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Die anderen Paare tanzten weiter, und das machte es mir unmöglich, den geheimnisvollen Kavalier wiederzufinden. Ich nahm alle Männer in meinem Blickfeld unter die Lupe, aber ich sah alles nur verschwommen. Mein Herz pochte wild. Ich hatte nicht so viel getrunken, dass ich halluzinierte. Da sah ich ihn. Er trat aus der festlich gekleideten Menge heraus und strebte auf den Ausgang zu. Eiligen Schrittes kämpfte ich mich durch die vielen Menschen, die mir im Weg standen. Ich nutzte meine Erfahrung als Pedro Liébana und fuhr die Ellenbogen aus, um mir einen Weg zu bahnen. Ich konnte ihn nicht einfach so gehen lassen. Ich musste wissen, um wen es sich handelte. Ob er es war?
Zwischen all den Pelzen und glitzernden Stoffen entdeckte ich auf einmal sein Jackett. Ich folgte ihm bis zu einem Gang fernab von dem Trubel. Es war niemand zu sehen. Die Geräusche aus dem Ballsaal hörte man nur noch von ferne. Offenbar handelte es sich um den Bereich des Theaters, in dem sich die Garderoben und die Requisite befanden. Eine Tür war nur angelehnt. Ich atmete tief ein und ging entschlossen hinein.
Es roch nach Feuchtigkeit, Leim und Farbe. In dem Raum war niemand, man sah nur Werkzeuge und halbfertige Bühnendekorationen. Resigniert stellte ich die Suche ein. Ich sollte die Finger vom Champagner lassen. Es brachte nichts, Gespenstern hinterherzujagen. Doch bevor ich den Raum verließ, bedeckte jemand von hinten meine Augen. Wie erstarrt blieb ich stehen. Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Die sanfte Berührung der Hände, der Duft, das konnte nur er sein. Lächelnd drehte ich mich um. Ich trat auf ihn zu, stellte mich auf die Zehenspitzen und nahm ihm die Maske ab.
»Du bist zurück«, sagte ich.
Ich ließ ihm keine Zeit zu antworten, sondern fiel ihm in die Arme, als hinge von dem Augenblick mein gesamtes Leben ab. Er erwiderte meine Umarmung. Ich krallte meine Hände in sein Jackett und zog ihn fester an mich. Er war zurück! Er stand vor mir. Er hatte sich kaum verändert. Sein Haar, seine Augen, sein Lächeln . Und doch war etwas anders. Die vielen Abenteuer, die rastlosen Jahre im Ausland hatten ihre Spuren hinterlassen, aber so gereift wirkte er noch interessanter. Da fiel mir wieder ein, dass ich ja nicht allein auf dem Fest war. Ich löste mich aus der Umarmung.
»Elisa?«, rief eine Stimme im Flur.
Ich erschrak. Es war Francisco.
»Elisa, Liebes. Wo steckst du?«
»Es ist Francisco«, flüsterte ich. »Ich muss gehen. Bleibst du in Madrid?«
»Ja, keine Sorge. Ich werde einen Weg finden, dich wiederzutreffen.«
»Das hoffe ich.«
»Elisa? Bist du da?«
Ich blieb stehen und sah ihn noch einmal an.
»Ich kann nicht glauben, dass du hier bist. Ich bin überglücklich, dich zu sehen«, gestand ich lächelnd.
Bevor Francisco uns entdeckte, trat ich auf den Flur hinaus.
»Wo hast du nur gesteckt, Elisa?«
»Entschuldige, Liebling, ich habe mich auf der Suche nach der Toilette verlaufen. Das ist alles so unübersichtlich hier .«, erwiderte ich.
»Du hättest doch eine der anderen Damen fragen können. Ich sehe es nicht gern, wenn du allein unterwegs bist. Zum Glück hat mein Bruder mir gesagt, dass er dich hat davonrennen sehen.«
»Ja, gewiss, Liebling.«
Der Ball war nicht mehr derselbe. Olivier war in der Stadt. Ich kehrte zu den Gesprächen mit meiner Tante, Doña Asunción und den anderen zurück, hörte ihnen aber kaum zu. Ich dachte nur noch an ihn. Würde ich ihn wiedersehen? Bei der Vorstellung, dass wir uns wieder direkt gegenübersitzen würden, lief mir ein wohliger Schauer über den Rücken. Die Zeit der Briefe war vorbei. Ich trug ein Lächeln auf dem Gesicht, das mich begleitete, bis ich zu Bett ging. Es fiel niemandem auf, aber vielleicht dachte Francisco ja, er sei der Grund. Ach, sie hatten ja alle keine Ahnung. Wie auch, ich verstand mich ja selbst nicht.
* * *
Ein zarter Sonnenstrahl verkündete, dass es Zeit zum Aufstehen war. Charitos Geträller verlieh der Botschaft den erforderlichen Nachdruck. Ich blieb trotzdem noch ein Weilchen liegen, starrte an die Decke und ließ die Ereignisse der vergangenen Nacht noch einmal Revue passieren. Zu wissen, dass er in der Stadt war, erzeugte in mir einen inneren Jubel, auch wenn ich nicht wusste, wo genau er sich aufhielt.
