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«Hurengeschiss.»
Ein Fluch war sicher nicht die beste Art, den Tag zu beginnen, aber in der letzten Zeit gehörte das für Isidro Castro genauso dazu wie der starke Kaffee, den er trank, bevor er das Haus verließ, und das stumme Nicken, mit dem er jeden Morgen die beiden Polizisten links und rechts des Eingangs zum Präsidium grüßte.
An diesem Montag fluchte er noch einmal, als er nach einem Gespräch mit seinem Vorgesetzten in sein Büro zurückkehrte. Er öffnete das Fenster, und der Verkehrslärm der Vía Layetana füllte den kleinen Raum. Castro blickte auf Fahrzeuge und Menschenmassen hinunter. Das zögerliche Blau des Morgenhimmels war grauen Wolkenmassen gewichen. Der Inspektor musterte sie verächtlich. Nicht einmal einen ordentlichen Regen bekam diese Stadt hin. In all den Jahren hatte er hier noch nie Regen wie den in Galicien gesehen. Das war echter Regen und nicht das Hin und Her, das einem hier in Barcelona als Regen verkauft wurde: entweder regelrechte Wolkenbrüche oder ein fades Geniesel, genauso überempfindlich und unentschieden wie die Menschen in dieser Stadt, die er nicht mochte und auch nie mögen würde, selbst wenn seine Kinder hier geboren waren. Er zündete sich eine neue Zigarette an und schickte eine dichte Rauchwolke hinunter auf die Straße, in der Hoffnung, dass sie auf diese Weise aus seinem Blickfeld verschwand. Vor einigen Monaten hatte er wieder angefangen zu rauchen, obwohl seine Frau seinen Tabakatem widerlich fand. Allzu häufig küssten sie sich allerdings ohnehin nicht mehr.
Kommissar Goyanes hatte ihm einen neuen Fall übertragen. Das war im Prinzip gut, wenn es da nicht zwei Haken gegeben hätte. Zum einen war er im Moment mit einer anderen Ermittlung beschäftigt, keine große Sache, aber noch nicht abgeschlossen. Wenn Castro etwas nicht mochte, dann waren es halbgelöste Fälle, umso mehr, wenn andere hinterher die Lorbeeren für den Abschluss kassierten, wie jetzt bei dem Fall mit dem Enkeltrick.
Das Schlimmste aber war, dass der neue Fall etwas mit Ausländern zu hatte. Mit Amerikanern. Seit die Schiffe der Sechsten Flotte vor ein paar Jahren begonnen hatten, den Hafen von Barcelona anzulaufen, missfielen ihm die Horden hochgewachsener Matrosen, die mit schlingerndem Schritt, lautem Geschrei und lächerlich schief sitzenden Mützchen in die Stadt einfielen.
Er mochte die Amerikaner einfach nicht. Nicht unbedingt, weil sie da drüben alle Protestanten waren. Es waren ihre Allüren, sich als große Verteidiger der Freiheit zu gebärden. Als ob das etwas Wichtiges oder Notwendiges wäre. Die Arroganz, mit der sie auf die Spanier herabblickten, als seien sie eine Art Pygmäen. Ihre Weise, mit Dollars um sich zu werfen, damit die Leute nach ihnen schnappten wie Seehunde im Zirkus. Ihre Sprache, ihre Musik, ihr verdammter Kaugummi, den sie wie Wiederkäuer malmten. Ihr Tabak allerdings war hervorragend, das musste man ihnen lassen. Castro rauchte trotzdem weiterhin spanischen. Er nahm einen langen Zug von seiner Zigarette.
Und nun also ein toter Amerikaner. Ein Matrose von einem der Schiffe der Sechsten Flotte, die gerade wieder im Hafen vor Anker lag. Erstochen.
«Hurengeschiss!», sagte er noch einmal, als ihm sein Gespräch mit Kommissar Goyanes wieder einfiel.
«Dass ein Toter in dem Lokal lag, haben sie erst gemerkt, als die Militärpolizei erschien.»
Während er Goyanes' Ausführungen zuhörte, klebte Castros Blick am rechten Mundwinkel des Kommissars, der nervös zuckte. Seit einigen Wochen war sein Chef besonders angespannt. Stundenlang verharrte er in stumpfer Lethargie, bis er plötzlich zu frenetischen Aktivitätsschüben erwachte, herumbrüllte, mit der Faust auf den Tisch schlug, die Türen knallte und seinen Untergebenen mit seinem Kontrollwahn das Leben schwermachte. Castro hatte sich nie für politische Winkelzüge interessiert und sich von Seilschaften jeder Art ferngehalten, aber den Gerüchten im Präsidium aus dem Weg zu gehen war unmöglich.
«Die Wasser oben sind trüb», hatte ein Kollege nach dem letzten Tobsuchtsanfall des Kommissars zu ihm gesagt und dabei mit dem Daumen in Richtung Decke gedeutet.
Castro hatte lediglich das schiefe Sprachbild kommentiert, indem er bemerkt hatte, dass Schlamm immer von unten kam; der andere hatte, trotz Castros deutlichem Desinteresse, dennoch hinzugefügt, dass im Land ein neuer Wind wehe, die alte Garde immer mehr Terrain verliere und damit auch ihre ergebenen Jünger, zu denen auch Goyanes als treuer Anhänger der Falange gehörte.
Das war wohl der Grund für Goyanes' zuckenden Mundwinkel und die nahezu hysterische Dringlichkeit, mit der er Castro den Fall schilderte.
