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»Ich denke gern« - Anmerkungen zur Führungsphilosophie Reinhard Mohns
MARTIN SPILKER
»Ich war immer davon überzeugt, dass ein wirtschaftlich erfolgreicher Unternehmer - unabhängig von der Größe seines Betriebes - bereit sein muss, für die ihm anvertrauten Menschen soziale Verantwortung zu übernehmen.«1
Am 29. Juni jährte sich der Geburtstag von Reinhard Mohn zum 100. Mal. Ein Mann, der in einem Zeit-Artikel einst mit dem Attribut »Jahrhundertunternehmer« geehrt wurde. Dies ist Anlass genug, ausgewiesene Aspekte seiner Führungsphilosophie zu reflektieren. Vorweg sei angemerkt: Diese Gedanken müssen angesichts der Biografie und des Wirkens Reinhard Mohns unvollständig bleiben. Und sie sind durch die Betrachtung aus der Sicht eines ehemaligen Mitarbeiters immer auch subjektiv.
Meine erste Begegnung mit Reinhard Mohn vor über 30 Jahren ist mir in bleibender Erinnerung: Es war mein Bewerbungsgespräch - und schon fünf Minuten nach dessen Ende erhielt ich die Zusage. Bemerkenswert war dabei, wie gut er Menschen durch präzise Fragen erfassen konnte und dann zu schnellen Entscheidungen kam. Eine andere Besonderheit ist ebenfalls in Erinnerung geblieben: Reinhard Mohn ließ sich eine Schriftprobe geben, die er selbst grafologisch analysierte.
Aus dieser ersten Begegnung wurde eine über 20-jährige Zusammenarbeit mit einem regelmäßigen Austausch zu Führung, Tarifpolitik und Unternehmenskultur. Dazu kam die Betreuung der Gremienarbeit der Stiftung. Da konnte es schon mal vorkommen, dass Reinhard Mohn mit dem Satz lobte: »Übrigens, ich bin ein Anhänger ihrer Protokolle: kurz und auf den Punkt!« Tatsächlich war sein Anspruch, selbst komplexe Sachverhalte knapp - auf ein bis zwei Seiten - zu komprimieren.
Deutlich wurde sein Denken und Handeln bei der Ausrichtung erster gemeinsamer Veranstaltungen, etwa den sogenannten Gütersloher Gesprächen, einem vertraulichen Dialog zwischen den Spitzen deutscher Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, in den er sich immer mit eigenen Thesenpapieren einbrachte. Allerdings blieb es für ihn als Unternehmer oft suspekt, wenn die Sozialpartner manche Vorschläge als eine Mitgliederorganisation nicht sofort umsetzen konnten.
Auch die Kooperation mit der Hans-Böckler-Stiftung zu Fragen einer zeitgemäßen Unternehmenskultur war zunächst von einem inhaltlichen Abtasten geprägt. So verlieh Reinhard Mohn mit Verweis auf einen Passus »Förderung der Demokratie am Arbeitsplatz« seiner Skepsis Ausdruck: »Wie soll das zielführend sein? Wollen wir erst im Betrieb abstimmen, ob wir eine Investition in einem Land tätigen?« Am Ende stand dann eine zehnjährige vertrauensvolle, erfolgreiche Zusammenarbeit.
Es war bezeichnend, dass es am Anfang mancher Kooperation inhaltlich zunächst ruckelte. Projektmanagement von der Stange wäre nicht sein Ding gewesen. Nicht umsonst ist die Bertelsmann Stiftung eine operativ arbeitende Organisation, die quasi unternehmerisch alle Projekte im hohen Maße mitgestaltet. Für Mohn war es immer wichtig, seine Sichtweise auf ein Thema deutlich zu machen und dieses persönlich zu gestalten. Auch hier zeigte sich sein Unternehmergeist.
»Meine Erfahrungen im Krieg und im Wiederaufbau brachten mich zu der Überzeugung, dass Gerechtigkeit und Menschlichkeit die Grundlage unserer betrieblichen Gemeinschaft bildeten.«
Um sich dem Phänomen Reinhard Mohn zu nähern, muss man allerdings einige Zeit zurückgehen und seine Erfahrungen berücksichtigen - zunächst mit Diktatur und Kriegszeit, dann die Zeit in den USA als Kriegsgefangener mit dem Erleben von Demokratie und Freiheit. Diese und schließlich die Gemeinschaftserlebnisse beim Wiederaufbau des Unternehmens in den Nachkriegsjahren waren es, die Mohns Haltung prägten. In ihnen erkannte er auch Faktoren für unternehmerischen Erfolg.
Seine Führungsphilosophie basiert auf der grundlegenden Überzeugung, dass die Identifikation mit dem Unternehmen, mit dessen Zielen und den eigenen Aufgaben die Motivation und Kreativität freisetzt, um im Wettbewerb erfolgreich zu bestehen. Dabei war Mohn weit davon entfernt, Unternehmenskultur und Führungsinstrumente einfach auf dem Reißbrett theoretisch zu planen. Für ihn stand das Ausprobieren neuer Ideen im Vordergrund - nach dem Prinzip: weiterverfolgen, was sich bewährt hat; sein lassen, was sich nicht bewährt hat.