Wie üblich verwendete ich viel Zeit auf meine Morgentoilette. Ich wählte eines der wunderschönen Kleider aus dem Atelier von Doña Bruna aus und zog einen Pelzmantel darüber. Dann sagte ich den Hausmädchen, ich wäre zum Essen zurück, und verschwand. José Carlos begrüßte mich mit der üblichen aufgesetzten Freundlichkeit und fügte ein dezentes Kompliment hinzu: »Sie sehen großartig aus, Doña Elisa. Man merkt Ihnen an, dass Sie gut aufgelegt sind.«
»In der Tat, José Carlos, ich bin bestens aufgelegt.«
»Wie immer?«
»Ja, wie immer.«
Er startete den Panhard und kämpfte sich durch die Straßen, in denen sich Fußgänger und Kutschen auf der Fahrbahn drängten. Es war der reinste Spießrutenlauf. Nach wenigen Minuten hatten wir die Calle Velázquez erreicht. Beschwingter als sonst stieg ich aus dem Wagen und verschwand im Café. Gervasio servierte mir den Tee mit Zitrone und legte ein Exemplar von Le Figaro auf meinen Tisch. Wie zu erwarten, fand sich kein Artikel von Olivier darin. Keine Spur, die mich zu ihm führte. Meine Lippen berührten die warme Flüssigkeit in der Tasse mit den rosafarbenen Blüten. Ich blickte auf die Wanduhr. Ich hatte noch dreißig Minuten zu meiner freien Verfügung, bis José Carlos mich wieder abholte.
Ich brauchte Informationen, und so nahm ich meine Sachen und ging entschlossenen Schrittes zum Eingangsportal von El Demócrata. Casimiro war überrascht, mich zu sehen, er hatte ja keine Ahnung, dass ich mich manchmal bei den Briefkästen herumtrieb, wenn er anderweitig beschäftigt war. Zuvorkommend holte er den Aufzug und wünschte mir einen schönen Vormittag. Was war das für ein schönes Gefühl zurückzukehren! Ich war ein wenig nervös. Es war das erste Mal, dass ich die Redaktion betrat, seit ich mich vor meiner Hochzeitsreise nach Wien von allen verabschiedet hatte.
Ich klopfte zweimal an die Tür, wie an jenem Morgen im Sommer 1918, in dem ich die wunderbare Welt der Zeitung zum ersten Mal betreten hatte. Mit meinem Besuch hatte niemand gerechnet. Ich wurde mit Fragen über mein neues Leben in der High Society Madrids bestürmt. Man stellte mich den beiden neuen Redakteuren vor, Eusebio Quijano und Rosauro Mínguez. Sie gaben ein witziges Paar ab: Der eine war lang und schlaksig, und der andere brachte es gerade mal auf ein Meter fünfzig. Quijano unterstützte López im Kulturressort, Mínguez war für die Lokalnachrichten zuständig und was sonst noch so anfiel. Fernández, Morales, López und Simón hatten sich überhaupt nicht verändert. Sie saßen mit Zigarre im Mund an ihren abgenutzten Schreibmaschinen, lieferten sich Wortgefechte und fluchten, was das Zeug hielt. Angelockt von dem Aufruhr kam Señora Idiazábal aus dem Sekretariat. Sie freute sich, mich zu sehen, konnte aber einen Hauch von Neid angesichts meines gesellschaftlichen Aufstiegs nicht verhehlen. Wenig später gesellte sich auch der Buchhalter Alberto Villarroy zu uns, der mir gegenüber dieselbe Liebenswürdigkeit und väterliche Zuneigung an den Tag legte wie immer.
»Sie sehen fantastisch aus, Elisa. Man sieht Ihnen an, dass Sie eine gute Partie gemacht haben!«, rief Morales.
»Ja, meine Liebe, Sie verfügen über einen exquisiten Geschmack.«
»Vielen Dank Ihnen allen. Aber lassen Sie sich durch die Kleider nicht täuschen. Ich bin immer noch dieselbe.«
»Na ja, dieselbe . Ich wünschte, ich könnte mir auch ein solches Kleid und so einen Mantel leisten. Ist das ein Fuchspelz?«, fragte Señora Idiazábal und fasste prüfend mit Zeigefinger und Daumen an den Ärmel.
»Äh . Das weiß ich gar nicht, Doña Carmen. Aber wie läuft es denn mit Ihrem Roman, Fernández?«
»Er ist fast fertig, Doña Elisa.«
»Ja, ja, das sagt er schon seit zwei Jahren. Hören Sie doch auf zu lügen, Fernández. Wir alle wissen, dass Sie das mit dem Roman nur behaupten, um die Frauen zu verführen«, frotzelte López.
Alle lachten auf Kosten des armen Fernández.
»Nun, ich möchte Sie nicht länger bei der Arbeit stören, nachdem ich schon unangemeldet hier hereingeplatzt bin. Ist Don Ernesto in seinem Büro?«
»Ja, er ist vor mehr als einer Stunde gekommen und hat seitdem das Büro nicht verlassen«, sagte Señor Villarroy.
»Gehen Sie ruhig hinein, Doña Elisa. Er wird sich sicher sehr freuen, Sie wieder einmal hier zu sehen. Wir haben Sie sehr vermisst«, animierte mich Fernández.
»Na schön. Dann gehe ich mal zu ihm«, erwiderte ich lachend.
Vorsichtig öffnete ich die Tür. Don Ernesto saß am Schreibtisch, vertieft in seine Unterlagen. Er blickte auf, weil der Boden knarzte.
»Elisa, Liebes!«, rief er freudig. »Tritt ein, mein Kind, tritt ein.«
Ich ließ mich nicht lange bitte und nahm auf dem Stuhl Platz, auf dem ich so oft als Pedro Liébana gesessen und den Schnaps getrunken hatte, den Don Ernesto mir eingeschenkt hatte, ohne zu wissen, wer da in Wahrheit vor ihm saß. Ich erzählte ihm, dass ich mich endlich dazu entschlossen hätte, der Redaktion und meinen ehemaligen Kollegen einen Besuch abzustatten. Er lobte meinen Entschluss und betonte, wie sehr ich ihnen fehlte. Offenbar hatten sie in den Jahren einige junge Damen zum Bewerbungsgespräch für meine ehemalige Stelle...
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