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Das Land Saudi-Arabien besteht aus drei Elementen: Meer, Wüste und Städte. Fast die ganze Zeit hält man sich in Letzteren auf. Ich war aber auch neugierig auf die anderen und unternahm Ausflüge aufs Land. Ich kam allerdings nicht weit, denn man kann als Ausländer nicht einfach so im Land herumreisen. Man sollte Urlaubstrips in entlegene Dörfer und Regionen bei den Behörden der jeweiligen Bezirke anmelden, durch die man fahren will. Es kann sein, dass man dann Begleitschutz von der Autobahnpolizei bekommt, bis man an der nächsten Bezirksgrenze ankommt und ein weiteres Polizeiauto übernimmt. Das System dient angeblich der Sicherheit von Reisenden und Touristen, es dient aber vor allem dazu, dass sich Ausländer im Land nicht frei und unbeobachtet bewegen können. Innerhalb des eigenen Wohnbezirks und der angrenzenden Region aber ist das möglich, und diese Chance ließ ich mir nicht entgehen. Der Bezirk Dschidda ist immerhin ziemlich groß.
Hinter der Stadtgrenze beginnt die Wüste, und es geht im Grunde nur in drei Richtungen: nach Norden und Süden entlang der Küste und nach Osten auf zwei Autobahnen über die Berge in Richtung Riad. Der Ausflug in diese Richtungen endet für Nichtmuslime aber ziemlich bald, denn dann beginnt der Bezirk Mekka, in den Nichtmuslime nicht hineindürfen. Große Schilder warnen schon frühzeitig und verweisen auf Umgehungsrouten.
Die Dörfer und Siedlungen entlang dieser Straßen haben exotische Namen: Braber heißen sie und Asfan oder Al-Lith. Die Namen könnten aus einem Märchenbuch stammen, die Kulisse ist aber nicht märchenhaft, sondern ernüchternd. Niedrige Betonbungalows, dazu eine Moschee, eine Tankstelle, ein Imbiss, eine Autowerkstatt, manchmal eine Krankenstation, das war's auch schon. Dazwischen Staub und noch mehr Staub. Die kleineren Orte in Saudi-Arabien haben nichts vom Großstadtglitzer, keine spiegelnden Fassaden, keine Blumenrabatten. Das echte Leben ist sehr sandig und sehr trist. Viele der Gebäude haben auch schon bessere Zeiten gesehen, Autowracks stehen irgendwo herum. Auch durch den Staub wirken viele Gebäude etwas heruntergekommen. Bau- und Investitionsruinen stehen wie vergessenes Gepäck in der Landschaft. Die Ruine eines abgebrannten Bürogebäudes, das ich 2008 entdeckt hatte, stand 2016 immer noch genauso da. Es ist wie mit Riads ehemaliger Altstadt Diyayya: Wenn man ein Haus oder eine Siedlung aufgibt, lässt man es einfach stehen und zieht weiter oder baut nebendran etwas Neues. Das Alte überlässt man sich selbst.
Aus der Stadt herauszufahren und in eines dieser Dörfer abzubiegen ist ein wenig wie innerhalb von einer Stunde aus der Ersten in die Zweite Welt zu reisen. Hier ist sie weg, die westliche Benutzeroberfläche, hier ist der sandige Alltag zu finden. Hier spielen allerdings auch saudische Kinder auf der Straße.
Dass alle Saudis reich sind, stimmt nämlich nicht. Es gibt eine sehr breite Mittelklasse und auch eine Unterschicht der Habenichtse, bei denen vom Ölreichtum des Landes wenig mehr ankommt als die kostenlose Gesundheitsversorgung und die Schulbildung für die Kinder. Die Leute müssen sehen, wie sie über die Runden kommen, und ja, es gibt in Saudi-Arabien Armut. In diesen Dörfern, aber auch in den Städten leben Leute von Almosen und Lebensmittelspenden, weil sie den Anschluss an die Gesellschaft verpasst haben oder vom Fortschritt abgehängt wurden, weil sie keine Berufsausbildung absolviert haben und von Landwirtschaft, Kleinhandwerk, Kleinhandel oder Hilfsarbeiten nicht mehr leben können. Das ist die Schattenseite der glitzernden Malls und der Shoppingvergnügen - in den Dörfern haben die kleinen Läden größtenteils zugesperrt. Endlich eine Gemeinsamkeit zwischen Saudi-Arabien und einigen Regionen in Deutschland.
Aufs Land zu fahren bedeutet in Saudi-Arabien immer auch, in die Wüste zu fahren. Wenn die gepflasterten Gehsteige und bepflanzten Gärten enden, übernimmt der Sand. Die Landschaft wird sepiafarben, sie wird manchmal auch goldschimmernd, rötlich oder strahlend weiß. In der Gegend um Medina prägt dagegen dunkles Vulkangestein die Landschaft. Oft sieht man sie wie durch einen leichten Unschärfefilter, weil Staub in der Luft hängt. Struppige Grasbüschel und kleine, dürre Büsche ducken sich hier und da. Die Wüste ist nicht immer die Wüste mit den spektakulären hohen Sanddünen, dieses Sandmeer, wie man sie aus Filmen kennt. Die Wüste ist manchmal auch bretteben und langweilig wie ein staubiger Hinterhof. Eine längere Fahrt auf den schnurgeraden Straßen macht einen dumpf im Kopf.