Von dem Management-Vordenker Peter Drucker ließ Mohn sich schon früh zu dem grundlegenden Verständnis inspirieren, dass das oberste Ziel eines Unternehmens der Leistungsbeitrag für die Gesellschaft sein sollte. Oft zitiert und wohl noch öfter missverstanden. Denn dieses Ziel darf nicht dahingehend ausgelegt werden, dass Unternehmen nur noch und ausschließlich gesellschaftliche Initiativen forcieren oder soziale Projekte unterstützen sollen.
Würde man den Ansatz für die heutige Zeit adaptieren, ließen sich meines Erachtens vier wesentliche Eckpunkte identifizieren, die nach wie vor den Bezugsrahmen für eine nachhaltige Unternehmensführung bilden könnten: (1) Mitarbeitenden anständige Arbeitsbedingungen bieten, (2) der Kundschaft einen ausreichenden Nutzen stiften, (3) die Geschäftspartner:innen fair behandeln und (4) Gesellschaften mit ihren Kulturen und Gesetzen respektieren.
Mohn orientierte sich dabei nicht nur an der Forderung »Eigentum verpflichtet« aus dem Grundgesetz. In vielen Gesprächen und Vorträgen betonte er immer wieder, dass er »viele Ressourcen aus der Gesellschaft erhalten habe und deshalb der Gesellschaft etwas zurückgeben« wolle. Neben der Sicherung der Unternehmenskontinuität durch die Übertragung von Gesellschafteranteilen sowie steuerlichen Aspekten lag hierin ein Motiv für die Gründung der Bertelsmann Stiftung.
»Mir wurde bewusst, dass die Verantwortung des Einzelnen nicht von der Verantwortung des Unternehmens für die Gesellschaft zu trennen ist.«
Dabei sah Reinhard Mohn gerade auch in der Sicherung der Kontinuität seines Unternehmens einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft. Für ihn war klar: Sein Unternehmen braucht wie jedes andere zum Überleben Umsatz, Gewinn und Rendite. Wie man diese allerdings erwirtschaftete - da ging er seinen eigenen, den partnerschaftlichen Weg. Und damit grenzte er sich ab von anderen erfolgreichen Unternehmer:innen seiner Zeit mit einer zentralistischen Führung - daher die Bezeichnung »der rote Mohn«.
Gewinne - so formulierte er es oft in seinen Büchern oder Vorträgen - sind kein Selbstzweck, sondern lediglich ein Maßstab für unternehmerischen Erfolg. Reine Gewinnmaximierung blieb ihm suspekt. Trotzdem war ihm klar, dass das Überleben des Unternehmens unter Umständen schwierige unternehmerische und persönliche Entscheidungen erforderlich machte. Aber gerade deshalb verknüpfte er zeit seines Unternehmerlebens immer Unternehmertum mit Verantwortung.
Im Zusammenhang mit der Sicherung der Kontinuität sei auch erwähnt, dass Reinhard Mohn bei Nachfolgeregelungen ein Verfechter von Altersgrenzen war. So übergab er selbst den Vorstandsvorsitz bei Bertelsmann mit Erreichen seines 60. Lebensjahres, um in den Aufsichtsrat zu wechseln. Sein Mandat dort als Vorsitzender gab er mit dem 70. Lebensjahr ab. Man kann über die Höhen von Altersgrenzen diskutieren, doch gab Mohn auch hier früh der Debatte Anstöße.
Partnerschaft bedeutete für ihn stets, dass Führung und Mitarbeitende in einer Gemeinschaft mit Rechten und Pflichten agieren und dass eine Unternehmenskultur immer ein Geben und Nehmen beinhaltet. Voraussetzung für die Leistungsfähigkeit des Unternehmens sowie die Motivation seiner Führung und Mitarbeitenden wären neben der Identifikation mit dem Unternehmen und den jeweiligen Aufgaben auch die Formulierung gemeinsam vereinbarter Umsatz-, Gewinn- und Renditeziele.
»Ich war und bin der Auffassung, dass man seinen Mitarbeitern und Führungskräften zuerst immer mit Vertrauen begegnen sollte, um die Kräfte der Motivation und des Engagements für die Ziele des Unternehmens freizusetzen.«
Viele ehemalige Führungskräfte aus seinem Umfeld erinnern sich noch daran, dass ein besonderes Merkmal der Führungsphilosophie Reinhard Mohns sein unglaublicher Vertrauensvorschuss war, den er grundsätzlich erst einmal Führungskräften wie auch Mitarbeitenden entgegenbrachte - natürlich immer mit einem gewissen Maß an Kontrolle. Unternehmerische Freiräume und Eigeninitiative bedeuteten auch bei ihm nicht, dass alle machen konnten, was sie wollten.
In Gesprächen formulierte er oft den Gedanken des »Mittelstandes im Unternehmen«. Dabei gestand er Profit-Center-Leitungen die Autonomie zu, gemäß deren Qualitäts- und Preisanforderungen auch bei externen...