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Allein. Ganz allein an einer fast menschenleeren Küste, abgeschnitten von der übrigen Welt. Abhängig von der eigenen Tüchtigkeit und dem eigenen Willen, sein eigener Herr und eigener Diener; alles das hatte Anton Pedersen sich offenbar nicht klar gemacht, als er sich im Büro der Kompanie als Fänger bewarb. Denn Anton war gerade neunzehn Jahre alt, ihn beschäftigten ganz andere Gedanken. Seine arktische Welt war mit Polarhelden bevölkert, unbezwinglichen Männern, die unter Einsatz ihres Lebens die vielen weißen Flecke auf der Landkarte auszufüllen suchten. Sein Grönland - das waren lange Reisen mit kläffenden Hunden vor dem Schlitten, gewaltige Jagden auf Bären und Walrosse, herrliche Erlebnisse bei den ursprünglichen Eskimos und eine Kameradschaft, die die Expeditionsteilnehmer bis in den Tod verband. Solch ein Expeditionsmann zu werden, das war Antons heißer Wunsch.
Grönland war groß, und es gab immer noch unerforschte Gebiete. Doch die Zeit war knapp, so schien es Anton, und die weißen Flecke schrumpften schnell. Darum konnte es ihm nicht schnell genug gehen. Da er bis dato nichts anderes vorweisen konnte als ein vor kurzem bestandenes Abitur sowie zwei Silbermedaillen eines akademischen Schießclubs, wurde ihm bald klar, dass für ihn nur zwei Wege in die Arktis führten: entweder nach Westgrönland über den Königlich Grönländischen Handel oder als Fänger nach Ostgrönland. Westgrönland reizte ihn nicht so sehr. Hier könnte er als Handelsassistentenanwärter - mit wenig Aussicht auf Abenteuer - angestellt werden. Die Arbeit wäre sicher genauso langweilig wie der Titel und, so glaubte Anton, für einen philosophischen Bewerber auch entwürdigend. Darum wählte er den Weg über die Kompanie. Als Fänger würde er lange Fangreisen mit Hundeschlitten in der Schneewüste unternehmen, und auch sein Leben würde sich so gestalten wie einst das der alten Expeditionsleute, hatte ihm der Direktor der Kompanie zu verstehen gegeben. Anton Pedersen wurde Fänger. Er ging mutig durchs Leben, hatte einen klaren Kopf und war munter wie ein Fisch im Wasser.
Der Start in sein arktisches Abenteuer war denn auch verheißungsvoll. Die Schiffsreise auf dem Atlantik mit dem Robbenfänger Veslemari verlief genau so, wie er es sich in seinen ausschweifenden Träumen vorgestellt hatte. Die Besatzung bestand aus alten Polarfüchsen aus dem Westeis, und Skipper Olsen spann jeden Abend sein Seemannsgarn in der Messe, wenn der Schiffsjunge acht Glasen geschlagen hatte. Olsen hatte einen kolossalen Vorrat an Geschichten. Er fuhr seit seinem zwölften Lebensjahr im Eis und konnte angeblich einer Eisscholle ansehen, ob diese aus dem Polbecken, der Karasee, aus Ostgrönland oder wo auch immer herkam. Olsen konnte auch offenes Wasser regelrecht spüren, er konnte die Position seines Schiffes durch bloßes Schmecken des Meeres dort, wo man sich gerade befand, bestimmen - sagte Olsen.
Abends wurde am Messetisch zähflüssiger Rum aus schlanken, braunen Tonflaschen ausgeschenkt, dazu rauchte man schwarzen, starken Tabak aus Pfeifen mit abgenutzten Köpfen. Anton saß auf der Bank mit dem Rücken am dröhnenden Schott. Er lauschte und lachte, schlug mit der Faust auf den Tisch und fühlte sich wie ein rechter Mordskerl. Hin und wieder bekam er Rum und Rauch in den falschen Hals, dann musste ihm Olsen auf den Rücken schlagen, damit er seinen Husten los wurde. Wenn der Skipper außer diesen wenigen Stunden hereinkam, ging Anton hinaus an Deck und lehnte sich an die Reling. Er spürte den scharfen Geruch von Speck, der über dem Schiff hing, er würgte den Rum hoch und ließ ihn in der langen Dünung verschwinden.Wenn er so für die abendliche Abfüllung Luft geschaffen hatte, trocknete er den Schweiß von der Stirn und hockte sich, etwas müde, auf den nächsten Poller und blickte aufs Meer hinaus. Die nordische Nacht war hell und zauberhaft. Das Meer sah nachts noch unendlicher aus, so schien es ihm, und er bekam ein Gefühl, als ob ein Teil dieser ganzen Unendlichkeit sein Gemüt besetzte. Anton saß auf dem Poller und vergaß sich selbst. Er war ganz erfüllt von dem unermesslichen Meer, ohne sich selbst darüber im Klaren zu sein, er drehte sich und schlingerte in der Dünung, ohne zu wissen, woher er kam oder wohin es ihn tragen würde.
Anton saß völlig gedankenverloren da, leicht berauscht von Skipper Olsens Rum und der hellen Nacht. In diesen Augenblicken war sich Anton näher, als er es jemals vorher gewesen war. Ohne jene Verkleidung, die ihm die Träume sonst gerne anlegten, war er außerhalb der eingebildeten Welt, die ihn umgab, und ganz nahe dem fast Unerreichbaren - seinem Bewusstsein. Er hatte alle Sinne auf sich selbst gerichtet und saß völlig unbeeinflusst von den ihn umgebenden Dingen. Aus diesem entrückten Zustand glitt er häufig in einen tiefen und traumlosen Schlaf.
