Schweitzer Fachinformationen
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Charlotte
Heiligabend
14:00 Uhr
Ein gebrochenes Herz verändert so manches. Zum Beispiel mache ich normalerweise kein finsteres Gesicht, wenn mir eine freundliche Dame beim Einchecken am Flughafen John F. Kennedy »Schöne Feiertage!« wünscht.
Aber im Moment kann ich nichts dagegen tun. Es ist Heiligabend und ich will so schnell wie möglich weg aus New York. Kein Blick zurück. Am besten sofort vergessen, warum ich überhaupt hergekommen bin.
Bei meiner Ankunft kam mir noch alles knallbunt und unsagbar aufregend vor. Doch vor zwei Wochen wurde das auf einen Schlag anders. Plötzlich habe ich gesehen, worüber Mr und Mrs Lawrence, meine Gastfamilie in Yonkers, immer geschimpft haben, sobald ich die »City« erwähnt und von ihr geschwärmt habe. Zum Beispiel die Massen von unhöflichen Leuten, die einem ständig in die Quere kommen. Die vielen Ratten. Und dass es in der ganzen Stadt oft stinkt wie unter einem gigantischen Schirm aus ranziger Pizza.
Das Lächeln der Frau am Schalter verwandelt sich in ein Stirnrunzeln. Wahrscheinlich sehe ich total komisch aus, wie ich so mit finsterer Miene vor mich hinstarre. Deshalb schiebe ich schnell ein »Danke, ebenso!« hinterher und teile ihr mit, dass ich um 18.45 Uhr nach London Heathrow fliegen möchte.
Die Dame in Rot schaut auf ihren Bildschirm und verzieht belustigt das Gesicht. »Oh, bis dahin sind es ja noch fast fünf Stunden. Ihr Briten seid gern überpünktlich, was?«
Wenn das nicht voll daneben wäre, würde ich am liebsten antworten: »Das hat nichts mit Pünktlichkeit zu tun, Ronda.« (Der Name steht auf dem Schild an ihrem Oberteil.) »Bis vor zwei Wochen hatte ich es überhaupt nicht eilig, nach Hause zu kommen. Mein halbes Auslandsjahr an der Sacred Heart Highschool war das tollste meiner gesamten Schulzeit, und ich konnte es gar nicht erwarten, im September wiederzukommen und am College mit dem Studium anzufangen. Richtig in New York zu leben - davon habe ich schon ungefähr seit der letzten Folge von How I Met Your Mother geträumt . Okay, das Ende war blöd, aber das meiste davor fand ich schon ziemlich super. Als ich eine vorzeitige Zulassung für Journalistik an der Columbia University bekam, war ich total aus dem Häuschen. Und dann bin ich hergekommen und habe festgestellt, dass es in echt noch viel genialer ist! Doch dann . hat einer von den New Yorker Jungs - Colin, Sie kennen ihn nicht zufällig? - mir brutal das Herz gebrochen. Seitdem sind mir vor allem die hässlichen Seiten der Stadt aufgefallen, zum Beispiel, wie sinnlos kalt es hier im Dezember ist. Und dass die U-Bahnen hier ungefähr so bequem sind wie Einkaufswagen. Und ich habe festgestellt, dass hier manchmal echt saublöde Sachen passieren, zum Beispiel, wenn Autos in Fußgänger rasen, die gerade über die Straße gehen!«
In Wirklichkeit sage ich allerdings zu Ronda: »Ich kann es eben gar nicht erwarten, endlich nach Hause zu kommen.«
Was ja irgendwie auch stimmt. Vielleicht ist es mit Colin ja deshalb schiefgegangen. Wenn ich mit der Sprache herausgerückt wäre und ihn einfach gefragt hätte, ob er unglücklich ist . Ob wir noch zusammen sein könnten, wenn ich direkter gewesen wäre?
Ach, Charlotte. Auch eine direktere Art hätte nicht dagegen geholfen, dass Colin ein blöder Idiot ist.
Gegen meine eigene Logik komme selbst ich nicht an.
Als ich mit meiner Tragetasche die Freiheitsstatue umwerfe, die gegen ein Taxi stößt, das daraufhin auf das Empire State Building darunter fällt, werden mir zwei Dinge klar: Erstens ist meine Tasche genauso übertrieben groß, wie meine Mutter immer gesagt hat. Und zweitens habe ich offenbar schon eingecheckt, meinen Koffer aufgegeben, den Schalter wieder verlassen, die Abflughalle durchquert und ein Souvenirgeschäft betreten, ohne dass mein Hirn es registriert hat.
Aber tatsächlich klemmt da in meinem Pass eine ganz reale Bordkarte und ich stehe in einem Souvenirladen - aus welchem Grund auch immer. Was zur Hölle will ich hier? Ich brauche ganz bestimmt keine Erinnerung an mein Auslandshalbjahr, sondern möchte das alles schleunigst hinter mir lassen. New York kann mir absolut gestohlen bleiben, mit allem, was es verdorben und komplett ruiniert hat.
Es war nicht gelogen, was ich zu Ronda gesagt habe. Im Moment will ich einfach nur nach Hause.
