Schweitzer Fachinformationen
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Die Firmenzentrale von LifeExchange befand sich in einer ehemaligen Stofffabrik in Potrero Hill. Das Viertel war in den letzten Jahren zum Mekka für junge Erfinder geworden, die hier, fern von den Internetgiganten des Silicon Valley, an ihren Start-ups bastelten und gleichzeitig das Partyleben von San Francisco genossen.
Noch einmal schaute Julian auf die kobaltblaue Visitenkarte in seiner Hand.
LifeExchange.club stand in weißer Schrift darauf.
Und: Hendrik Hendriksen, Potrero Hill.
Julian erinnerte sich nur bruchstückhaft an den gestrigen Abend, als der junge Mann mit dem Aussehen eines dreißigjährigen Brad Pitt plötzlich neben ihm am Tresen des Dead End gestanden hatte. Der Begegnung waren fünf Biere vorangegangen, die Julian helfen sollten, seine Panik zu überwinden. Panik vor dem Abgrund, der sich am Tag zuvor unangekündigt vor ihm aufgetan hatte und seitdem immer tiefer wurde.
Normalerweise trank er nicht mehr als zwei Gläser, aber Gerry, sein bester Freund und Besitzer des irischen Pubs, hatte gemeint, dass ihn der Alkohol beruhigen würde. Es stimmte. Zumindest, was seine Erinnerung betraf. Julian wusste nicht einmal, wie er gestern Nacht nach Hause gekommen war.
Mit einem einnehmend lässigen Lächeln hatte Hendriksen ihm auf die Schulter geklopft und das Gespräch begonnen. »Du bist Gerrys Kumpel, oder?«
»Äh, ja. Warum?«
Sein Händedruck war fest und verbindlich gewesen.
»Er hat mir von dir erzählt. Du leitest das Astor im Mission District, stimmt's?!«
»Ja. - Bisher zumindest.«
Mit einem Mal war klar gewesen, dass die Begegnung keine zufällige war, sondern von Gerry eingefädelt. Julian hatte fragend zu seinem Freund geschaut, doch der hatte hinter der Theke gestanden und sich auf das Zapfen neuer Biere konzentriert.
»Er sagte, du könntest 'nen Neustart gebrauchen?!«
Um ein Lächeln bemüht, nickte Julian nun am Eingangsportal des ehemaligen Fabrikgebäudes in die Kamera. Gerry hatte in der Früh noch einmal angerufen, um sicherzugehen, dass er sich das Angebot auch tatsächlich anhörte.
»Es könnte deine Chance sein, Bee.«
»Kannst du mir bitte noch einmal sagen, was die genau machen? Ich hab leider einen totalen Filmriss.«
»Lass es dir von Hendrik direkt erklären. Ist 'ne ziemlich abgefahrene Sache. Scheint aber abzugehen wie 'ne Rakete.«
Die warme Stimme einer Frau begrüßte Julian durch die Gegensprechanlage - »Einfach in den dritten Stock rauf und dann rechts« -, dann glitt die Glastür vor ihm auf.
Als Julian das Loft von LifeExchange betrat, erwarteten ihn geschätzte sechshundert Quadratmeter Bürofläche mit einem gigantischen Blick auf Downtown San Francisco. Ohne Zwischenwände saßen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den langen Tischreihen nebeneinander und tippten auf ihre Computer und Laptops ein. Keiner von ihnen schien älter als fünfundzwanzig.
»Hi, Julian, willkommen bei LifeExchange!«
Hendrik Hendriksen stand plötzlich hinter ihm. Bei Tag wirkte er mit seinem Dreitagebart und den schulterlangen Haaren gleich noch cooler, und sein aus der Hose hängendes T-Shirt erinnerte sicher nicht von ungefähr an das Understatement-Vorbild aller Dotcoms, Mark Zuckerberg. »Schön, dass du's einrichten konntest. Normalerweise geben wir ja keine Sonderführungen, aber für einen Freund von Gerry mach ich gerne 'ne Ausnahme.«
»Danke, ist echt nett.«
Der Startupper wies durch den Raum. »Hier siehst du eigentlich schon alles, was zu unserem Unternehmen dazugehört. Wir stocken gerade monatlich auf. Wenn's weiter so geht, müssen wir demnächst zur Nachbaretage durchbrechen.« Er grinste vergnügt und machte eine Geste, als komme der Erfolg für ihn ganz unverhofft.
»Glückwunsch«, murmelte Julian beeindruckt.
Vorgestern war ihm jener Brief ins Kino geflattert, auf den er seit Monaten gewartet hatte, doch er enthielt nicht die erhoffte Antwort.
Die Bank hatte ihn so lange hängen lassen bis er schließlich unumkehrbar im Dispo hing. Täglich war Julians erste Tat ein Anruf in der Filiale gewesen, aber sein Berater war nie für ihn zu sprechen gewesen. Stattdessen kam das kurze Schreiben mit der Post. Eine Absage. Das Aus für das Astor - San Franciscos ältestes Lichtspielhaus -, und damit auch für dessen Leiter Julian Beeman. Die Bank verweigerte ihm nicht nur den beantragten Kredit, sondern forderte auch die noch offene Schuld in Höhe von 156000,- Dollar bis zum Monatsende zurück. Aufschub oder Stundung wurden nicht gewährt, was bedeutete, dass Julian noch exakt zehn Tage blieben, um die Summe aufzutreiben.
