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». darum habe ich mich entschieden, den Scheck von über fünfhunderttausend Dollar an städtische Kinderhilfsorganisationen zu spenden. Ganz besonders gilt meine Aufmerksamkeit den wenigen Waisenhäusern hier in London. Diese Kinder, deren Kindheit schon früh von schweren Schicksalsschlägen geprägt wurde, haben genau wie alle anderen Kinder Englands das Recht verdient, in einer Gesellschaft aufzuwachsen, in der man sie versteht und behütet. Sie sind schließlich die Zukunft der Menschheit, die nächste Generation; und wer weiß, was sie uns in Zukunft bringen werden? Deshalb habe ich mich auch entschieden, den Kindern die Schecks persönlich zu überreichen, um mir selbst ein Bild von deren Zukunft zu machen«, dröhnte es laut aus dem kleinen roten Radio, das, schon seit ich denken konnte, im Gemeinschaftssaal vor sich hin ratterte. Gelangweilt schrubbte ich weiter den Boden, während die Radiomoderatoren nun ausschweifend zu erklären begannen, was die Waisenhäuser doch für ein Glück hätten, dass sie ausgerechnet das unbeugsame Herz des erfolgreichsten Geschäftsmannes in ganz England hatten erweichen können. Dabei heuchelten sie in jedem zweiten Satz ein Kompliment, und augenverdrehend schrubbte ich den Boden weiter, diesmal energischer als zuvor. Es ging weiter mit Sätzen wie »Die Waisenhäuser sollten sich erkenntlich zeigen« oder »Er ist eben ein Mann des Volkes. Ein wahrer Held für die kleinen Kinder und ein perfektes Vorbild.«. Wütend pfefferte ich den dreckigen Lappen zurück in den Eimer, wobei ein paar Tropfen des dreckigen Wassers herausspritzten und meine vorherige Arbeit zunichtemachten. Frustriert starrte ich die Tropfen an in der Hoffnung, sie würden sich meinem wütenden Blick beugen und sich zurück in den Eimer bewegen, doch überraschenderweise bewegten sie sich kein Stück. Vielmehr konnte ich mir vorstellen, wie sie mich gerade für meine dumme Idee auslachten, und genervt wrang ich den Lappen aus, um diese letzten Tropfen wegzuwischen. Warum konnten die nicht einfach Musik spielen? Warum mussten die Radiosender jedes Wort, das dieser Anzugaffe von sich gab, tausendmal wiederholen und ihn ununterbrochen für seine Genialität und sein Mitgefühl preisen? War ich denn etwa die Einzige, der es egal war, ob er das Geschäft zu seinen Gunsten wenden konnte oder nicht? Begleitet von der hohen Stimme der Radiosprecherin, entfernte ich die letzten Tropfen von dem dunklen Parkettboden, richtete mich auf und lief mit dem Eimer in den Flur hinaus, um ihn im Bad auszuwaschen. Dabei begegnete ich Stephan und Lillet, die gerade dabei waren, ein Wettrennen in dem langen Flur des Denvers-Waisenhauses zu veranstalten. Die beiden Achtjährigen waren momentan die schnellsten unter den zwanzig Kindern, die hier ihr neues Zuhause gefunden haben, und es war jedes Mal ein wahres Spektakel, wenn die beiden sich mal wieder ein Rennen lieferten. Lächelnd stellte ich den Eimer ab und wartete im Türrahmen, um das Rennen nicht zu unterbrechen. Die anderen Kinder hatten sich auf der großen Treppe am Ende des Flures niedergelassen, um genau beobachten zu können, wer als Erster ankommen würde. Ein geschrienes »Los!« erklang, und wie zwei gespannte Flitzebögen schossen die beiden los und rannten, als wäre der Teufel persönlich hinter ihnen her. Der Flur war nicht lang, vielleicht zwanzig Meter, und doch war es für die Kleinen eine große Hürde. Schmunzelnd beobachtete ich, wie die anderen Kinder ihre Mitbewohner anfeuerten und lachten, als Stephan nach einem Stoß von Lillet ins Stolpern geriet und wild mit den Armen ruderte, um sein Gleichgewicht wiederzufinden, ohne dabei sein Tempo zu verlangsamen. Allerdings kosteten ihn diese Mühen wertvolle Sekunden, und mit einem lauten »Ja!« klatschte Lillet die Wand des Flures als Erste ab und blickte stolz auf ihren Gegner zurück. Stephan hatte derweil ebenfalls die Wand erreicht und gratulierte dem quirligen Blondschopf nun mit Schmollmund und trotzig verschränkten Armen zu dessen Sieg. Dieser hielt ihm, dem Schwarzhaarigen, ihre Hand entgegen, und nach kurzem Zögern schlug Stephan ein. Die anderen Kinder jubelten und ich blickte sehnsüchtig in ihre jungen Gesichter. Noch einmal so unbefangen und sorglos zu sein, das wäre schön. Stattdessen musste ich mich nun halb zu Tode schuften, um mein Stipendium finanziert zu bekommen, da man meine guten Noten nicht anerkennen wollte. Eben weil ich aus einem Waisenhaus kam und diese Kinder dort konnten ja schließlich nichts richtig machen, außer die wertvollen Steuern des Staates zu verschwenden. Bei dem Gedanken an die arroganten Eltern meiner ehemaligen Mitschüler, welche mich immer naserümpfend angesehen hatten, als hätte ich irgendeine ansteckende Krankheit, stiegen Frust und Übelkeit in mir auf. Warum war unsere Gesellschaft nur so verdorben? Ein Zupfen an meinem zerschlissenen Pullover riss mich zurück in die Gegenwart und verwundert sah ich in Mikes Gesicht. Mike war ein schlaksiger Junge mit Hasenzähnen und einer Brille, welche ihm zu groß war und ihm somit immer wieder von der kleinen Stupsnase rutschte. Trotz seines zarten Alters hat er schon mehr erlebt als die meisten hier. Seine Eltern und seine große Schwester waren von seinem Onkel des Geldes wegen ermordet worden. Der kleine Mike war damals erst drei Jahre alt gewesen, und um seine zarte Kinderseele zu schützen, hatte seine Psyche Maßnahmen ergriffen, die ihn die schrecklichen Geschehnisse haben vergessen lassen. Seitdem ging er davon aus, dass ich seine große Schwester wäre und Mum und Dad auf Geschäftsreise in einem anderen Land. Wir ließen ihn seit vier Jahren in dem Glauben, denn niemand wagte es, daran zu denken, was passieren würde, wenn er die Wahrheit erführe. Dennoch erzählte er mir in letzter Zeit, dass er Albträume habe, in denen ein dunkler Mann ein Messer in der Hand halte und über und über voll mit Ketchup beschmiert sei. Ich dachte, dass sein Unterbewusstsein selbst entschieden habe, ihm nun nach und nach die schrecklichen Erinnerungen zurückzugeben. In diesem Moment sah er mich mit einem neugierigen Blick an und lächelnd ging ich in die Hocke, um ihm in die Augen sehen zu können, welche wegen der Brille größer als gewöhnlich wirkten. »Hey, Mikey, was ist los?«
»Jackie, spielst du mit mir?«, fragte er mich mit großen Glubschaugen und ich konnte mich gerade noch beherrschen, ihn nicht zu knuddeln.
