Schweitzer Fachinformationen
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Jeder Mensch wird von Zeit zu Zeit zum Opfer seiner eigenen Erwartungen. Das ist mir bewusst.
Je ausgeprägter das Anspruchsdenken und je größer das Ego, desto leichter ist jemand zu blenden und hinters Licht zu führen. Mein Vater hat mir nicht viel Nennenswertes beigebracht, aber das habe ich immerhin von ihm gelernt. Doch obwohl ich es weiß, bin auch ich nicht immer davor gefeit.
So wie heute, zum Beispiel.
Klar, ich hätte das Missverständnis auch auf meine Müdigkeit schieben können. Ich hatte drei Stunden hinter dem Steuer gesessen und war seit Sonnenaufgang auf den Beinen. In der Nacht zuvor hatte ich kaum geschlafen, auch wenn der Grund meiner Schlaflosigkeit ein durchaus angenehmer gewesen war.
Aber nein, letzten Endes war nicht die Müdigkeit schuld, sondern einzig und allein meine blödsinnigen Erwartungen.
»Du hast was gut bei mir.«
Ich hörte das Klirren von Gläsern am anderen Ende der Leitung. Es verriet mir, dass Hank im Pink Pony war und dort die Spuren der letzten Nacht beseitigte.
»Red keinen Quatsch.« Ich zog die Brauen hoch und rieb mir ein Auge, um die Müdigkeit zu vertreiben. Vielleicht war es keine gute Idee, beim Fahren über die Freisprechanlage zu telefonieren. Andererseits kannte ich diese Straßen gut. Wahrscheinlich hätte ich mich sogar mit verbundenen Augen zurechtgefunden.
»Doch, doch.« Das Gläserklirren verstummte, und Hanks Tonfall nahm eine feierliche Note an. »Du weißt, dass ich das niemandem außer dir hätte anvertrauen können. Also - ich schulde dir was.«
Hank Weller, ein guter Freund seit der Grundschule und Inhaber des örtlichen Stripclubs, achtete darauf, sich für jeden Gefallen, den man ihm tat, möglichst zeitnah zu revanchieren. Und ich hatte ihm gerade einen Gefallen getan. Er hatte in Nashville einen 1956er XK 140 Jaguar mit Originalmotor und -karosserie aufgetan, den er unbedingt haben wollte. Ich hatte ihn für ihn abgeholt und nach Green Valley transportiert.
Für mich war das eine Selbstverständlichkeit gewesen. Hank war, abgesehen von meinem Zwillingsbruder, mein engster Freund. Der Trip nach Nashville hatte mir die Möglichkeit gegeben, eine gewisse Frau zu besuchen, die ich schon länger nicht mehr gesehen hatte, und außerdem vollbrachte ich gerne gute Taten für gute Menschen. Kein Ding.
»Lass mich einfach am Mittwoch die dicksten Fische fangen, dann sind wir quitt«, sagte ich mit einem lautlosen Gähnen.
»Ich mache sogar noch mehr als das. Als Zeichen meiner Dankbarkeit habe ich da was arrangiert. In der Werkstatt wartet eine Kleinigkeit auf dich.«
Bei diesen Worten schrillten umgehend meine inneren Alarmglocken.
»Was für eine Kleinigkeit?«
»Wirst schon sehen.«
Ich hörte das Grinsen in seiner Stimme. Der Mann konnte sich einfach kein Grinsen verkneifen, das hatte er schon als Kind nicht gekonnt, selbst wenn ihm dieses Grinsen einen Heidenärger eingebracht hatte.
»Wird Cletus sich darüber aufregen?«
Cletus war mein älterer Bruder, Mitinhaber des Winston Brothers Auto Shop und der Drittälteste von insgesamt sieben Geschwistern. Ich selbst war Nummer fünf und die Hälfte eines eineiigen Zwillingspaars. Laut Aussagen meiner Mutter war ich wenige Sekunden vor meinem Bruder Duane geboren worden - mit einem Lächeln im Gesicht, wohingegen Duane seine Ankunft auf der Welt mit empörtem Geschrei kundgetan hatte.
Normalerweise hatte ich kein Problem damit, wenn Hank Cletus wütend machte. Normalerweise hatte ich kein Problem damit, wenn irgendwer Cletus wütend machte - solange ich es nicht selbst war. Cletus konnte sehr unterhaltsam sein, wenn er wütend war. Aber an diesem Morgen stand mir nicht der Sinn nach einem wütenden Cletus. Jedenfalls nicht, ehe ich ein Nickerchen gemacht und einen Happen gegessen hatte. Ich konnte mich gar nicht mehr erinnern, wann ich zuletzt etwas zwischen die Zähne bekommen hatte .
»Nein, eigentlich dürfte es Cletus nicht weiter stören. Jedenfalls nicht direkt.«
Nicht direkt. Wie ist das denn bitte zu verstehen?
Ein Rascheln drang aus der Leitung, als hätte sich Hank das Telefon zwischen Kopf und Schulter geklemmt, wo es nun gegen seinen Bart rieb. »Wenn du sie siehst, wirst du es schon verstehen.«
»Sie?« Fast hätte ich mich verschluckt. »Oh nein, nicht schon wieder.«
»Viel Spaß«, wünschte er mir mit diebischer Freude. Der Mistkerl.
»Was hast du getan?« In meinem Kopf lief augenblicklich das Gedankenkarussell an. Eine leise Hoffnung keimte in mir auf, dicht gefolgt von Unbehagen.
