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Am 6. November 2024 wachten die Europäer auf und mussten feststellen, dass Donald Trump eine zweite Amtszeit als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika gewonnen hatte, und das nicht einmal knapp. Damit saß ein Isolationist mit autoritären Tendenzen wieder im Weißen Haus, während an Europas Grenzen Krieg herrschte. Nach der ersten Wahl Trumps blickte eine besorgte Welt auf Deutschland und Angela Merkel als Vorreiterin der liberalen Demokratie. Doch acht Jahre später sind diese Illusionen verschwunden.
Als die Nacht über Berlin hereinbrach, trafen sich die führenden Mitglieder der Regierungskoalition von Olaf Scholz, um einen Haushalt auszuarbeiten, wohl wissend, dass mit Trumps Rückkehr noch mehr auf dem Spiel stand. Es klaffte bereits eine Finanzierungslücke von rund 15 Milliarden Euro, und der Ausgabenplan musste die schleppende Wirtschaft angesichts einer drohenden Handelskriege mit den USA und China wieder ankurbeln. Deutschland sah sich auch einem größeren Druck ausgesetzt, die Verteidigungsanstrengungen der Ukraine weiterhin zu unterstützen, da das transatlantische Bündnis schwächer war als jemals zuvor seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Nach monatelangem öffentlichem Gezänk flammten die Spannungen auf. Statt eines nüchternen Kompromisses entließ ein emotional aufgeladener Scholz den Finanzminister Christian Lindner und brachte seine eigene Regierung zu Fall. Anstatt sich für den Moment zu sammeln, zersplitterten die Parteien, die bei ihrer Machtübernahme 2021 »Fortschritt« versprochen hatten. Anstatt als Anker für Europa zu dienen, ist Deutschland eingeknickt. Nach einem heftigen Schlagabtausch stellte Scholz ein Ultimatum, und Lindner wich aus. Nach einem langen Moment fassungslosen Schweigens, als die Tragweite des Ausbruchs klar wurde, sagte Scholz zu Lindner: »So. Doof.«
Das Scheitern der ungeliebten Ampelkoalition mag zwar als Einzelfall betrachtet werden, ist es aber nicht. Fast die gesamte Nachkriegszeit über konnte Deutschland mit ordentlichen Zweiparteienbündnissen auskommen. Doch diese Zeiten sind vorbei, denn der politische Mainstream ist dauerhaft zersplittert. Alle Parteien, einschließlich der CDU, haben dazu beigetragen, dass Deutschland allmählich in die Fragmentierung abdriftet. Auch wenn die Rückkehr der Partei von Angela Merkel und Helmut Kohl an die Macht wie eine Wiederbelebung der Stabilität erscheinen mag, sind die zugrunde liegenden Trends immer noch vorhanden.
Die Gesellschaft hat sich verändert, und die alten politischen Parteien haben Mühe, sich anzupassen, und verlieren an Legitimität, da immer mehr Deutsche mit einem System zu kämpfen haben, das gegen sie gerichtet ist. Die Zahl derer, die nach Antworten suchen, ist gewachsen, und die politische Klasse hat sie nicht geliefert. Wähler in anderen Ländern mögen das als normal ansehen, aber die Deutschen sind nicht apathisch. Sie erwarten von ihren gewählten Vertretern, dass sie den Gesellschaftsvertrag einhalten - insbesondere, dass sie für Grundbedürfnisse und Sicherheit sorgen. Doch anstatt Visionen zu entwerfen, wohin Deutschland gehen soll, haben sich die etablierten Parteien darauf verlegt, sich gegenseitig zu beschimpfen und sich um die erodierende politische Mitte zu balgen. Dies ist eine Folge der steigenden wirtschaftlichen Ängste und der sozialen Spaltung, die durch eine unterentwickelte nationale Identität begünstigt wird. Sie hat Raum für die Sirenengesänge von Randgruppenpolitikern geschaffen hat, die einfache Antworten versprechen.
