Schweitzer Fachinformationen
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Die meisten Dinge tun wir aus einem bestimmten Grund. Um Geld zu verdienen, um Anerkennung zu bekommen oder um strategische Vorteile zu erzielen. Doch manche Dinge tun wir nur für uns selbst, und die sind manchmal die besten von allen. Es können kleine, stille Dinge sein, aber auch richtig große und spektakuläre. Das hier ist die Geschichte meines Auftritts bei der New York Fashion Week, als 45 Jahre alte alleinerziehende Mutter zweier Kinder, die sich eben noch wegen zu vieler Kilos unwohl in ihrem Körper gefühlt hatte.
Noch nie in meinem Leben war ich so nervös gewesen wie am 5. Februar 2025. Ich stand in einer New Yorker Fabrikhalle aus dem frühen 20. Jahrhundert, die jetzt ein Event-Center war, im Backstage-Raum. Schwere Parfüms und Deos hingen in der Luft, aber sie konnten den allgegenwärtigen Schweißgeruch nur notdürftig überdecken. Es herrschte ein Gedränge und Gewusel und alle waren aufgeregt, wenn auch nicht so sehr wie ich. Auch Kinder waren da, im Alter von zwölf und sechzehn Jahren ungefähr. Sie saßen am Boden, in hohen Schuhen und Kleidern, die wie Bonbonverpackungen aussahen. Um sie herum ragten Frauen um die zwanzig empor, groß, schlank und furchteinflößend schön.
Mitten in diesem Chaos stand ich mit meinem kleinen Handgepäckskoffer und versuchte, mich irgendwie zu orientieren. Mühsam bahnte ich mir einen Weg zwischen den Frauen hindurch.
Entschuldigen Sie bitte, darf ich?
Die meisten waren so mit sich selbst beschäftigt, dass sie mich kaum bemerkten, während ich allmählich verzweifelte.
Wo war Pia?
Beinahe wäre ich über eines der sitzenden Kinder gestolpert.
Sorry.
Keine Reaktion. Auch die Kinder waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt.
Irgendwie landete ich schließlich im Make-up-Raum, der ein kleines Schlachtfeld war. Eigentlich war es ein Make-up-Saal mit jeder Menge Spiegeln und Schminktischen, um die wir kämpfen mussten wie um die letzte Rolle Toilettenpapier. Immerhin war ich vorbereitet. Die Designerin, die mich engagiert hatte, hatte mir, der unerfahrenen Österreicherin, im Vorfeld Hinweise gegeben, worauf ich achten sollte.
Als Allererstes hatte sie mir gesagt, ich solle mit glatten Haaren kommen, denn mit Locken wäre ich von gestern. Die seien in den USA derzeit megaout. In einer Dry Bar hatte ich mir deshalb extra die Haare föhnen und glätten lassen. Dry Bars bieten professionelles Haarstyling ohne Waschen, Schneiden oder Färben an.
Kaum in der Maske angekommen, informierte mich eine leicht genervte Mitarbeiterin, dass die Designerin ihre Meinung geändert habe. Dabei deutete sie auf meine Frisur. »Pardon?«, fragte ich nach, da ich akustisch nicht gleich verstanden hatte, was nun angesagt war.
Da traten schon zwei Visagistinnen hinter mich und bearbeiteten meine Haare. Pippi-Langstrumpf-Styling war dem Anschein nach angesagt, während ich mich wie ein Produkt auf einem Fließband fühlte.
Für Small Talk mit den Visagistinnen war keine Zeit.
Pippi-Langstrumpf-Styling? Über so eine Frisur hatte ich mich bisher noch nie gewagt. Was soll's, dachte ich, es war ja auch kein normaler Tag. Mitzureden hatte ich sowieso nichts.
Frisiert und etwas verloren blickte ich mich um. Wo war meine Gruppe? Es gab keine Schilder, keine Aufschriften, nur all diese Menschen, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Als ich stehen blieb, um Luft zu schnappen, erkannte ich ein Muster. Die Frauen mit ähnlichen Frisuren gehörten zusammen. Sie bildeten Gruppen. Erleichtert atmete ich auf, als ich Frauen entdeckte, deren Haar ebenso zu festen Zöpfen geflochten war. Offenbar gab es eine Pippi-Langstrumpf-Fraktion. Zielstrebig steuerte ich auf sie zu. Als ich es endlich bis zu ihnen geschafft hatte, war ich schweißgebadet.
Schließlich sah ich sie. »Pia!«, rief ich und winkte mit hochgestrecktem Arm. »Hier bin ich!«
Pia Bolte, die Designerin, teilte meine Erleichterung nicht. Klar, dass ich kommen würde. Klar, dass ich pünktlich war. Klar, dass ich richtig vorbereitet sein würde. Wer, der halbwegs professionell war, würde bei so einem Auftritt schon leichtfertig Fehler machen? Pia warf mir nur einen kurzen Blick zu. »Super«, sagte sie. »Mach dich bitte fertig. Jetzt.«
So war es nun einmal auf der New York Fashion Week. Immerhin war sie eine der Big Four der internationalen Modewochen und markierte traditionell den Auftakt der globalen Fashion-Saison. Zweimal im Jahr verwandelte sie die amerikanische Metropole in ein Zentrum für Mode, Kunst und Popkultur, das Designer, Prominente, Influencer und Presse aus aller Welt anzog. Auf ihren Laufstegen brillierten nicht nur etablierte Labels wie Michael Kors oder Carolina Herrera, dort bekamen auch Talente mit innovativen Ideen ihre Chance. Die Shows fanden an spektakulären Orten statt, von Industriehallen wie dieser in Brooklyn oder in Manhattan bis zu Rooftops mit Skyline-Blick. Die Show setzte regelmäßig ästhetische und gesellschaftliche Trends und war darüber hinaus ein wirtschaftlicher Impulsgeber für New York, der Millionen von Dollar Umsatz generierte.