Das stechend heiße Kribbeln in meinen Augen verrät mir, dass ich schnellstens hier rausmuss, schließlich will ich nicht mitten in diesem Kramladen in Tränen ausbrechen. Also schlängele ich mich vorbei an den Figuren und Wolkenkratzern aus Weichplastik und trete hinaus in das Hauptgebäude des Flughafens. Ich senke den Kopf, um die riesigen Plakate mit der New Yorker Skyline nicht anschauen zu müssen. So mies gelaunt und traurig, wie ich heute bin, kann ich nichts Schönes an einer Stadt finden, die niemals schläft. Ich sehe nur nach oben scharf und spitz zulaufende Hochhäuser, die aussehen wie in den Himmel gerichtete Waffen. Was soll das, New York - was hat der Himmel dir eigentlich getan?
Meine Güte, vielleicht war es doch ein Fehler, so zeitig zum Flughafen aufzubrechen. Jetzt habe ich noch vier Stunden, um trübsinnig in der Gegend herumzusitzen, auf mein iPhone zu starren, alle paar Minuten Facebook zu checken (aktualisieren, aktualisieren, aktualisieren), bis mein Akku tot ist und ich die restliche Zeit nicht mal mehr Musik hören kann. Aber das ist wahrscheinlich gar nicht weiter schlimm, denn in meinen Playlisten gibt es sowieso nur noch tieftraurige Musik.
Seit Kurzem steh ich total auf The Smiths - was wahrscheinlich keine gute Idee ist.
Das Mädchen, mit dem ich zusammen bin, muss mich mega-begeistern. Da muss für mich - ich weiß auch nicht, Leidenschaft dabei sein. Und . die spüre ich einfach nicht.
So hat er mit mir Schluss gemacht.
Ich beschließe, dass ich ein bisschen Ablenkung brauche, und schlendere in den Hudson Bookstore - nein, nein, Bookshop natürlich (von amerikanischem Englisch habe ich definitiv genug!) - und bleibe drinnen erst einmal ratlos stehen, weil ich eigentlich gar nicht weiß, was ich suche. Auf dem Ständer mit den Bestsellern gibt es nur romantischen Kram, was ich normalerweise ganz gern lese - aber jetzt wird mir beim Anblick der ganzen Herzchen sofort übel. Als Nächstes fällt mir eine Trash-Reihe aus drei prima blutrünstigen Thrillern ins Auge. Das ist doch mal eine Idee. Ein Buch, in dem es nur um Verbrechen und Gewalt geht und garantiert keine Gefühle vorkommen. Das scheint mir jetzt genau das Richtige zu sein. Fünf Minuten lang überlege ich, welcher Band am besten geeignet ist. Rein äußerlich unterscheiden sie sich kaum. Auf dem Schutzumschlag sieht man die Silhouette eines rennenden Mannes und darüber den jeweils nur aus einem Wort bestehenden Buchtitel: Vergeltung, Revanche und Rache. Ich frage mich, wo genau der Unterschied ist.
Der Untertitel von Rache lautet allen Ernstes »DONNY HAT ES VERDIENT .«
Obwohl ich keinen blassen Schimmer habe, wer Donny ist oder warum er irgendwas VERDIENT hat, nehme ich das Buch und will damit zur Kasse gehen. Dabei muss ich einem Kunden ausweichen, der sich gerade fast die Schulter ausrenkt, um ein Hardcover von ganz oben aus dem Regal zu fischen. Es ist einer der größten Bestseller. Ich höre ihn erst angestrengt schnaufen und dann fluchen, als ein anderes Buch herunterfällt. Ich bekomme gerade noch mit, dass es ein kleines Taschenbuch ist, bevor es auf meinem Kopf landet. Instinktiv strecke ich die Arme aus und fange es auf.
»O Mann, das tut mir megaleid.«
Ich hebe den Kopf und schaue in die dunkelbraunen Augen eines Typen, der ein paar Jahre älter aussieht als ich. Er hat längere, leicht platt gedrückte Haare - vermutlich von seiner Beaniemütze, die er garantiert den ganzen Tag auf dem Kopf hat. Ich war jetzt lange genug in New York, um ihn auf den ersten Blick als Williamsburg Weichei zu erkennen. Diesen Spitznamen (okay, ein bisschen beleidigend ist er schon) habe ich selbst erfunden, und die Mädels von der Sacred Heart meinten, es wäre die beste und britischste Übersetzung von Brooklyn-Hipster, die sie je gehört hätten.
Obwohl dieser Typ zur Sorte Williamsburg Weichei gehört, hat er den gepflegten Schmuddellook ziemlich gut drauf. Hipster aus Brooklyn sehen längst nicht so . verkrustet aus wie ihre Kumpels bei mir zu Hause in England. Trotz meiner schlechten Laune entgeht mir nicht, dass er ein ziemlicher Hingucker ist.
Wäre mein Herz nicht in letzter Zeit von einem anderen hübschen Hipster als Boxsack missbraucht worden, würde es jetzt wahrscheinlich ein bisschen höher schlagen.
Er streckt seine freie Hand aus. In der anderen hält er irgendein Buch, das er gerade kaufen will, und einen Beutel von dem Souvenirladen, aus dem ich gerade komme. »Soll ich das mal zurückstellen?«
Ich betrachte die beiden Bücher in meiner Hand. Das Exemplar, das ich gerade noch auffangen konnte, ist mit comic-artigen Bildern von Weingläsern, Musikinstrumenten und einem kleinen Hund - warum auch immer - versehen. Verschnörkelte Buchstaben springen mir ins Auge:
Endlich vom Ex-Partner loskommen - in zehn einfachen Schritten!
»Vielleicht solltest du dich einfach damit abfinden, dass er ein Arsch ist.«
Ich schaue wieder den Hipster-Hottie an, der...
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