Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Murano, zerstörte Gemälde und drei Rentnerinnen auf Verbrecherjagd
Polizistenwitwe Mafalda Cinquetti lebt auf der venezianischen Laguneninsel Murano ein beschauliches Leben, bis auf die weltberühmte Peggy-Guggenheim-Collection in Venedig ein Anschlag verübt wird. Dabei ist es nicht so sehr die Zerstörung der Kunstwerke, die Mafalda in Aufruhr versetzt, sondern die schnelle Verhaftung des Rumtreibers Beppe. Mafalda kennt Beppe, und ja, manchmal findet sie ihn anstrengend oder nervig. Aber Mafalda weiß, dass er zu dieser Tat nie fähig wäre. Also beschließt sie, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Zusammen mit ihren beiden besten Freundinnen macht Mafalda sich daran, den wahren Täter zu finden - nicht ahnend, dass sie sich dabei in Lebensgefahr begibt ...
Mafalda Cinquetti öffnete die rostige kleine Blechdose, in der sie die Krümel vom Brotschneiden mitgenommen hatte, bückte sich ein wenig und streute die feinen Brösel auf den Steinboden am Rande des Campo San Bernardo, wo die anscheinend immer hungrigen Tauben sich gierig darauf stürzten. Dies alles geschah direkt unter dem Tauben bitte nicht füttern-Schild, das die Verwaltung zu Mafaldas großem Ärger im vorletzten Sommer hier hatte anbringen lassen.
Sie schaute sich misstrauisch um, nicht dass sie hier jemand auf frischer Tat ertappen würde. Aber die Chancen dafür waren gering: Auf den kleinen, von dunkelrot und hellgelb gestrichenen Häusern gesäumten campo auf der Venedig vorgelagerten Insel Murano verirrte sich kaum ein Tourist. Wenige Meter entfernt, an der quirligen Vaporettohaltestelle Murano Museo, hörte man fast nur Englisch und Chinesisch. Hier dagegen, eine Gasse weiter - es war eines dieser venezianischen Mysterien - gehörte der kleine Platz allein den Einheimischen. Und die hatten um diese Tageszeit um kurz nach zehn Uhr morgens anderes zu tun, gingen ihrer Arbeit auf dem Festland nach oder waren einkaufen in den Großmärkten von Mestre.
»Buon appetito, miei amici!«, sagte Mafalda zu den Tauben, steckte verstohlen die nun leere Brotkrümeldose in ihre Handtasche und schaute vergnügt auf die fressenden Vögel, die für sie wie Freunde waren. Fast hatte sie das Gefühl, sie schmatzen zu hören.
Sie schaute sich um und atmete tief ein. Der heutige 1. März war der erste richtige Frühlingstag des Jahres. An den Bäumen auf dem campo schickten sich die ersten Blättchen der neuen Saison an, zu üppigem Grün heranzuwachsen. Der Himmel war makellos blau, und die Sonne trieb das Thermometer schon früh am Vormittag in Richtung der 20-Grad-Marke, wie Mafalda unter ihrem für die Jahreszeit etwas zu dicken wattierten Mantel feststellen musste.
Der lange Winter hatte auch bei Mafalda seine Spuren hinterlassen. Wobei Winter in Venedig bedeutete, dass es monatelang neblig war. Die Feuchtigkeit drang durch alle Fensterritzen in die alten Gemäuer der Wohnungen, und keine Heizung der Welt konnte sie komplett daraus vertreiben.
Mafaldas Ischias konnte ein Lied davon singen! Sie streckte sich vorsichtig, hielt dann inne und legte ihre Hand auf das schmerzende Kreuz. Ihre Ärztin hatte ihr einen Umzug in den Süden empfohlen. Für Menschen ihres Alters sei das Winterklima dort zuträglicher als im immerfeuchten Venedig. Was ein sehr eigenartiger Vorschlag war von einer Frau, die vor Jahren selbst nach Murano gezogen war, das für sie damals der Inbegriff des »Südens« war. Carola Albini, als Carola Svensson in Schweden geboren, war aus Liebe zu einem Mann nach Murano gezogen, dann aus Liebe zu Murano geblieben.