Als sich die Veslemari dem Treibeis näherte, fühlte sich Anton, als ob er den größten Teil seines Lebens auf einem Robbenfängerschiff zugebracht hätte. Er hatte so vielen Gesprächen über das Eis zugehört, dass er es wie einen alten Bekannten mit einem Nicken begrüßte, als er es sah. Skipper Olsen saß im Ausguck und witterte mit seiner langen, blau-roten Nase. Er dirigierte das Schiff in Rinnen offenen Wassers, suchte den Weg zu größeren eisfreien Wasserflächen, ließ die Maschine rückwärts gehen, drehte, lenkte und arbeitete sich sicher nachWesten. Anton hing in der eisernen Leiter einen Meter unterm Ausguck und erwarb sich einen gewaltigen Wortschatz durch die Flüche und Verwünschungen, die Skipper Olsen auf den Rudergänger herabprasseln ließ.
Der Höhepunkt der Reise war aber der Tag, als Land voraus ausgerufen wurde. Es geschah an einem frühen Morgen, als Anton in der Messe saß und Kaffee trank. Der Ruf kam vom Ausguck, wurde vom Rudergänger weitergegeben und landete durch die offene Kombüsentür bei Anton. Wie ein Blitz sauste dieser zur Tür hinaus, übers Deck und hoch zum Ausguck.
Dort lag das Land. Die gewaltigen Felsen reckten ihre gezackten Gipfel zum Himmel. Voraus lagen der gewaltige Teppich aus Eis, die tiefblauen Gletscher, die glänzenden Seen und die langen, schwarzen Fjorde. Jetzt nahm Anton einige der angelernten Sprüche zur Hilfe, um seine Bewegung, die Skipper Olsen leicht hätte falsch verstehen können, zu unterdrücken.
Alles ging gut mit Anton und der Fimbulhütte. Hier jedoch legte sich die Wirklichkeit wie eine schwere Decke auf seine Träume. Anton hatte sich natürlich viele Vorstellungen und Gedanken über eine Fangstation gemacht, hatte deutliche und schöne Bilder von Haus und Umgebung vor seinem inneren Auge gehabt. Aber hier in Fimbul entdeckte er manches, das er nicht bedacht hatte. Vor allem die Kälte. Dichter Nebel hing wie ein grauer Trauerflor zu beiden Seiten des Fimbulgebirges herunter, die raue und feuchte Luft drang bis auf die Knochen. Und dieser unglaubliche Schmutz und Dreck! Anton war immer davon ausgegangen, dass Land, Meer und Luft in der Polarregion rein und unberührt waren. Aber als er nun vom Strand zum Haus hinaufging, erblickte er zu seinem Entsetzen, dass das Terrain, so weit das Auge reichte, mit rostigen Blechdosen, zerbeulten Pappkartons, altem, grauem Hundedreck und Schlacken und Asche aus dem Herd übersät war.
Auch das Bild vom Leiter der Fangstation, das sich Anton vor seiner Abreise gemacht hatte, erwies sich als völlig falsch. Valfred war in Antons Augen kein richtiger Polarheld; er war eine alte, übel riechende Gestalt, schlurfte entweder quasselnd herum oder lag in der oberen Koje und schnarchte. Er war zwar freundlich und hilfsbereit, aber ihm fehlte völlig das Format, fand Anton. Es gab nicht die Spur von Festigkeit und Unverwüstlichkeit in Valfreds triefenden Augen, kein energisches Auftreten oder mitreißende Willensstärke. Dieser alte Mann tapste herum, ver- fallen und schmutzig wie die Hütte, in der er wohnte, er war ein Schandfleck für die Kompanie, fand Anton.
Anfangs glaubte Anton, dass Valfred und die Hütte bei Fimbul eine krasse Ausnahme an der Küste darstellten. Aber nur so lange, bis er andere Jäger und andere Fangstationen kennen gelernt hatte. Er glaubte immer noch an seine Träume und fand sich damit ab, dass der Aufenthalt in Fimbul wahrscheinlich eine lästige Pflicht war, die den meisten Polarhelden zuteil wurde. Er räumte mit Valfreds Segen um das Haus herum auf, baute die Fuchsfallen nach Anweisung zusammen und fing an, sich den Hunden zu nähern, die seine Helfer und Kameraden werden sollten, wenn er jetzt bald auf große Fahrt ging. Anton war guten Mutes. Er war in der Arktis, besaß einen Vertrag für zwei Jahre, war geduldig und meinte, dass schon alles seinen Weg gehen würde. Einige Monate nach seiner Ankunft jedoch begann er sich zu verändern, unmerklich für Valfred und auch für sich selbst. Er blieb nach wie vor der liebenswürdige junge Mann, der seine Arbeit anstandslos verrichtete. Aber er wurde ein wenig stiller, verschlossener, und allmählich war er für seinen Kollegen überhaupt keine ermunternde Gesellschaft mehr. Aber Valfred bemerkte nichts. Er schlief seinen Winterschlaf und hatte ein herrliches Leben. Solange sich der junge Mensch um die Geräte kümmerte, war er rundherum zufrieden. Anton war ein Neuling an der Küste und noch ohne Routine. Und Routine bekam man nur, wenn man tagein, tagaus die gleichen Tätigkeiten verrichtete. Dadurch dass er Anton alle Arbeiten mit den Fallen überließ, erwies sich Valfred als ein wertvoller Lehrmeister. Er hatte ihm alles...
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