauchte unerwartet eine Fremde auf.
"Stellen Sie mich ein. Das erspart Ihnen eine Menge Zeit und Arbeit."
"Was Sie nicht sagen." War sein Stoßgebet erhört worden? Interessiert musterte er die Frau. Ihre schlanke Gestalt steckte in engen schwarzen Hosen und einem violetten Trikot. Unter dem Arm trug sie einen giftgrünen Fahrradhelm, der anscheinend für ihr zerzaustes blondes Haar verantwortlich war.
"Lassen Sie sich durch mein Outfit nicht täuschen. Ich bin Volljuristin."
"Und offenbar entschlossen, sich nicht abweisen zu lassen." Das gefiel ihm. Es konnte nicht schaden, sie anzuhören. Er stand auf und beschrieb eine einladende Geste zum Besucherstuhl. "Sie haben fünf Minuten, um mich zu überzeugen."
Rasch kam sie näher, nahm ihren Rucksack ab und setzte sich. Unterdessen zog sich Eriks Kollegin zurück und schloss die Tür von außen. Er nahm an seinem Schreibtisch Platz und richtete den Blick auf die Besucherin.
"Schießen Sie los."
"Ich heiße Sara Sachs", stellte sich die sportliche Frau vor. "Nach dem Abitur war ich 18 Monate in der Welt unterwegs. Work & Travel: Kanada, Australien, Neuseeland, Südafrika. Danach habe ich in Göttingen Jura studiert. Mein erstes Staatsexamen habe ich mit 14, mein zweites mit 16 Punkten abgeschlossen. Anschließend bin ich in die kleine Kanzlei meines Onkels in Berlin eingestiegen. Er war gesundheitlich angeschlagen und brauchte Unterstützung. Nebenbei habe ich meine Doktorarbeit geschrieben. Als er sich sechs Jahre später zur Ruhe setzen wollte, hätte ich die Kanzlei übernehmen können. Nach langem Überlegen habe ich mich dagegen entschieden, sonst hätte ich einen Haufen Schulden, aber überhaupt kein Privatleben mehr gehabt. Da kam mir das Angebot eines großen Konzerns gerade recht. In den letzten vier Jahren habe ich dort gearbeitet und gut verdient, aber so richtig glücklich war ich mit diesem Job nie. Immer ähnliche Vorgänge, keine wirklichen Herausforderungen. Vor zwei Wochen habe ich gekündigt und mir eine Auszeit genommen. Auf meinen Reisen war ich immer gern an der Küste. Deshalb wollte ich am Meer darüber nachdenken, wie es beruflich weitergehen soll. Bei meinen Radtouren habe ich mich in diese wunderbare Insel verliebt. Und dann habe ich unter den Stellenangeboten Ihre Anzeige gelesen." Sie kramte in ihrem Rucksack, förderte eine Tüte Lakritze zutage und eine etwas zerdrückte Mappe, die sie auf den Schreibtisch legte. "Leider habe ich nur mein Tablet mit nach Rügen genommen. Darauf sind nicht meine kompletten Bewerbungsunterlagen gespeichert. Was fehlt, reiche ich so schnell wie möglich nach."
Er bemerkte ihren verstohlenen Blick auf ihre Smartwatch und unterdrückte ein Schmunzeln. Obwohl sie alles Wissenswerte erwähnt hatte, lag sie gut in der vereinbarten Zeit. Anscheinend war sie in der Lage, aus dem Stegreif wichtige und überzeugende Fakten zu präsentieren. Das wertete er als weiteres Plus. Er griff nach der Mappe und schlug sie auf. Für erste Informationen las er den Lebenslauf. Die Bewerberin kam in Goslar zur Welt, lebte in Potsdam und beherrschte drei Sprachen in Wort und Schrift. Die Zeugnisse waren beeindruckend. Er hob den Blick und schaute sie aufmerksam an.
"Warum meine Agentur? Mit diesem ausgezeichneten Prädikatsexamen würde jede renommierte Kanzlei Sie mit Kusshand nehmen."
"Offen gestanden habe ich bereits mehrere attraktive Offerten über LinkedIn erhalten, aber ich möchte nicht wieder in einem Glaspalast in irgendeiner Großstadt landen. Ich bin 36. Wenn ich nicht bald etwas ändere, tue ich das wohl nie."
"In den letzten Jahren hatten Sie wahrscheinlich überwiegend mit Wirtschaftsrecht zu tun. Wie sieht es mit Ihren Erfahrungen auf anderen Rechtsgebieten aus?"
"In Berlin habe ich so ziemlich alles gemacht: Erbrecht, Familienrecht, Verkehrsrecht, Arbeitsrecht ."
"Strafrecht?"
"Ich hatte mal einen Mandanten, der wegen Mordes angeklagt war."