Dieses Abdriften in die Extreme zeigte sich bei den Wahlen in Thüringen, wenige Wochen vor dem Showdown in Berlin. Dort wurde die erste deutsche Demokratie gegründet, aber auch der Nationalsozialismus hatte hier eine frühe Hochburg. Ein Jahrhundert später steht das Land aus den falschen Gründen wieder an der Spitze der nationalen Politik. Bei den Wahlen im September 2024 wurde erstmals in der Nachkriegszeit eine rechtsextreme Partei unter der Führung eines charismatischen Führers stärkste Kraft in einem Bundesland. Der erfolgreiche Wahlkampf der Partei im grünen Herz Deutschlands wurde von dem rechtsextremistischen Provokateur Björn Höcke angeführt, der wegen der Verwendung von Slogans aus der Nazizeit zu einer Geldstrafe verurteilt wurde und per Gerichtsurteil als »Faschist« bezeichnet werden kann.[354] Der Thüringer Landesverband der Partei - vom Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextremistisch eingestuft - leitete sein Wahlprogramm mit einem Text von Franz Langheinrich ein, einem Lyriker, der als begeisterter Anhänger der Nazis bekannt war. Die AfD fordert in ihrem Programm unter anderem die Beendigung der »staatlich geförderten illegalen Einwanderung«, weil sie die »innere Verbundheit« der Nation gefährde und das »Recht auf Heimat« bedrohe. Mit anderen Worten: Die Partei hat diesen historischen Meilenstein nicht trotz ihres Appells an den deutschen »Blut und Boden«-Nationalismus erreicht, sondern gerade deswegen. Der Vormarsch war möglich, weil alternative Konzepte der deutschen Identität nicht ausreichend gepflegt wurden.
Wenn das das einzige Problem wäre, das aus der Thüringer Wahl hervorgegangen ist, wäre das schlimm genug. Aber es gibt noch mehr. Das pro-russische Bündnis Sahra Wagenknecht (das erst im Januar 2024 von der opportunistischen linken Politikerin gegründet wurde) erhielt genug Zustimmung, um mehr Stimmen als alle drei Parteien der Regierungskoalition von Bundeskanzler Olaf Scholz zusammen zu erhalten. Zur Zeit der noch bestehenden DDR war Wagenknecht Mitglied der Einheitspartei SED gewesen, anschließend war sie im Vorstand der Nachfolgepartei PDS. Aber in der sonst so behäbigen deutschen Politik brauchte sie nur neun Monate, um die älteste Partei Deutschlands und ihre Verbündeten in den Schatten zu stellen. Alles, was das BSW brauchte, war ein angstbesänftigendes Programm, das unter anderem die Beschwichtigung Russlands und die Besteuerung der Reichen vorsah, vor allem aber, dass es nicht zum politischen Establishment gehörte. Die einzige etablierte Partei, die es unter die ersten drei schaffte, waren die Christdemokraten. Die Wahl war das bisher deutlichste Zeichen dafür, dass die lang gehegte politische Stabilität in Deutschland zusammengebrochen ist.
Thüringen war kein Ausreißer. Im benachbarten Sachsen waren die Ergebnisse nur etwas weniger gravierend. Die konservativen Christdemokraten gewannen knapp die meisten Stimmen vor der AfD und dem BSW auf Platz drei. Diese Störung trat trotz Milliardeninvestitionen in Halbleiterwerke in und um Dresden im sogenannten »Silicon Saxony« auf, was den Gedanken unterstreicht, dass die politische Zersplitterung Deutschlands nicht ausschließlich auf wirtschaftliches Wohlergehen zurückzuführen ist, sondern dass nationale Ängste das öffentliche Bewusstsein beeinflussen.
Kurzum: Das Haus Deutschland ist gespalten und wird es immer mehr, denn die Anspannung und die Angst vor klirrenden Rohren und zugigen Räumen verunsichern die Bewohner.
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