Schweitzer Fachinformationen
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Fritz Schramm schmückte seine Traumbude. In einer hellgelben Leinenjacke hantierte er eifrig hin und her, stellte drei Lilien in einen alten Zinnkrug und überblickte befriedigt sein Werk. Dann stopfte er sich behaglich seine braune Malerpfeife und blies die blauen Dampfwolken in die von Sonnenstäubchen durchtanzte Luft.
Leise klopfte es. Fritz stand auf.
»Bitte.«
Schüchtern trat Elisabeth ein. Unwillkürlich blieb sie stehen bei dem Bilde, das sich ihr bot.
Ein braunes Dachzimmer. An den Wänden Bilder, viele Bilder. An der einen Seite ein braunes Holzregal mit Büchern, deren bunte Einbände in der Sonne leuchteten. Auf dem Regal dunkler Stoff und darauf glitzernde Muscheln, farbige Steine und goldgelbe Bernsteinstücke. Dazwischen ein brauner Tänzer aus gebeiztem Holz. An der linken Seite lag ein Totenkopf, der einen Kranz roter Rosen trug. Eine Schale mit tiefroten Rosen unter einer Totenmaske Beethovens, die auf purpurnem Tuche an der Wand hing. An der schrägen Wand einige Radierungen und ein Bild mit einem schwarzen Flor.
»Seien Sie mir willkommen in meinem Traumgemach«, sagte Fritz, und auf einen fragenden Blick Elisabeths fügte er hinzu: »Das ist meine Beethovenecke, gerade hier neben dem Märchenfenster. Alle Sachen sind liebe Erinnerungen und Andenken. Vor Beethovens Antlitz blühen immer Rosen als stummes Gedenken und stille Huldigung. Blumen sind so rein - und immer schön.«
Elisabeth war ganz benommen von der Traulichkeit und dem Zauber dieses kleinen Raumes. Die Blumen dufteten so süß, daß ihr fast die Tränen kamen. Sie wußte selbst nicht warum. Es war so seltsam. Sie mußte seit einiger Zeit öfter weinen - ohne Grund. Und öfter lächeln und innerlich jauchzen - ohne Grund. Ihr war, als ob sie dem Manne neben sich alles sagen könne. Ein wundersamer Frieden.
»Es sind noch zwei Stunden, wo ich Licht habe zum Malen«, sagte Fritz. »Erschrecken Sie nicht, solange sollen Sie nicht stehen. Vielleicht im ganzen eine halbe Stunde. Aber ich muß Sie oft ansehen dabei, da sind zwei Stunden rasch vorbei. Wie lange Frist hat Ihnen Frau Heindorf gesetzt?«
»Ich darf so lange bleiben, wie ich will!«
»Das ist schön. Da wollen wir erst ein bissel zeichnen und dann ein wenig plaudern, ja? Dann wollen wir jetzt ins Atelier gehen.«
Sie gingen in einen Raum nebenan mit breiten, hohen Fenstern und hellen Vorhängen, an dessen Wänden überall halbfertige Skizzen und Entwürfe hingen und standen.
Fritz suchte eine Mappe hervor und rückte ein Bild zurecht.
»Die Grundidee meines Bildes, soweit man davon sprechen kann, habe ich Ihnen ja schon skizziert. Hier sind die Entwürfe. Hier die Studien nach dem männlichen Modell. Hier auf der Staffelei die Ölstudie des Mannes. Auf diesen Skizzen sehen Sie, wie ich mir das Mädchen ungefähr gedacht habe. Sie finden überall die Haltung schon ziemlich übereinstimmend, während Gesicht und auch Figur schwanken, ein Zeichen, daß ich gesucht habe. Doch der Suchende findet. Wollen wir nun einmal die Stellung festsetzen? Sie stellen sich am besten vor diesen blauen Vorhang. Nun denken Sie an den verzweifelten Wanderer in der Wüste, dem Sie wie ein Himmelsbote das erlösende Wasser des Lebens bringen - so - ja - die Hände ein wenig tiefer - das Gesicht ein wenig mehr zum Vorhang - so bitte stehen bleiben.«
Fritz griff rasch zu Stift und Papier, und in großen Linien flog das Blei über den Zeichenbogen.
»So«, sagte er nach einer Weile tiefatmend, die Bewegung haben wir. Nun noch rasch die Stellung fixiert, damit wir morgen wieder dieselbe einnehmen können. Er nahm einen photographischen Apparat, stellte ein und knipste. »Danke schön! Sie sind erlöst.«
Elisabeth kam. »Darf man sehen?«
»Bitte sehr, aber gern.«
»Aber man kann ja noch garnichts erkennen -«
Fritz lächelte. »So schnell geht das nicht. Hier sehen Sie den Arm, besonders den Ansatz. Das Erfassen der Bewegung ist zunächst die Hauptsache. Doch Sie sollen gleich mehr befriedigt werden. Ich möchte nämlich noch eine Profilzeichnung Ihres Gesichtes machen. Oder sind Sie schon müde? Sie müssen es sagen. Wenn so ein Maler erst einmal im Zuge ist, dann ist er schrecklich rücksichtslos. Nein? Nun dann -«
Er rückte ihr einen Sessel zurecht.
Elisabeths Köpfchen hob sich wundervoll von dem blauen Hintergrunde ab. Entzückt betrachtete Fritz eine Weile den feinen Schwung der Linien, bevor er zum Stift griff. Er arbeitete eine Zeitlang rastlos. Dann blinzelte er mit den Augen und begann Schatten und Lichter einzusetzen.