Für Mafalda, die Murano noch niemals in ihrem Leben für längere Zeit verlassen hatte und auch nicht vorhatte, dies jemals zu tun, war dieser Vorschlag völlig indiskutabel.
Einmal allerdings hatte sie Murano verlassen - im mütterlichen Bauch. Ihre Mutter Angela war mit dem Zug zu ihrem Mann Giuseppe nach Padua gereist, der dort seit einer Woche an einer Fortbildung für höhere Polizeibeamte teilnahm. Aus Sehnsucht hatte sie ihn besucht, doch es war die Sehnsucht der kleinen Mafalda, endlich auf die Welt zu kommen, die sie zu einer frühen Geburt in die Entbindungsstation des Krankenhauses der Università di Padova geführt hatte.
Diesem Umstand verdankte Mafalda den unaussprechlichen Makel einer nicht-venezianischen Geburt, der sie, hätten Nachbarn und Freunde davon erfahren, auch so viele Jahre später noch zur Auswärtigen, zur Außenseiterin abgestempelt hätte, da war sie sicher! Und so blieb der Ort ihrer Geburt für immer ihr Geheimnis, und in allen offiziellen Formularen hatte sie stets trotzig Murano als Geburtsort eingetragen.
Mafalda spazierte quer über den campo zu ihrer roten Bank vor der um diese Uhrzeit noch geschlossenen trattoria. Sie prüfte kurz, ob die Sitzfläche trocken war, legte dann ihre schwere Handtasche darauf, drehte sich langsam und ließ sich bedächtig nieder. Kaum saß sie, hob sie die Beine und zappelte mit den Füßen wie ein junges Mädchen.
Wie hatte sie die Sonnenstrahlen vermisst in den letzten Monaten! Immer war sie nur bei Nieselregen und Dunst zwischen ihrer Wohnung im ersten Stock des Eckgebäudes am Campo San Bernardo, dem alimentari, dem Lebensmittelladen von Susanna Osti im hinteren Teil der Insel, der Praxis ihrer Ärztin Carola Albini und ihrem Stammcafé, der kleinen Bar Il Sole am Campo San Donato, hin und her gependelt.
Heute würde Emilia, die Kellnerin der Bar Il Sole, endlich wieder die Stühle und Tische draußen vor ihre bar stellen, und es würde dort mehr geben als einen schnellen caffè im Stehen. Emilia betrieb die kleine bar neben der Basilika schon fast zwanzig Jahre lang, was sie in den Augen der Einheimischen immer noch als Zugezogene gelten ließ. Im Unterschied zu Mafalda hielt sie sich an die Empfehlung der Dottoressa und tauschte den Winter über Regen und Nebel auf Murano gegen die milde Sonne im Süden der Toskana, wo sie aufgewachsen war. Über ihr Privatleben wusste man auf der Insel wenig, denn anders als bei ihren Gästen legte Emilia in eigenen Angelegenheiten auf Privatsphäre großen Wert.
Den Winter über versorgte eine mürrische Aushilfe die kleine Bar, und caffè gab es dann nur lauwarm, durchsichtig dünn und im Stehen am Tresen im Inneren. Das und das feuchte Wetter hielt die meisten Gäste davon ab, im Winter länger hier zu verweilen oder überhaupt vorbeizuschauen. Emilias Rückkehr Anfang März war für alle ein langersehntes Ereignis, auf das man sich schon Wochen im Voraus freute.
Mafalda und ihre Freundinnen hatten heute den gesamten Klatsch und Tratsch der Wintersaison nachzuholen, und das ging nur bequem im Sitzen, bei etwas Sonnenschein, angenehmen Temperaturen oder zumindest einer ombra, einem kleinen Glas Pinot Grigio aus den Weinanbaugebieten nördlich von Treviso.
