Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Madita Tönninger hatte schon immer an Wunder geglaubt. An kleine und große - an solche, die sich im unscheinbaren Gewand des Alltags präsentierten, und solche, die die Welt mit einem großen Knall erschütterten.
Am liebsten waren ihr eindeutig jene erster Kategorie, zu der Madita auch zählte, was sich gerade vor ihren noch müden Augen abspielte:
Fabian stand in der Tür, in den Händen je einen Becher Kaffee aus ihrer gemeinsamen Lieblingsrösterei. Sie hätte das zugehörige Logo, einen Anker aus Kaffeebohnen, nicht einmal gebraucht, um zu wissen, dass Fabian dort gewesen war. Der unverwechselbare Geruch, der aus den Öffnungen der To-go-Becher strömte - herb und ein bisschen schokoladig -, war zur Identifizierung vollkommen ausreichend.
»Träume ich gerade?«, begrüßte Madita ihren besten Freund.
Es war beileibe nichts Ungewöhnliches, dass er sie in ihrer Wohnung besuchte - dass er es zu so früher Stunde tat, hingegen schon. Die Uhr über der Garderobe, die sie selbst vor einiger Zeit gestaltet hatte, zeigte gerade einmal Viertel nach sieben.
Und soweit Madita wusste, hatte Fabian, der als Schauspieler am Stadttheater beschäftigt war, heute eine Spätvorstellung.
Während sie teilweise bereits drei Stunden vor Arbeitsbeginn aufstand, war Fabian das, was man im Volksmund einen Morgenmuffel nannte.
Heute allerdings machte er gar keinen so muffeligen Eindruck. Wie jedes Mal musste Madita bei Fabians Anblick allerdings auch nun feststellen, dass ihr bester Freund überhaupt nicht wie ein Schauspieler aussah. Oder, besser gesagt, nicht so, wie sie sich einen Schauspieler am Theater vorstellte. Dabei war das Bild des typischen Schauspielers, der zu jeder Jahreszeit einen Schal trug, leicht abstehende Haare hatte und einen entrückten Blick aufsetzte, natürlich nichts als fürchterliches Klischeedenken.
Trotzdem wirkte Fabian mit seiner absurd geraden Körperhaltung, der eckigen Brille und seiner perfekt sitzenden Kurzhaarfrisur eher wie ein Versicherungsvertreter. Jedenfalls, wenn man einmal von seiner Schwäche für extravagante Mäntel absah.
»Du hast in die Gruppe geschrieben, deine Kaffeemaschine sei kaputt«, sagte dieser extravagante Versicherungsvertreter nun mit gewichtiger Miene. »Freya und ich waren uns einig, dass das ein Notfall ist. Niemand sollte seinen Morgen ohne Koffein beginnen. Und da Freya ja heute Bürotag in Reinfeld hat .«
»Hast du dich tatsächlich für mich geopfert und bist zur Küstenbohne gegangen, obwohl du dich noch gemütlich in deine Flanellbettwäsche hättest kuscheln können«, beendete Madita den Satz für ihn. »Und obwohl ich mir auch im Laden oder auf dem Weg dorthin einen hätte holen können.« Sie spürte, wie in ihr eine Welle der Zuneigung für ihre Freunde aufbrandete. Freya stand Madita genauso nahe wie Fabian; sie hatten einander zu Schulzeiten kennengelernt und waren schon damals ein unzertrennliches Dreiergespann gewesen.
»So sieht's aus. Der erste Kaffee des Tages muss in der Wohnung getrunken werden, so will es das Gesetz. Obwohl ich es mir vielleicht noch mal anders überlege, wenn du mich nicht bald reinbittest.«
»Sorry.« Madita trat zur Seite und bedeutete Fabian mit einer ausladenden Handbewegung, an ihr vorbeizugehen. Fabian schlüpfte noch im Gehen aus seinen Schuhen und steuerte zielstrebig das Wohnzimmer an, wo er es sich sogleich in seinem Lieblingsstuhl bequem machte. Madita beobachtete gern, wie selbstverständlich er und Freya sich in ihren vier Wänden bewegten. Wenn sie sich nicht in Cafés, Restaurants oder Bars trafen, brachten sie ihre gemeinsame Zeit meistens in Maditas heißgeliebter Dachgeschosswohnung zu. Hier fühlte sie sich wirklich und wahrhaftig zu Hause; hatte es von der ersten Sekunde an getan.
Madita war in ihrem Leben erst zweimal umgezogen: einmal von der Doppelhaushälfte ihres Vaters in ihre Hamburger Studentenwohnung und von dort aus direkt in jenes Zweieinhalb-Zimmer-Domizil in der Glockengießerstraße, das sie auch jetzt noch bewohnte. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, jemals aus ihrer jetzigen Bleibe auszuziehen - vor allem nicht, seit sie sich eine Klimaanlage geleistet hatte, die selbst den heißesten Sommer erträglich machte.
Madita liebte die zu jeder Jahreszeit herrschende Gemütlichkeit, die Balken und Schrägen erzeugten. Die großflächigen Giebelfenster, die genau die richtige Menge Licht hereinließen. Und natürlich ihren heißgeliebten, vom Wohnzimmer abgehenden Dachbalkon: Gerade genug Platz für Tisch, Stuhl und eine Topfpflanze bietend, war er für Madita so etwas wie der Höhepunkt einsamer Behaglichkeit.
Normalerweise.
An diesem Morgen sorgte Fabian mit seiner Anwesenheit und den zwei Küstenbohne-Bechern dafür, dass diese Gemütlichkeit auch ins Wohnzimmer Einzug hielt.
