Schweitzer Fachinformationen
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Vorwort
Frederik Obermaier und Bastian Obermayer1
Alle Telefone bitte draußen abgeben«, wiederholen Sandrine Rigaud und Laurent Richard an einem Wintertag Anfang März 2021 in Paris immer wieder, geduldig und freundlich, aber doch sehr bestimmt. Wir befinden uns in einem fensterlosen Konferenzraum der Zeitung Le Monde, wohin die beiden uns und gut zwanzig weitere Kolleginnen und Kollegen der Washington Post, der Zeit und von Le Monde im Namen der Non-Profit-Redaktion Forbidden Stories eingeladen haben. Aber eben zu speziellen Bedingungen, und die erklären die beiden Franzosen wieder und wieder: »Alle Handys, alle Smartwatches, alle normalen Laptops müssen bitte draußen bleiben.«
Wir folgen ihren Anweisungen, natürlich, auch wenn wir kurz zucken. Denn wenn wir Sie zu Beginn einmal kurz in den Alltag von recherchierenden Journalistinnen und Journalisten mitnehmen dürfen: Wir telefonieren mit unseren Smartphones und wir schreiben damit berufliche E-Mails, SMS und andere Kurznachrichten mit allen möglichen Chatprogrammen - manche, etwa Signal oder Threema, gelten als besonders sicher, weil sie verschlüsselt sind. Wir fotografieren mit unseren Telefonen auch entscheidende Belege, wir recherchieren mit Google, DuckDuckGo und anderen Seiten, wir lassen uns von Navigationsdiensten in fremden Städten zu Treffpunkten mit Quellen führen. Gespräche mit Informanten nehmen wir mit unseren Handys auf, die Aufnahmen speichern wir oft gleich in der Cloud - dann haben auch unsere Kolleginnen und Kollegen direkten Zugang. Das ist nur ein Klick, denn natürlich sind unsere Telefone mit zig Clouds verbunden, genauso, wie sie selbstverständlich mit unseren Laptops verbunden sind, mit unseren Smartwatches und mit unseren Autos.
All das machen wir nicht, weil wir davon so unheimlich überzeugt wären. Sondern weil jeder einzelne Dienst uns vor allem eines spart: Zeit. Das ist die eine Ressource, von der wir immer zu wenig haben, für jede Recherche, jedes Thema, jeden Informanten. Dabei ist Zeit der Schlüssel: Mit viel Zeit findet man mehr heraus als mit wenig Zeit. Immer immer immer.
Deswegen sind Smartphones unerlässliche Begleiter von Journalistinnen und Journalisten. Sie sind Telefon, Schreibmaschine, Notizblock, Telefonbuch und Stadtplan in einem. Ohne sie wären wir aufgeschmissen.
Eine Recherche ohne Handy? Unvorstellbar. Bis zu jenem Tag im März 2021 in Paris.
Aber ein besonderes Projekt erfordert manchmal besondere Maßnahmen, und wenn Forbidden Stories zu einem Treffen lädt, dann wissen wir: Es ist nicht nur besonders, es ist vor allem auch wichtig. Weil es um Leben und Tod geht.
Der Kern der Idee, für die Laurent Richard 2017 Forbidden Stories gründete, war immer: mit kollaborativen, grenzüberschreitenden Methoden die Recherchen von Journalistinnen und Journalisten fortzusetzen, die wegen ihrer Arbeit ermordet oder inhaftiert worden waren.
Klingt hart. Ist es auch.
Leider ist es aber dringend notwendig - selbst wenn die Dramatik sich aus deutscher Sicht womöglich nicht auf den ersten Blick erschließen mag. Aber allein im Jahr 2021 wurden nach UNESCO-Angaben 55 Journalistinnen, Journalisten und andere Medienschaffende ermordet, und auch in Deutschland werden die Drohungen lauter und schärfer. Regelmäßig werden Kollegen mittlerweile von Impfgegnern, Russlandfans, Rechtsextremen oder anderen Extremisten angegriffen.
Wir kennen Laurent Richard seit Herbst 2016, als er seinen Job beim französischen Fernsehen für ein Fellowship an der University of Michigan ruhen ließ, um in Ann Arbor ein Jahr lang an einer Idee zu arbeiten - der Idee für Forbidden Stories. Dort traf er einen von uns (Bastian Obermayer), und wir drei kamen anschließend ins Gespräch über investigative Gruppenrecherchen und wie wir seiner Idee helfen könnten. Wir hatten damals gerade von Deutschland aus die Panama-Papers-Recherchen koordiniert und dabei reichlich Erfahrungen mit großen, grenzüberschreitenden Recherche-Teams gemacht. Am Ende arbeiteten wir mit mehr als 400 Kolleginnen und Kollegen von allen Kontinenten zusammen, um Dokumente aus dem Innersten eines verrufenen Anbieters von Briefkastenfirmen auszuwerten.
Nach Laurents Rückkehr aus den USA im Sommer 2017 gründete er Forbidden Stories, und als im Herbst 2017 dann die maltesische Investigativjournalistin Daphne Caruana Galizia, die auch zu den Panama Papers recherchiert hatte, mit einer heimlich an ihrem Mietauto angebrachten Bombe in die Luft gesprengt wurde, stand der erste Ernstfall an: Gemeinsam recherchierten wir im Rahmen des »Daphne-Projekts« das, was die ermordete Kollegin nicht hatte vollenden können. Und wo wir schon dabei waren, recherchierten wir - insbesondere Jacob Borg von der Times of Malta und Stephen Grey von der Nachrichtenagentur Reuters - auch die Umstände und die Hintergründe dieses brutalen Mordes. Weitere Recherche-Projekte folgten, sie galten Morden an Kolleginnen und Kollegen in Mexiko oder Indien sowie der höchst fragwürdigen Inhaftierung unseres marokkanischen Kollegen Omar Radi.
