Schweitzer Fachinformationen
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O mein Gott, wie sehe ich denn aus? Das darf doch nicht wahr sein. Wieso hat man mir denn nichts gesagt? Vorher. O mein Gott. Ich bin eine Frau.
Mein neues Apartment stammt aus dem Katalog Schöner Wohnen. Als Beispiel für ein Misslingen auf ganzer Linie. Warum? Warum nicht mal eine Wellness-Oase inmitten eines blühenden Zypressenhains? Warum nicht mal ein Bungalow mit Infinity-Pool oder eine Gründerzeitvilla mit Parklandschaft und Pferdestallungen? Gibt es doch. Alles schon gesehen. Im Fernsehen. Aber nein. Dunkles Bad mit grün-braunen 70er-Jahre-Fliesen, einfach verglaste Fenster, durch die der Wind in höchsten Tönen die Titelmelodie von Psycho pfeift, kunstlederne Sofagarnitur, die eine Zierde für jeden Sperrmüll wäre, und zu allem Übermut der Geruch von Mottenkugeln, die mit Vanille-Duftbäumen um die Lufthoheit konkurrieren. Glücklicherweise gibt es ein roséfarbenes Kissen, dessen bestickte Botschaft mein Herz berührt: Home Sweet Home.
Den ganzen Tag vor dem Spiegel verbracht und meinen neuen Körper betrachtet. Ich möchte es mal so formulieren: Hm.
Erster Ausflug! Meine Stadt hat keinen Fluss. Meine Stadt hat ein Meer! Liebe!
Meine neue Muttersprache klingt schöner als die deutsche. Melodischer, weicher, wärmer, lustiger. Bin verliebt und rede den ganzen Tag so vor mich hin.
Zweiter Ausflug. Brighton ist ganz anders als L. A. Mehr Schönes, mehr Hässliches. Mehr Armut, mehr Reichtum. Vor einer Bank haben Obdachlose ihre Zelte aufgeschlagen, sie wohnen dort und fragen höflich nach einer kleinen Spende, um mal wieder eine Nacht in einem Bed & Breakfast verbringen zu können. Duschen. Sie wollen unbedingt mal wieder duschen. Ich gebe ihnen das Geld, das ich in meinem Portemonnaie finde. Viel ist es nicht. Dann denke ich an Robin Hood, supi Geschichte, schaue in Richtung Bank und fühle mich gangsterlich. Ziehe den viskoselastigen Schal über Mund und Nase, die pinke Sonnenbrille auf und stoppe erst im letzten Moment, da ich ja noch gar keine Pistole habe. Mist.
Habe heute meine erste Nachbarin kennengelernt! Sie heißt Oakes, wohnt eine Etage tiefer, ist spindeldürr und huscht mehr, als dass sie geht. Wir dürften im gleichen Alter sein, Mitte zwanzig, wir werden bestimmt beste Freundinnen!
Habe mir all die Schminkutensilien im Bad angesehen und stehe vor einem Rätsel. Ich habe keine Ahnung, für was ich all diese Tuben, Töpfchen und Stifte brauche. Meine ersten Versuche sehen aus wie moderne Kunst. Teuer. Sehr, sehr teuer.
Husten.
Wieder Oakes im Treppenhaus getroffen. Sie trug drei Pullover und eine Strickjacke darüber und zitterte trotzdem. Fragte, ob es ihr nicht gut gehe, sie sagte aber nichts.
Besuche das erste Mal den Palace Pier. Sensationelles Vergnügungsdings. Fahre Autoscooter, Achterbahn und Pferdchen-Karussell, esse Donuts, trinke Milchshakes und gewinne eine Plüschkatze und einen Schlüsselanhänger. Liebe!
Auffällig: In meinem Viertel, in Kemptown, sind die Menschen viel bunter, merkwürdiger, ausgefallener, lauter, diverser und interessanter als in L. A. Auch, weil es hier eine große Szene gibt, die BLGT oder LGTB oder GTLB heißt, auf jeden Fall aber supicool ist.
Habe den ganzen Tag meinen großen Zeh begutachtet. Finde ihn wunderschön.
Meine erste Busfahrt. Komischerweise drängelt sich niemand vor. Alle stehen ordentlich in einer Schlange und warten, bis sie an der Reihe sind. Wie dumm ist das denn? Fensterplatz oben, erste Reihe!
Hurra! Habe bei Tesco für meinen Einkauf ein »Gewinne-Dein-Glück-Los« erhalten und zu meiner großen Überraschung sehr viel Glück gewonnen, genauer gesagt, einen 20-Prozent-Gutschein beim Kauf einer 375-Gramm-Packung Choco Hoops Frühstücksflocken. Hurra!