Misses Denver, die Leiterin des Waisenhauses und meine Ziehmutter, hatte mir erzählt, dass ein Ehepaar neulich zu Besuch gewesen sei und sich dafür entschieden habe, Mike zu adoptieren. Darum meinte sie, ich solle mich langsam von ihm distanzieren, sodass ihm der Abschied leichterfalle und es kein großes Theater gebe. Allerdings fiel es mir ziemlich schwer, den Kleinen zu ignorieren und mich zu distanzieren, immerhin kannte ich ihn schon, seit er zu uns gekommen ist. Dennoch erwartete ihn nun dank der Adoption ein besseres Leben, und wenn es jemand verdient hatte, dann Mike. Ich wollte nicht, dass irgendeines dieser Kinder die gleichen Erfahrungen machen musste wie ich: erfahren, was es bedeutet, keine Eltern und Herkunft zu haben. Mit einem Lächeln strich ich ihm durch seine Haare. »Hast du denn schon fertig gepackt? Mum und Dad holen dich doch bald ab.«
Mit einem wichtigen Gesichtsausdruck nickte er und fragte dann mit traurigen Augen: »Hab ich, aber warum tust du nicht packen? Du musst doch mit mir kommen!«
Angestrengt behielt ich mein Lächeln im Gesicht, auch wenn es mir von Sekunde zu Sekunde schwerer fiel. »Das habe ich dir doch schon erklärt: Mum und Dad nehmen nur dich mit, weil ich hier noch gebraucht werde. Die anderen brauchen schließlich jemanden, der ihnen das Essen macht und mit ihnen spielt.«
Lächelnd nickte Mike. »Au ja, dein Essen ist sehr lecker. Aber wer spielt dann mit mir, wenn du hierbleibst?« Mit einem Stirnrunzeln blickte er zu mir hinauf und gerade als ich eine Antwort stammeln wollte, wurden wir von Misses Denver unterbrochen, die in diesem Moment aus ihrem Büro hinaus auf den Flur trat. Ein kleines Lächeln legte sich in ihr faltiges Gesicht, und mit humpelnden Schritten kam sie auf uns zu.
»Da seid ihr ja! Mike, schnell, hole deine Sachen, Mama und Papa sind gleich da. Jackie? Ich möchte dich danach in meinem Büro sprechen«, verkündete sie strahlend.
Hastig eilte Mike die Treppe hinauf, während ich endlich meine fröhliche Miene fallen lassen konnte. Tränen traten mir in die Augen und ein Kloß machte sich im Hals breit, als ich an den mir bevorstehenden Abschied dachte. Mike würde mir fehlen, mehr als alle anderen. Langsam stand ich auf und wischte mir einmal mit dem Ärmel über die Augen, um die Tränen zu vernichten. Nicht dass Mike sie noch sähe, dann würde er erst recht nicht gehen wollen.
Mit einem tröstlichen Schulterklopfen humpelte Misses Denver an mir vorbei in Richtung Eingangshalle, und ich beeilte mich, meine Putzutensilien wegzuräumen. Hastig rannte ich hinaus auf den Vorplatz unseres Waisenhauses und stellte mich neben Mike, der mich erleichtert ansah. Gerade rechtzeitig, denn just in diesem Moment fuhr ein schwarzes Auto vor. Ich wusste nicht viel von Autos, dennoch konnte ich mit Sicherheit sagen, dass dieses Auto hier kein günstiges Auto war. Ein Mann in einem Anzug stieg aus und öffnete die hintere Autotür. Zum Vorschein kam eine schlanke Gestalt, gekleidet in weißen Pelz und halsbrecherisch hohen Schuhen. Nach ihr folgte ein Mann in einem dunkelblauen Frack und gemeinsam traten sie auf unser kleines Grüppchen zu. Neben den edlen Kleidern und dem teuren Auto des Paares kam ich nicht umhin, mich für meinen Aufzug zu schämen. Normalerweise interessierte es mich nicht, wie ich herumlief, doch jetzt fühlte ich mich...
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