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Es ist eigentlich merkwürdig, dass ich erst jetzt nach Fort Washakie fuhr und nicht schon vor dreißig Jahren. Ich war mit dem Namen dieses Ortes aufgewachsen, zum ersten Mal hatte ich ihn mit sechs Jahren gehört, von meiner Mutter, als sie mich für alt genug hielt, um in die Familiengeschichte eingeweiht zu werden. An einem Winterabend, an dem vor dem Fenster meines Zimmers große Flocken fielen und es im ganzen Haus sonderbar still war, saß sie an meinem Bett und erzählte mir mit leiser Stimme von ihrem Großvater, der ein Indianer gewesen sei. Ich hörte ihr zu, wie wenn sie mir vor dem Schlafengehen aus einem Märchenbuch vorlas, das heißt, ich glaubte die Geschichte im Moment, in dem sie sie mir erzählte, doch nachdem sie das Licht ausgeknipst hatte und gegangen war, drehte ich mich auf die Seite und schlief ein, und am nächsten Morgen erwachte ich keineswegs mit dem Gedanken, dass mein Urgroßvater tatsächlich ein Indianer gewesen war. Da meine Mutter danach lange Zeit nicht mehr davon sprach, wurde es für mich erst mit zwölf zur Gewissheit, als mein Vater am Mittagstisch eine scherzhafte Bemerkung machte, Was habe ich nur für eine hübsche Squaw! oder etwas Ähnliches - an den genauen Wortlaut erinnere ich mich nicht mehr, nur daran, dass meine Mutter sich den Ausdruck Squaw verbat und über die damals gerade populären Winnetou-Filme herzog, die sie unrealistisch fand. Es sei in Wirklichkeit alles ganz anders gewesen als in diesen Filmen. Auf meine Frage, woher sie das wisse, gab sie mir die Tagebücher meiner Urgroßmutter zu lesen, in der diese ihre Zeit als Lehrerin an der St. Stephen's Indian Mission in Fort Washakie beschrieb, und nun wurde das Märchen wahr: Ich stammte von Indianern ab, genauer von den Arapaho.
Aber warum ich erst so viele Jahre später nach Fort Washakie fuhr: Ich weiß es nicht. Wäre mein Leben anders verlaufen, wenn ich früher erfahren hätte, was ich jetzt, nach der Reise und meinem Besuch bei Hebesisei Willow, weiß? Vielleicht. Jedenfalls wäre mir früher etwas genommen worden, durchaus ein Stück meiner Seele. Es ist also ein Glück, dass ich nicht früher hingefahren bin!
Noch besser wäre es natürlich gewesen, wenn ich nie nach Fort Washakie gereist wäre -
Eine Reise rein aus privatem Interesse an meiner Familiengeschichte konnte ich mir nicht leisten, und da mir ohnehin der Stoff für einen neuen Roman fehlte, beschloss ich, die Besichtigung von Fort Washakie mit Recherchen für den Roman zu verbinden, in dem es um das Leben der Arapaho gehen sollte und um einen jungen deutschen Einwanderer aus der Pfalz, der zur Zeit, als meine Urgroßmutter in Wyoming als Lehrerin arbeitete, als Soldat der US Army an den Kriegen gegen die Plains-Indianer teilnahm. Das schien mir ein verlockender Stoff zu sein, aber mir fehlte, um das Lebensgefühl der Arapaho authentisch beschreiben zu können, die Erfahrung eines Lebens in der Wildnis, ich kannte die Natur nicht. Das ließ sich aber ändern. Ich buchte zusätzlich zum Flug nach Dallas, von wo aus ich mit einem Mietwagen nordwärts nach Colorado und weiter nach Wyoming fahren wollte, eine Hütte in Manitoba, Kanada, in der Gegend um Lac Brochet. In Amerika war Wildnis nicht mehr zu finden, jedenfalls nicht in den Staaten, die ich wegen meiner Familiengeschichte besuchen wollte; die nächstgelegene Wildnis befand sich im Norden Manitobas, wo eine Firma namens Adventure Travels Manitoba für wenig Geld Blockhütten vermietete. Der Name der Firma störte mich, weil er das leicht Lächerliche entlarvte, das hinter meinem Wunsch steckte, die Wildnis kennenzulernen.
Ich flog also nach Dallas, und in einem schönen, geräumigen Wagen mit eingebautem Kompass fuhr ich nach Norden und fühlte mich auf den oft leeren, breiten Straßen tatsächlich frei. Manchmal fuhr ich nachts im Konvoi mit Trucks, oder ich bildete mir vielleicht nur ein, dass es ein Konvoi war, jedenfalls gefiel es mir, zwischen den riesigen Gefährten in dem Licht zu fahren, das ihre Scheinwerfer auf die Straße warfen, während die Gegend abseits der Straße stockdunkel dalag.
Im südlichen Colorado wies ein Straßenschild auf das Reservat der Southern Ute hin, und da die Ute die traditionellen Feinde meines Urgroßvaters gewesen waren, zusammen mit den Shoshonen, den Pawnee und den Gros Ventre, entschloss ich mich zu einem Zwischenhalt in Ignacio, dem Hauptort des Reservats der Ute.
Der erste Indianer, dem ich in meinem Leben begegnete, war also ein Südlicher Ute, der auf der Garagenauffahrt seines Hauses mit einem Poliertuch die Motorhaube eines weißen Geländewagens wienerte. Im Schritttempo fuhr ich an ihm vorbei, und als er sich nach mir umdrehte, hob ich die Hand. Er warf einen Blick auf mein Nummernschild und putzte weiter.
