Schweitzer Fachinformationen
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Als ich vor ein paar Jahren pleite war, stellte ich mich freiwillig für eine Forschungsstudie an der Universität von Pennsylvania zur Verfügung. Die Wegbeschreibung führte mich zur Klinik auf dem Campus in West Philly und schließlich in einen großen Hörsaal, in dem jede Menge Frauen saßen, alle zwischen achtzehn und fünfunddreißig.
Es waren nicht ausreichend Stühle vorhanden, und da ich eine der Nachzüglerinnen war, musste ich mich fröstelnd auf den Boden hocken. Es gab kostenlosen Kaffee und Schokodonuts, und auf einem großen Bildschirm lief The Price Is Right, aber die meisten glotzten auf ihre Handys. Die Stimmung glich der im Warteraum einer Zulassungsstelle, außer dass wir stundenweise bezahlt wurden und mehr oder weniger alle recht froh darüber zu sein schienen, den ganzen Tag warten zu müssen.
Irgendwann erhob sich dann eine Ärztin in einem weißen Laborkittel und stellte sich uns vor. Sie sagte, ihr Name sei Susan oder Stacey oder Samantha und sie sei Gastmitglied im Programm für klinische Forschung. Sie las uns die üblichen Haftungsausschlüsse und warnenden Hinweise vor und erinnerte uns daran, dass die Entlohnung in Form von Amazon-Geschenkgutscheinen erfolgen werde, nicht in Form von Schecks oder Bargeld. Hier und da kam Gemurre auf, aber mir war das egal, denn ich hatte einen Freund, der mir Geschenkgutscheine für achtzig Cent pro Dollar abkaufte. Also war ich weiterhin bereit, teilzunehmen.
Alle paar Minuten rief Susan (ich glaube, sie hieß Susan?) einen Namen vom Zettel auf ihrem Klemmbrett auf, worauf eine von uns den Raum verließ. Niemand kam jemals zurück. Bald gab es reichlich freie Plätze, aber ich blieb auf dem Boden sitzen, weil ich befürchtete, mich bei der kleinsten Bewegung übergeben zu müssen. Mein ganzer Körper schmerzte, und ich hatte Schüttelfrost. Immerhin sprach sich irgendwann herum, dass man die Probanden nicht vorher untersuchte. Das hieß, niemand würde meinen Urin testen, meinen Puls messen oder sonst irgendwas tun, was mich aus dem Rennen geworfen hätte. Also schob ich mir eine 40er in den Mund und lutschte sie so lange, bis sich der wachsgelbe Überzug ablöste. Dann spuckte ich sie mir auf die Handfläche, zerdrückte sie mit dem Daumen und schnupfte etwa ein Drittel davon, gerade genug, um mich wieder auf Touren zu bringen. Den Rest wickelte ich in ein kleines Stück Folie für später. Danach hörte das Zittern auf, und auf dem Boden zu warten, war nicht mehr ganz so übel.
Etwa zwei Stunden später rief die Ärztin schließlich: »Quinn? Mallory Quinn?« Ich ging den Gang hinunter auf sie zu, wobei ich meinen schweren Winterparka hinter mir herschleifte. Falls sie bemerkte, dass ich high war, gab sie keinen Kommentar dazu ab. Sie fragte mich nur nach meinem Alter (neunzehn) und meinem Geburtsdatum (3. März) und verglich dann meine Antworten mit den Daten auf dem Zettel an ihrem Klemmbrett. Ich schätze mal, sie entschied, dass ich nüchtern genug war, denn sie führte mich durch ein Labyrinth von Fluren, bis wir zu einem kleinen, fensterlosen Raum gelangten.
In ihm saßen fünf junge Männer nebeneinander auf Klappstühlen. Da sie alle auf den Boden starrten, konnte ich ihre Gesichter nicht sehen. Ich ging davon aus, dass sie Medizinstudenten oder Assistenzärzte waren - sie trugen alle Krankenhauskittel, noch mit Bügelfalten und strahlend marineblau, als seien sie eben erst gekauft worden.
»In Ordnung, Mallory, bitte stellen Sie sich vorne in den Raum, mit dem Gesicht zu den Männern. Genau hier auf das X, perfekt. Bevor wir Ihnen eine Augenbinde anlegen, erkläre ich Ihnen kurz, was geschehen wird.« Ich sah, dass sie eine schwarze Augenmaske in der Hand hielt, so eine weiche aus Baumwolle, wie sie meine Mutter immer vor dem Schlafengehen aufsetzte.
Sie erklärte mir, dass die Männer im Moment alle auf den Boden starrten, in den nächsten Minuten jedoch meinen Körper ansehen würden. Meine Aufgabe sei es, die Hand zu heben, wenn ich das Gefühl hätte, einen »männlichen Blick« auf meinem Körper zu spüren. Ich solle meine Hand so lange erhoben halten, wie das Gefühl andauere, und sie wieder senken, wenn es verschwinde.