Nachbarin Oakes zu einer Tasse Tee eingeladen und mehr über sie erfahren. Oakes ist arbeitslos. Sie hat es immer wieder mal versucht, sagt sie, zuletzt bei Primark, aber Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit seien Eigenschaften, die ihrem Naturell leider so gar nicht entsprechen. Die Wohnung gehört ihrem Bruder, und solange der in Saudi-Arabien Karriere macht, dürfe sie umsonst hier wohnen. Zum Glück, sagt sie, denn auf der Straße zu leben sei nicht schön. Ihre Hobbys sind Häkeln und Heroin.
War heute bei Tesco, um mein Glück einzulösen, die Choco Hoops Frühstücksflocken. Zu Hause musste ich leider feststellen, dass das Glück ungenießbar ist.
Wie merkwürdig. Obwohl meine ersten beiden Länder relativ nah beieinander liegen, sind die Unterschiede doch beträchtlich. So auch in den schlichten Schichten, wie ich bei Primark feststellen durfte, wenn Mütter mit ihren Kindern kommunizieren.
England
»Molly, will you please stop talking, you're offending me«, singsangt die Mutter.
Deutschland
»Wenn du nicht gleich die Klappe hältst, kriechst du links und rechts eine gescheuert!«, schreit die Mutter.
Noch mehr Regen. Viel mehr. So viel Regen kann es eigentlich gar nicht geben. Das reicht für mindestens hundert Jahre. Oder länger.
Oakes und ich sind vom Blitz erschlagen. Auf der Hampton Road hat ein kulinarisches Etablissement für internationale Spezialitäten aufgemacht. Waren mir bis zu dieser denkwürdigen Begegnung maximal drei Sterne bekannt, die ein Restaurant für seine wundersamen Kreationen sein Eigen nennen darf, so muss ich mich eines Besseren belehren lassen. Dieses hier hat zehn Sterne! Und wurde nach seinem Inhaber benannt. Der Inhaber begrüßt schon auf dem Parkplatz seine Gäste als überlebensgroße, solarbetriebene Wackelfigur. Sein Name zeugt von Glamour, wenn nicht sogar von zeitloser Vergänglichkeit, es ist: Bunny Tornado. Ein Weltenbummler und Connaisseur, wie seine in Kalkstein gehauene Biografie am Eingang von ihm preisgibt. Die exotischen Speisen habe er als Food-Traveller rund um den Erdball gesammelt, und nun, da er den Heimathafen wieder angesteuert und den Anker gelegt habe, wolle er die Lieben daheim an seinen Entdeckungen teilhaben lassen, auf dass sich Horizonte weiten, Geschmacksnerven explodieren und die Welt eine bessere werde! Und so gibt es bei Bunny Tornado Döner aus der Türkei, Currywurst aus Deutschland und Pizza aus Italien. Oakes und ich bleiben eine Ewigkeit vor der Fensterscheibe stehen und starren auf die kleinen Wackel-Tornados, die zwischen den exotischen Speisen aus fernen Ländern ihre Hüften schwingen, bis Oakes schließlich sagt: »Brutalschön.«
Ich habe eine Königin! Sie heißt Elisabeth und ist wunderschön! Sie ist bestimmt schon tausend Jahre alt! Werde sie in naher Zukunft mal besuchen und meine Aufwartung machen.
Hänge mit Oakes vor dem Supermarkt ab. Da brutalschöne Ereignisse sich in Grenzen halten und auch keine fabelhaften Wesen aus mythischen Parallelwelten vorbeischauen, geben wir Dingen Namen. Den Wasserhydranten nennen wir Larry, das Stoppschild Mary-Jane und den Gullydeckel Herbert. Keine Ahnung, warum.
Merkwürdig. Obwohl die Engländer ja auch Menschen sind, so sind sie doch in vielen Dingen ganz anders als die deutschen Menschen. Diese höfliche Nonchalance und distanzierte Freundlichkeit sind für mich noch eine wundersame Neuerscheinung. Ich könnte durch unglückliche Umstände von einem fünf Meter hohen Dach fallen, mir noch im Flug das Gesicht an einem steinernen Vorsprung aufschlagen, durch die veränderte Flugbahn auf das eiserne Gitter mit den spitzen Streben fallen, die sich durch meinen Oberschenkel wie durch Butter bohren, wodurch ich mit dem Kopf ungeschützt auf den Asphalt aufschlage und mein Blut in alle Himmelsrichtungen spritzt, sodass ich selbst im Unklaren darüber wäre, ob ich die nächsten zwei Minuten noch überlebe, so wüsste ich doch, käme zufällig ein Einheimischer vorbeiflaniert, der Zeuge meines außerordentlichen Missgeschickes wäre, so würde er die Augenbrauen leicht anheben und fragen: »Oh, are you alright, my dear?«
Habe heute Mr. Elliott aus der Dritten kennengelernt. Er trug einen braunen Cordanzug, einen weinroten Pullover und eine jagdgrüne Krawatte zu einem beigefarbenen Hemd. Die wenigen grauen Haare zauselten in alle Himmelsrichtungen und zeugten in Kombination mit der dickglasigen Hornbrille von einem Intellektuellen alter Schule. Nicht recht ins Bild passten indes die orangefarbenen...
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