Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Welche Folgen hat die dramatische Überalterung der Gesellschaft für unsere Demokratie? Werden einige wenige wohlsituierte »Best Ager« und »Silver Surfer« die politische Partizipation an sich reißen und eine Wutbürger-Interessenvertretung betreiben, die nur die Bedürfnisse ihrer Altersgruppe im Blick hat? Oder erfüllt sich die demokratische Hoffnung auf eine erweiterte und intensivierte politische Beteiligung der Seniorinnen und Senioren, die allen Generationen zugutekommt? Damit letzteres gelingt, so Emanuel Richter, müssen die herrschenden Altersbilder kritisch durchdacht, die soziale Spaltung im Kreis der Senioren vermindert und die spärlichen Beteiligungsangebote phantasievoll erweitert werden. Demokratie statt Demenz lautet die Devise.
Das Motto der Gegenwart und der nächsten Jahrzehnte muss lauten: »Ageing Matters!« Das soll heißen: Das Alter und die Alterung sind hoch bedeutsam und gehen uns alle an. »Ageing Matters« ist eine klangvolle Formel aus der internationalen Ratgeberliteratur. Mit diesem Ausruf ist nicht nur gemeint, dass dem Lebensalter, ob jung oder alt, in allen öffentlichen Belangen mehr Beachtung zukommen sollte. Dieser Ruf zielt im Besonderen auf eine erhöhte Aufmerksamkeit für die Lage und die Belange der älteren Generationen. Denn in der ganzen Welt nimmt die Zahl der Senioren beträchtlich zu, und dieser Trend wird noch bis mindestens zur Mitte dieses Jahrhunderts anhalten. Es zeichnet sich ein massives Ungleichgewicht zwischen den verschiedenen Altersgruppen ab. »Ageing Matters« - das fordert dazu auf, über die soziale und ökonomische Lage, über die Integration und über die politische Rolle von immer mehr Senioren verstärkt nachzudenken. Wenn es so viele ältere Menschen gibt, dann entstehen daraus auch neue Herausforderungen für die Demokratie. Als Betroffene werden die Senioren in der politischen Sphäre bereits immer deutlicher sichtbar. Inwieweit können und sollen sie auch als Handelnde mehr politisches Gewicht erlangen? Erweisen sich die Senioren bei genauerer Betrachtung als die einstmaligen, als die restlichen oder als die vermehrt in Erscheinung tretenden Repräsentanten einer politisch interessierten und engagierten Bürgerschaft? Welche Möglichkeiten zur politischen Partizipation bestehen oder bieten sich vor dem Hintergrund der alternden Gesellschaft an?
Eine deutlich gealterte Bürgerschaft kann für die Demokratie zum Fluch oder zum Segen werden. Die allererste Befürchtung ist: Es droht ein erbärmliches Absterben der Demokratie. Wenn man von der Annahme ausgeht, dass sich ältere Menschen weniger für die Politik interessieren und engagieren als jüngere, dann wird sich die Politikverdrossenheit schlicht deshalb ausbreiten, weil die Zahl der Senioren wächst. Das Interesse der Senioren für die Politik könnte schwinden, weil die meisten von ihnen mit der Sorge um 8ihr tägliches Auskommen sowie mit der Pflege ihrer angegriffenen Gesundheit völlig ausgelastet sind. Der Demokratie würden durch die wachsende Zahl alternder, politisch passiver Bürger die Akteure entzogen. Übrig blieben allenfalls noch einige wenige, alternde Profipolitiker in politischen Führungsämtern, die vielleicht sogar so von ihrer eigenen Kompetenz und Altersweisheit überzeugt und eingenommen wären, dass sie dem Versuch erliegen würden, sich über Sonderregelungen oder gar über Notstandsverordnungen der üblichen Begrenzung ihrer Amtszeit zu entziehen. Beispiele dafür gibt es heute schon genug. Immer enden sie in der autokratischen Herrschaft von auf jung getrimmten Greisen, die demokratische Prozesse außer Kraft setzen und dem Volk nachhaltig schaden. Es käme zu einer Vergreisung der Demokratie, die gleichzeitig ihr Ende einläuten würde.