"Wie ist das ausgegangen?"
"Freispruch. Um Ihre nächste Frage zu beantworten: Er war unschuldig. Das konnte ich in einem aufsehenerregenden Prozess ganz klar beweisen. Wäre ich nicht von Anfang an davon überzeugt gewesen, hätte ich das Mandat gar nicht übernommen."
"Nach diesem Erfolg hätten Sie eine gefragte Strafverteidigerin werden können."
Entschieden schüttelte sie den Kopf.
"Mir sind daraufhin tatsächlich ein paar interessante Angebote ins Haus geflattert, aber ich wollte nie Ganoven rausboxen, die anschließend das nächste Verbrechen begehen. Es klingt vielleicht pathetisch, aber in erster Linie habe ich Jura studiert, um Menschen, denen Unrecht geschieht, zu ihrem Recht zu verhelfen."
Anscheinend steckte in dieser Frau mehr, als er zunächst vermutet hatte.
"Sie wissen, was wir hier tun?"
"Ihre Homepage ist sehr informativ. Sie leiten eine Mischung aus Detektei und Beratungsstelle mit jeder Menge Hilfsangeboten. Darunter Opferberatung. Außerdem beschäftigen Sie sich erfolgreich mit Mord- oder Vermisstenfällen - setzen sozusagen dort an, wo die Polizei nicht weiterkommt oder die Akten geschlossen hat. Sie waren ein gefragter Polizeipsychologe und Fallanalytiker, bevor Sie diese Agentur vor ungefähr drei Jahren gegründet haben."
Einiges davon stand nicht auf der Website. Offenbar hatte sie tiefer gegraben. Solche Leute konnte er gebrauchen.
"Wir sind hier in der Agentur ein gut aufeinander eingespieltes Team. Jeder hat ein Spezialgebiet, springt aber ein, wenn es irgendwo eng wird, zum Beispiel, wenn ein Kollege Hilfe bei einer komplizierten Recherche benötigt."
"Kein Problem."
"Bei unseren Ermittlungen kommen wir oft nur mit kleinen Schritten voran. Zwar müssen wir uns nicht aufgrund strenger Vorschriften innerhalb eines vorgegebenen Rahmens bewegen, dafür stehen uns aber nicht die Vorteile eines riesigen Polizeiapparats zur Verfügung. Kurz gesagt, wir sind bei unseren Fällen meist auf uns allein gestellt."
"Das war ich in der Kanzlei meines Onkels auch."
"Leider kann ich keine Spitzengehälter wie große Konzerne zahlen."
"Geld allein macht nicht glücklich."
Nachdenklich erhob er sich und trat ans Fenster. Vieles sprach für die Bewerberin. Bislang war seine Agentur ohne Rechtsbeistand ausgekommen. Seit einigen spektakulären Ermittlungserfolgen kamen die Hilfegesuche jedoch aus ganz Deutschland und Teilen Skandinaviens. Ein befreundeter Staatsanwalt hatte ihm geraten, einen Juristen einzustellen, der sich um die rechtliche Seite kümmern würde.
Nordstrøm drehte sich herum, als seine Mitarbeiterin den Kopf zur Tür hereinsteckte, um ihn an seinen nächsten Termin zu erinnern.
"Frau Wernicke ist da. Ich habe sie ins Besprechungszimmer gesetzt."
"Wir sind hier gleich fertig. - Danke, Renate."
Das war eine gute Gelegenheit, die Bewerberin in die Agenturarbeit schnuppern zu lassen. Er gab ihr ein Zeichen, ihm zu folgen.
"Kommen Sie."
Sichtlich enttäuscht stand sie auf. Offenbar glaubte sie, ihn nicht überzeugt zu haben. Sie griff nach Rucksack und Helm, worauf er den Kopf schüttelte.
"Ihre Sachen können Sie einstweilen hierlassen."
Zögernd setzte sie sich in Bewegung. Nordstrøm führte sie über den langen Flur und öffnete eine Tür. Dort ließ er ihr den Vortritt. Er selbst wechselte einige leise Worte mit seiner Mitarbeiterin. Als Renate Müller den Raum verließ, begrüßte er die Mandantin. Zuerst stellte er sich vor, ehe er auf die Bewerberin deutete.
"Das ist Frau Dr. Sachs." Sie setzten sich zu der Klientin an den Tisch. Mit einem schnellen Blick taxierte er sie: etwa Ende 60, graues, kurz geschnittenes Haar, schlichte Kleidung. "Was können wir für Sie tun, Frau Wernicke?"
"Es geht um meinen Neffen." Nervös nestelten ihre abgearbeiteten Hände am Griff der billigen Handtasche. "Jan . Jan Kolling. Er ist ungefähr seit letztem Sonntag spurlos verschwunden."
"Zunächst sollten Sie sich an die Polizei...
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