»Geht's dir gut?« Er nippte an seinem Kaffee. Im Gegensatz zu seinen Schuhen hatte er seinen edlen karminroten Mantel angelassen. Der Kontrast, den Maditas eigener Jeans-und-Sneakers-Look zu Fabians Kleidung bildete, amüsierte sie immer wieder aufs Neue.
»Ziemlich gut, danke. Und dir?« Sie setzte sich ihrem Freund gegenüber an den Tisch und zog sich einen der Becher heran.
»Auch. Wie viel Zeit haben wir, bis wir losmüssen?«
Wenn er schon so fragte, dachte Madita, war er vermutlich doch nicht aus reiner Selbstlosigkeit vorbeigekommen, sondern hatte Redebedarf. Nicht, dass sie sich daran störte. Wenn Fabian ein offenes Ohr brauchte, würde sie ihm ihres leihen - genauso, wie er ihr das seine schon so viele Male geliehen hatte.
»Eine gute halbe Stunde. Hast du was auf dem Herzen, Fabs?«
Fabian grunzte. »Noch eine halbe Stunde? Wie kann man freiwillig so viel früher aufstehen, als man eigentlich muss?«
»Ich brauche morgens Ruhe, das weißt du doch. Frühstücken, duschen, ohne Hektik zum Laden schlendern .« Madita lachte, als sie sah, wie ihr bester Freund das Gesicht verzog.
»Mein katastrophales Zeitmanagement und ich fühlen uns persönlich angegriffen.«
»Tut mir leid, ihr zwei. War nicht meine Absicht.« Madita nahm einen großen Schluck Kaffee und glaubte, sofort zu spüren, wie dieser seine belebende Wirkung entfaltete und die heute so ungewohnt hartnäckige Müdigkeit aus ihren Gliedern vertrieb. »Aber sag schon: Hast du jetzt etwas auf dem Herzen oder nicht?«
»Ach, nicht so richtig.«
»Komm schon, raus damit.« Madita rückte ein Stück vom Tisch ab, um in den Schneidersitz zu wechseln, ohne sich die Knie an der Kante zu stoßen. Mehr als ihre Aufforderung brauchte es nicht, damit Fabian seinen Widerstand aufgab.
»Also schön. Es ist aber wirklich keine große Sache. Ich frage mich nur in letzter Zeit immer wieder, ob . na ja, ob ich wirklich auf der Bühne stehen will, bis ich alt und grau bin. Oder ob ich vielleicht noch mal was völlig anderes mache.«
Madita war froh, dass sie gerade keinen Kaffee im Mund hatte. Andernfalls hätte sie ihn Fabian vor Überraschung sicherlich über den Tisch hinweg ins Gesicht gespuckt.
»Das nennst du keine große Sache? Machst du Witze?«
Von sich selbst einmal abgesehen, kannte Madita niemanden, der so glücklich in seinem Job war wie Fabian. Zumindest hatte sie das bis eben geglaubt.
»Überhaupt nicht. Du und deine Hanseherzen sind der beste Beweis dafür, was ein Neuanfang mit einem Menschen machen kann. Ich mag meinen Job, aber ich liebe ihn nicht mehr. Und ich möchte unbedingt wieder etwas tun, was ich liebe.«
Ihre Hanseherzen.
Warm wie eine Sommerbrise strich ein Anflug von Stolz durch ihren Brustkorb und ließ sie ihren Oberkörper automatisch aufrichten. Fabian hatte recht, dieser Neuanfang - in ihrem Fall der Schritt in die Selbständigkeit - hatte sie verändert. Und zwar durch und durch zum Positiven. Seit sie nämlich ihren Traum wahr gemacht und im vergangenen Mai ihre kleine Papeterie an der Obertrave eröffnet hatte, war sie glücklicher denn je. Glücklicher, als sie es sich jemals hätte erträumen können.
»Schwebt dir da denn schon etwas Bestimmtes vor?« Sie nahm nun doch einen Schluck Kaffee und sah ihren Freund erwartungsvoll an, der sofort den Kopf schüttelte.
»Nein. Es ist überhaupt noch nicht konkret, nur ein Gedanke, der eben immer wieder mal aufkommt. Ich weiß nur, dass ich Veränderung will. Und freie Wochenenden. Eine Menge davon.«
Madita nickte langsam. »Also, zumindest das ist doch schon mal sehr konkret.«
»Stimmt auch wieder. So oder so, ich werde nichts überstürzen. Aber lass uns lieber über was anderes reden .« Fabian machte eine nickende Kopfbewegung in Richtung der schräg hinter Madita an der Wand stehenden Kommode. »Du hast dir endlich einen Neuberger zugelegt?« Seine Miene hellte sich augenblicklich auf.
Ein »Neuberger« nämlich war in diesem Fall der neue Thriller von Fabians unter einem Pseudonym veröffentlichenden Lieblingsautor, der Bestsellerlisten und Leserherzen im Sturm eroberte. Der Medienrummel um seine Bücher war schließlich so groß geworden, dass Madita sich beinahe genötigt fühlte, auch eines zu lesen. Auch wenn allein die Klappentexte ihrer Meinung nach so reißerisch klangen wie auf wenige Zeilen zusammengekürzte Berichte irgendwelcher Boulevardzeitschriften. Letztlich hatten Fabians Überredungskünste den Ausschlag gegeben - und die Neugier darauf, was es genau war, womit Neuberger die Leute in Scharen für sich begeisterte.
»Freu dich nicht zu früh«, nahm Madita ihrem Freund...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.