»Langweilen Sie sich?« fragte er. »Ich unterhalte Sie im Eifer der Arbeit garnicht -«
»Nein«, gab Elisabeth zurück, »ich sehe vor mir einen schönen Kopf, in den habe ich mich ganz vertieft. Es ist eine Menge Jugendkraft, Keckheit und gleichwohl wieder soviel Besinnliches, ja sogar bittere Züge am Munde sind darin - es ist ein schönes Bild -«
»Nach einem Original.«
»Aus der Nähe?«
»Aus meinem Zimmer.«
»Wohnen denn da noch mehr Leute?«
»Er ist mein junger Freund, und als solcher wohnt er bei mir. Er heißt Ernst Winter und studiert augenblicklich in Berlin Musik.«
»Er muß Sie sehr lieb haben -«
»Das beruht auf Gegenseitigkeit.«
»Aber er ist so viel jünger als Sie.«
»Darauf beruht gerade unsere Freundschaft. Er ist jung, wild und brausend ungestüm - zuzeiten auch träumerisch und bitter, wie Sie ganz recht sagen. Ich habe mit dem Leben abgeschlossen und versuche, meinen Kreis zu erkennen und harmonisch auszuweiten. Die Folgen sind Reife und Erfahrung. So ergänzen wir uns gegenseitig. Es ist wohl etwas - sagen wir Vaterliebe in meiner Freundschaft; er braucht mich mehr als ich ihn. Aber in Liebe und Freundschaft fragt man nie, ob man mit gleicher Münze zurückbezahlt bekommt. Er ist nicht der einzige. Noch einige Menschen, werdende Menschen besuchen mich - und sind meine Freunde. Ich habe Jugend gern und freue mich, wenn sie von mir nimmt.«
»Sie haben mit dem Leben abgeschlossen?«
»Das klingt wohl etwas herbe, soll es aber nicht sein. Ich bin Lebensbejaher. Es soll keine Entsagung sein. Vielmehr: Ich habe mein Leben gelebt, habe alles gehabt, was das Leben mir geben wollte und konnte. Es ist ein wenig schnell gekommen und wieder gegangen. Deshalb stehe ich auch schon ein wenig früher als andere im Schatten außerhalb des bunten Ringes. Es hat auch seinen Reiz. Aus dem Schauspieler ist mehr ein Zuschauer geworden.«
»Ist das Leben denn ein Schauspiel?«
»Ja - und nein. Darüber kann man nie die Wahrheit sagen. Unser Erkenntnisvermögen ist eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt. Objektive Erkenntnis gibt es nicht. Wir sind immerdar Ringende. Wer will da richten, wer unterscheiden zwischen Wahrheit und Schauspiel, Sein und Schein. Der dort -« er wies auf Ernsts Bild - »ist auch so ein Ringender. Er ist ein Tatmensch und dadurch der Verurteilung der Welt leichter ausgesetzt als andere, die nur den blassen Gedanken nähren. Gedanken sieht man nicht - und was man nicht sieht, ist nach den Gesetzen der Welt erlaubt. Aber Taten - o weh! - Nun, er ist rücksichtslos stark genug, um auf seine Bewertung durch die Gesellschaft zu pfeifen. Vorläufig braucht er es nicht - und das ist gut. Überhaupt, unser Recht - ach! Wenn jemand einen Menschen totschlägt, wird er bestraft als Mörder. Wenn ich eine große Fabrik aufmache und dadurch hundert kleine Existenzen vernichte, bin ich ein guter Kaufmann. - Mittlerweile ist ihr Kopf fertig geworden, und es dämmert auch ein bissel, so daß wir aufhören müssen.«
Er zeigte Elisabeth die Zeichnung und packte langsam das Zeichengerät an die Seite. Dann sah er sich nach ihr um.
Sie stand vor dem Bilde Ernst Winters und sah es an.
»Er kommt bald«, sagte Fritz, »er hat einige Wochen Ferien. Der Flügel hier im Atelier ist seinetwegen da. Er improvisiert gern. Am liebsten höre ich von ihm Beethoven und Chopin. Doch nun kommen Sie, die Traumbude hat ihre Hohe Zeit: das Abendrot.«
Elisabeth zögerte eine Weile, dann ging sie rasch auf Fritz zu, preßte seine Hand und sagte: »Sie sind ein guter Mensch. - Es ist alles so schön bei Ihnen - so anders -. Gar kein Alltag - immer Sonntag. Es ist wie ein Sommerabend. Und viel Heimat ist dabei und Frieden. - Seien Sie auch mein Freund.«
Fritz war bewegt. Nach viel Staub der Straße und schalen Sumpfseelen hatte er hier eine Seele gefunden, die rein war wie einer der tiefblauen italienischen Seen. Schweigend nahm er ihren Arm und ging mit ihr in die Traumbude.
Die Dämmerung träumte im Rosenduft des braunen Dachzimmers, als sie eintraten. Entzückt blieben sie stehen. Das Abendrot warf letzte goldene Lichter auf die ernsten Züge Beethovens und funkelte und leuchtete in märchenhaftem Glanze in den bunten Steinen und Muscheln.
Auf einem alten geschnitzten Bört standen bunte Tassen, altes Geschirr und zinnerne Teller. Vorsichtig holte Fritz drei wunderschöne grüne Römer und eine staubige Flasche hervor. Er stellte die drei Römer auf den Tisch und goß schweigend den Wein ein.
Er schob ein Glas Elisabeth zu, die still und in sich versunken ihm zusah, legte um das zweite einen blühenden Rosenzweig aus der Vase Beethovens, nahm das dritte in die Hand und sagte zu Elisabeth: »Wir wollen anstoßen auf unsere junge...
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