Dieses Mal würde sich Forbidden Stories allerdings nicht mit Bomben befassen, sondern mit einer digitalen Waffe: einer Spähsoftware namens Pegasus. Einmal auf dem Handy installiert, erlaubt die Technologie des israelischen Überwachungssoftwareherstellers NSO es, heimlich sämtliche Gespräche mitzuhören und alle Nachrichten mitzulesen. Ob sie nun verschlüsselt sind oder nicht. Mit dieser Methode können die Überwacher in die Telefone und damit in die Privatsphäre von Tausenden Menschen eindringen und heimlich auf sämtliche dort gespeicherten E-Mails, Fotos, Dokumente oder Nachrichten zugreifen. Sie können sogar aus der Entfernung die Mikrofone der Handys einschalten und live mithören. Denn Pegasus macht jedes Handy zur Wanze. Eine beängstigende Vorstellung - und das ist auch dem Pegasus-Hersteller NSO bewusst.
Immer wieder betonte der damalige NSO-Boss Shalev Hulio in Interviews, dass seine Firma nur an die Guten liefere: an Terrorismus-Bekämpfer, die Jäger von Pädophilen und anderen Verbrechern. Letztlich sei NSO auf der Seite der Guten, weil die Firma geholfen habe, ungezählte Verbrechen zu verhindern, erzählte Hulio oft in kleinen Runden. Ihre Kunden seien ausschließlich Staaten. An Privatleute verkaufe er nicht.
Nicht auszumalen, was mit einer Waffe wie Pegasus alles angerichtet werden könne, wenn sie in die falschen Hände geriete.
Genau darum geht es aber in dem Konferenzraum von Le Monde, wo Forbidden Stories im Frühjahr 2021 das Treffen arrangiert hat. Sandrine Rigaud und Laurent Richard sind an Daten gelangt, die auf etwas Ungeheuerliches hindeuten: Unrechtsstaaten in aller Welt hören mithilfe der invasiven, aber unsichtbaren und vor allem kaum zu entdeckenden Pegasus-Technologie die Telefone von Oppositionellen, Menschenrechtsaktivisten und eben Journalisten ab. Schon vor dem Treffen haben Sandrine und Laurent uns in kleiner Runde bei einem Treffen in Berlin einen ersten Blick in die Daten werfen lassen. Und wir haben, nachdem wir die Systematik verstanden haben, schnell eine dunkle Ahnung: Es könnten auch befreundete Journalistinnen und Journalisten betroffen sein. Zum Beispiel solche, mit denen wir an den Panama Papers recherchiert haben.
Das Einsammeln unserer Handys in einer Plastikbox mit ausreichend Abstand zu dem Versammlungsraum ist in diesem Sinne Notwehr. Denn wir wollen diesem ungeheuerlichen Verdacht gegen NSO nachgehen. Und es ist klar: Wenn wir solche Vorwürfe erheben, brauchen wir Beweise. Wir müssen die heimlichen Nutzer von Pegasus auf frischer Tat ertappen, beziehungsweise: auf den Handys. Und das geht selbstverständlich nur, wenn sie von unserem Unterfangen nichts wissen. Also ohne Handys. Um digitale Hochtechnologie aufzuspüren, gehen wir back to the roots und arbeiten wie damals unsere Kolleginnen und Kollegen in der Zeit vor Smartphones und Computern.
Ganz ehrlich: Für die Zeit des gemeinsamen Treffens in Paris ist das handylose Dasein seltsam, aber kein großes Ding.
Schwierig wird es danach. Denn es folgen etliche Monate, in denen wir unsere Arbeit ohne all die eingangs genannten Geräte verrichten müssen - und das ist ein logistischer Albtraum. Wie über die Ferne miteinander Fälle und Recherchen diskutieren, wenn wir keine Telefone nutzen dürfen? Wie E-Mails schreiben, wenn wir unsere Computer nicht nutzen dürfen? Und wie sollen wir ohne hilfreiche Apps zu teils abgelegenen Orten finden, um Quellen zu treffen?
Tatsächlich haben Laurent und Sandrine mithilfe der Cyberspezialisten der Menschenrechtsorganisation Amnesty International einen Plan erarbeitet: Wir müssen einen vollkommen getrennten, parallelen Technik-Kosmos errichten, in dem wir auf speziell gesicherten Laptops und mit speziell aufgesetzten Telefonen anonym und ohne Verbindung zu unseren tatsächlichen digitalen Persönlichkeiten recherchieren, uns austauschen, schreiben und planen können. Wir dürfen uns nicht einmal in demselben Raum aufhalten, in dem unsere normalen Geräte waren.
Wir sind perplex.
Das alles ist unheimlich umständlich. Es ist unheimlich nervig. Es ist die Hölle. Aber es ist absolut notwendig.
Zu den Leuten, mit denen wir alle uns hier anlegen, gehören Männer wie Muhammad bin Raschid Al Maktum, der Herrscher aus Dubai, oder...
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