»Wir machen das fünf Minuten lang, aber wenn wir fertig sind, werden wir Sie vielleicht bitten, das Experiment zu wiederholen. Haben Sie noch irgendwelche Fragen, bevor wir beginnen?«
Ich fing an zu lachen. »Ja, habt ihr Typen Fifty Shades of Grey gelesen? Ich bin mir nämlich ziemlich sicher, dass das hier eine Szene aus Kapitel zwölf ist.«
Das war mein Versuch, die Sache mit ein wenig Humor aufzulockern. Susan lächelte, um höflich zu sein, aber keiner der Jungs achtete auf mich. Sie nestelten alle an ihren Klemmbrettern herum und synchronisierten ihre Stoppuhren. Die Stimmung im Raum war rein wissenschaftlich. Susan setzte mir die Schlafmaske auf und stellte den Verschluss so ein, dass sie nicht zu eng anlag. »In Ordnung, Mallory, sitzen Sie bequem?«
»Klar doch.«
»Und sind Sie bereit, anzufangen?«
»Ja.«
»Dann zähle ich jetzt bis drei, und wir legen los. Meine Herren, halten Sie Ihre Uhren bereit. Und eins, zwei, drei.«
Es ist total schräg, fünf Minuten lang mit verbundenen Augen in einem mucksmäuschenstillen Raum reglos zu verweilen und dabei zu wissen, dass diese Kerle einem auf die Titten oder den Hintern oder was auch immer schauen. Es gab keinerlei Geräusche oder Anhaltspunkte, die mir hätten helfen können, zu erraten, was geschah. Aber ich spürte es definitiv, wenn sie mich anschauten. Ich hob und senkte meine Hand mehrmals, und die fünf Minuten fühlten sich wie eine Stunde an. Als wir fertig waren, bat Susan mich tatsächlich, das Experiment zu wiederholen, und wir machten alles noch einmal. Dann bat sie mich sogar, das Experiment ein weiteres Mal zu wiederholen! Als sie mir schließlich die Augenbinde abnahm, standen alle Kerle auf und begannen zu klatschen, als hätte ich gerade einen Oscar gewonnen.
Susan erklärte, sie hätten das Experiment schon die ganze Woche mit Hunderten Frauen durchgeführt. Ich sei jedoch die erste, die ein nahezu perfektes Ergebnis abgeliefert und die Blicke in den drei Runden mit 97 Prozent Genauigkeit gemeldet habe.
Sie sagte den Jungs, sie sollten eine Pause machen, führte mich in ihr Büro und begann, Fragen zu stellen. Und zwar: Woher wusste ich, dass die Männer mich anstarrten? Mir fehlten die Worte, um das zu erklären - ich hatte es einfach mitbekommen. Es war so ein flattriges Gefühl am Rande meiner Wahrnehmung - eine Art Spidey-Superhelden-Sinn. Bestimmt haben Sie es auch schon mal gehabt und wissen genau, wovon ich spreche.
»Außerdem war da noch so eine Art Geräusch.«
Nun riss sie die Augen auf. »Wirklich? Sie hören etwas?«
»Manchmal schon. Es ist so ein hoher Ton. Wie wenn eine Stechmücke ganz nah am Ohr summt.«
Sie griff so hektisch nach ihrem Laptop, dass sie ihn fast fallen gelassen hätte. Dann tippte sie auf der Tastatur herum und fragte mich schließlich, ob ich in einer Woche für weitere Tests wiederkommen würde. Ich sagte ihr, für zwanzig Dollar die Stunde würde ich so oft wiederkommen, wie sie nur wollte. Ich gab ihr meine Handynummer, und sie versprach, mich anzurufen, um einen Termin zu vereinbaren. Aber noch am selben Abend tauschte ich mein iPhone gegen fünf Oxy-80er Tabletten ein. Sie hatte also keine Möglichkeit, mich zu erreichen, und ich habe seitdem nie wieder von ihr gehört.
Jetzt, da ich clean bin, bereue ich eine Million Dinge, und mein iPhone eingetauscht zu haben, ist das geringste Problem. Aber manchmal erinnere ich mich an das Experiment und denke dann darüber nach. Ich habe versucht, die Ärztin im Internet aufzuspüren, aber ich kann mich ja nicht einmal mehr an ihren korrekten Namen erinnern. Eines Morgens nahm ich mal den Bus zur Uniklinik und versuchte, den Seminarraum zu finden, aber der Campus sieht heute ganz anders aus; da stehen jede Menge neuer Gebäude, und alles ist total zugebaut. Ich habe versucht, Begriffe wie »Blickwahrnehmung« bei Google zu suchen, aber jedes Ergebnis besagt, dass so ein Gespür kein nachweisbares Phänomen ist - es gibt keinen Beweis dafür, dass jemand »Augen im Hinterkopf« hat.
Ich schätze mal, ich habe mich damit abgefunden, dass das Experiment nicht wirklich stattgefunden hat. Es ist vermutlich eher eine der vielen nicht...
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