6. BRIEF.
DIE ARGENTINISCHEN PAMPAS. - DAS WEINLAND VON MENDOZA.
Inhaltsverzeichnis Wenn man als abenteuerlustiger Amerika-Reisender neue Eindrücke, unbekannte Situationen, europafremde Lebensbedingungen, interessante Erlebnisse sucht, so kehrt man Buenos Aires, diesem Talmi-Paris, ohne viel Herzschmerzen den Rücken. Die Hoffnung, daß man im Inneren des Landes Eigenartiges, Charakteristischeres zu sehen bekommt, als in der vielgepriesenen Hauptstadt Argentiniens, wird in der Tat nicht getäuscht.
Die südamerikanischen Pampas - jedem Knaben, der je mit heißen Backen seinen Mainried gelesen hat, haben sie einst als höchstes und einziges Ziel der Sehnsucht vorgeschwebt. Die Sehnsucht würde wahrscheinlich vergehen, bekäme er sie in Wirklichkeit zu Gesicht.
Noch vor wenigen Jahrzehnten waren die unendlichen Prärien, die sich hunderte und aberhunderte von Kilometern nach allen Richtungen hinziehen, eine vollständige terra incognita nicht nur für den Europäer, sondern auch für den eingeborenen Südamerikaner. Jetzt durchquert sie eine Eisenbahn, und eine Strecke, für die man früher Wochen beschwerlichsten Reisens brauchte, legt man heutzutage in 24Stunden zurück. Gibt man noch 12Stunden dazu, so kommt man sogar über die Kordilleren hinüber bis an die Küste des Stillen Ozeans.
Nur ein kleines Gebiet im Zentrum des tropischen Südamerika ist bisher von den Invasionen neugieriger und gewinnsüchtiger »Kulturträger« verschont geblieben. Das ist der sogenannte Gran Chaco. Dorthin haben sich die Überreste der stolzen Indianerstämme, die einst den ganzen Riesenkontinent bevölkerten, zurückgezogen. Sie leben dort ihr Leben, wie sie es vor tausend Jahren gelebt haben, ein Leben, dessen Grundlage eine wunderbar sinnvolle, natürliche Moral ist. Durch die selbstzufriedene Kulturarbeit der »Weißen«, deren Hauptwerkzeug das »Feuerwasser« ist, wird die unendlich höher stehende moralische Kultur dieser Wilden, die sich ihrer Nacktheit nicht schämen, langsam aber hoffnungslos untergraben. Wer das nicht glaubt, lese das wundervolle Reisebuch Elmar Nordenskjölds, der zwei Jahre lang das Leben dieser Chaco-Indianer in ihrer Mitte gelebt hat und jene Zeit zu der schönsten, »moralinfreiesten« seines Lebens zählt.
Der Zug, der von Buenos Aires quer durch die Pampas nach dem Westen fährt, der hier jedoch nicht so wild ist wie in Nordamerika, trägt den stolzen Namen: Ferro Carril Transandino International. Nach europäischen Begriffen ist es eine miserable Sekundärbahn, als Gegenstand des Spottes der »Fliegenden Blätter« jedem Deutschen genugsam bekannt. Die Schienenspur ist wenig mehr als einen Meter breit, die Waggons sind eng und unbequem; auch die sogenannten Schlafwagen, die bis zum Fuß der Anden verkehren, lassen in bezug auf Bequemlichkeit so ziemlich alles vermissen. Nur langsam gewöhnt man sich an die »argentinische Küche« des Waggon-Restaurants, deren Hauptingredienzen Safran und roter Pfeffer sind.
Doch alles das erträgt man gerne, denn was man links und rechts durch die Waggonfenster sieht, ist interessant und neu genug, um einen zeitweilig alle europäischen Bedürfnisse vergessen zu machen. Endlos zieht sich die gelbgrüne Fläche der Pampas hin, der Horizont scheint in kaum erreichbare Fernen entrückt zu sein. Das Gras ist nicht hoch und erweckt auch nicht den Anschein, als ob es besonders fett wäre. Dennoch finden zehntausendköpfige Rinderherden dort ihre Nahrung. Bekanntlich versorgt Argentinien ganz Südamerika mit Fleisch und die ganze Welt mit »Liebig-Extrakt«. Es gibt in Buenos Aires nicht eines, sondern mehrere Schlachthäuser, von wo aus bis zu 2000 Stück Vieh täglich in ein besseres Jenseits, d.h. in die Mägen hungriger Argentinier, Brasilianer und Peruaner befördert werden. Vom nächsten Jahr ab wird auch Europa zu den Abnehmern des argentinischen Fleischmarktes gehören. Während ich in Buenos Aires war, langte die Freudenbotschaft an, daß es gelungen war, 3000 Hammel in tadellosem, natürlich künstlich gefrorenem Zustande nach Hamburg zu bringen. Darob herrscht unter den Viehherdenbesitzern Argentiniens natürlich eitel Freude und Seligkeit, und die Landpreise der Pampas steigen.
Wenn man die Stationsgebäude, die den Schienenstrang der transandinischen Eisenbahn einsäumen, und die Wohnhäuser der Pampasbewohner mit den Augen eines Russen ansieht, so schwellt einem einiger Stolz die Brust. Gegen diese erbärmlichen, aus Lehm, Schmutz und Stroh aufgeführten Domizile sind die Hütten der ärmsten russischen Bauern fürstliche Paläste. Der ganze Reichtum des Landes zieht sich hier nach den Hauptstädten hin, im Inneren ist und bleibt es wüst und leer.
