Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Habe ich Ihnen berichtet, womit ich meinen Lebensunterhalt verdiene? Nein? Gelernt habe ich den Beruf der Rechtsanwaltsfachangestellten. Als ich mit der Ausbildung fertig war, starb kurz darauf mein damaliger Chef an einem Herzinfarkt. Damit hatte ich nichts zu tun. Ehrlich. Ohne zu übertreiben: Meine Noten waren ausgezeichnet. Da ich trotzdem nicht gleich eine neue Stelle in einer Kanzlei fand, nahm ich einen Job in einer Zeitarbeitsagentur an. Irgendwie bin ich dort hängen geblieben und sammelte Erfahrungen in Kanzleien und Büros verschiedener Firmen.
Mit dreißig hatte ich keine Lust mehr, zu den neun Jahren dort weitere hinzuzufügen. Zunächst fand ich oft wechselnde Arbeitsplätze interessant, weil ich immer neue Leute kennenlernte. So viel verdient, wie ich eigentlich verdient hätte, habe ich allerdings nicht. Deshalb habe ich mich umorientiert. Seitdem arbeite ich vormittags in einer renommierten Anwaltskanzlei. Nachmittags erfreue ich mich an einem Job in einem Bistro und erledige die Buchhaltung einer Autowerkstatt.
Außerdem engagiere ich mich ehrenamtlich für diverse Projekte. Unterm Strich habe ich durch verschiedene Arbeitgeber, bei denen keine Agentur Vermittlungsgebühren kassiert, ein paar Scheine mehr auf dem Konto und zusätzlich die Trinkgelder der Bistrogäste. Manche sind in dieser Hinsicht echt großzügig, weil ich ein freundlicher und zuvorkommender Mensch bin. Arbeitgeber und Kunden schätzen mich unter anderem für mein sympathisches Auftreten. - Sie finden das unglaubwürdig? Vorsicht! Nur weil ich Sie vertrauensvoll an den Abgründen meiner Seele teilhaben lasse, kennen Sie mich nicht. Noch nicht.
Zurzeit bin ich unbemannt. Meinen letzten Freund Olli habe ich vor etwa einem halben Jahr abserviert, weil er sich nicht zwischen Johnnie Walker, Jack Daniel's und mir entscheiden konnte. Auf jeder Feier war er voll wie zweiundvierzig Russen, und auch sonst war er dem Feuerwasser nicht abgeneigt. Hilfsangebote lehnte er ab. Stattdessen versprach er immer wieder Besserung, um sich nach wenigen Tagen Abstinenz gnadenlos die Kante zu geben. Das wollte ich mir nicht länger antun. Ohne Bedauern gab ich ihm eines Tages in der gut sortierten Spirituosenabteilung in unserem Edeka den Laufpass. Während er ziemlich dumm aus der Wäsche guckte, applaudierten ein paar umstehende Kunden. Ich war erleichtert, und mein Ex hatte als flüssigen Trost einen beträchtlichen Alkoholvorrat in den Einkaufswagen gepackt. Dabei vergaß er dummerweise meine Käthe, mit der wir zum Laden gefahren waren. So musste der arme Kerl eine doppelte Last nach Hause schleppen.
Seitdem single ich sehr zufrieden durchs Leben. Eigentlich kann Olli froh sein, dass ich mit meiner Liste erst nach unserer Trennung begonnen habe.
Erfahrungsgemäß war gründliche Vorbereitung einer Aktion der halbe Erfolg. Für mich bedeutete das die Observierung meiner Zielperson.
Ich nutzte an den nächsten Tagen meinen wohlverdienten Feierabend, um in Friedhofsnähe zu parken und dort meinen Beobachtungsposten einzurichten. Block und Stift lagen griffbereit auf dem Sitz neben mir, damit ich Uhrzeiten und was mir sonst wichtig erschien, notieren konnte.
Obwohl der Dezember stetig näher rückte, zeigte das Thermometer milde dreizehn Grad an. Dadurch musste ich in meinem alten Polo ohne Standheizung wenigstens nicht erfrieren. Dem Klimawandel sei Dank. Jedenfalls für den Moment. Über das, was er uns künftig bescheren würde, wollte ich derzeit nicht nachdenken. Aber wenn man sich beim Warten langweilte, drehte sich das Gedankenkarussell wie von selbst. Natürlich beschäftigten mich Umweltschutz und Klimakatastrophe. Menschen hatten das seltene Talent, alles Schöne zu zerstören. Und erst zu reagieren, wenn es bereits fünf nach zwölf war. Und lernten trotzdem nichts daraus. Allmählich sollten wir uns vom Macht- und Profitstreben verabschieden. Sonst könnte das eines Tages ganz böse enden. Die Leute auf meiner Liste würden das garantiert nicht mehr erleben - genauso wenig wie ich. Aber vermutlich deren Kinder und Enkel. Wobei wir wieder bei einem meiner Gründe wären, auf Nachwuchs zu verzichten. Diese düsteren Zukunftsaussichten konnte man niemandem guten Gewissens zumuten.
Während ich also über den Sinn des Lebens im Allgemeinen und im Speziellen grübelte, beobachtete ich, was sich auf der Baustelle tat. Da es um diese Jahreszeit bereits am Nachmittag dunkel wurde, erhellten starke Scheinwerfer das Geschehen auf dem umzäunten Bauplatz. Der Lärm verebbte immer mehr und verstummte schließlich gänzlich. Nach und nach verließen die Arbeiter durch das gut einsehbare Metallgittertor das Gelände. Nur Kalle tauchte nicht auf. Irgendwann wechselte die Lichtfarbe auf dem Gelände. Alles erstrahlte in Grün. Wahrscheinlich die Nachtbeleuchtung. Es dauerte nicht lange, bis Kalle das Tor passierte, es sorgfältig abschloss und zusätzlich mit einem Vorhängeschloss sicherte. Nach einem letzten Kontrollblick kam er direkt auf mich zu.
