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Am Abend des 2. Juni 2013 öffnete sich vor den Augen der arglosen Fernsehzuschauer ein Abgrund des Entsetzens. Millionen von Game-of-Thrones-Fans hatten über zwei Jahre lang die gnadenlose Politik in Westeros verfolgt und sich in Ritter, Lords, Ladys und Gesetzlose gleichermaßen verliebt, ohne zu bemerken, dass HBO sie die ganze Zeit über wie Lämmer zur Schlachtbank getrieben hatte. Aber wir anderen wussten Bescheid, wir lehnten uns mit einer Schüssel Popcorn und dem Handy mit aktivierter Kamera in der Hand zurück, während Blut und Tränen flossen.
»Rote Hochzeit« klingt so unschuldig, ist aber heute jedem Game-of-Thrones-Fan ein Begriff. Dieser schicksalhafte Abend hat diese beiden Wörter mit einer kulturellen Bedeutung aufgeladen, wie sie kaum eine Fernsehserie jemals erzeugen konnte. Autor George R. R. Martin hatte die Welt der Fantasyliteratur schon längst verändert, bevor er seine Geschichte David Benioff und D. B. Weiss anvertraute, die ihrerseits die Welt der Fernsehserien umwälzte. An diesem Juniabend konnte endlich die ganze Welt das Meisterwerk erkennen, das Game of Thrones ist. Der unsichtbare Graben zwischen den Lesern und den Fernsehzuschauern war geschlossen.
In diesem Moment begann eine neue Ära der Popkultur: Es gab die Zeit vor der Roten Hochzeit und die Zeit danach. Es gab eine Vergangenheit, in der Game of Thrones im hektischen Gedränge der Blütezeit des Prestige-TV hätte untergehen können, und die Zukunft, in der sich das große Risiko, das HBO mit einer Fantasyserie eingegangen war, als eine der besten Entscheidungen aller Zeiten entpuppte.
Die Romane von Martins Buchserie Ein Lied von Eis und Feuer waren bereits Bestseller, bevor die Fernsehserie Game of Thrones entstand. Aber ohne David Benioff und D. B. Weiss hätten Millionen von Menschen nie von Daenerys Targaryen, der Unverbrannten und Mutter der Drachen, oder von Jon Schnee, dem vor aller Augen versteckten Targaryen-Prinzen, erfahren. Diese Fans hätten niemals Tränen bei Eddard Starks Hinrichtung vergossen oder mit offenem Mund dagesessen, als Robb und Catelyn, sein Sohn und seine Frau, ebenfalls den Tod fanden.
Als HBO die Episodentitel der dritten Staffel von Game of Thrones bekannt gab, wussten die langjährigen Leser bereits, was kommen würde. Die neunte Folge trug den Titel »Der Regen von Castamaer«, was gleichzeitig der Titel eines berühmten Lennister-Lieds ist. Das Lied erzählt davon, wie Lord Tywin Lennister ein kleineres Haus vernichtet, das es gewagt hat, die Lennisters von Casterlystein herauszufordern. Sowohl im Buch als auch in der Serie realisiert Catelyn Stark, dass die Hochzeitsfeier ihres Sohns eine katastrophale Wendung nimmt, als die von den Freys angeheuerten Musiker »Der Regen von Castamaer« spielen und damit zeigen, dass Lord Tywin seine Finger im Spiel hat, obwohl er selbst weit weg ist.
Die Leser von Ein Lied von Eis und Feuer wussten ja, was kommt, und verschworen sich online und in der realen Welt, die Seriengucker die Rote Hochzeit auf die gleiche Weise erleben zu lassen, wie sie selbst sie in den Büchern erlebt hatten: schockiert, wütend und entsetzt. Auch sie sollten um den jungen König des Nordens, seine Mutter und das gesamte Haus Stark trauern.
Die Buchleser mussten diesen Schock im dritten Band Hört mich brüllen verkraften, der 2000 erschien. Erinnert man sie an die Beschreibung, wie Catelyn Stark die unerbittlichen Trommeln hört, bekommen sie sofort ein flaues Gefühl im Magen. Sie werden erzählen, wie sie damals das Buch wütend durchs Zimmer gepfeffert oder so laut aufgestöhnt haben, dass ihre schlafende Katze davon aufgewacht ist.
Nur die scharfsinnigsten Leser werden die Rote Hochzeit wohl haben kommen sehen. Keine andere Buchserie hat je mit der frühzeitigen Hinrichtung einer Hauptfigur begonnen, den Sohn dieser Figur zum neuen Helden aufgebaut, nur um diesen dann ebenfalls umzubringen. Was für ein Sadist tut so etwas? Welcher selbstzerstörerisch veranlagte Autor kommt auf so eine Idee?
Das ist das Geniale an George R. R. Martin: Viele seiner Figuren sind weder eindeutig gut noch böse und ihre Lebensaussichten eher trüb. Heroische Charaktere sterben hier nicht ruhmreich, sondern werden kaltblütig an einer Banketttafel dahingemeuchelt, nur weil sie einen allzu menschlichen Fehler begangen haben. Der Verlust Ned Starks tat weh. Der Tod Catelyns und Robbs schmerzte noch mehr, weil sie unsere einzige Hoffnung auf Vergeltung waren. Als er Neds Tod plante, wusste Martin bereits, dass dessen Sohn ebenfalls sterben musste, baute die Geschichte bis dahin aber sorgfältig auf, um uns in einem trügerischen Gefühl der Sicherheit zu wiegen.