Vielleicht war er ja hinter mein Geheimnis gekommen. Vielleicht hatte er dafür gesorgt, dass Darlene mich hier besuchte. Andererseits: Sie hatte gestern Abend nichts davon erwähnt, und als ich gegangen war, hatte sie tief und fest geschlafen.
Nein. Sie konnte es unmöglich vor mir nach Green Valley geschafft haben.
Außerdem wusste Hank nichts von Darlene. Glaubte ich wenigstens. Ja, ich war mir ziemlich sicher, dass er nichts von ihr wusste. Zu zweiundachtzig Prozent sicher.
Die Sie, von der er gesprochen hatte, musste also jemand anders sein.
»Bye«, war alles, was er noch sagte, ehe er auflegte.
»Scheiße.« Ich schlug mit den flachen Händen auf das Lenkrad und knirschte mit den Zähnen.
Das konnte nur eins bedeuten.
Na ja, letztendlich ist eine Stripperin doch nicht so schlimm. Er hätte auch wieder versuchen können, dir ein Boot zu schenken.
Verstehen Sie mich nicht falsch, ich mochte Hanks Angestellte, zumindest die meisten. Aber ich versuchte, dieses Kapitel meines Lebens hinter mir zu lassen. Ich wollte mich Darlene gegenüber würdig erweisen und ihr zeigen, dass ich der Mann war, den sie sich wünschte - ein Mann, mit dem sie sich eine feste Beziehung vorstellen konnte.
Es ging auch nicht darum, dass ich Angst hatte, sie könnte auf Umwegen herausfinden, dass Hank mir eine Stripperin in die Werkstatt geschickt hatte. Es reichte vollkommen aus, dass ich von dieser Stripperin wusste. Ich würde mich verpflichtet fühlen, es ihr zu beichten. Und ich konnte mir weiß Gott angenehmere Unterhaltungen vorstellen.
Noch etwa eine Meile bis zur Werkstatt. Ich war nervös und verunsichert. Darlene gefiel es ohnehin nicht, dass ich mich mit Hank abgab. Oder mit seinen weiblichen Angestellten.
Aber Hank war ein guter Freund. Zugegeben: ein guter Freund, der zum Exzess neigte. Einmal hatte er versucht, mir eine Jacht zu schenken. Ich hatte diesem Wahnsinn gleich ein Ende gesetzt, indem ich mich weigerte, die entsprechenden Papiere zu unterschreiben. Vor zwei Jahren hatte er mir eine Rolex gegeben, die bestimmt mehr gekostet hatte als alle meine irdischen Besitztümer zusammengenommen. Ich hatte das Ding nie getragen. Gold besaß hervorragende elektrische Leitfähigkeiten, das war mir zu heikel.
Sosehr ich mich auch bemühte, ich konnte ihn nicht davon abbringen, mir immer wieder aufs Neue Geschenke zu machen. Das war jetzt mittlerweile das fünfte Mal, dass er mir zum Dank eine Sie vorbeischickte. Vor drei Jahren hatte er mich das erste Mal beglückt. Ich war von einem Trip nach Nashville zurückgekommen, und bei meiner Ankunft auf dem Werkstatthof hatten mich vier Stripperinnen in Bikinis begrüßt, die unter vollem Körpereinsatz Autos wuschen. Damals war ich einundzwanzig Jahre alt und Single gewesen, deshalb hatte mich diese nette Geste nicht weiter gestört.
Aber das war jetzt anders. Mir war so flau, dass mir sogar das Atmen schwerfiel.
Sobald ich den Truck mitsamt Autoanhänger auf dem Werkstatthof abgestellt hatte, hielt ich Ausschau nach Hanks Geschenk. Ich konnte nichts Ungewöhnliches entdecken - außer ein paar neuen Autos, von denen das auffälligste ein 1958er Plymouth Fury war. Ich kannte niemanden hier im Tal oder in Maryville, der ein solches Auto besaß, deshalb nahm ich mir vor, Duane bei nächster Gelegenheit danach zu fragen. Ich stieg aus dem Truck und schloss so leise wie möglich die Fahrertür.
Ich kannte alle Frauen, die im Pink Pony arbeiteten. Früher, vor Darlene, hatte ich vielen von ihnen hin und wieder mit kleineren Arbeiten in Haus oder Wohnung geholfen. Als ich nun meine verspannten Muskeln dehnte und auf die Werkstatt zuging, überlegte ich, wen er mir geschickt haben könnte.
Tina Patterson kam schon mal nicht infrage. Tina war lange Zeit die Quasi-Freundin meines Zwillingsbruders Duane gewesen, ehe er letztes Jahr mit Jessica James zusammengekommen war. Mae, Roxy und Hannah schloss ich ebenfalls aus. Hank wusste, dass ich - in Bezug auf Körperbau und auch Charakter - reifere Frauen bevorzugte.
Ich verlangsamte meine Schritte und spähte um einen Ford herum, der kurz hinter dem Eingang zur Werkstatthalle stand, während ich nervös den Schlüsselring am Zeigefinger drehte. Es war ein klarer, sonniger Spätsommermorgen, und als ich ins Halbdunkel der Halle trat, konnte ich im ersten Moment nichts sehen. Aber ich hörte das Scharren von Schuhen auf Zement, gefolgt von einem kurzen Aufstöhnen.
»Cletus?«, rief ich zaghaft, in der Hoffnung, dass mein Bruder der Verursacher der...
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