Verdammt! Ich hätte wissen müssen, wo sein Wagen auf ihn wartete. In der Umgebung des Friedhofs waren inzwischen die meisten Fahrzeuge verschwunden. Instinktiv ging ich auf Tauchstation. In unnatürlich gekrümmter Haltung verharrte ich halb sitzend, halb liegend auf Fahrer- und Beifahrersitz. Erst als ich Motorengeräusche vernahm, traute ich mich aus meiner Deckung. Das wurde auch höchste Zeit. Lange hätte mein Körper diese unbequeme Lage nicht mehr ausgehalten. Immerhin war ich nicht mehr die Jüngste. Ich sah meinen Schwager in seinem Kombi über die Orli-Wald-Allee rollen und hängte mich an seine Stoßstange, um herauszufinden, ob er nach der Arbeit sofort nach Hause fuhr oder sich irgendwo ein Feierabendbierchen gönnte. Da der Berufsverkehr vorbei war, kamen wir recht zügig voran. Die Fahrt endete vor dem Mehrfamilienhaus, in dem er seine Familie terrorisierte. Ich notierte die Ankunftszeit und fuhr nach Hause.
Diese Prozedur wiederholte ich an den nächsten beiden Tagen. Dennoch wollte ich nichts überstürzen. Eine meiner Stärken war, still zu beobachten und meine Möglichkeiten sorgsam abzuwägen, bevor ich handelte. Es gab sinnvolle Maßnahmen zur Vorbereitung verschiedener Tätigkeiten. Lesen bildet und Fernsehen mitunter ebenfalls. Ich las mit Vorliebe Kriminalromane und schaute mir im TV am liebsten Thriller an. Dazu gern Dokumentarsendungen über Polizeiarbeit und die neuesten Verfahren, Täter zur Strecke zu bringen. Wenn es sein musste, mit aufdringlicher Werbung zwischendrin. Diese Art der Freizeitbeschäftigung hatte den Vorteil, jede Menge Gratisinformationen dazu zu bekommen, anhand welcher Beweise Ermittler die jeweiligen Täter aufspürten und zur Strecke brachten. Oder anders betrachtet: Welche Fehler man vermeiden sollte, um nicht erwischt zu werden. Das war logisch, oder? Dabei konnte es nicht schaden, sich laufend auf den neuesten Stand zu bringen. Wissenschaft und Technik entwickelten sich stetig weiter - so auch im Bereich des Tätigkeitsfelds von LKA und BKA.
Nach diesen neuerdings ungewohnt langen Arbeitszeiten feilte ich abends an meinem Plan, meinen Schwager in meinen Ex-Schwager zu verwandeln. Sein letztes Stündlein nahm immer schärfere Konturen an. In Gedanken spielte ich alle Möglichkeiten durch, die eine Großbaustelle hergab. Das waren eine Menge. Angefangen von einem Sturz von einem Baugerüst bis zu der Option, zu einem biologischen Teil eines stabilen Fundaments zu werden. Interessant fand ich die Möglichkeit, ihn vor einen vorbeidonnernden Betonmischer zu stoßen. Da bekam die Formulierung: plattmachen gleich eine doppelte Bedeutung. Vieles, was mir einfiel, war allein und nach Arbeitsschluss auf der Baustelle nicht zu bewältigen. Ich musste mir ein Verfahren überlegen, das ich ohne Hilfe anwenden konnte. Werkzeuge, die sich als Schlagwaffen eigneten, standen bei Bauarbeiten massenhaft zur Verfügung. Darüber musste ich mir keine Gedanken machen.
Um keine böse Überraschung zu erleben, plante ich einen Wochenendausflug zum Baustellengelände.
Wie an fast jedem Freitagnachmittag besuchte ich das Fitnesscenter meines Vertrauens. Falls Sie nun glauben, ich würde mich an den Geräten quälen, um danach völlig ausgepowert nach Hause zu schleichen, irren Sie sich. Ich besuche das Studio, weil ich mich gern bewege und es mir in den Wintermonaten draußen zu kalt dafür ist. Laufband und Ergometer sollen mir nicht dazu dienen, olympische Rekorde zu brechen. Sport soll einfach Spaß machen, ohne zur Tortur zu werden. Dabei ein bisschen zu schwitzen schadet nicht. Ein weiterer Vorteil solcher Einrichtungen ist nicht von der Hand zu weisen: Man lernt nette Leute kennen, sitzt nach dem Training oft bei einem gesunden Drink an der Bar zusammen und philosophiert über Gott und die Welt. Für mich ist das eine angenehme Art, das Ende der Arbeitswoche entspannt einzuläuten.
Am Wochenende ist für mich Ausschlafen angesagt. Morgens lasse ich mir viel Zeit. Ich frühstücke im Nachthemd mit Strickjacke darüber und dicken Socken an den Füßen in meiner Küche bei Musik aus dem Radio und lese dabei die HAZ. Wenn ich keine auswärtigen Pläne habe, bleibe ich im warmen Stübchen und laufe den ganzen Tag im Schlabberlook herum.
An diesem Samstag musste ich mich wohl oder übel ausgehfertig machen. Auf meiner To-do-Liste stand die nähere Inaugenscheinnahme des Ortes, an dem mein Schwager Kalle seinen letzten Schnaufer tun sollte. Also zog ich warme Klamotten an und verließ das Haus. Zunächst musste ich mir die zugefrorenen Scheiben meines Autos vornehmen. Dabei bemerkte ich zum ersten Mal eine Verbindung zwischen meinem Eiskratzer und meinen tödlichen...
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