«Der Matrose befand sich in einem Séparée, mit dem Kopf auf der Tischplatte. Als man ihn aufrichtete, war der tiefe Schnitt am Hals zu sehen. Wahrscheinlich eine wüste Schlägerei. Wie viele dabei waren, ist noch nicht bekannt .»
«Aber ist das nicht Sache der amerikanischen Militärpolizei? Um diese Schlägereien kümmern die sich doch selbst.» Castro presste den Rücken gegen die Stuhllehne. Seit einigen Wochen spürte er Stiche neben den Lendenwirbeln. Das Alter, sagte er sich. Im August war er siebenundfünfzig geworden. Der Schmerz kam wahrscheinlich von den Sorgen, die ihm sein älterer Sohn, Cristóbal, machte.
«Ja, aber wir haben einen Toten auf spanischem Boden, und offenbar waren nicht nur Amerikaner an der Schlägerei beteiligt. Deshalb hat das amerikanische Militär uns um unsere Mitarbeit gebeten. Sowohl unser Militärgouverneur als auch der Zivilgouverneur haben sofort zugesagt.» Goyanes machte eine Pause, sein Blick richtete sich auf einen Punkt hinter Castro. «Wenn sie sich schon gegenseitig umbringen müssen, sollen es diese verdammten Amerikaner auf ihren Schiffen tun. Nichts als Probleme machen sie uns, nichts als Probleme. Und wir, wir haben ihnen das Land verkauft, Isidro. Der Caudillo wurde schlecht beraten. Sie mögen noch so stramme Antikommunisten sein, unsere Verbündeten sind sie längst nicht, denn sie haben nicht unsere Prinzipien, nicht unsere Moral . Und jetzt auch noch das.»
Er verstummte. Falangisten wie Goyanes waren diejenigen gewesen, die sich am meisten gegen ein Abkommen mit den Amerikanern gewehrt hatten.
Castro wartete schweigend. Obwohl er die Abneigung seines Vorgesetzten durchaus teilte, würde er ihm auf keinen Fall beipflichten.
Goyanes' nahezu quadratisches Gesicht, von einem feinen Schnurrbart in zwei gleich große Hälften geteilt, verdüsterte sich zwischen dem Porträt Francos und dem des Falange-Gründers José Antonio. Bis auf das nervöse Zucken im rechten Mundwinkel war es genauso reglos wie die Gesichter der beiden Männer auf den Bildern. Nach einer Weile blinzelte Goyanes und kehrte in die Wirklichkeit zurück.
«Oben heißt es, dies sei eine ausgezeichnete Gelegenheit, aller Welt die gute Beziehung zwischen unseren beiden Ländern zu zeigen. Merkwürdigerweise ist vor allem der Zivilgouverneur daran interessiert. Na ja, genau genommen ist das nicht so merkwürdig: Sein Stuhl wackelt, und er braucht dringend Erfolge. Umso mehr, als im Dezember der amerikanische Präsident, dieser Eisenhower, den Caudillo besuchen wird. Egal. Das Entscheidende ist, dass dies nun unser Fall ist, Isidro. Genauer gesagt: deiner.»
«Comisario, ich bearbeite zurzeit noch eine andere Sache .»
Sein Vorgesetzter ignorierte den Einwand und sprach mit abwesendem Blick weiter.
«Das ist ein vergifteter Fall, Isidro. Vergiftet. Ein Fall mit politischen Verwicklungen. Meine Feinde liegen schon lange auf der Lauer. Bei der erstbesten Gelegenheit werden sie meinen Kopf fordern. Dieser Fall hier ist eine solche Gelegenheit, denn jeder Fehler wird den Verantwortlichen teuer zu stehen kommen. Und genau deshalb wurde er mir übertragen. Sie wollen meinen Kopf.»
Dann wackelt dein Stuhl also auch, dachte Castro und fragte: «Und warum geben Sie ihn mir?»
Der Kommissar verpasste dem Tisch einen seiner üblichen Faustschläge.
«Du willst wohl immer wieder hören, dass du der Beste bist, was?»
So gereizt, wie Goyanes' Stimme klang, hätte seine Bemerkung ebenso gut eine Beleidigung sein können.
«Nun ja .»
«Schau, Isidro, wir müssen mit ihnen zusammenarbeiten, wir müssen gut arbeiten, und wir müssen ihnen zeigen, dass wir nicht die Hinterwäldler sind, für die sie uns halten. Wir müssen .»
Goyanes nannte noch weitere Dinge, die sie unbedingt müssten, bis ihm die Luft ausging.
«Gewiss, Comisario, ich habe nur gedacht .»
«Denk nicht so viel, Isidro, gehorche lieber.»
Castro ärgerte sich über die Bemerkung seines Vorgesetzten, aber er ließ es sich nicht anmerken. Er stand auf. «Gut, dann fang ich mal an.»
«Du musst dich noch etwas gedulden. Ich habe dir ja gesagt, dass wir uns mit den Amerikanern abstimmen müssen. Morgen hast du sämtliches Material und kannst beginnen.» Als er Castros irritierten Blick sah, fügte Goyanes hinzu: «Ja, ich weiß schon. Die Leiche wird alles andere als warm sein, aber so sind die Befehle von oben. Also halten wir schön die Füße still. Morgen früh um zehn hast du einen Termin im amerikanischen Konsulat. Es ist nicht weit von hier, die Straße rauf bis zur Calle Junqueras und dann bist du schon da, der Weg reicht gerade mal für eine Zigarette. Dort lernst du den amerikanischen Polizisten kennen, der mit dir arbeiten wird.»
«Ach so?» Castro blieb mitten im Raum stehen, die Arme eng am Körper, Stimme und Gesicht ausdruckslos. «Und was sollen wir tun, dieser Amerikaner und...
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