Ich glitt auf der Hauptstraße dahin und staunte über die Ordnung und die Zeichen kleinen Wohlstands. In den Gärten standen Trampoline mit Sicherheitsnetz, und an einem Baum war eine rote Schaukel befestigt, die sich im Wind selbst schaukelte. Das dürre, fast gelbe Gras war sorgfältig gemäht, und der Himmel darüber glänzte.
Ich mietete im Motel des Spielcasinos ein Zimmer für die Nacht bei einer freundlichen Ute, die ein T-Shirt mit einem Wolfskopf trug.
Danach war ich ratlos, was ich als Nächstes tun sollte. Für einen Ortsfremden gab es außer dem Casino hier nichts Interessantes. Auf den Straßen waren keine Leute unterwegs. Wenn ich etwas sehen wollte, blieb also nur das Casino. Es saßen dort an den Maschinen weiße Farmer, die ihre vermutlich mit Viehzucht verdienten Münzen in den Schlitz steckten. Dann drückten sie einen Hebel mit demselben Ernst, mit dem ich einmal einen Schweizer Bauern einem Kalb die Marke ins Ohr hatte drücken sehen.
Die Bierdosen knackten in den Händen der Spieler. Einen hörte ich sagen: »Heute klaut mir der Teufel mein Glück.« Eine Frau antwortete: »Hab meinen Quarzstein vergessen.«
Ich spielte auch ein bisschen an den Automaten. Mir gefielen die Klänge und das Licht. Im Innern solcher Automaten ist elektronisch eine Menge los. Das überträgt sich auf den, der vor ihnen sitzt.
Neben mir saß eine weißhaarige Dame. Sie war stolz auf dieses Schneeweiß, und es stand ihr auch gut, es verlieh ihr etwas Märchenhaftes. Sie war vor Kurzem beim Coiffeur gewesen, die Spur des Föhns hatte sich noch erhalten. Da ich die Logik der zwei roten Knöpfe nicht verstand, die man in einer bestimmten Reihenfolge - aber in welcher? - drücken musste, sagte ich zu ihr: »Ich bin zu dumm für diesen Automaten.«
»Ach, nach ein, zwei Monaten hat man's raus«, sagte sie.
Sie wollte wissen, wo mein Akzent herstammte, und ich sagte, aus der Schweiz. Ich fügte der Vollständigkeit halber hinzu, dass ich aber in Berlin lebe.
Germany! Ihr Mann war dort stationiert gewesen, in Bielefeld. Dann Ruhestand und ein Jahr später Darmkrebs. Im Blinddarm! Was nützen da die ganzen Vorsorgeuntersuchungen! Sie suchen ja nicht im Blinddarm. Was soll man denn jetzt noch von der modernen Medizin halten?
Sie fragte mich, was mich hierher verschlagen habe. Ich sagte, es sei ein Zwischenhalt auf dem Weg nach Wyoming. Danach wolle ich weiter nach Kanada, um in der Northern Region Manitobas einige Wochen in der Wildnis zu verbringen. Das Wort Wilderness auszusprechen war mir peinlich.
Sie fragte mich, warum ich denn allein dort hinfahre?
»Oder sind Sie nicht verheiratet?«, fragte sie.
Ich log. Sagte, doch, aber meine Frau sei ganz froh, mich für ein paar Wochen los zu sein.
My wife - Hanna hätte sich verbeten, dass ich sie immer noch so nannte.
Die Dame sagte, es gebe in Kanada nichts, was es hier in Colorado nicht auch gebe: Flüsse voller Forellen und Lachse, gute, reine Luft, Einsamkeit - »Männer müssen manchmal allein sein. Aber so lange? Glauben Sie mir, Ihre Frau vermisst sie. Sie liebt Sie, deshalb hält sie Sie nicht zurück. Aber wenn sie sagt, dass es ihr recht ist - glauben Sie mir, das stimmt nicht.«
Ihr Bandit spuckte ein paar Münzen aus. Sie kratzte sie aus dem Spender und sagte, jagen könne ich auch hier in Colorado. Maultierhirsche, Wapitis, nördlich von Denver. Schneeziegen, sogar Schwarzbären.
»Ich fahre nicht zum Jagen nach Kanada«, sagte ich. Sondern es sei eine Recherche-Reise.
»Recherche?«
»Ich bin Schriftsteller. Ich will ein Buch schreiben, über die Arapaho.«
»Oh!«, sagte sie. »Ein Schriftsteller! Ich dachte mir schon, dass Sie nicht mit den Händen arbeiten. Aber wieso schreiben Sie denn ein Buch über Indianer?«
»Warum nicht?«
Sie sagte, wenn schon, müsse ich dann aber auch schreiben, dass viele anständige Menschen hier in Colorado täglich um ihr wirtschaftliches Überleben kämpften, während die Regierung den Indianern das Fürsorgegeld in den Hintern stecke. Ja, so sei das! Jeder Ute bekomme von der Regierung monatlich dreitausend Dollar fürs reine Nichtstun!
Unversehens steckte ich mittendrin in einer fünfhundertjährigen Auseinandersetzung. Ich hatte mich im Casino nur ein wenig umsehen wollen, musste jetzt aber eine Entscheidung treffen: Schweigen? Höflich lächeln? Oder mich zu meinem Urgroßvater bekennen?
»Und dann kassieren die auch noch das Geld vom Casino«, sagte die Dame, »das sie uns aus der Tasche ziehen!«
Ich lächelte höflich und sagte: »Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass mein Urgroßvater ein Arapaho war. Möglicherweise hat er Ihrem Urgroßvater einen Pfeil in...
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