Eine andere Befürchtung richtet sich genau umgekehrt auf die wachsende politische Einflussnahme einer zahlenmäßig starken und dominanten Altersgruppe. Droht uns eine Herrschaft der Senioren, indem sie zahlreiche politischen Ämter sowie große Teile des Bürgerengagements an sich reißen und ausschließlich Klientelpolitik betreiben? Diese Befürchtung gewinnt Nahrung durch den Trend, dass die Jungen aufgrund ihrer familiären und beruflichen Belastungen immer weniger Zeit für das politische Engagement aufbringen können. Aber sicherlich werden nicht alle Senioren in der politischen Sphäre in Erscheinung treten. Wiederum wird sich ein sozialer Spaltpilz bemerkbar machen, der jene Senioren von der politischen Betätigung ausschließt, die tagtäglich um ihre materielle Grundversorgung kämpfen müssen. Die zu erwartende Schar an armutsbedrohten Senioren könnte als Rentenprekariat völlig aus dem Spektrum der politischen Aufmerksamkeit verdrängt werden. Dann bekämen wir es vor allem mit alternden, wohlsituierten Wutbürgern zu tun, die zu ihren Gunsten streitlustig in jede politische Auseinandersetzung eingreifen. Werden also nur noch wohlhabende, gut gebildete und vor Gesundheit strotzende Senioren die Restexemplare der Bürgerschaft und ihrer Altersgruppe sein, die im politischen Raum sichtbar bleiben? Treten diese dann als sture Verfechter ihrer Privilegien auf, mit der Folge, dass sie sich gleichzeitig zu wenig um das Wohl der ärmeren Altersgenossen kümmern? Haben wir insgesamt mit einer feindlichen Übernahme der politischen Interessenvertretung durch die Senioren zu rechnen? Dann steuern 9wir auf eine Gerontokratie zu, die verbunden ist mit einem Krieg der Generationen.
Die demokratischen Hoffnungen gegenüber der Seniorendemokratie heften sich an eine idealistisch wirkende Erwartung: Die erhöhte Zahl der Senioren führt dank ihrer verstärkten politischen Betätigung zu größerer politischer Sichtbarkeit der Bürgerschaft insgesamt. Unter dieser Annahme trägt die Alterung der Gesellschaft zu einer Stärkung der partizipatorischen Demokratie bei. Können aber die Senioren tatsächlich als agile Ruheständler und als aufmerksame Wächter der Demokratie eine ungeahnte Ausweitung bürgerschaftlicher Teilhabe in die Wege leiten, die dank solidarischen Verhaltens den Bedürfnissen aller Altersgruppen zugutekommt und die Demokratie zu neuer Blüte führt? Stehen uns dadurch große demokratische Errungenschaften bevor, dass sich viele der Senioren mit reichhaltiger Lebenserfahrung in die Politik einbringen und das politische Geschehen einer ganz neuartigen Partizipationskultur zuführen, die vielleicht sogar andere Generationen stimuliert? Es gibt viele Fragen und bislang kaum Antworten, viele Zweifel und wenig Gewissheit. Es gibt deutliche demografische, soziale, politische und kulturelle Entwicklungen, Tendenzen und Dynamiken, die jedoch in Hinblick auf die demokratischen Folgen der alternden Gesellschaft noch nicht zu einem klaren Bild zusammengefügt worden sind. Daher ist ein genauerer Blick auf den markanten Generationswechsel und auf die Folgen für Politik und Demokratie erforderlich.
Fest steht: Alle westlichen und auch viele nichtwestliche Gesellschaften werden bis mindestens zur Mitte des 21. Jahrhunderts einen erheblich anwachsenden Anteil an älteren Menschen aufweisen. Erst danach könnte sich wieder ein Gleichgewicht zwischen den Generationen herstellen, weil im Moment keine neue »Baby-boomer«-Generation heranwächst. In Deutschland werden im Jahr 2050 mindestens 35 Prozent der Bevölkerung über 60 Jahre alt sein.[1] Das bedeutet einen markanten demografischen Wandel, denn im Jahr 1990 waren es etwa 20 Prozent, gegenwärtig sind es etwa 28 Prozent.[2] Es zeichnet sich bereits jetzt sehr deutlich eine 10so genannte Überalterung ab - es gibt übermäßig viele alte und vergleichsweise zu wenige junge Menschen. Das ausgeglichene Verhältnis zwischen den Generationen ist gestört. Es kommt zu einer Geriatrisierung der Welt.
Was hat dieser demografische Wandel für politische Konsequenzen? Was bedeutet er für die Demokratie? Darüber macht man sich bislang kaum Gedanken. Lediglich die wohlfahrtsstaatlichen Probleme der alternden Gesellschaft werden allmählich wahrgenommen und finden in der Politik zunehmende Berücksichtigung. Alarmiert vom steigenden Armutsrisiko der Senioren, beschäftigt man sich mit den fatalen Folgen für die Rentenpolitik. Hektisch drehen die Politiker an den Stellschrauben für die Ruhestandsregelungen. Fieberhaft intensiviert man in die Gesundheitsfürsorge, eifrig kümmert man sich um seniorengerechte Lebensformen, phantasievoll sorgt man für eine altersgerechte Freizeitkultur. Was bei alledem jedoch fehlt, ist die tiefere Auseinandersetzung mit den demokratischen Aspekten dieser Entwicklung. Will man eine lebendige Demokratie, dann braucht man tatkräftige, politisch umsichtige Akteure. Das gilt ganz besonders in Zeiten bedrohlich anwachsender populistischer Bewegungen, in denen schrill tönende Meinungsführer eher mit politischer Empörung aufwarten als mit konstruktiven Vorschlägen. Die Demokratie ist grundsätzlich darauf angewiesen, dass sich die Bevölkerung politisch eifrig betätigt - das ist der partizipatorische Grundimpuls aus dem urdemokratischen Postulat der Selbstregierung des...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.