Er hatte keinen Schimmer, wie das gehen sollte - es sei denn, es geschah ein Wunder. LifeExchange sollte so etwas sein. Deshalb war er hier.
»Latte, Espresso, Cappuccino?« Hendriksen winkte, ihm zu dem abgetrennten Cafeteriabereich am Ende des Fabrikraums zu folgen. Auf der Küchenzeile stand eine riesige, verchromte Kaffeemaschine, die deutlich besagte: Wir haben es geschafft!
»Einen ganz normalen Kaffee mit Milch, danke«, entgegnete Julian betont unbeeindruckt, denn er wollte nicht wie ein Opfer wirken, das hier auf sein Gnadenbrot hoffte.
»Der wertbeständige Purist. I love it.« Der LifeExchange-Gründer schoss grinsend seinen Zeigefinger wie eine Pistole auf ihn ab und machte sich an der Maschine zu schaffen.
Julian nutzte die Zeit, um seine Umgebung zu beäugen. Es war sein erster Besuch in einem Start-up, und er fand es genauso, wie seit Jahren von allen beschrieben: das ultimative Arbeitsparadies. Eine Reihe Gläser war mit Croissants, Keksen, Müsli und vielen weiteren Köstlichkeiten gefüllt, und im Kühlschrank, den Hendriksen gerade öffnete, warteten Milch und Snacks für jedweden Verfechter von eiweißreich bis vegan und glutenfrei. Alles selbstverständlich kostenlos.
Hinter einer Glasscheibe, ein paar Meter weiter lag die kreative Ruhezone, wo sich die Mitarbeiter beim Minigolf fokussieren, in Sitzsäcken chillen oder an einer Wand mit Graffiti erproben konnten.
»Tut mir leid, was du da gerade erlebst.« Hendriksen warf ihm über die Schulter einen mitfühlenden Blick zu. »So was wie das Astor gibt's ja echt nur noch selten. Würde mal sagen, es ist eine der Perlen unserer Stadt, oder?«
Julian nickte.
Vor sieben Jahren hatte er das Kino mit seinen originalgetreuen Dekors aus den Zwanzigern, das in allen einschlägigen Reiseführern über San Francisco aufgeführt war, von seinem ehemaligen Arbeitgeber übernommen. Hoch und heilig hatte er bei der Schlüsselübergabe dem von der Krankheit bereits schwer gezeichneten Marten Faulkner versprochen, dass er alles für das Filmtheater geben werde - egal, was da komme. Natürlich wusste er, dass dies auch Investitionen bedeutete, die nur mit einem Kredit zu finanzieren waren, aber Julian glaubte an das Kino. Nicht nur, weil er wie sein Vorgänger Filme liebte, sondern weil das Astor zur Kulturszene der Stadt gehörte und über Jahrzehnte hinweg mit seinem sorgfältig kuratierten Programm die Zuschauer begeistert hatte.
»Setz dich doch.« Hendriksen stellte einen henkellosen Fünfzigerjahre-Becher sowie ein Kännchen mit heißer Milch auf dem Tisch ab und wies zum Stuhl ihm gegenüber. Er selbst hatte sich für ein Kokoswasser entschieden.
»Hast du Erfahrung mit Tauschen - Wohnungstausch zum Beispiel?«, fragte er.
»Nein.« Julian hatte in den letzten Jahren das Geld und die Zeit zum Verreisen gefehlt.
Sein Gastgeber griff nach dem iPad neben sich, und auf dem Display leuchtete der Schriftzug von LifeExchange auf.
»Teilen und Tauschen liegt ja schon seit geraumer Zeit im Trend und wird sich ganz sicher auch noch weiter durchsetzen«, erklärte er. »Wenn du so willst, kannst du unsere Website als ein logisches Sequel von Seiten wie Airbnb und den Wohnungstauschportalen betrachten, nur dass wir deutlich weiter gehen.«
Er wischte über den Screen des Tablets, und es flogen die Wohnangebote der Privatanbieter auf den besagten Portalen vorbei, darunter ein malerisches Baumhaus, ein Beduinenzelt auf dem Dach eines New Yorker Wohnhauses und ein Loft mit Blick über Paris. »Warum zieht man heutzutage in einer fremden Stadt eine Privatwohnung einem Luxushotel vor, was denkst du?«, fragte er.
Julian hatte sich darüber noch nie Gedanken gemacht. »Weil's günstiger oder heimeliger ist?«
Hendriksen schoss erneut mit seinem Zeigefinger auf ihn. »Heimelig. Genau das trifft's. Die Wohnung eines anderen wird für kurze Zeit dein Zuhause. Du lebst in New York, Amsterdam, Paris als Bewohner und nicht als Gast. Das macht was mit dir. Vielleicht sogar, dass du fern von deiner Routine plötzlich eine neue Lebensweise an den Tag legst und dich glücklicher darin fühlst. Ein neues Leben, das dich deine alten Rollenmuster abstreifen lässt und die Bahn für einen Neustart ebnet.«
Julian nickte. »Und was macht ihr?«
Sein Gegenüber wechselte zur LifeExchange-Seite zurück. »Wir bauen genau auf diesem Gefühl auf und bieten unseren Kunden etwas, das noch einen Schritt weitergeht.«
Er schob Julian das Tablet hin. »Hier siehst du die Anzahl der gegenwärtig angemeldeten User. Wir liegen derzeit bei 33458 in den USA. Unsere Dealrate steht bei über hundert die Woche mit zehnprozentiger...
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