Mafalda schaute auf ihre altmodische Armbanduhr. Sie musste blinzeln, denn die Uhr war so klein und ihre Sehkraft ohne Lesebrille so schlecht, dass sie die Zeiger nur erahnen konnte. Schon fast halb elf! Auch wenn sie nicht fest verabredet waren, würden sich ihre Freundinnen gleich vor der bar einfinden. So wollte es die Tradition. Denn elf Uhr war der giro de ombre, der Zeitpunkt, an dem nahezu jeder erwachsene Venezianer sein erstes Gläschen Wein des Tages schlürfte.
Erst wenn die drei Golden Girls von Murano vor der bar saßen und tratschten, wurde es richtig Frühling. Das wussten alle Bewohner der Insel.
Mafalda stand auf, nahm ihre Handtasche und ging langsam über den noch immer menschenleeren Platz durch die enge Calle delle Conterie, die nur die Einheimischen kannten und in der sie sicher vor den Touristen war, hinüber zum Campo San Donato. Immer entlang der hohen Backsteinmauer, hinter der einst eine der Glasbläserfabriken ansässig gewesen war und auf deren altem Grundstück jetzt ein schickes Aparthotel für Wochenendtouristen erbaut wurde. Die hohe Mauer hatte das dahinter liegende Wohnquartier jahrhundertelang sicher vor Staub, Rauch und Dreck der Glasfabrik geschützt. Das würde nun auch bald für die Touristenhorden des neu entstehenden Hotels gelten.
Wenige Schritte weiter schaute Mafalda wehmütig lächelnd in den von wild rankenden Glyzinien umrahmten Toreingang, hinter dem irgendwann in den 1980er-Jahren ein glatter, schnörkelloser Neubau errichtet worden war, der heute dunkelrot von dem vielerorts bröckelnden Putz und den vielen unverputzten Backsteinmauern im Viertel herausstach. Der feine Duft der Glyzinien nach Laub und Weintrauben hob sich angenehm ab von dem sonst hier vorherrschenden Geruch nach Staub, feuchtem Stein und den Abgasen der Glasbläsereien - das hatte sich in all den Jahren nicht geändert.
Hier hatte Mafalda zum ersten Mal ihren Salvatore geküsst. Sie wusste es noch, als wäre es gestern gewesen. Salvatore, der junge Tenente, ein Leutnant der Carabinieri mit allerbesten Karriereaussichten. Sie kannten sich schon ein paar Wochen. Es war Frühling wie jetzt, alles um sie herum blühte, und sie waren endlos durch Murano gestreift, hatten beinahe jede calle und jeden campo einmal besucht. Der am Ende einzig verbleibende Weg war der zu ihrem Elternhaus am Campo San Bernardo, wo sie sich bis zum nächsten Abend hatten trennen müssen, weil Mafaldas Eltern keinen Herrenbesuch erlaubten.
Siebzehn war sie da gewesen, und er gerade achtzehn. Er hatte sie sanft beiseitegezogen, in den Eingang zwischen die gemauerten Pfosten, ihr tief in die Augen geschaut und sie geküsst. Erst ganz vorsichtig, dann forscher, um schließlich gar nicht mehr aufhören zu wollen. Die Schmetterlinge in ihrem Bauch konnte sie im Vorbeigehen heute noch spüren.
Salvatore war ihr Hauptgewinn gewesen. Wie sollte ein junges Mädchen auch auf einer Insel, einer kleinen zumal, wo fast jeder mit jedem entfernt verwandt war und der Rest sich beim Namen kannte, jemanden Neues kennenlernen? Salvatore aber war im nahen Triest geboren, das kurz darauf jugoslawisch wurde. Seine Eltern mussten die Stadt in den Nachkriegswirren verlassen, als er gerade sechs Jahre geworden war, und hatten in Mestre, auf dem Festland vor Venedig, ein neues Heim gefunden. Der Anfang war schwer gewesen, doch sie arbeiteten sich hoch. Und ihr einziger Sohn Salvatore hatte es zu einem...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: ohne DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet – also für „glatten” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Ein Kopierschutz bzw. Digital Rights Management wird bei diesem E-Book nicht eingesetzt.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.