Die Vegetation der Pampas verändert sich ungefähr in der Mitte des Weges aufs auffallendste. Statt der Wiesen und des Präriegrases sieht man weite Sandwüsten mit kümmerlichem, verkrüppeltem Buschwerk bestanden. Eine Unmenge von Kakteen mit wunderschönen weißen Sternblüten macht den Anblick exotischer. Hin und wieder grüßen als alte Bekannte einzelne hypertrophisch ausgebildete Exemplare von Sonnenblumen. Die Rinder- und Hammelherden hören auf, statt dessen sieht man merkwürdige langhalsige Vögel über das Buschwerk streichen und graue Strauße über den Sand spazieren.
Nun beginnt auch die fürchterlichste Plage der Pampas-Fahrt: der Staub. Ein Staub, so fein und dicht, daß er überall durchdringt, man mag die Fenster noch so sorglich verschlossen halten. Jetzt versteht man auch den merkwürdigen Aufzug der Mitreisenden, die man anfangs für Mönche oder Mitglieder irgend einer geheimen Sekte hielt. Alle stecken sie von Kopf bis zu Fuß in langen weißgrauen Staubmänteln, und man muß seine schnell erworbenen Reisefreunde buchstäblich an der Nasenspitze erkennen.
Übrigens hatten wir Glück. Abends um 9Uhr erlebten wir in der staubreichsten Gegend ein Gewitter von einer derartigen Heftigkeit, daß der Weltuntergang nahe schien. In den Pampas, wo alles immer nach Wasser dürstet, soll das eine große Seltenheit sein. Wer nie einen Pampasregen gesehen hat, macht sich keinen Begriff davon, was das ist. Nicht eimer-, sondern kübelweise scheint das Wasser vom Himmel herabgegossen zu werden. Die Waggons der stolzen Transandino-Bahn hielten diesen Fluten nicht stand, in brausenden Wasserfällen strömte das Wasser durch die Waggondecke auf unsere Häupter herab, und nur mit Hilfe einer genial erfundenen Wasserleitung aus Bettüchern und Eimern gelang es mir, mich und meinen Reisekameraden vor dem Ertrinken zu retten. Ein wundervolles Bild gewährten die grenzenlos weiten Flächen der Pampas im bläulich-blendenden Licht der Blitze, die fast pausenlos aufeinander folgten. Ebenso plötzlich, wie er gekommen, war der ganze Zauber verschwunden.
Hat man die interessanten, aber öden Pampas glücklich durchquert, so erlebt das Auge eine angenehme Überraschung. Man fährt in die fruchtbare Weinebene von Mendoza hinein. Soweit der Blick reicht, ruht er auf saftig grünen, hochkultivierten, endlos sich hinziehenden Reihen von Weinstöcken aus. Das sind die Goldfelder des Landes, auf denen in den letzten Jahrzehnten Millionen und Abermillionen verdient worden sind.
Mendoza selbst ist ein freundliches Städtchen, mit breiten, von einstöckigen Häusern eingerahmten Straßen, üppigen Parkanlagen und blühenden Gärten. Warum die Häuser alle einstöckig sind, wurde mir klar, als ich den Prospekt des uns empfohlenen Hotels durchlas. Dort lautete der erste Satz: »l'édifice est construit spécialement contre tremblements de terre«. Alle zwei bis drei Monate »bebt« es nämlich in Mendoza, nicht allzu gefährlich, aber immerhin so stark, daß mehrstöckige Gebäude den Bodenschwankungen nicht standhalten. Auch das Baumaterial ist höchst eigenartig, ein Gemisch aus Schmutz und Stroh, das man an Ort und Stelle euphemistisch »ungebrannte Ziegel« nennt. Holz fehlt vollständig. Das konnte man schon an der Bahnlinie beobachten. Sämtliche Telegraphenpfosten sind aus Eisen. Die krüppligen Stämme der Weinstöcke würden zu diesem Zwecke freilich schlechte Dienste leisten.
Dank der Liebenswürdigkeit des Direktors der Deutschen Bank in Mendoza hatten wir Gelegenheit eine der größten Wein-»Fabriken« des Gebiets in Augenschein zu nehmen. Zwanzig Minuten Bahnfahrt und zehn Minuten in einem omnibusartigen Wagen, wie sie hier dem Landverkehr dienen, brachten uns nach dem Weingute der deutschen Weinindustriellen S.undH. In liebenswürdigster Weise wurde uns der ganze Betrieb der »Bodega L'Allemana« gezeigt, obzwar die Ernte noch ausstand, und die Fabrik ruhte. Es würde mich zu weit führen, wollte ich alle Einzelheiten dieses enormen Betriebes schildern. Einige Zahlen mögen genügen. Mendoza produziert jährlich 4Millionen Hektoliter Wein, wovon auf unsere Gastfreunde 100?000 Hektoliter entfallen. Die Firma steht an fünfter oder sechster Stelle. Der Löwenanteil von über 1Million gebührt einem Italiener, der als armer Erdarbeiter ins Land gekommen, und heute noch Analphabet ist. Die geniale Idee, in Mendoza Wein zu bauen, rührt von ihm her. Die ganze Kultur ist erst einige Jahrzehnte alt. Der Wein ist von ganz vorzüglicher Qualität, »alte«, »abgelagerte« Sorten gibt es natürlich noch nicht. Die Weingutsbesitzer bewahren nur wenige Flaschen zum eigenen Gebrauch auf. Die gesamte Produktion wird bis auf den letzten Tropfen in Argentinien konsumiert. Nicht ein Faß gelangt zum Export. Unsere liebenswürdigen Gastwirte setzten uns einige Flaschen der ältesten Jahrgänge dieses köstlichen Mendoza-Weines vor, und ohne Übertreibung muß zugestanden werden, daß er getrost mit den besten europäischen Weinsorten konkurrieren kann. Das Aroma ist ein ganz eigenartiges, der Wein ein Mittelding zwischen schwerem Burgunder und gut...