Robbs Fehler und Missgeschicke deuteten auf so etwas hin, aber Zuschauer und Leser wollten nur zu gern daran glauben, dass die Geschichte den üblichen Regeln des Fantasygenres folgen würde. Die Fans der Bücher gaben sich drei Jahre lang alle Mühe, den kommenden Schock nicht zu verraten. In Fan-Threads auf Seiten wie Westeros.org und Reddit wurde der Begriff »Rote Hochzeit« beziehungsweise »Red Wedding« meistens nur mit »RW« abgekürzt. Ein paar Newsseiten bekamen spitz, dass etwas Schlimmes passieren würde, aber niemand ahnte, welches Ausmaß die Katastrophe wirklich annehmen würde.
Benioff und Weiss hatten von Anfang an auf diesen Moment hingearbeitet. Wie wir alle waren sie von dem Moment an von Martins Geschichte fasziniert, als Jaime Lennister den kleinen Bran Stark aus dem Fenster stößt. Ihnen war klar: Wenn sie Game of Thrones an HBO verkaufen und den Sender davon überzeugen konnten, mindestens drei Staffeln zu produzieren, würden sie es bis zur Roten Hochzeit schaffen, und das würde alles verändern. Wenn sie es bis dahin schafften, würden sie die Welt davon überzeugen, dass Das Lied von Eis und Feuer die größte Geschichte aller Zeiten ist.
Weiss erzählte auf der Comic-Con 2016 in San Diego: »Als wir die Bücher gelesen hatten, wollten wir es einfach nur bis zu dieser Szene schaffen, um diesem fantastischen Moment gerecht zu werden.«
Mit ein paar geladenen Armbrüsten, einem Haufen Dolche und einem Stich mitten ins Herz führte »Der Regen von Castamaer« die beiden Blöcke der Fans wieder zusammen. Die Leser bereiteten sich auf den Moment vor, in dem Millionen von Menschen in aller Welt herausfinden würden, dass Robb, Catelyn, Grauwind und die gesamte Armee der Starks ausgelöscht wurden. Sie waren bereit, Trost zu bieten, aber zuerst wollten sie auch ein wenig Spaß auf Kosten ihrer fernsehenden Freunde haben.
Binnen weniger Stunden nachdem der Abspann stumm über den Bildschirm gelaufen war, tauchten im Internet Videos von Menschen auf, wie sie gerade die Rote Hochzeit sahen. Einige clevere Leser hatten in grausamer Vorfreude ihre Lieben dabei gefilmt, wie sie dieser Schock trifft. In einem dieser Videos liegt ein Mann mit nacktem Oberkörper auf einem beigen Teppich, dann dreht er sich um und blickt vorwurfsvoll und tief beeindruckt in die Kamera.
»Ihr wusstet davon?«, fragt er mit der brüchigen Stimme eines Menschen, dessen Welt gerade implodiert ist.
Dieser Clip war am 5. Juni auch bei der Talkshow Conan zu sehen, in der Moderator Conan O'Brien George R. R. Martin zu Gast hatte. Er zeigte dem Autor einen Zusammenschnitt von Fanreaktionen auf »Der Regen von Castamaer«.
»Die Folge vom Sonntag hat die Menschen komplett überrollt«, sagte O'Brien. »Mir sind die Augen aus dem Kopf gefallen. Diese Reaktionen waren faszinierend, und ich habe mich gefragt, was das mit dieser Serie Game of Thrones nur ist. Ich denke, Sie lassen uns wirklich mit den Figuren mitfühlen und sie lieb gewinnen. Wir halten sie für unverzichtbar für die Geschichte, und dann gehen Sie hin und bringen sie um, Sie kranker Bastard!«
Martin saß da, die unvermeidliche Mütze mit dem Schildkrötenanstecker auf dem Kopf, der ihn an seine Kindheit erinnert, als er Minischildkröten in einem Terrarium mit einer kleinen Burg darin hielt. Wie das so ist, starben diese Schildkröten ziemlich schnell, und Martin spann Geschichten um Kriege und zerstrittene Königsfamilien, um die hohe Sterberate zu erklären. Jahrzehnte später saß der mit unfassbaren Erfolgen gesegnete Autor als Ehrengast bei Conan O'Brien, faltete die Hände über dem Bauch und kicherte über die Entrüstung des Late-Night-Moderators.
Martin hatte nicht nur Spaß bei seinem Fernsehauftritt, sondern erzählte auch ausführlich von der emotionalen Herausforderung, die Rote Hochzeit zu schreiben. »Ich habe viele E-Mails von Lesern erhalten. Viele waren begeistert, aber andere sagten auch, dass sie nach dieser Szene nicht weiterlesen konnten, weil sie zu schmerzhaft war«, erzählte er einem Fan 2007 während einer Entertainment-Weekly-Fragestunde. »Aber es soll ja auch wehtun. Es hat beim Schreiben wehgetan, und es sollte beim Lesen wehtun. Die Szene soll dir das Herz zerreißen und dich mit...
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