Saudi-Arabien ist mit seinen 2,15 Millionen Quadratkilometern sechsmal so groß wie Deutschland oder etwa so groß wie Mitteleuropa inklusive Polen. Das ganze riesige Land besteht aus Wüste. Es gibt in Saudi-Arabien keinen einzigen See oder Fluss und keinen Wald. In den Oasen, wo das Grundwasser bis an die Wurzeln der Pflanzen reicht, wachsen Palmen, und wenn die Oasenbauern aus dem Brunnen Wasser schöpfen und damit die Beete bewässern, gibt es auch etwas Obst und Gemüse.
In dem ganzen riesigen Wüstenkönigreich leben nur etwa 32 Millionen Menschen, weniger als halb so viele wie in Deutschland. Große Teile des Landes sind nicht einfach nur dünn besiedelt, sie sind komplett unbewohnt. Die große Wüste im Süden, die Rub al-Chali, heißt daher seit Urzeiten »Leeres Viertel«. Hierhin führt keine Straße, kein Weg. Angeblich kann es in diesem Teil der Wüste bis zu 60 Grad heiß werden. Dieses Wüstengebiet - es ragt auch in die Nachbarländer Jemen, Oman und die Vereinigten Arabischen Emirate hinein - ist größer als Frankreich.
Für Saudis ist die Wüste, die wir als Europäer nur interessiert bestaunen können, Sehnsuchtsort, Seelenlandschaft und Identitätsquell. Man mag nicht in der Wüste leben, aber jeder mag die Wüste, und das nicht, weil einem nichts anderes übrig bleibt oder nichts anderes da ist. Die Wüste ist der Ort, dem die Städte abgetrotzt wurden, und der Ort, an dem die Vorfahren der heutigen Saudis gelebt und die Grundlagen der saudischen Kultur geschaffen haben. Mit Kamelen hat man diese Wüste bezwungen und ihr in den Oasengärten Lebensmittel abgetrotzt. Während man im klimatisierten Haus auf dem Sofa sitzt, schwadroniert man vom einfachen, harten Leben in der Wüste, als es noch aufs Wesentliche ankam und man arabischer war als heute. Die Wüste und das traditionelle Leben darin werden verklärt und in so genannten Heritage Centres und bei Ausflügen nachgespielt. Da sitzt man dann auf Teppichen im Sand und fühlt sich ein wenig wie die Ahnen, und vielleicht ist noch ein Falkner da, dessen Vogel man für eine Minute und ein Selfie auf die Hand nehmen und sich ganz wie ein Beduine fühlen kann.
Im echten Leben gelten Beduinen allerdings als die Dorftrottel des Landes. Das Bild, das man von ihnen hat, ist ein Klischee. Beduinen werden als dümmlich und rückständig angesehen, bauernschlau und nicht an das moderne Leben angepasst. Beduinen meinen, so das Klischee, dass man Frauen immer noch für Kamele kaufen kann, sie schlurfen in Sandalen herum, tragen unordentliche Turbane und staubige, ungebügelte Hemden, fahren alte, rostige Autos und finden sich in der Stadt nicht zurecht. Sie legen im Lokal die Füße auf den Stuhl, essen mit den Fingern und halten Kamele als Haustiere.
Tatsächlich sieht man es den Leuten manchmal direkt an, wenn sie vom Land kommen, vor allem, wenn sie in der Stadt Auto fahren. Stadt-Saudis mögen diese Mitmenschen belächeln, aber sie beneiden sie insgeheim auch ein wenig. Weil die Beduinen mehr Freiheiten haben als die Stadtmenschen und sie die Städter an die gute alte Zeit erinnern, als die Saudis noch die Herren der Wüste waren.
Wie meistens bei guten alten Zeiten waren die aber gar nicht so rosig. Vor den Ölfunden war die Gegend des heutigen Saudi-Arabien bettelarm. Es gab bis ins 20. Jahrhundert keinen Staat in dem Sinne, wie er im Westen bekannt ist, sondern viele kleine Emirate und Scheichtümer mit lokalem Herrschaftsgebiet. Im Norden der arabischen Halbinsel regierten die Kalifen und später das Osmanische Reich. Am Arabischen Golf und an der Südküste bauten die portugiesischen Seeleute einige Forts, das britische Imperium setzte sich später an den Küsten fest. Das heiße, trockene Binnenland war für die Europäer zunächst unbezwingbar, die heiligen Stätten in Mekka und Medina für sie verboten.
Dass es in anderen Gegenden der Welt große Reiche, mächtige Fürsten und staatliche Organisation gab, blieb den Stammesfürsten auf der Arabischen Halbinsel jedoch nicht verborgen. Schon im 18. Jahrhundert begannen die Al-Saud von den Oasen in der Mitte des Landes aus ihre Mission, die Beduinen (genau, die Dorftrottel, schon damals) zu vereinen, zu unterwerfen und ihnen eine strenge Form...
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