Zeit für Sentimentalitäten gab es hier jedenfalls keine. Das war ein hartes Business. Ich durfte keine Nerven zeigen. Ich hatte mich so lange auf diesen Tag vorbereitet, und ich wollte das jetzt durchziehen, komme, was wolle.
Umziehen stand an. Bloß wo? Ich erkannte rasch, dass es keine Umkleidekabinen gab. Die Models zogen sich dort um, wo sie standen. Sie hatten offenbar keine Probleme damit, sich in Unterwäsche zu zeigen. Also machte ich es ebenso. Ich schlüpfte aus meinen Klamotten und streifte mir das Outfit über, das Pia für mich ausgewählt hatte. Eine High-Waist-Hose und ein Cropped-Sweater im Nieten-Look mit giftgrünen Dollarzeichen, Totenköpfen und dem Schriftzug »New York«. Dazu hohe schwarze Lederstiefel. Richtig Punk.
So stand ich da, während ich offenbar in der nächsten Phase des Fließbandes landete. Schweigende Frauen behängten mich nun von allen Seiten wie einen Christbaum. Gürtel, Brillen und Ketten. Ich bemerkte, hier gab es keine Sonderbehandlung. Ich war nur eines unter tausenden Models, für Pia waren dreißig da.
Dabei hatte ich allen Grund, mich anders zu fühlen. Ich hatte keinerlei Vorerfahrung mit derartigen Events, was vielleicht auch noch auf einige andere zutraf. Dazu war ich mit meinen 45 Jahren auch noch mehr als doppelt so alt wie der Durchschnitt hier. So betrachtet war das Ganze Wahnsinn. Gleichzeitig war es der geilste Tag meines Lebens.
Als ich auf die Uhr sah, traf mich der Schlag. Noch mehr als eine Stunde warten! Dabei konnte ich in den Schuhen mit den Zwölf-Zentimeter-Absätzen kaum aufrecht stehen. Die Schuhe waren Größe 38, meine Füße jedoch Größe 41. Meine Zehen fühlten sich an wie Presswürste.
Die Schmerzen waren unglaublich, aber ich war nicht so weit gekommen, um jetzt aufzugeben. Zähne zusammenbeißen, hieß es. Ich hatte mir das selbst eingebrockt, ich würde es aussitzen. Oder ausstehen, je nachdem. Denn Stühle oder Couches gab es keine. Also machte ich es wie die anderen Models und ließ mich einfach auf den Boden sinken. Dort saß ich und beobachtete das Chaos um mich, zu dessen Teil ich geworden war.
Von dort unten hatte ich die Gelegenheit, die Menschen um mich herum zu mustern. Ganz ehrlich, da waren ein paar gut aussehende Männer dabei. Das fiel mir jetzt auf. Das in Kombination mit den fehlenden Umkleidekabinen verschaffte mir genug Ablenkung, um meine schmerzenden Füße für eine Weile zu vergessen.
Irgendwann gab Pia mir und den anderen aus der Pippi-Langstrumpf-Fraktion ein Zeichen. Wankend stand ich auf und ignorierte den Schmerz in meinen Füßen. Ich folgte den anderen Mädels zum Laufsteg. Bereits beim Hereinkommen hatte ich die 600 Besucher gesehen, die zu beiden Seiten davon saßen und jede meiner Bewegungen beobachten würden. Sie alle waren zum Teil noch verrückter gestylt als wir, alles Profis aus der Modebranche. Ob ihnen auffallen würde, dass ich noch nie über einen Laufsteg gegangen war?
Von Weitem konnte ich das Klicken der Fotoapparate hören. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Mir war kotzübel. Eigentlich war ich eine Rampensau, aber in diesem Moment dachte ich, ich stünde kurz vor dem Herzinfarkt. Bloß jetzt funktionieren, dachte ich und redete in Gedanken auf mich ein. Du kannst das. Du hast es schon gezeigt, in kleinerem Rahmen, aber doch. Du bist gut.
Wir Langstrumpf-Models stellten uns in einer Reihe auf und Pia musterte uns. Sie nahm die letzten Änderungen vor und richtete die Abfolge ein, in der wir den Steg betreten sollten. Vor mir blieb sie unversehens stehen. Es war ein Schreckmoment, fünf Minuten vor der Show. Verdammt, stimmte etwas mit mir nicht? Konnte sie es sich jetzt noch anders überlegen und mich um den Auftritt meines Lebens bringen?
Sie sah mich an, als wäre das unsere...
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